Endlich danach?

Endlich danach?
Die Pandemie ebbt ab. Die Schonzeit ist vorbei.

Heute ist Sommeranfang. Und die Pandemie klingt ab. Wir dürfen wieder singen. Und Leute treffen. In den Biergarten gehen. Und reisen. Den Impfpass gibt’s als QR-Code. Und Fußball gibt es auch. Freiheit! Leben! Endlich ... Endlich bricht sie an, die Zeit danach.

Ich mag den Sommer, ich bin ein Kind des Sommers, Löwin, also stark. Ich bin auch kein Kind von Traurigkeit, obwohl es Gründe gäbe. Aber ich bin nicht mehr naiv. Ich weiß, dass das Leben seine Tücken hat. Und dass kippen kann, was auf der Kippe steht. Vielleicht liegt es ja daran: Mich irritiert die neue Freiheitseuphorie. Es ist mir ein Rätsel, wie die anderen es schaffen, auf Knopfdruck fröhlich zu sein. Ich kann es nicht.

Wie eine Fremde stolpere ich durch die neue, unvertraute Zeit.

Das Ende der Pandemie rückt näher, Gott sei Dank! Doch ich ahne, was kommt; politisch ist es schon so weit. Die Geschäftigkeit geht wieder los. Der Ton wird rauer, Schadenfreude bricht sich Bahn. Über "die Giffey", die keinen Doktor mehr hat: Wusste ich’s doch! Über "die Baerbock", deren Lebenslauf Ungenauigkeiten aufwies: typisch! Prompt wird Laschets Vita kritisiert: Wer einem eine Grube gräbt! Als sei das wichtig … Als habe man ein Jahr an sich halten müssen mit Häme, mit Bosheit und Spott. Und könne endlich wieder andere schlecht machen, weil die Leute endlich wieder zuhören nach der Corona-Fastenzeit.

Die Schonzeit ist vorbei. Auch meine. Eine Zeit, die mich schützte und in Ruhe ließ. Ein Jahr zurückgezogen zu leben, fiel mir nicht schwer. Ich konzentrierte mich aufs Wesentliche. Auf das, was wichtig ist. Und die, die wichtig sind. Ich las wie eine Besessene. Und ich schrieb jeden Tag. Die Muse küsste mich, als sei ich allein auf der Welt. Ich war lebendig. Lebendiger als jetzt.

Denn nun beginnt der alte Alltag auch privat. Und die Zeit der Rechtfertigung. Wer was schon gemacht hat. Nur ich nicht ... Wer wo schon gewesen ist. Bloß ich nicht ... Unruhig ist es geworden, bin ich. Ich verliere den Faden, der mein Leben zusammenhält. Der meinen Glauben zusammenhält. Der mich mit Gott verbindet.

Verwundert, verwirrt ringe ich um Worte und finde auf Facebook schließlich diese, die ich zitieren darf: Ich bin müde, Ewige. Es ist zu viel und ich bin zu wenig. Ich bin müde, Ewige, zu sehr um dir zu sagen, warum. Lass den Rauch meiner Abendzigarette am Fenster heute mein Gebet sein. Du weißt …

Das ist es. Ich rauche. Du weißt.

Ich tue, was ich tun muss - und verzettle mich. Mal schaue ich den Livestream vom Vatikan an und beobachte, wie die Menschen auf dem Petersplatz spazieren. Oder den aus St. Ottilien, der die Klosterkirche zeigt. Und die Sehnsucht packt mich, nach Ruhe, nach Stille, nach der Abgeschiedenheit. Nach Gott. Mal lese ich in der Bibel herum. Und ich stoße auf das Gleichnis vom verlorenen Groschen, den die Frau sucht, bis sie ihn wiederfindet. (Lk 15,8-10) Und ich frage mich, ob auch ich das ganze Haus fegen würde, um die Münze zu finden. Und wie es wohl wäre, wenn ich das Geldstück wäre, eines unter vielen. Ob Gott mich dann suchte?

Ob er den Faden findet, den ich verlor?

Mitten in mein Fragen hinein höre ich Mendelssohns Elias. Und Gott fängt an zu singen: Wirf dein Anliegen auf den Herrn / der wird dich versorgen, / und wird den Gerechten nicht ewiglich / in Unruhe lassen. / Denn seine Gnade reicht, / so weit der Himmel ist, / und keiner wird zu Schanden, / der seiner harret.

Das ist es. Ich rauche. Und er antwortet.

Heute ist Sommersonnenwende. Die Tage werden kürzer. Zeigen Vergänglichkeit. Deuten den Tod an. Ganz anders als die Wintersonnenwende, die die Tage länger werden lässt und von Auferstehung kündet, vom Leben. Es ist gut, dass in der dunklen Jahreszeit der Mut aufgeht. Und die helle Zeit nicht so tut als ob. Damit wir nicht zu Schanden werden. Und abheben.

Jetzt zum Beispiel. In dieser seltsamen Zeit danach.

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