Ist das noch konservativ oder kann das weg?

Ist das noch konservativ oder kann das weg?
Michael Güthlein
Liebäugeln mit schwarz-grün: die Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Markus Söder
Die Grenzen zwischen konservativ und rechtspopulistisch scheinen zu verschwimmen. Zeit, wieder für Klarheit zu sorgen - ausgerechnet mit Markus Söder.

Und dann sitzt er da, die Reizfigur der links-grün-evangelischen Kirchentagsbesucher: Markus Söder, rechts-konservativer bayerischer Ministerpräsident und Vorsitzender der CSU (immerhin auch evangelisch!). Vater des umstrittenen Kreuzerlasses, Verfechter einer fragwürdigen Flüchtlingspolitik, Vertreter einer Partei, die sich im Kampf gegen den Klimawandel nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Man muss ihm zugestehen: Das ist mutig!

Auch wenn Kirchentagspräsident Hans Leyendecker sich in der Einführung bemühte, mit dem "Missverständnis" aufzuräumen, dass der Kirchentag als ausschließlich links-grün wahrgenommen wird ("Ich finde den Kirchentag konservativ: Es geht um Werte und Heimat, die innere Heimat.") wird im Laufe der Veranstaltung klar, welch Geistes Kinder Herrn Söder da gegenübersitzen. Damit Markus Söder nicht ganz unterging, hat man ihm gleich drei weitere Konservative an die Seite gesetzt: Den (tatsächlich) grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, die Politikwissenschaftlerin und Autorin Judith Magdalena Piotrowski und den Mainzer Historiker Andreas Rödder. Als links-kritisches Korrektiv stemmte sich ZEIT-Autorin Elisabeth von Tadden kraftvoll gegen den Rest der Podiumsteilnehmenden. Moderator Jörg Thadeusz moderierte launig.

Aber zurück zum Problem: Was ist eigentlich "konservativ"? Und gibt es noch eine klare Grenze zu den Rechtspopulisten der AfD?

"Konservativ ist in Deutschland immer im Verdacht, in einer braunen Traditionslinie zu stehen", brachte Rödder es gleich zu Anfang auf den kritischen Punkt. Oft hieße es „Gut gegen rechts“. Mit der Fridays for Future-Bewegung und dem YouTuber Rezo hatte Rödder gleich die Ziele seiner Kritk ausgemacht. Die beiden stünden für einen "moralischer Absolutheitsanspruch", der wenig Raum für Streit und Diskussion lasse. Dabei sei die Frage nach der Grenze auch die nach der Grenze des legitim Sagbaren - denn, so Rödder,  "die gibt es!" Wenn sich jemand gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes wende oder die NS-Zeit verharmlose, gebe es da nichts zu diskutieren. Das sei nicht konservativ und dafür gebe es das Strafrecht.

Demokratische Auseinandersetzung statt moralisierende Empörung

"Konservativ heißt, den Wandel verträglich zu gestalten", definierte Rödder. Daher komme es häufig zum "konservativen Paradox": Konservative verteidigen heute, was sie gestern bekämpft haben. Man könne sich fragen: "Wenn Konservative irgendwann eh die Positionen der Fortschrittlichen übernehmen, warum dann nicht gleich?" Lauter Applaus. „Da klatscht der Kirchentag!“, witzelte Rödder, der sein Publikum kennt. "Nicht alles, was neu ist und von links kommt, ist gut“, führte er fort. Konservative verteidigten nur das Neue von gestern, was sich auch bewährt hat. "Was wir heute für unverrückbar richtig halten, kann uns morgen um die Ohren fliegen!" Konservativismus setze auf reversible Lösungen, statt auf den großen Sprung, auf Erfahrung und Vernunft statt auf Modelle und Statistiken. Im Zentrum stehe das Prinzip von Maß und Mitte.

Elisabeth von Thadden war da anderer Meinung: Konservative Vernunft heiße also, solange zu bremsen, bis es gar nicht mehr anders geht und dann zu sagen: Das haben wir immer gewollt! (Donnernder Applaus). Rödder hielt dagegen: "Je schneller ein Auto fährt, desto stärkere Bremsen braucht es, damit es nicht gegen die Wand fährt."

Für Markus Söder war die Abgrenzung klar: "Konservativismus hat etwas Positives, Optimistisches. Patriotismus heißt, die eigenen Leute zu mögen ohne die anderen herabzuwerten. Nationalismus dagegen grenzt aus." Immer wieder gab er sich überraschend gemäßigt, distanzierte sich klar von der AfD und versuchte zwischen den Positionen zu moderieren: "Alle (er meint wohl Linke und Rechte und die dazwischen; Anm. d. Autors) haben mal politisch Recht gehabt in der Geschichte und manche haben sich geirrt. Daher ist die Diskussion so wichtig!"

Die Politik des "und"

"Viele Ideen blamieren sich an der Realität", sagte Winfried Kretschmann. "Deswegen wird man mit dem Alter konservativer, vorsichtiger, bedächtiger, besonnener."  Kretschmann ist jetzt 71 Jahre alt und war Anfang der 1970er Jahre Kommunist. Jetzt kann man nachrechnen, wie lange die Genese von Besonnenheit dauern kann.

Nach Rödders Aufschlag ginge es viel um die Fridays for Future-Bewegung. Piotrowski: "Es ist ein Skandal, dass junge Menschen erst auf die Straße gehen müssen, damit etwas passiert; es fehlt noch der Dialog auf Augenhöhe!" Rödder warf der Bewegung hingegen Panikmache vor: "Aus Panik sollte man besser keine Politik machen!" Ein kluger Satz, der in links-grün-evangelischen Buhrufen unterging. Kretschmann versuchte es noch einmal mit schwarz-grün als goldener Mitte: "Ich bin für eine Politik des „und“: Sicherheit UND Freiheit, Ökonomie UND Ökologie." Die Grünen könnten nur erfolgreich sein, wenn sie ökologische Politik machten, die auch zu Wachstum und Wohlstand führt. Das klingt schon verdächtig nach schwarz UND grün. Optisch dominierten die beiden Farben ohnehin auf dem Podium.

Zuletzt ging es um die Frage: Was macht man nun mit den AfD-Wählern, die den Rubikon zum Rechtspopulismus bereits überschritten haben? Aufgeben?

"Wir müssen vor allem gefährdete, potentielle AfD-Wähler erreichen." Für Kretschmann ist die Debatte weiterhin das einzige Mittel dafür: "Die AfD hat das Tabu von völkischem Denken gebrochen, das seit dem 2. Weltkrieg in der Bundesrepublik gegolten hat." Man müsse nun wieder lernen, dagegen zu argumentieren und sich nicht nur zu empören.

"Wer jammert, bekommt keinen Besuch!"

Söder sorgt sich vor allem darum, dass viele AfD-Wähler sich aus den regulären Informationsquellen vollständig verabschiedet hätten und nur noch Verschwörungstheorien nachhingen. Aber er zeigte sich auch kämpferisch: "Keine Panik, die sind schlagbar! Wir können ihnen zeigen, dass sie nicht die Wichtigsten sind, dass wir Demokraten mehr sind und besser." Notfalls müsse der Verfassungsschutz einschreiten, "weil der Staat nicht alles mit sich machen lassen darf. Demokraten müssen nicht nur reden, sondern auch klar entscheiden."

Und dann ruft er nochmal dazu auf, optimistischer zu sein. Christen beriefen sich ja auch auf die frohe Botschaft, nicht die traurige. "Man kann so viel erreichen mit Optimismus. Das ist ansteckend. Die AfD verbreitet furchtbar schlechte Laune, lasst uns ihnen auch mit Fröhlichkeit entgegentreten!" Dann beendet er die Debatte mit einer Anekdote aus seiner Kindheit: Er hatte zwei Tanten. Die eine habe dauernd gemeckert, die andere war hingegen sehr nett zu den Kindern, obwohl sie bettlägerig war. Als er sie gefragt habe, warum sie immer so gut drauf sei, sagte sie ihm: „Wer jammert, bekommt keinen Besuch!“

Die Union mag derzeit auch etwas bettlägerig sein, aber zumindest kriegt Söder noch Besuch. Die Halle war gestopft voll und auf dem Weg nach draußen hört man sogar die Kirchentagsbesucher das eine oder andere wohlwollende Wort über Markus Söder murmeln.

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