Kreationismus im Islam und anderswo

Kreationismus im Islam und anderswo

Muslimische Studenten, darunter angehende Ärzte, die Evolutionsvorlesungen boykottieren: Was hat diese Meldung aus England mit uns zu tun?

 

Aus aktuellem Anlass mal ein Blick über den christlichen Tellerrand: Das britische Massenblatt "Daily Mail" hat heute berichtet, dass islamische Studenten in Großbritannien - darunter auch künftige Ärzte - zunehmend Vorlesungen über Evolution boykottierten.

Offensichtlich hat das Christentum also kein Monopol auf den leidigen Streit um Schöpfung und Evolution. Nicht nur die ersten Seiten der Bibel können offenbar mit einem naturwissenschaftlichen Lehrbuch verwechselt werden, auch im Koran gibt es entsprechende Stellen. Zwar wird dort die Schöpfung weniger systematisch als in der Genesis geschildert, aber über den Koran verstreut finden sich doch viele Elemente wieder. Etwa die Erschaffung von Himmel, Erde, Gestirnen, Tag und Nacht (Sure 21, 30-33), die Erschaffung des Menschen aus Lehm (Sure 15, 26-33) oder die Zeitangabe "sechs Tage" für den gesamten Schöpfungsprozess (32, 4). Dabei ist dies nur eine willkürliche Auswahl der Textstellen zum Thema. (Nachzulesen, in verschiedenen deutschen Übersetzungen, ist der Koran übrigens unter www.koransuren.de -> Sure im Feld "DER VERGLEICH" auswählen.)

Aufgeklärter Imam erntet Morddrohungen

Trotz insofern recht vergleichbarer Ausgangsbasis scheint der Kreationismus - also die Überzeugung, dass die Antwort auf die Frage, wie Welt und Menschen entstanden, eher in Bibel/Koran als in der Wissenschaft zu finden ist - in islamischen Ländern noch stärker verbreitet zu sein. So spricht Salman Hameed, Dozent für Astronomie und Religionswissenschaften, in der britischen Zeitschrift "New Scientist" davon, dass in muslimisch dominierten Ländern der Evolutions-befürwortende Anteil der Bevölkerung nur bei zehn bis 20 Prozent liegt, gegenüber 40 Prozent in den USA. In Deutschland stimmen, je nach Zuschnitt des Fragebogens, mindestens 60 Prozent der Bevölkerung der Evolutionstheorie zu - siehe etwa hier (pdf). (Wer noch mehr über Kreationismus in islamischen Ländern lesen will: Vor zwei Jahren berichtete die New York Times.)

Freilich gibt es auch Kronzeugen dafür, dass der Islam nicht zwangsläufig zu einer Absage an die Naturwissenschaft führt, wenn es um den Ursprung der Welt und des Lebens geht. So hat wiederum der "New Scientist" einen Imam in Großbritannien interviewt, der ebenfalls als Uni-Dozent tätig ist und sich für die Vereinbarkeit von muslimischem Glauben und Evolution stark macht. Der Mann erzählt allerdings, wie er mit dieser Aussage bei Vorträgen schon heftige Turbulenzen bis hin zu massiven Todesdrohungen ausgelöst hat.

Einer der Protagonisten der Evolutions-Leugnung in der muslimischen Welt, auf den auch der "Daily Mail"-Artikel eingeht, ist der Türke Adnan Oktar. Unter dem Pseudonym Harun Yahya, das sich wenig bescheiden aus gleich zwei Prophetennamen zusammensetzt (Harun = Aaron, Yahya = Johannes der Täufer), hat er eine gewaltige Medienkampagne wider die Evolution losgetreten. Mit teils kruden Argumenten (ein Beispiel, sinngemäß: "Wie könnte, ohne die Allmacht und die entsprechenden Verfügungen Allahs, ein Proteinmolekül im Körper wissen, welche Aufgaben es hat, an welche anderen Moleküle es sich binden soll etc.? Es weiß schließlich Dinge, die die meisten Menschen nicht wissen, dabei besteht es doch nur aus wenigen Atomen und besitzt selbst gar kein Bewusstsein!") sucht er im Internet und in Büchern, in Interviews, Videos und Vorträgen unermüdlich die Evolutionstheorie zu wider- bzw. einen vermeintlichen "Betrug des Darwinismus" offenzulegen. Einigen Wirbel auch in Deutschland verursachte er vor einigen Jahren mit dem aufwändig gestalteten, dennoch kostenlos an Schulen versandten "Schöpfungs-Atlas" (siehe zum Beispiel hier).

Fakten und Fiktionen

Was ist nun von alledem zu halten? Zu dem eingangs angeführten Bericht in der "Daily Mail", den seinerseits diverse Medien kritiklos zitieren (in Deutschland etwa die "Deutsch-Türkischen Nachrichten" ), sind einige Hinweise angebracht. Denn für die Meldung, dass muslimische Studenten Evolutionsvorlesungen aus Protest verlassen und Professoren über eine zunehmende Zahl derartiger Boykotte beunruhigt seien, führt der Artikel bei näherem Hinsehen einen einzigen, dürren Beleg an. Geht man zur Quelle zurück - einer Beobachtung des emeritierten Genetikprofessors Steve Jones vom University College London, die dieser ursprünglich der "Sunday Times" mitgeteilt hatte - wird deutlich, dass die "Daily Mail" die Sache wohl Boulevard-gerecht dramatisiert hat: Die Originalgeschichte (bzw. was davon auf Richard Dawkins' Website frei zugänglich zitiert wird) liest sich um einiges unspektakulärer.

Fakt ist offenbar, dass ein einzelner Professor sich mit einzelnen Evolutionsleugnern herumärgert; auf dieser Basis zu behaupten, es liege ein allgemeiner Trend vor, ist unseriös. Noch dazu ist Jones prominenter Humanist und Säkularist, tut sich seit Jahren als Kämpfer gegen den Kreationismus hervor und gehörte zu den öffentlichen Kritikern am Besuch des Papstes 2010 im Vereinigten Königreich. Damit will ich übrigens nicht seine fachliche Argumentation pro Evolution und contra Kreationismus (etwa im hier verlinkten Video) in Zweifel ziehen. Aber ein neutraler Beobachter bezüglich der Frage, ob es einen Trend zum Kreationismus gibt, ist Jones eben auch nicht.

Ebensowenig wie in Großbritannien scheint es in Deutschland Zahlenmaterial zum Zusammenhang von Islam und Kreationismus zu geben. Immerhin hat der Dortmunder Biologie-Didaktiker Dittmar Graf vor einigen Jahren Lehramtsstudenten detailliert zu ihrer Meinung in Sachen Evolution befragt. Dabei lehnten, wie Graf in einem Interview in der "Frankfurter Rundschau" erklärte, fünfzehn Prozent der Lehramtsstudenten aller Fächer die Evolutionstheorie ab (in der Türkei sind es laut Deutschlandradio 70 Prozent!), unter den künftigen Biologielehrern waren es immerhin sieben Prozent: . Befragt wurden dabei allerdings Studienanfänger, denen ja (hoffentlich) noch einige Reflexion über Wissenschaft und ihre persönliche Einstellung dazu bevorsteht.

Schuld ist ein falsches Bild von Wissenschaft

Interessant an den Studie ist aber vor allem, dass kreationistische Überzeugungen weniger mit dem Glauben zusammenhingen - wie von interessierter Seite gerne nahegelegt wird, vgl. etwa die Rezeption der Ergebnisse Grafs sowie einer weiteren Umfrage durch den Kasseler Evolutionsbiologen und Atheisten Ulrich Kutschera). Graf zufolge geht die Ablehnung der Evolution vor allem mit allgemeinem Nichtwissen über die Vorgehensweise der Wissenschaft einher. Er habe etwa gefragt, ob die Wissenschaft wie die Religion letzte Wahrheiten verkünde, sagte er der "FR" - mit bedrückendem Ergebnis: "Manche Studenten sehen offenbar keinen Unterschied zwischen Religion und Wissenschaft. Sie glauben, dass die Evolutionstheorie auch nur ein Dogma ist."

Fazit: Ob eine der Evolution gegenüber feindliche Einstellung primär auf die individuelle religiöse Überzeugung zurückzuführen ist, darf zumindest bezweifelt werden. Insgesamt liegen offenbar wenig Zahlen vor - und keine statistisch belastbaren Hinweise darauf, dass es "immer mehr" Studenten sind, die kreationistische Ideologie über Wissenschaftlichkeit stellen. Aber: Dass Kreationismus innerhalb der Bildungselite überhaupt eine nennenswerte Rolle spielt, egal ob nun aus christlicher, muslimischer oder sonstiger Motivation, ist unabhängig von Steigerungsraten durchaus ein Problem. Deshalb möchte ich in Grafs Plädoyer für eine bessere und frühere Behandlung der Evolution in der Schule einstimmen. Dass jeder lernt, was die Naturwissenschaft bis dato über unsere Ursprünge herausgefunden hat und wie sie das anstellt, ist unbedingt wünschenswert. Und, wichtig: Auch Christen sollten sich dafür stark machen. Andernfalls dürften militant säkularistische Wissenschafts-Promoter, die wie Ulrich Kutschera oder Richard Dawkins ihre pro-naturwissenschaftliche Botschaft allzu gern mit anti-religiöser Ideologie verrühren, dankbar in die Lücke springen.

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