Futter für Atheisten

Futter für Atheisten

Gleich zweimal bin ich in den vergangenen Tagen über Postings auf der Atheismus-Plattform des Internetdienstes Reddit gestolpert. Dort versuchen die User durch Postings mit mehr oder weniger Witz und Köpfchen Gottgläubigen eins auszuwischen ...

Sollte es keine Fälschung sein, handelt es sich bei dem ersten Posting auf Reddit um eine wirklich üble Ausgeburt des Kreationismus: Zu sehen ist ein abfotografiertes "4th grade Science Quiz", ein Test aus dem Naturwissenschaftsunterricht für Viertklässler also, unter dem merkwürdigen Titel: "Dinosaurier: 1. Buch Mose und das Evangelium". In Deutschland hat unter anderem sueddeutsche.de dieses Dokument zum Anlass für einen Artikel genommen.

Die eingeringelten Antworten sind stramm auf der Linie des Kurzzeitkreationismus (young earth creationism) - einer wortwörtlichen Lesart der Bibel, die sogar sämtliche biblischen Stammbäume von Adam bis Jesus als historischen Fakt interpretiert und damit zu dem Ergebnis kommt, dass die Erde nur zwischen 6.000 und 10.000 Jahren alt sein kann. Würde dies stimmen, wäre ein Großteil des heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstands Makulatur - nicht nur was die Entstehung der Erde und die Entwicklung des Lebens angeht, sondern auch grundlegendes Wissen etwa zu Radioaktivität und radiologischer Datierung, Geologie, Genetik und anderes mehr. Menschen und Dinosaurier hätten dann gleichzeitig auf der Erde gelebt - wie hier von Frage 4 nahegelegt.

Schlimm genug, wenn Kinder so etwas von ihren Eltern vermittelt bekommen - viel schlimmer aber, wenn diese Ideologie wie hier offensichtlich von den Lehrern in der Schule propagiert wird. Denn für die kreationistischen Antworten gab es vom Lehrer 100 Prozent, Note eins mit Stern (A+) und noch einen Smiley-Sticker obendrauf.

Indizien für Echtheit

Nun muss man natürlich fragen, ob es sich um einen tatsächlichen Test aus einer Schule handelt oder um eine Fälschung. Der auf derartige Fragen spezialisierte Dienst snopes.com hat sich denn auch dieses Themas angenommen - mit (bislang) uneindeutigem Ergebnis. Immerhin sprechen eine Reihe von Indizien aber für die Echtheit. Unter anderem schrieb an Leser an snopes.com, es handele sich um den Test seiner eigenen Tochter, und fügte zum Beweis eine Aufnahme der Rückseite bei. Auf dieser findet sich auch noch die verrückteste Frage: "Wenn das nächste Mal jemand behauptet, die Erde sei Milliarden (oder Millionen) Jahre alt - was kannst du sagen?" Für die eingetragene Antwort, die Gegenfrage: "Warst du dabei?", gab es wiederum volle Punktzahl.

Wenn Christen (oder Juden oder Muslime) solche extremen Standpunkte vertreten, dann liefern sie tatsächlich all jenen gutes argumentatives Futter, die Glauben als rückständig, anti-intellektuell und eine Geißel der Menschheit verdammen.

Dass die Glaubensverächter sich dabei allerdings allenfalls an einem Zerrbild von Religiosität abarbeiten, lässt sich anhand eines zweiten Reddit-Beitrags erläutern:

Eine Frage, die man durchaus stellen kann, auch wenn sie mir vorher noch nicht begegnet war: Hätte ein allwissender, wohlmeinender Gott den Menschen nicht schon vor langer Zeit verraten können beziehungsweise müssen, dass die Beachtung einiger grundlegender Hygienevorschriften viele Menschenleben rettet? Oder, in Abwandlung: Warum hat Gott nicht medizinisches und sonstiges Wissen in die Bibel diktiert, das zahllosen Menschen hätte helfen können?

Als fächerübergreifendes Referenzwerk versagt die Bibel

Wer nun - wie Junge-Erde-Kreationisten - auf dem fundamentalistischen Standpunkt steht, die Bibel enthalte Wort für Wort, Satz für Satz präzises und fehlerfreies Faktenwissen, da Gott die Bibel quasi diktiert habe und sich dabei auch über alle Fehleranfälligkeit und Begrenztheit derjenigen Menschen hinweggesetzt habe, welche die Bibel aufschrieben: Wer so denkt, hat mit dieser Frage tatsächlich ein Problem. Denn wenn Gott beispielsweise Moses als vermeintlichen Autor der Genesis befähigte, die sechs Schöpfungstage korrekt zu schildern, bei denen er (Moses) doch gar nicht dabei war, und wenn selbst poetisch-theologischen Texten wie der Genesis tatsächlich eine immerwährende Korrektheit auch in historischer und naturwissenschaftlicher Hinsicht zuzuschreiben wäre, dann wäre die Bibel ja ihrem Anspruch nach eine Art fächerübergreifendes Referenzwerk des Wissens - und als solches würde sie aus heutiger Sicht tatsächlich ein klägliches Bild abliefern.

Nur: Warum sollte man solche Erwartungen von außen an die Bibel herantragen? Letztlich handelt es sich dabei um eine moderne Brille, die beim Blick auf antike Texte wohl wenig weiterhelfen kann. Stattdessen sollte man bei dem ansetzen, was die Bibel ist: ein historisches Dokument, verfasst von (vielen) Menschen über einen langen Zeitraum, die darin ihre Erfahrungen mit dem Gott festhalten, der sich ihnen in ihrem Leben, in der Geschichte ihres Stammes und Volkes offenbart hat. So vielfältig wie die Menschen und ihre Erfahrungen sind auch die Texteim Buch der Bücher: da gibt es Geschichten, Familienchroniken, allegorische Geschichten, Gebete, Lieder, Aphorismen, Gleichnisse ... allesamt Ausdruck existenzieller Erfahrungen mit einer Realität, die alles sprengt, was der Mensch erfassen - geschweige denn in einfache und eindeutige Sätze fassen kann.

Der Mensch: Partner, nicht Stenotypist Gottes

Klar ist allerdings, aus dem Charakter dieser Dokumente ebenso wie aus ihrem Inhalt: Es sind ganz gewöhnliche Menschen, die diese Erfahrungen machen, verarbeiten, weitererzählen und schließlich - teilweise erst nach vielen Generationen - aufschreiben. Gott offenbart sich in der Geschichte, geht Wege mit konkreten Menschen, damit diese in aller menschlichen Freiheit und Eigenständigkeit ihn und seine Liebe erkennen. Jeder biblische Text spiegelt also nicht nur die Realität Gottes, sondern auch Wissen und Weltbild der damaligen Zeit. Die Menschen - und damit auch die Autoren der biblischen Texte - sind für ihn Partner und Co-Autoren einer gemeinsamen (Heils-)Geschichte, nicht Stenotypisten eines über ihre Köpfe hinweggehenden Ergusses an göttlicher Weisheit.

Deshalb ist es kein Problem, sondern vielmehr völlig logisch, dass der Bibel krankmachende Keime ebenso egal sind wie Dinosaurier, und dass heutige Erkenntnisse über Evolution keinen unauflöslichen Widerspruch zur biblischen Urgeschichte darstellen, sondern vielmehr uns helfen, deren eigentlichen Schatz - nämlich die darin enthaltenen Wahrheiten bezüglich Gott und seines Verhältnisses zur Schöpfung und zu uns Menschen -  zu heben. Zum Abschluss ein Tipp zum Weiterlesen: Reflections on Biblical Interpretation and Evolution des Theologen Thomas Jay Oord (BioLogos.org).

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