Ode an die Freunde (und Freund:innen)

Drei Menschen sitzen auf Steinen an einem See.
Leonie Mihm
Warum es besonders toll ist, unterwegs Menschen zu treffen.
Ode an die Freunde (und Freund:innen)
Romantische Beziehungen gelten als erstrebenswerter als Freund:innenschaft. Muss das so sein? In ihrem Blog schaut Leonie Mihm darauf zurück, was sie von den Freund:innen, die sie bisher auf ihrer Reise getroffen hat, mitnehmen durfte.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der eine romantische (heterosexuelle und monogame) Beziehung als erstrebenswert gilt. Viele Menschen suchen einen großen Teil ihres Lebens nach der einen Person, die einen rettet, vervollständigt, weiter bringt oder glücklich macht. Es gibt einen klaren Fokus in Filmen, Liedern, Gesprächen und Normen auf ein Lebensmodell, was nicht nur ziemlich viel mit Partner:innenschaft und Zweisamkeit zu tun hat, sondern für meinen Geschmack auch eine mächtige Erwartungshaltung und ungesunde Rollenbilder mit sich bringt.
Dabei können Freund:innen zu Familie werden, Partner:innenschaften über zwei Personen hinausgehen und ein Gemeinschaftsgefühl in einer Gruppe kann genauso stark sein wie das Gefühl von romantischer Liebe. Es wird also Zeit, auch mal den Fokus zu verschieben.

Wir hatten das Glück, in den ersten Wochen unserer Reise nicht nur allein unterwegs gewesen zu sein. In den ersten (jetzt fast vier) Wochen waren wir eigentlich stetig von anderen tollen Menschen umgeben und von allen habe ich irgendetwas Wertvolles gelernt.

Starten

Denn ganz ehrlich, ohne unsere Freund:innen wären wir niemals so gut losgekommen.
Seit wir unsere Wohnung Mitte August abgegeben haben, leben wir im Van. Losgefahren sind wir aber erst Ende August. Denn bevor es auf die große Fahrt ging, gab es noch einiges zu tun. Um in Ruhe schrauben und räumen zu können, haben wir die Zeit vor der Abfahrt auf einem Hof in Nordhessen verbracht. Dort hat ein Freund von uns einen Hof mit Scheune, in der wir ungestört unsere To-do Liste abhaken konnten. Das letzte Mal, als wir längere Zeit dort waren, haben wir zwei Wochen dort verbracht und den ganzen Tag geackert, um den Bus bereit für den TÜV zu machen. Damals gab es ziemlich viele frustrierende Rückschläge. Dieses Mal sollte es besser werden. Dass das tatsächlich geklappt hat, liegt wahrscheinlich an drei Dingen:
1. Viele Katzenbabys auf dem Hof, die vor allem bei mir für gute Laune gesorgt haben.
2. Weniger Rostlöcher, die uns Nerven kosten konnten und
3. Gute Freunde mit viel Wissen, die uns viel geholfen haben.

Eine junge Katze liegt auf einer warmen Treppenstufe.

Es ist wirklich eine unglaubliche Bereicherung, wenn man jemanden anrufen kann, der Plan hat und jemanden zu haben, der sich nach der Arbeit einfach hinstellt und extra Teile zusammenschweißt, damit die Standheizung perfekt unter den Bus passt. Wahrscheinlich wären wir sonst niemals pünktlich losgekommen. Dass diese Hilfe für diese Menschen wie eine Selbstverständlichkeit ist und sie außer einem Abendessen keine Entlohnung dafür haben wollen, ist ein Geschenk.

Zwei Leute schauen sich einen Bus von unten an und liegen nebeneinander auf dem Boden.

Genauso ist es ein Geschenk, eine Abschiedsfeier zu machen, wo so viele unterschiedliche Menschen zusammenkommen. Von nackten, tapsenden Babyfüßen, die ihre ersten eigenen Schritte machen, bis zu alten Schulfreund:innen, die in Geschichten von früher schwelgen.

„Der Adler ist gelandet.“

Ganz besonders schön war es, nicht ganz allein loszufahren. Unsere erste Etappe in den Harz haben wir mit sehr guten Freund:innen zusammen gemacht. Zu viert haben wir kaputte Wälder durchwandert, Ruinen angeschaut und Regenbögen bestaunt. Wir waren davor schon gemeinsam unterwegs und es war Balsam für die Seele an eine eingespielte Reiseroutine anschließen zu können. Einfach zu machen, ohne durchzudiskutieren, was man als nächstes tun will und welcher Stellplatz sich eignen könnte, wo man einkaufen geht und was noch zum Kochen fehlt. Mit unserer neusten Errungenschaft – zwei Walkie-talkies – machte das Fahren in Kolonne doppelt Spaß. Es war sehr leicht, so in die Reise zu starten. Außerdem konnten wir Erfahrungen austauschen, denn die beiden leben seit einiger Zeit Vollzeit in ihrem Bus. Was heißt das für den Alltag? Das arbeiten, Wäsche waschen und kochen? Welche Routinen sollte man sich angewöhnen, welche besser nicht?
Erst als wir uns von beiden verabschieden mussten und sie wieder in Richtung Süden und wir in Richtung Norden fuhren, wurde mir richtig bewusst, wie lange ein halbes Jahr sein kann und wie lange wir unterwegs sein würden. Die beiden haben sich schon so sehr nach Zuhause angefühlt, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass wir uns erst ein neues Gefühl von Zuhause im Van schaffen müssen.

Fischbrötchen und Hochzeit im Kleingarten

Doch auch in Norddeutschland waren wir nicht lange allein. In Kiel haben wir Kindergartenfreunde von Rasmus besucht und in Flensburg haben wir uns ein ganzes Wochenende in der WG von Freunden einquartiert. Dort habe ich am meisten für mich mitgenommen. Wir sind in eine Welt hineingestolpert, die uns mit Gastfreund:innenschaft, Lachen und Selbstverständlichkeit aufgenommen hat. Die WG hat uns nicht nur das wunderschöne Flensburg mit Hafen, Cafés und kleinen Läden gezeigt, wir wurden direkt am ersten Abend auf eine kleine Hochzeitsfeier im Schrebergarten mitgenommen, haben jeden Morgen Brötchen zum Frühstück bekommen und waren am Samstagabend noch bei einer Grillfeier dabei. Alle Menschen, die wir getroffen und kennengelernt haben, sind mit uns umgegangen, als würden wir schon immer dazu gehören. Bei jeder Gelegenheit wurde gelacht, bei jeder Möglichkeit das gute Wetter genossen und mit einer unvergleichlichen Selbstverständlichkeit Reise-, Auto- und Handwerkswissen ausgetauscht. Während diesem Wochenende wurde mir bewusst, dass das nicht nur etwas mit guter Laune, sondern mit einer Lebenseinstellung zu tun hat. Mit dieser guten Energie haben wir Deutschland verlassen und sind nach Dänemark gefahren.

Kuchen und Affogato in Flensburg

Ebbe und Flut

Auch dort trafen wir nach zwei Tagen wieder zwei Freunde, die vorher in Dänemark kyten waren. Einen Abend hatten wir zusammen und die beiden kamen erst um halb 10 abends an. Wir standen direkt am Meer vor einer Hallig, die nur bei Ebbe anzufahren ist. Obwohl wir nur so wenig Zeit gemeinsam hatten, haben wir den Abend und den nächsten Morgen in vollen Zügen genossen. Kochen, Sterne gucken, Watt bestaunen, Pancakes zum Frühstück, Wind in den Haaren, Geschichten von früher, Geschichten von heute. Zwei Menschen mit Abenteuerlust in den Augen, mit so viel freundschaftlicher Liebe, die ohne Angst staunen, probieren und träumen. Schon vor 10 Uhr morgens haben wir uns wieder verabschiedet.

Pancakes zum Frühstück an der Nordseeküste von Dänemark.

Malmø

Erst in Schweden haben wir den nächsten Freund getroffen, er ist auch erst seit wenigen Wochen in Schweden und studiert jetzt hier. Er ist ein alter Schulfreund von mir und mein bester Spiegel. Ehrlich auf Augenhöhe, treffende Worte, angenehme Gesellschaft. Wir haben gar nicht viel von Malmø gesehen. Hummus, Baguette und Weintrauben am Meer haben vollkommen gereicht und ich weiß, dass ich genau dort wieder anknüpfen kann, wenn ich ihn wiedersehen werde.

Ein Sprung ins kalte Wasser

Jetzt sind wir schon eine ganze Weile in Schweden. An einem kleinen See am Wald genießen wir die letzten warmen Sonnenstrahlen, die ersten Birken verlieren ihr gelbes Laub. Der Herbst kommt in Schweden an. Hier haben wir eine alte Freundin von mir getroffen. Sie hat den ganzen letzten Winter in ihrem Van auf Gotland verbracht. Das heißt auch minus 20 Grad aushalten und das ganz allein, während es die ganze Zeit mehr oder weniger dunkel ist. Ich merke in diesen Gesprächen, wie unbegründet manche Ängste von mir sind und gleichzeitig auch, wie sehr ich mich auf meine Intuition verlassen kann. Hier lerne ich ins kalte Seewasser zu „springen“, obwohl der Wind mir um die Ohren pfeift und dass es auch wichtig ist, mit dem Bus länger an einem Ort zu stehen als nur eine Nacht. Denn ankommen ist wichtig, bevor man weiterfährt.

Danke sagen

Jede Begegnung mit all diesen Menschen war unterschiedlich. Trotzdem habe ich überall etwas mitgenommen. Manchmal ein Lachen, manchmal einen klaren Kopf, manchmal eine Erinnerung, manchmal einen Geheimtipp für einen guten Döner, manchmal nur ein Gefühl. Jetzt werden wir erst mal eine Weile niemanden treffen. Obwohl wir vor allem zu zweit unterwegs sind, ist es gut, sich hin und wieder daran zu erinnern, dass andere zwischenmenschliche Beziehungen wichtig und wertvoll sind. Dass es auch in Ordnung ist, sich nur ganz kurz zu treffen und sich dann wieder eine Weile nicht zu hören und zu sehen. Dass einem Freund:innen auch das geben können, was man vielleicht in einer romantischen Beziehung sucht. Dass ich schon ganz viel habe, nur weil die Menschen um mich herum da sind. Dass Reisen unterschiedlich sind, je nachdem, ob man allein, zu zweit oder mit vielen Menschen unterwegs ist. Sich diesen Beziehungen und diesen Lernprozessen bewusst zu werden, ist etwas Wunderschönes und ich hoffe, dass ich damit weitermachen kann, wenn ich wieder in Deutschland bin.

Ein Mensch vor dem Sonnenuntergang am Meer.

In den ganzen letzten Wochen ging es ziemlich darum, Neues ins Leben reinlassen und sich schnell wieder von Bekanntem zu verabschieden. Es passt zum Herbst, zu den Kirchenfesten, die jetzt bevorstehen und den Gefühlen, die diese Reise begleiten. Annehmen und Loslassen. Dass so viele unterschiedliche Menschen die ersten Wochen dieser Reise geprägt haben, ist etwas Besonderes und ich freue mich sehr darüber, dass wir so abenteuerreich und voller Liebe starten durften. 
Vielleicht solltest du deinen Freund:innen auch mal Danke sagen, wenn du das nächste Mal die Chance hast.

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?