Sonntagmorgen, 10:30 Uhr. Die Stimme von Brigitte Buchsein füllt den Kirchenraum. Die 56-Jährige mit dem rot gelockten Haar spricht mit einer warmen Stimme ins Mikrofon. Obwohl sie noch in ihrer Ausbildung zur Pfarrerrin ist, wirkt sie erfahren.
Der Segen am Ende des Gottesdienstes strahle durch ihre Mimik "ganz besonders aus ihr heraus" und sei besonders eindrucksvoll, findet zum Beispiel Caroline Schönberg. Sie begleitet Brigitte im Gottesdienst zum Mikrofon hin und zurück. Brigitte ist blind, seitdem sie ein Baby ist.
Für den Gottesdienst nutzt die Vikarin zwei unverzichtbare Utensilien: Ein Braille-Lesegerät für die Predigt, das Brigitte auch liebevoll "I-Pad für blinde Menschen" nennt. Die Ansprache schreibt sie zu Hause auf dem Computer und überträgt sie dann auf ihr Lesegerät. Dort werden die Buchstaben in Braille-Schrift angezeigt, die sie mit den Fingern ertastet.
Für den übrigen Ablauf des Gottesdienstes nutzt sie klassische Karteikarten im DIN-A6 Format, in die sie mit ihrer heimischen Schreibmaschine Braille-Buchtstaben einstanzt.
Von der Versicherung auf die Kanzel
Vor der Ausbildung zur Pfarrerin arbeitete sie bei einer Versicherung. Dabei hielt sie stets den Kontakt zur Kirche. Theologie war immer ihre Leidenschaft. Nach dem Abitur konnte sie sich aber nicht vorstellen, das Fach zu studieren. "Damals hatte ich als behinderte Person kein Recht auf Assistenz im Beruf", erklärt Brigitte. Diesen Rechtsanspruch gibt es erst seit 2000.
Der frühzeitige Tod ihres Bruders motivierte sie schließlich zum Theologiestudium neben dem Vollzeitjob. Ihr sei klargeworden, dass sie nicht alles bis zur Rente verschieben wolle. Für den Ruhestand hatte sie sich ursprünglich vorgenommen, "aus Spaß Theologie zu studieren".
Eigene Braille-Schriftzeichen für alte Sprachen
Herausfordernd für die ambitionierte Frau während des Studiums: Das Lernen von Sprachen wie Alt-Griechisch und Alt-Hebräisch. Weil die heutige Braille-Schrift deutlich weniger Zeichen hat als das Schriftbild der alten Sprachen, musste Brigitte eigene Schriftzeichen entwickeln. Mit Hilfe ihres Wissens aus dem Informatikstudium war ihr das möglich. "Ich hatte zum Glück stets lösungsorientierte Dozenten an meiner Seite", berichtet sie.
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Den Besuchern geht es mehr um den Inhalt des Gottesdienstes als um ihre Behinderung. "Das freut mich. Ich bin ja nicht nur blind, ich bin auch Vikarin in Ausbildung", sagt sie. Mit einem Lächeln erzählt sie auch von den Reaktionen der Kinder. Diese seien "ganz neugierig und sprechen das aus, was die Eltern manchmal auch gerne wissen möchten." Oft komme die Frage nach den technischen Geräten, die sie im Gottesdienst nutzt.
"Ich höre ganz viel aus einer Stimme heraus"
Brigitte Buchsein ist klar, dass ihr im Alltag viel dadurch verloren gehe, dadurch dass sie die Mimik des Gegenübers nicht wahrnehmen kann. "Allerdings höre ich ganz viel aus einer Stimme heraus, was Sehende gar nicht bemerken, zum Beispiel, wenn Menschen unsicher oder traurig sind." Sie wolle es aber auf keinen Fall glorifizieren, nicht sehen zu können. Trotzdem sei es schön, "noch einmal sensibler für andere Wahrnehmungen zu sein."
Selbstverständlicher Umgang mit Sehbehinderung
Vor Beginn der Ausbildung war Brigitte nach eigener Aussage unsicher, wie sie reagieren sollte, wenn eine fromme Person in der Gemeinde für sie bete, dass sie durch Gott geheilt würde. "Die Leute erleben mich so, dass ich mit meiner Behinderung sehr selbstverständlich umgehe", erklärt die Vikarin. Rettung sei für sie nicht die körperliche Heilung. Sie brauche eher einen Retter, der "andere Menschen dafür sensibel macht, ihre Haltung zu überdenken."
Bibelvers gibt Brigitte Kraft
Auf die Frage, was ihr dabei helfe, immer neue Herausforderungen anzunehmen, antwortet sie mit einem Bibelvers: "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit." (2. Timotheus 1,7). Dieses Motto beschreibe genau ihr Leben: "Nicht verzagt sein, die Chancen sehen. Es wird gelingen - auch wenn ich jetzt noch nicht genau weiß, wie."
Brigitte vertraut fest darauf, dass sie nach der Ausbildung Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) werden wird. Dass sie verbeamtet wird, hält sie allerdings für unrealistisch.
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