Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,
nach dem Auftritt von AfD-Mann Björn Höcke bei Günther Jauch entspann sich eine interessante Debatte: Sind die neuen Rechten, die sich auf Kosten von Flüchtlingen politisch positionieren, eigentlich Nazis? Thoralf Staud argumentierte in der "Zeit" dagegen und schrieb, Höcke entspreche weder habituell noch inhaltlich einem Nationalsozialisten bzw. einem Neonazi.
Auf Twitter widersprach ihm Martin Lindner:
Höcke IST ein Nazi. Der Artikel ist historisch naiv. (Ich habe über Konservative Revolution der 1920er geforscht.) https://t.co/v2F2J1EFck
— Martin Lindner (@martinlindner) October 20, 2015
Beide Einschätzungen weisen Höcke eine inhaltliche Nähe zu den nationalkonservativen Politikern der Weimarer Republik zu. Nur: Für Staud waren die eben noch keine Nazis, für Lindner aber schon.
Das ist deswegen eine interessante Frage, weil die Positionen von Nazis in Deutschland nicht diskutabel sind, die von Rechtskonservativen aber offenbar schon. Der intellektuelle Boden, den die so genannte "Neue Rechte" öffentlich beackert - unterstützt von Zugpferden wie Tilo Sarrazin - ist allerdings der gleiche, der von 1923 bis 1933 den Weg zur Nazi-Diktatur geebnet hat. Die AfD-Vertreter, die in der vergangenen Woche in öffentlich-rechtlichen Talkshows saßen (bei Jauch und Illner), haben ein bundesweites Forum bekommen, um ihre nationalkonservativen Ideen auszubreiten. Würden sie sich selbst beispielsweise öffentlich als Nachfolge-Organisation der NSDAP bezeichnen (was die AfD nicht tut), hätten die Talkshow-Redaktionen sie nicht eingeladen, das hoffe ich jedenfalls.
So, wie ich in diesen Tagen die AfD-Politiker und ihre Unterstützer erlebe, gerade im Netz, würde ich aber bestätigen, dass die sich selbst nicht als Neonazis begreifen. Kein Wunder: Auch die so genannte "Neue Rechte" (darunter auch die "Identitäre Bewegung", deren Vertreter im vergangenen Herbst bei "Pegida"-Ablegern in Westdeutschland eine wesentliche Rolle spielten) beruft sich nicht auf Hitlers NSDAP. Das macht es ihnen einfach, den Nazi-Vorwurf abzuschmettern - obwohl sie inhaltlich keinen Deut toleranter gegenüber Ausländern sind als echte Neonazis.
Deswegen können sich Menschen wie Björn Höcke und Frauke Petry ohne zu lügen in eine Talkshow setzen und sagen, sie seien keine Nazis. Wer Diskussionen mit ihnen führt, sollte deshalb zwei Dinge immer im Kopf behalten. Zum einen das Bibelwort aus Matthäus 7,15-18: "Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln?" Denn wer sich als "rhetorischer Brandstifter" (Zitat Heiko Maas) betätigt, indem er das Klima für Attentate wie den Angriff auf Henriette Reker bereitet, kann so oft sagen, er sei dies nicht oder das nicht - faule Früchte produziert er trotzdem. Und zum anderen würde ich solche Menschen gerne mal fragen: Warum ist es ihnen so wichtig, dass ein Mensch ein Deutscher ist? Verdienen Nicht-Deutsche nur aufgrund ihres anderen Passes weniger Liebe? Denn das ist der wesentliche Unterschied, auf den die neuen Rechten immer wieder pochen. Aber es ist immer noch ein willkürlich gewählter Unterschied zwischen Menschen, der keiner sein sollte und keiner sein muss.
Und ceterum censeo sollte man Rassisten, Fremdenfeinde und Flüchtlingshasser einfach beim Namen nennen: Sie sind Rassisten, Fremdenfeinde und Flüchtlingshasser.
Ich wünsche euch und Ihnen ein schönes Wochenende!
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