Eine Diskussion in öffentlichen Netzwerken besteht oft aus einer wilden Mischung von konstruktiver Kritik, offener Ablehnung, heftiger Zustimmung und Insiderwissen. Die einzelnen Stränge eines Gesprächs können voneinander abzweigen, sie können sogar den Kanal wechseln und unterschiedlich lange verfügbar sein. Zwei bis zwanzig parallele Stränge, die sich aus einem Twittergespräch heraus neu ergeben; eine Instagram-Story als Antwort auf einen Kommentar im Facebookprofil einer anderen Person; ein React-Video auf YouTube zu einem Live-Stream, der schon ausgelaufen ist. Alles denkbar.
Wir sagen "soziale Netzwerke" zu dieser Kommunikationswelt und meinen damit die technischen Plattformen, die unser persönliches Netzwerk abbilden und erweitern: die Menschen, die wir kennen, mal schlechter und mal besser. Daran teilnehmen kann jeder Mensch mit einem Smartphone.
In der digitalisierten Welt ist das ein Paradebeispiel für die Disintermediatisierung durch das Internet: das Einreißen der Barrieren, die durch Position, Hierarchie, Technikverfügbarkeit, Konfession errichtet werden. Die Grundfrage zur Vernetzung ist dann nicht mehr: "Ist das einer von uns?", sondern eine andere. Kriterium Nummer 1 für Netzwerke ist, ob ich den betreffenden Menschen mag oder von ihr etwas lernen und erfahren kann, was mir gerade hilft.
Netzwerke sind wir-bezogen. Die Kunst ist, das jeweils passende "Wir" zu finden. Denn Netzwerke bestehen immer aus Personen, die Technik dahinter ist viel weniger wichtig als die Beziehungen dazu. Es fällt auseinander, wenn darin niemand mehr kommuniziert und interagiert. Wenn viel los ist, kann es dagegen unübersichtlich werden. Selbst auf einer einzelnen technischen Plattform kann man als Person mehrere unterschiedliche Netzwerke haben. Und so kann es passieren, dass auch ein gut vernetzter Mensch nicht alles mitbekommt, was sie wirklich mitbekommen möchte.
Das gilt auch für die #DigitaleKirche. Es gibt das Twitter-Hashtag #digitalekirche, die Facebook-Gruppe "Kirche und Social Media" und viele weitere offene und geschlossene Facebook-Gruppen, die Konferenz der Internetbeauftragten der Landeskirchen und die IT-Konferenz der Landeskirchen, die Relaisstation Öffentlichkeitsarbeit, die Stabsstelle Digitalisierung, den Online-Stammtisch "DiKiTal", die Intranets der Landeskirchen, Messenger-Gruppen auf Threema, WhatsApp und Signal, die Adressbücher aller Beteiligten… viele große und kleine sich überschneidende Netzwerke.
Weil Netzwerke aber eben immer aus Menschen bestehen, ist es hilfreich, von Zeit zu Zeit diese Netzwerke mit persönlichen kohlenstofflichen Begegnungen aufzuladen. Gelegenheiten wie der Kirchentag, die Tagung Kirche im Web, das Netzgemeindefest auf der re:publica und die Barcamps Kirche Online sind perfekt dafür.
Ich hatte am Wochenende das Vergnügen, auf dem Barcamp Kirche Online in Berlin zu sein. Da habe ich wieder gemerkt, wie inspirierend es ist, mit vielen interessanten Menschen zu sprechen, zu denken, zu überlegen, zu streiten, zu jammern und zu lachen. Tatsächlich war der spannendste Denkimpuls die Session zur Frage "Wie bekommt man #digitalekirche besser vernetzt?" Eine abschließende Antwort darauf gab es nicht. "Wir schaffen es ja auch nicht alle, alle Angebote wahrzunehmen", fasste Karsten Kopjar von der Onlinekirche der EKMD das Dilemma gut zusammen. Es können nicht immer alle am gleichen Ort sein und alles mitbekommen, dazu passiert zu viel – was schön ist! Und so werden Ideen, Kontakte und Inspirationen weiter in lebendigen Netzwerken hin- und herbewegt, bis möglichst viele davon gehört haben, und ab und zu bilden sich aktive Netzwerk-Knoten, die fokussieren und verstärken. Vom Barcamp habe ich außerdem noch ganz viele Ideen mitgenommen, wie die evangelische Kirche YouTube- und Twitch-Aktivitäten weiter fördern könnte. Da liegt gerade viel neue Motivation für erstaunlich viele Menschen, aus der etwas Gutes entstehen kann.
Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!
Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.
P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!