"Digital" und "Kirche" nicht als Gegensätze verstehen

"Digital" und "Kirche" nicht als Gegensätze verstehen
Niemand möchte "Kirche" durch "Digitalisierung" ersetzen. Es geht um die gute Verbindung zwischen beidem. Eine Antwort auf Andreas Mertin

Es rauscht im Pixelwald! Nicht nur Wolfgang Huber hat seine Kritik an Kirche in sozialen Medien bei uns im Interview deutlich gemacht, auch Andreas Mertin hat (auf einem anderen Niveau) deutliche Kritik daran geübt, wie Kirche mit der Digitalisierung umgeht. Sein vorheriger Versuch war eher schwer verständlich, jetzt wird Mertin konkret und findet "Nachtragendes zur Digitalisierung der Kirche": "Kirchenfinder, Suchmaschinen und Bibel-Getwittere sind keinesfalls notwendig und auch kein Ausdruck von Fachkompetenz. Sie wenden keine Not, sie sind bloß ein Spielzeug für die IT-Boys der Szene." Und weiter fordert er in seinem "Fehdehandschuh" nach den Reaktionen auf das Huber-Interview "substantielle theologische, sich auf Schrift und Bekenntnis beziehende Argumente für die Digitale Kirche".

Weil Andreas Mertin viel Platz und viele Gedanken hat, gibt es sehr viel in seinen Texten, worüber es sich zu reden lohnt. Gottseidank sind wir ja alle nicht allein im Netz, und so haben sich drei Kollegen zu drei Punkten von Mertin schon geäußert:

> Ralf Peter Reimann zur Frage, warum Gemeinden ihre Daten nicht einfach selbst bei Google eintragen auf theonet.de;

> Christoph Breit zur Frage, wofür #digitalekirche Räume schafft im kirchedigital.blog;

> Philipp Greifenstein über die angebliche Diskriminierung der Älteren auf philipp-greifenstein.de.

Zum Thema "Altersdiskriminierung" eine Anmerkung: Ich persönlich mag den Begriff "digital natives" überhaupt nicht und halte Digitalkompetenz nicht, aber auch gar nicht, für eine Frage des Alters. Es ist eine Frage der Neugier und des Lernwillens. Das zu erhalten ist eine Lebensaufgabe, aber keine Altersfrage.

Keine "Digitale Kirche" schaffen, sondern "digital" in Kirche integrieren

In Mertins Ausführungen finde ich ein Argumentationsmuster wieder, das auch Wolfgang Huber verwendet. Diese Kritik an einer digitalen Kirche geht immer davon aus, dass sie die "echte Kirche" irgendwie ersetzen soll. Wenn Mertin fordert, das Geld für die Stabsstelle Digitalisierung im Kirchenamt lieber für Jugendarbeit auszugeben, steht dahinter nicht nur die Kritik an der zentralisierten Steuerung von Prozessen in einem protestantisch dezentral aufgestellten Kirchengebilde. Es ist auch der Vorwurf, dass die digitalen Aktivitäten, wie sie derzeit stattfinden, dem Auftrag der Kirche nicht dienen. So ist für ihn auch die evangelisch.de-Twitterbibel, die 2009 zum Start unserer Seite gemeinsam mit Nutzerinnen und Nutzern entstand, nur eine Spielerei. Die damalige mediale Aufmerksamkeit für das Bibelwort und das gedruckte Buch "Und Gott chillte", das inzwischen in zweiter Auflage ein beliebtes Konfirmationsgeschenk ist, sind ihm nichts wert.

Die einzelnen Stellen alle zu zitieren, mit denen Mertin sein Argument illustriert, ist müßig. Das Muster ist, zugespitzt von mir: Wer Digitalisierung predigt, predige nicht mehr das Evangelium. Deshalb fordert Mertin die Vertreter einer Digitalen Kirche auf, "substantielle theologische, sich auf Schrift und Bekenntnis beziehende Argumente für die Digitale Kirche vorzubringen".

Das ist eine billige Forderung, denn solche Argumente kann es nicht geben. Die Argumente für die Digitale Kirche sind die gleichen wie für jede andere Kirche. Da wird es eben doch sprachlich relevant, dass die Diskussion um #digitalekirche kreist und nicht um "Digitale Kirche". Denn das Hashtag bedeutet nicht, eine andere Kirche zu schaffen, sondern das "digital in "Kirche" zu integrieren.

Kein Entweder-Oder

Verändert sich die Institution dadurch? Ja sicher. Eine hierarchie-ärmere Kommunikation stellt alte Machtpositionen in Kirchenämtern infrage. Der Anspruch nach zeitlicher und räumlicher Allverfügbarkeit stellt Kirchen & Gemeinden vor Verwaltungsherausforderungen (siehe dazu die aktuelle Twitter-Diskussion zu Chatbots als Gemeindeservice). Wenn Kirchen und Gemeinden geschützte, besondere, heilige Räume sein wollen, können sie das nicht mehr einfach annehmen, sondern müssen das aktiv herstellen. In einer digitalisierten Welt wird die Organisation gleichzeitig kleiner und größer: Auf der einen Seite vernetze ich mich nur mit Menschen, mit denen ich mich vernetzen will, und nicht mit denen, die zufällig auch da sind; auf der anderen Seite gibt es keinen Grund, nur mit den Materialien des eigenen Kirchenkreises oder der eigenen Landeskirche zu arbeiten. Und wenn ich umziehe, möchte ich, dass meine Kirche mit mir umzieht und mich nicht alleine lässt.

Das sind vor allem institutionelle Herausforderungen, sicher auch ekklesiologische Fragen, und vor allem das Umgehen mit den Erwartungen von Menschen an Organisationen und Verwaltungen in einer digitalisierten Welt. Vielleicht auch liturgische Fragen, denn ohne Zweifel gibt es medial vermittelte Formen spirituellen Beisammenseins ohne körperliche Begegnung.

Aber niemand, mit dem ich darüber spreche, möchte die "Kirche" durch "Digitalisierung" ersetzen. Keiner der Theolog*innen und digital Engagierten, die ich kenne, sieht hier ein Entweder-Oder. Carola Scherf hat das im Januar mit ihrem Blogeintrag "Kirche in der vernetzten Welt - Kirche als Beziehungsnetz" treffend auf den Punkt gebracht: Zum gemeinsamen Brotbrechen lernt man sich im Internet kennen.

Vom Privatvergnügen zur Innovation

Nun bin ich kein Theologe. Auf die Frage, welche andere Theologie sich heute ergeben könnte, würde ich eher einen Blick in Richtung FreshX und Kirchehoch2 werfen, aber dort steht auch Verkündigung des Evangeliums im Zentrum. Die zweigeteilte Aufgabe für Kirche fomuliert Mertin selbst: "Das Evangelium zu verkünden, die Menschen über die eigenen Anliegen zu informieren und ihnen Hilfestellungen zu den eigenen Problemen zu geben." Darum müsse es gehen, sagt Mertin, und dabei stimme ich ihm zu. Das aber auf allen Wegen, die die Gegenwart bereithält. Dazu gehört auch ein gehöriges Maß an digitalen Werkzeugen und Prozessen; auch zugunsten der Effizienz in der Verwaltung, der Zugänglichkeit von Informationen und der Erreichbarkeit von konkreter Hilfe.

Nicht alles, was bei Kirchens heute digital passiert, wird daraufhin immer abgeprüft. Und nicht jedes Digitalprojekt kann alleiniger Kirchenretter sein. Wenn Technik zum Selbstzweck wird, zum "Spielzeug der IT-Boys", ist sie Privatvergnügen. Auf der anderen Seite fängt Innovation ja meistens so an. Eine Möglichkeit, die Mertin nicht mitzudenken scheint, ohne die Kirche aber in alten Formen verhaftet bleibt. Spielerisch Neues auszuprobieren und es dann in den Alltag zu überführen ist ein gutes Rezept zum Lernen und Weiterkommen.

Ich glaube, die Institutionen-Ansammlung, die die evangelische Kirche über die Jahrhunderte geworden ist, hat große Schwächen, die in einer digitalisierten Gesellschaft mit räumlicher und zeitlicher Entgrenzung maßgeblich aufgezeigt werden. Manchmal täte es uns gut, mehr zu handeln wie ein bundesweiter Großkonzern, in dem Ziel und Strategie zentral entwickelt und dezentral mit Leben gefüllt werden können. Wir entwickeln immer noch zwischen 20 (Landeskirchen) und 14.000 (Gemeinden) Einzeltaktiken in dem Glauben, dass der Auftrag des Evangeliums schon eine Strategie ist. Dabei gehen Ressourcen verloren, mehr als nur Geld, auch Erfahrungen des Scheiterns und Gelingens finden nicht immer ihren Weg zu denen, die davon profitieren könnten. Digitale Kommunikation hilft übrigens ungemein, das zu verbessern!

All das geht digital wirklich besser. Aber dazu gehört eine neue Ressourcenverteilung, ein anderes Verständnis von "wir", ein besseres Verständnis vom gemeinsamen Ziel. "Die Versammlung aller Gläubigen, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden" (CA7), bleibt die evangelische Kirche trotzdem noch. #digitalekirche will daran nicht rütteln, sondern das auch in der digitalisierten Gegenwart mit Leben füllen.

Übrigens: Andreas Mertin hat - neben allem anderen - die alte Gestaltung von evangelisch.de als "geballten Plastikmüll" bezeichnet. Vielleicht gefällt ihm das neue Design ja besser. ¯\_(?)_/¯

Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?