Was haben der FC Bayern München und der Bürgermeister des brandenburgischen Städtchens Jüterbog gemeinsam? Diese Frage kommt zugegebenermaßen überraschend, daher noch ein Tipp: Pippi Langstrumpf ist die Dritte im Bunde, die diese Eigenschaft teilt.
Widde widde wie sie ihnen gefällt, die Welt, die sich die Angesprochenen schön zurechtmachen? Im Falle des Fußballclubs folgt die Antwort darauf am Montag, wenn um 11 Uhr FC Bayern TV live startet. Das
„sendet rund um die Uhr Berichte über den deutschen Rekordmeister. Empfangbar ist der Kanal über die Entertain-Plattform der Telekom sowie über die offizielle Website und die Smartphone Apps des FC Bayern München. Wer das Programm sehen möchte, zahlt 5,95 Euro im Monat - für Telekom-Kunden ist der Abruf die ersten zwölf Monate gratis. Zudem können in der ersten Sendewoche alle Interessierten kostenlos bei FC Bayern.tv live reinschnuppern“,
informiert bei Horizont Ingo Rentz. Angeboten werden sollen zweimal am Tag Live-Sendungen sowie Übertragungen vom Training und den Pressekonferenzen. Fußballspiele der Profimannschaft, die man sich landläufig unter „die Bayern“ vorstellt, sollen nachträglich on demand online gestellt werden. Spiele des Nachwuchses, der Frauen sowie der Basketballer sollen dem Namen gemäß live ausgestrahlt werden.
„Desweiteren sind vier feste Formate geplant: ,Classics’ bietet einen Rückblick auf die größten Momente aus der Historie des Rekordmeisters, bei ,1:1 Talk’ handelt es sich um ein ausführliches Gespräch mit einem Protagonisten des FC Bayern. In ,Nachspielzeit’ analysiert ein Experte das vergangene Bundesliga-Spiel, während in ,Inside’ Personen rund um die Profimannschaft im Fokus stehen.“
Für Fußballfans, die bei der Auswahl ihres Vereins keine unangenehmen Risiken wie etwa, einmal nicht Meister zu werden, eingehen wollten, ist das sicher eine super Sache. Für Sportjournalisten, die von Profifußballern schon heute oft nur das Äußere des Mannschaftsbusses zu sehen bekommen (wir sprachen in Zusammenhang mit der vergangenen EM schon mal darüber), eher nicht so. Denn wer seinen eigenen Sender hat, braucht mit der „Sportschau“ nicht mehr zu sprechen, zumal die Fragen beim Heimatsender schon nicht zu kritisch ausfallen werden.
Eine Vorschau auf den Sound, der da angeschlagen wird, gewähren diese viereinhalb Minuten über Uli Hoeneß:
„Uli Hoeneß ist keiner der liegenbleibt, wenn er hinfällt. Im Gegenteil. Er steht sofort wieder auf und meldet sich stärker zurück als je zuvor. 1979 zum Beispiel.“
Geiler Typ halt, und zum Spaßverbrechen Steuerhinterziehung muss man doch wirklich nicht mehr zeigen als klatschende Fans.
Damit nach Jüterbog, wo der parteilose Bürgermeister Arne Raue in Zukunft ebenfalls seine eigenen Kanäle nutzen möchte, um seine Untertanen Bürger zu informieren. Anlass dafür gegeben hat ihm ein ihn zu kritisieren wagender Artikel in der lokalen Märkischen Allgemeinen vom Mittwoch, auf den Raue wie folgt reagierte:
„Aus meiner Sicht als Bürgermeister ist die Märkische Allgemeine zwischenzeitlich ein Blatt, welches sich fortwährend durch Falschmeldungen, Ungenauigkeiten, schlechte Recherche und Vermutungen am Markt behauptet. […]
Seit diese Zeitung, die nach eigenem Bekennen seit September 1995 nicht mehr unabhängig und überparteilich ist [beide Adjektive gehörten zum Titel der SED-Bezirkszeitung Märkische Volksstimme, aus der später die Märkische Allgemeine hervorging, Anm. AP], nach meinem Dafürhalten sehr deutlich erkennen ließ, dass sie weniger Recherche, sondern mehr das Reißerische in den Vordergrund stellt, lehne ich die Zusammenarbeit mit ihr und insbesondere mit dem Mitarbeiter vor Ort ab. Stattdessen komme ich meiner Informationspflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern über andere Printmedien, die kostenfrei jeden Haushalt erreichen, über die Stadtverordnetenversammlungen, über facebook [sic!], das Amtsblatt und auch die gut gepflegte Stadthomepage nach.“
Von Letzterer ist der oben als Facebookpost verlinkte Beitrag übrigens mittlerweile verschwunden. Woraus wir lernen: Man kann sich ihn diesem Land demokratisch wählen lassen, ohne Demokratie verstanden zu haben.
Der Journalistenverband Berlin-Brandenburg reagierte trocken:
„Auch gewählte Bürgermeister müssen sich an das Brandenburger Landespressegesetz halten. Darauf hat der JVBB den Bürgermeister von Jüterbog, Arne Raue, in einem Schreiben hingewiesen.“
Nach den Worten des MAZ-Chefredakteurs Thoralf Cleven klingt die Lage aber wesentlich alarmierender:
„Leider hat Raue ein großes Defizit: Er kann einfach nicht mit Kritik umgehen. Wenn sie dann auch noch in der Heimatzeitung steht, sieht Raue rot.
Der Umgang des Bürgermeisters mit der MAZ ähnelt dem Verhalten eines bockigen Kindes. Wenn es das nur wäre, könnte man noch milde über einen übereifrigen Politiker lächeln. Aber so liegen die Dinge im Fall Raue leider nicht. Sein Boykott der Presse hat System. Motto: Ich tue im Amt, was ich will – und das geht euch gar nichts an. Ich behaupte einfach etwas – selbst wenn es Unsinn ist.“
Wer sich das als Beweis in Bild und Ton ansehen möchte, klickt ab Minute 24 in den „Länderspiegel“ des ZDF vom vergangenen Oktober, als Raue ein Interview abbrach, weil er lieber Fragen zum Reformationsjubiläum als zu Flüchtlingen beantwortet hätte.
Nach dem schlechten Feedback zur MAZ-Absage entblödete sich der Bürgermeister danach nicht, wiederum per Facebook der „Lieben MAZ“ mitzuteilen, dass sie auch weiterhin „zu allen Jüterboger Ausschüssen und Sitzungen und wichtigen Foto-Terminen eingeladen“ werde. Was immerhin die weitere Versorgung mit Bilddokumenten von Arne Raue vor einem Bagger / Arne Raue vor einer Photovoltaikanlage / Arne Raue in einem Schwimmbecken sichert. Aber halt nichts mit Auskunftspflichten gegenüber der Presse zu tun hat.
Warum zur Hölle das hier so ausführlich Thema ist? Ich meine: Jüterbog, WTF? Weil man vor lauter Blick über den Atlantik nur zu schnell aus den Augen verliert, was für verstörende Strukturen sich nur 80 Kilometer südlich von Berlin zu etablieren versuchen. Das sei hiermit zur Kenntnis gegeben.
[+++] Um bei Unsympathen zu bleiben: Diejenigen, die ihre Zeit gerne damit verbringen, Hass und Lügen ins Internet zu schreiben, bekommen nun künstliche Intelligenz aus dem Hause Alphabet zum Gegner. „Perspective“ heißt das Projekt, für das unzählige Kommentare auf der Website der New York Times sowie in der englischsprachigen Wikipedia analysiert und von Menschen darob ihres Beleidungsfaktors bewerten wurden.
Christian Meier in Springers Welt:
„Diese Datenbasis ist Grundlage für die Computeranalyse von ,Perspective’. Neue Kommentare werden mit Mustern in der Datenbank verglichen, dann wird ein Artikelwert zwischen 0 und 100 ermittelt. Je höher der Wert, desto ,toxischer’ ist ein Kommentar demnach. Diese Auswertung soll nicht statisch sein, die Software lerne ständig dazu, sagt Jigsaw-Chef Cohen. […] Mit dem ermittelten Wert ist die Aufgabe von ,Perspective’ erledigt. Ähnlich wie Facebook will man bei Google nicht als Zensor auftreten. […] Die Werte könnten nur intern als Hilfe genutzt werden, anstößige Kommentare zu löschen. Oder der Wert könnte unter dem Kommentar veröffentlicht werden: ,94 Prozent der Nutzer finden, dass dieser Kommentar beleidigend ist.’ Es wäre selbst möglich, Kommentare nach ihrem ,Gift-Grad’ zu sortieren.“
Wie die als Basis dienenden Quellen nahelegen, ist das Angebot vorerst auf den englischen Sprachraum begrenzt. „Im Rahmen der DNI [Digital News Initiative, Anm. AP] könne das Projekt aber auf andere Sprachen wie Deutsch erweitert werden“, meldet dpa/Horizont.
Bis dahin müssen Sie sich analog mit eigener Intelligenz behelfen, wozu wir an dieser Stelle gerne drei Tipps beisteuern: Großbuchstaben. Keine Kommata. Dafür umso mehr Ausrufezeichen. Wenn Sie um solche Kommentare einen großen Bogen machen, kommen Sie perspektivisch zum gleichen Ergebnis.
[+++] Als letzter Stopp vor dem Altpapierkorb ein Blick auf die aktuelle Nachrichtenlage, die etwa bei Zeit Online, Spiegel Online und tagesschau.de von Martin Schulz kündet. Ihm sei es zu verdanken, dass die SPD erstmals seit 2006 im Deutschlandtrend vor der CDU liegt, meinen die Medien. Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach sieht das etwas anders:
„In Allensbach nennen wir solche Umfragen Medienecho-Demoskopie. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn die Parteizahlen für die SPD unmittelbar nach einem derartigen medialen Trommelfeuer nicht gestiegen wären“,
schreibt er beim EJO.
Die Kommunikationswissenschaftlerin in mir sieht da die Allensbachsche Tradition des den Medien CDU-Niederlagen Zuschiebens gepflegt (yes, I am looking at you, Schweigespirale). Weniger akademisch kann man sich einfach am folgenden Beweis erfreuen, mit dem Petersen untermauern möchte, wie sehr die Medien auf Schulz abgingen:
„Die Berichterstattung war so intensiv, dass sie kurzzeitig sogar die Artikel über Donald Trump an die Seite drängte.“
Die SPD zaubert einen Überraschungskanzlerkandidaten aus dem Hut, und deutsche Medien findet das kurzzeitig interessanter als einen bereits im Amt befindlichen US-amerikanischen Präsidenten. Ei der Daus!
Aber wenn wir etwas gelernt haben in den vergangenen Monaten, dass weder Medien noch Demoskopen den Ausgang von Wahlen gut vorherzusagen in der Lage sind. Sich jetzt schon mal denjenigen zurecht zu legen, dem man die Schuld daran wird zuschieben können, ist natürlich schlau.
+++ Deniz Yücel (zuletzt Altpapier gestern) ist nicht allein. „Eine ganz normale Woche in der Türkei: Mehr als 20 Journalisten müssen vor Gericht erscheinen; ein Satiremagazin wird wegen seiner Moses-Karikatur geschlossen; eine Tageszeitung zensiert ein Interview mit einem Nobelpreisträger, der den Präsidenten kritisiert; ein kurdischer Journalist wird in Polizeigewahrsam zusammengeschlagen; der Korrespondent einer deutschen Zeitung wird festgenommen.“ Berichtet für Zeit Online aus Istanbul Zia Weise. Derweil ließen die türkischen Behörden den Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu auflaufen. „Mutlu war am Donnerstag nach Istanbul gereist, um Yücel zu besuchen. ,Die türkische Seite soll merken: Wir lassen den Jungen nicht alleine’, sagte er. (…) Mutlu sagte, er sei vom Vize-Polizeipräsidenten freundlich empfangen, aber nicht zu Yücel vorgelassen worden. Der Staatsanwalt, an den er verwiesen worden sei, sei ,bedauerlicherweise weder telefonisch noch im Amt zu erreichen’ gewesen“, meldet die taz. +++
+++ Höchte Zeit für eine gute Nachricht: Auch als Journalist muss man sich nicht alles gefallen lassen. „Längst nicht alle, die eigentlich übernommen werden sollten, sind mit gewechselt“, schreibt Malte Göbel ebenfalls in der taz über die nun neu zusammengestellte Redaktion des BerlinerZeitungskuriers. „Die schmerzlichsten Verluste gibt es im Feuilleton. Wie man den Abgang von Pop-Guru Jens Balzer kompensieren könnte, dürfte die neue Chefredaktion ins Schwitzen bringen – genau wie Carmen Böker (Seite3/Magazin), Anke Westphal (Film) und Sabine Vogel (Literatur). Überregional zu glänzen scheint nicht mehr das Ziel der neuen ,Berliner Zeitung’ zu sein, sonst hätte man sich um die Kultur-Schwergewichte mehr bemüht.“ +++
+++ Desweiteren gut: Die Quoten US-amerikanischer Late-Night-Shows mit politischem Anspruch. Dazu Christian Fahrenbach bei DWDL. +++
+++ Die aktuellen Presseratsrügenstatistik für 2016 hat Joachim Huber im Tagesspiegel. Spoiler: Es waren 1851 Beschwerden, die zu „insgesamt 33 Rügen, 64 Missbilligungen und 151 Hinweise(n)“ führten. +++ Außerdem berichtet Sophie Krause dort über den Berliner Fotografen, der sich www.breitbartnews.de sicherte und auf die Websites der Hooligans gegen Satzbau umleitete. +++
+++ Nordrhein-Westfalen gönnt sich seit Anfang des Jahres mit dem „Mediennetzwerk NRW“ einen Netzwerk- und Standortförderer. „Im November 2016 hatte das Land, das von einer rotgrünen Koalition regiert wird, nach einer europaweiten Ausschreibung entschieden, die Mediencluster NRW GmbH mit dem Betrieb des neuen Mediennetzwerks zu betrauen“, berichtet Volker Nünning in der aktuellen Ausgabe der Medienkorrespondenz. Dass die Ausschreibungszeit in vier Sommerferienwochen fiel und sich kein zweiter Bewerber fand, war sicher nur blöder Zufall. +++
+++ Die Personalie des gestrigen Tages: Der neue Chefredakteur der Wochenzeitung Der Freitag, Christian Füller (DWDL, Meedia, Der Standard). +++
+++ „Während jedoch Leyendecker einer der bekanntesten Journalisten des Landes ist, gilt das für Richter nicht. Noch nicht. Ich finde, es ist an der Zeit zu fragen: Wer ist der Mann, der seit September bei der ,Süddeutschen’ das Ressort ,Investigative Recherche’ leitet? Wer ist Nicolas Richter?“ Die Antwort hat Ulrike Simon in ihrer RND-Kolumne. +++
+++ „Willy Erwin Hermann Brandt war bis Ende 1941 Geschäftsführer der AP GmbH (…), also der deutschen Niederlassung der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Der angebliche Anti-Nazi Brandt, Angehöriger der Waffen-SS und auch sonst kein ganz kleines Rädchen, hütete ein nationalsozialistisches Betriebsgeheimnis, das hier zum ersten Mal gelüftet wird: Auch im Zweiten Weltkrieg, der für Deutschland am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation endete, tauschten Amerikaner und Deutsche regelmäßig Bilder.“ Willi Winkler berichtet auf der Medienseite der SZ. Deren weiteres Thema (langsam werden die Witzchen darüber abgestanden) Netflix’ „Ultimate Beastmaster“ ist. +++
+++ Was Nutzer so alles im Internet hochladen, kann man auch seriös für Dokumentationen nutzen. Jutta Krug beschreibt das im aktuellen epd medien (derzeit nicht online). „Ein für mich herausragendes Beispiel für diese Art der Produktion ist ,My Escape’ von Elke Sasse (...). Die Idee dabei: Viele der Flüchtlinge, die in großer Zahl ab Sommer 2015 aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder dem Irak den Weg nach Europa suchten, haben ihre Flucht und Vertreibung schlaglichtartig mit dem Smartphone festgehalten. Diese Videos haben sie ins Netz gestellt, und es galt, das Material aufzuspüren und daraus eine große Videokomposition zu machen.“ +++
+++ Falls Sie gerade neun Euro zu viel und Tichys Einblick für heute schon durchgelesen haben, können Sie sich hier den aktuellen Cicero runterladen und nachlesen, wie Medienwissenschaftler Norbert Bolz zum Thema Fake News Sätze raushaus wie „Political Correctness ist die linke, Fake News die rechte Variante derselben Realitätsverweigerung.“ Die Nacherzählung für Sparfüchse hat Meedia. „Ein bisschen was ist also dran am Vorwurf der Lügenpresse, wenn es nach Bolz geht. Starker Tobak, Hobby-Angler und ,Cicero’-Verleger Schwennicke fischt damit deutlich am rechten Rand des politischen Spektrums“, meint Peter Turi. +++
+++ Was letzte Nacht in Schweden geschah, beschäftigt auf der Medienseite der FAZ noch einmal Jörn Wenge, wo er folgende, sympathische Mutmaßungen unterbringt: „Schweden hat ein erhebliches Problem mit Kriminalität und Gewalt, insbesondere in Großstadtvierteln mit hohem Migrantenanteil. (…) Im vergangenen Jahr starben allein in Stockholm zehn Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen kriminellen Gruppen. (…) Raum für Spekulationen öffnet der Umstand, dass es, anders als etwa in Deutschland in Schweden keine Statistik gibt, die die Herkunft der Straftäter aufschlüsselt. Nach den Übergriffen in Köln an Silvester 2015 wurde zudem bekannt, dass die schwedische Polizei über Sexualstraftaten von Gruppen junger Migranten auf Musikfestivals über einen langen Zeitraum nicht berichtet hatte.“ In welche Richtung Wengen die Spekulationen schubsen möchte, ist nun wohl klar. +++
Neues Altpapier erscheint am Montag.