Richtig schreiben statt Falsches melden

Richtig schreiben statt Falsches melden
Von Ächtung bis Zensur: Neues zur Debatte über den Umgang mit Falschmeldungen. Sind die Nachrichten 2016 so schlecht, weil die Journalisten so schlecht drauf sind? Was für Klaus Brinkbäumer in diesem Jahr wirklich wichtig war. Steffen Hallaschka war der Stuhl zu heiß. Ein Bombenfund in Köln-Deutz. #keingeldfürrechts und die Folgen.

Markus Reuter hat noch ein paar Fragen:

„Herr Mayer, wer entscheidet eigentlich, was Desinformation ist? Was ist mit der klassischen Zeitungsente, die durch handwerkliche Fehler entstanden ist? Wird das auch strafbar? Wird der Stern nachträglich für die gefälschten Hitler-Tagebücher bestraft? Ab wann verjährt die Strafbarkeit von Falschmeldungen? Wer unterscheidet eine Satire-Falschmeldung des Postillon von einer Fake-News? Und wird es in Zukunft wegen der vielen Falschmeldungen im Wartezimmer beim Arzt keine Regenbogenpresse mehr geben? Wird es eine Fake-News-Task-Force mit Facebook geben? Nach welchen Kriterien soll das Internet von wem nach Falschmeldungen durchsucht werden? Soll das Gesetz nur für die Presse gelten oder für alle Personen, die etwas ins Internet schreiben? Also Bild-Zeitung oder Facebook-Nutzer? Oder beide? Und werden Links auf Fake-News auch strafbar sein?“

Dies ist nur ein Auszug, bei Netzpolitik.org steht noch mehr davon.

Reuter reagiert damit auf die gestern hier schon angesprochene Forderung des CSU-Politikers Stephan Mayer, das Internet nach Falschmeldungen durchsuchen und diese strafbar zu machen wollen.

Nach Durchsicht von Mayers Website www.mayerstephan.de würde ich gerne noch die Frage ergänzen, ob es eigentlich auch als Falschmeldung gilt, sich selbst schlecht freigestellt vor diverse Kulissen zu photohoppen? Was jedoch dem Ernst der Lage nicht entspräche. Schließlich sind falsche Nachrichten ein echtes Problem. Zensur aber auch.

Aus Sicht der Fake-News-Schleuder Facebook formuliert Patrick Beuth bei Zeit Online das Dilemma wie folgt:

„So befindet sich Facebook in einer Catch-22-Situation: Alle bisher diskutierten Lösungen sind schlecht. Greift das Unternehmen stärker redaktionell in die Newsfeeds ein, wird es viele Nutzer verärgern, sobald es aus deren Sicht mal falsch entscheidet. Freiwillige Zensur und privatisierte Rechtsdurchsetzung sind schwere Vorwürfe, die auch bei Anzeigenkunden nicht gut ankommen. Überlässt Facebook aber den Nutzern die alleinige Verantwortung für die Verbreitung von Fake News, wird es praktisch keinen Effekt haben. Dann wird die Bundesregierung versuchen, gesetzlich einzugreifen und letztlich doch irgendeine Form der redaktionellen Bewertung von Facebook-Inhalten zu erzwingen.“

Was, siehe oben, auch nicht unproblematisch ist.

Geradezu niedlich liest sich dagegen, was die SPD bewusst gestreuten Falschmeldungen in Zeiten des Wahlkampfes entgegen setzen möchte (Quelle: tagesschau.de):

„Nun rief die SPD die anderen Parteien dazu auf, im Bundestagswahlkampf derartige Informationen zu ächten. Seine Partei werde dazu eine Initiative starten, um eine gemeinsame Selbstverpflichtung zu erreichen, sagte SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel. Bei Zweifeln an der Echtheit von Informationen sollte auf Attacken gegen den politischen Gegner verzichtet werden.“

Falschmeldungen einfach zu ignorieren und ihnen somit den Verbeitungs-Drive zu nehmen – im Glücksbärchiland mag das funktionieren. Zumindest, wenn bei den Glücksbärchis der gesunde Menschenverstand noch halbwegs intakt ist. Hier glauben hingegen Leute jeden Scheiß, der ihnen in miesem Deutsch in die Timeline gespült wird.

Moment, neue Idee: Facebook braucht keine Fake-News-, sondern eine Rechtschreibprüfung. Die Mehrheit platter Lügen würde damit kassiert. Allerdings würde das Gedankengut dabei in den Köpfen zurückgelassen. Ein paar Fragen bleiben also weiter offen.

[+++] Sie finden, hier liegt ein negativer Vibe über dem Altpapier? Das ist nicht meine Schuld - deutsche Nachrichtensendungen treiben uns in den Pessimismus. So sieht es zumindest Harald Jähner in der Berliner Zeitung.

„So geht das Abend für Abend. Eine Schwarzmalerei gibt der nächsten den Stab der Depression in die Hand. Rente – daran glaubt doch fast keiner mehr. Die Mittelschicht – wird bald ins immer tiefer klaffende Loch zwischen Arm und Reich fallen. Die Pflegeversicherung – wird nicht mal für einen kaltherzigen Roboter reichen. Komisch nur, dass der Dax soeben das Jahresrekordhoch erreicht hat.“

Herzlichen Glückwunsch! Hier hat jemand verstanden, dass im Nachrichtengewerbe nur schlechte Nachrichten zu den guten zählen. Könnte man meinen, wenn der Deprimeter nicht an ganz anderer öffentlich-rechtlicher Stelle ebenfalls ausgeschlüge: der Must-see-Rubrik in der ARD-Mediathek. Hans Hoff bei DWDL:

„Was mir ein bisschen Sorgen bereitet, ist indes das, was da an Kurztexten der Erklärung dienen soll. Die Texte lesen sich nämlich wie Beipackzettel, auf denen vor Nebenwirkungen gewarnt wird. Erschreckend, erschütternd, unfassbar, lebensgefährlich und dubios sind die Auszeichnungen, die mich in ihrer Massierung ein wenig einschüchtern. Will ich mir das alles antun, all das, was erschreckend, erschütternd, unfassbar, lebensgefährlich und dubios ist?

Es geht um Flucht, Demenz, Finanzgeschäfte, Eskalation, Gestrandete und Terror. Das alles sind wichtige Themen, zweifelsohne, aber in mir keimt ein wenig der Verdacht, dass es daneben noch eine andere Welt gibt, dass Fernsehen nicht nur dann gut ist, wenn es das ganz große Problemrad dreht. (...) Ich meine das nur mal als Anstoß. Kann man nicht darauf achten, dass man unter ,Must see’ auch mal was bietet, was mich nicht gleich in Seelenpein stürzt?“

Harals Jähner hat den Verdacht, dass hier Journalisten ihre persönlichen Branchen-Zukunfts-Ängste im Programm spiegeln. Vielleicht schlägt dieses 2016 aber auch einfach aufs Gemüt oder die Redakteure wollen sich nicht länger vorwerfen lassen, sie würden - etwa in der Flüchtlingsfrage - zu positiv berichten. Permanente Kritik verunsichert eben.

In ein paar Sätze gegossen lässt sich das bei Wiebke Porombka und Zeit Online nachlesen, die mit Ingo Zamperoni an der Alster spazieren gegangen ist und diesem auf die Frage nach dem Umgang mit dem zunehmenden Populismus Folgendes entlockt hat:

„,Wir können doch nicht anfangen, weil andere das machen und weil plötzlich alles beliebig ist ...’ Er stockt und bricht den Satz ab. Vielleicht, weil er als Mensch – nicht als Moderator der Tagesthemen – natürlich schon weiß, dass er sich immer mal wieder auf die Zunge beißen muss, um ausgewogen zu bleiben. ,Es gibt ja diesen berühmten Satz von Hajo Friedrich[s]: 'Wir machen uns mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.' Aber ich glaube, der ist oft falsch interpretiert worden, es soll nicht heißen, dass wir jetzt komplett neutral ... Nee, anders ...’ Jetzt, und das ist wirklich sympathisch, verheddert Zamperoni sich kurz ein bisschen. Aber schnell ist er wieder in der Spur: ,Gemeint ist: Wir haben eben keine Agenda, betrachten alles von beiden Seiten.’“

Doch mit Differenzierung kommt man gegen Populismus nicht an. Das ist eine schlechte, aber wahre Nachricht.

[+++] Zum Glück gibt es noch Orte, an denen die Welt weniger kompliziert und man als Journalist über jede Kritik erhaben ist, einfach, weil das eigene Produkt so großartig ist, und ja, natürlich ist hier von unserem Lieblings-Demokratie-Sturmgeschütz die Rede.

Dieses veröffentlichte bereits in der vergangenen Woche seine Chronik 2016, der Chefredakteur Klaus Brinkbäumer einen Leitartikel vorangestellt hat, der, Sie ahnen es, auf der Jahr 2016 zurückblickt.

„Neu ist, das lernen wir aus 2016, dass sie (die Populisten, Anm. AP) die freie Presse abschaffen wollen. Wer lügt und im selben Moment ausgerechnet eine Presse, die voller Ernsthaftigkeit recherchiert, verifiziert, dokumentiert, ,Lügenpresse’ nennt, der will erreichen, dass niemandem mehr irgendwem glaubt. (Am Rande: Die ,Handelsblatt’-Gruppe, die sich eine Website hält, die Konkurrenten denunziert, spielt das gefährliche Spiel mit, da soziale Medien jede Lüge weitertragen.)“

Ganz recht, wenn der Spiegel-Chef auf das Jahr zurückblickt, dann erinnert er sich an den Brexit, Donald Trump, das Erstarken des Populismus - und daran, dass Meedia ein Interview mit Roger Köppel veröffentlicht hat, in dem dieser unwidersprochen den Spiegel kritisieren durfte (Altpapier vor zwei Wochen).

Es gibt also noch Journalisten, die haben solche Sorgen. Das ist doch ein versöhnliches Zwischenfazit vor dem


Altpapierkorb.

+++ RTL hat gestern Abend „Der heiße Stuhl“ wieder aufgewärmt. „Und man fragt sich: warum?“ (Jan Freitag, HAZ) „Es gibt nicht nur keinen Erkenntniswert, all das, womit die vorhergehende Dokumentation zur vergangenen Silvesternacht in Köln zu einer vertiefenden Diskussion anregte, wird niedergetrampelt.“ (Michael Hanfeld, faz.net) „,Der umstrittene Buchautor’ und Erstplatznehmer Thilo Sarrazin hat sich auf sein einziges mitgebrachtes Argument draufgesetzt und es so lange warmgewalzt, bis die Sendezeit vorüber war.“ (Peer Schader, DWDL) „Da hatte es Sarrazin auf seinem heißen Stuhl auf einmal ganz kommod. Gegrillt wurde seine muslimische Kontrahentin - vom Publikum. Der geübte Moderator reagierte darauf nicht. Mit keiner Silbe, keiner Geste. Man darf also annehmen, dass mangelnder Anstand zum Konzept der Sendung gehört.“ (Arno Frank, Spiegel Online) „Sollte es tatsächlich zum Bundestagswahlkampf weitere Sendungen geben, dürfen RTL und Steffen Hallaschka ihre Gäste nicht nur zu steilen Thesen ermuntern, sondern müssen ihnen besser Paroli bieten.“ (Kurt Sagatz, tagesspiegel.de) +++

+++ „[Z]u Ihrer Anfrage teile ich Ihnen mit, dass das Landgericht selbstverständlich davon ausgeht, dass die Zugänglichmachung sämtlicher Inhalte auf der Seite des Landgerichts rechtmäßig erfolgt. Zu rechtsverbindlichen Erklärungen Ihnen gegenüber sehen wir uns indes nicht veranlasst..“ Heise Online hat beim Hamburger Landgericht angefragt, ob man nach dessen Beschluss (Altpapier am Donnerstag) noch unbesorgt auf www.justiz.hamburg.de/gerichte/landgericht-hamburg verlinken kann. +++

+++ „Lange blieb der Ethnopluralismus der Neuen Rechten hierzulande eine intellektuelle Randnotiz (...) Damit ist es vorbei. Von Pegida über AfD bis hin zu verschiedenen Onlineplattformen, sozialen Netzwerken und auch seriösen Presseartikeln finden sich entsprechende Botschaften. (...). Ethnopluralismus ist derzeit allgegenwärtig. Journalisten bleibt also gar nichts anderes übrig, als sich mit dieser Ideologie auseinanderzusetzen.“ Michael Kraske hilft dabei in einem Text für das Fachmagazin Journalist (die DJV-genehmigte Variante), der nun gekürzt bei Übermedien erschienen ist. +++

+++ Der Fund einer Fliegerbombe in Köln-Deutz sorgte gestern Nachmittag dafür, dass das Sendezentrum von RTL vorübergehend evakuiert werden musste, sodass ntv nicht mehr aus seinem Studio senden konnte. Der Rest („Der Blaulicht Report“, „Verdachtsfälle“) lief wie geplant aus der Konserve. DWDL und Meedia berichten. +++

+++ Wo derweil gar nichts mehr ging (außer das Mikro, das ging, allerdings nicht mehr auszuschalten): gestern bei Radio Eins. Wer sich Pannen on Air gerne noch mal nachträglich anhört: bitteschön. +++

+++ Jan Fleischhauer argumentiert in seiner aktuellen Spiegel-Online-Kolumne, man solle bei Verbrechen die Nationalität der Verdächtigen ruhig nennen, weil Leser selbst einschätzen könnten, was sie mit dieser Information anzufangen sei. +++

+++ Über den überraschenden Post-Brexit-Print-Erfolg The New European schreibt Hannes Munzinger auf der Medienseite der SZ. Wo zudem Anna von Garmissen von der Dverse-Media-Konferenz berichtet („Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer zeigte sich selbstkritisch. ,Beim Spiegel hieß entscheiden immer Härte, Abwesenheit von Kommunikation – und damit auch von Innovation’, so Brinkbäumer. Jetzt gelte es, ,über Jahrzehnte konservierte Spielregeln’ aufzubrechen und frei von Ängsten und Hierarchien zu diskutieren.“) +++

+++ „In der deutschen Schweiz kämpft die politische Rechte gegen die Staatssender und wirft ihnen eine allzu linke und proeuropäische Ausrichtung vor. Die Kritik ist unberechtigt, die Informationsprogramme sind von hoher Qualität. Die Frage nach dem Programmauftrag der SRG stellt sich aber sehr wohl: Wo werden die Grenzen gezogen? Wie viele Programme braucht es, um eine Grundversorgung an Information zu garantieren und der Rolle als ,eidgenössische Klammer’ gerecht zu werden? Braucht es eine Musikwelle für Pop oder Folklore? Einen Nachrichtenkanal?“ Jürg Altwegg diskutiert das heute auf der FAZ-Medienseite. +++

+++ Das Internet-Archiv Archiv.org baut aus Trump-Angst eine Kopie in Kanada auf, meldet Alice Hasters im Tagesspiegel. +++

+++ Wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Finnland dokumentiert, dass mit Steuergeldern ein Unternehmen am Leben gehalten wird, von dem Familienmitglieder des Regierungschefs profitieren, dann nimmt dieser sich die Zeit, einzelnen Journalisten 17 Mails zu schreiben, damit das in Zukunft nicht mehr passiert. Berichtet Reinhard Wolff in der taz. +++

+++ Am Freitag geht Jürgen Domian das letzte Mal mit seinem späten Talk auf Sendung, und da man mit dem Abschiednehmen nicht früh genug anfangen kann, hat Meedia schon mal ein dpa-Interview mit Domian veröffentlicht („Auch mein Sozialleben hat darunter gelitten. Ich werde sofort nach der letzten Sendung versuchen, in einen neuen Rhythmus zu kommen.“), DWDL dieses paraphrasiert und wiederum Meedia schon mal die legendärsten Sendungen („Der ,Mett-Mann’“) zusammengetragen. +++

+++ Udo Ulfkottes aktuellste Plattform, um sein fragwürdiges Medienbild zu präsentieren: kress.de. +++

+++ Apropos rechter Rand und Fragwürdiges: Tichys Einblick und die Achse des Guten sehen die Demokratie gefährdet, weil Kunden bei ihnen Anzeigen streichen. Sie fühlen sich als Opfer der Kampagne #keingeldfürrechts, obwohl deren Initiator diese beiden Seiten explizit ausgeschlossen hatte. Eine aktuelle Erwiderung auf die Empörung stammt von Frank Zimmer bei W&V. +++

Frisches Altpapier gibt es wieder am Mittwoch. 

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