Nur Nora und Günther

Nur Nora und Günther
Welchen Einfluss hatten Facebook und Fake News auf den Wahlausgang in den USA? Unterminiert die britische Boulevardpresse die demokratische Öffentlichkeit? Wollte Günther Jauch einmal eine „Homestory“ mit radikalen Islamisten drehen und dafür „nur“ 8.000 Euro zahlen [enthält eine Richtigstellung]? Was taugt der tausendste „Tatort“? Außerdem: Die ultrarechte Plattform Breitbart News will nach Europa expandieren; ein Springer-Fanboy ist im siebten Himmel.

Ein journalistischer Beitrag ist kein Autopilot - so könnte man vielleicht die Kernthese eines Politico-Textes zusammenfassen, der eine Minderheitenposition formuliert gegenüber den rituellen Selbstbezichtigungen, die seit dem frühen Mittwochmorgen in Mode gekommen sind. Im Einzelnen schreibt Jack Shafer:

„The election of Trump (…) can’t be reduced to a ‚failure‘ of the ‚broken‘ press—to lean on two worn-out descriptions of the craft (…) The election of Trump doesn’t render the many journalistic findings published during the campaign worthless. Journalism at its best can provide only a set of traffic advisories. It is not and it can’t be an autopilot for life’s trip.“

Jene, die nun bereits seit gefühlten Wochen die Meinung verbreiten, dass die amerikanischen Medien oder gar die Journalisten generell („wir“, siehe Altpapier) schuld seien am Präsidenten Trump, sind dagegen offenbar der Ansicht, es wäre anders ausgegangen, wenn man die „Autopiloten“ besser programmiert hätte. Wäre das Ergebnis wirklich anders ausgefallen, wenn „anders“ - in welcher Form auch immer - berichtet worden wäre über (potenzielle) Trump-Wähler? Möglich isses, aber letztlich ist doch vor allem auffällig, dass derzeit viele Journalisten unter dem Mantel der Selbstkritik ihre eigene Bedeutung überhöhen.

Bei all den Beschwerden über die vermeintlich grassierende „Publikumsbeschimpfung und Wählerverachtung“ (Mathias Döpfner, siehe erneut Altpapier von gestern) sollte man natürlich auch nicht übersehen, dass die sanftmütige „vermeintliche Gegenstrategie, man müsse Ressentiments als Sorgen ernst nehmen“ („Tagesschau“-Redakteur Patrick Gensing in einem Blogbeitrag, auf den wir später noch zurückkommen) hier zu Lande im Umgang mit Anhängern von AfD und Pegida auch nicht funktioniert hat. Beziehungsweise: „Der publizistische Kardinalfehler seit den Anfängen von Pegida bestand nicht etwa in einer vorschnellen Stigmatisierung der völkischen Bewegung, sondern in der kategorischen Unsicherheit, die Dinge präzise beim Namen zu nennen“ (Michael Kraske, journalist 11/16, derzeit nur gedruckt).

Titanic-Chefredakteur Tim Wolff spitzt den aktuellen Wahnwitz in einem Facebook-Post zu:

„Wenn ich die großen Zeitungen dieses Landes richtig verstanden habe, machen wir den Fehler, uns ständig um die Bedürfnisse irgendwelcher Minderheiten zu kümmern und verärgern damit die "Abgehängten", weswegen wir jetzt sämtliche Sprach- und Denkverbote beseitigen müssen und so lange laut rassistischen und sexistischen Kram rumschreien, bis Trump wieder weg ist. Klingt nach einem guten Plan.“

Wolffs Zeitschrift hat sich derweil von den Erklärbärchen, die momentan bei Facebook und Twitter in Sachen Politikanalyse unterwegs sind, zu einem „Social-Media-Guide nach der US-Wahl“ inspirieren lassen:

„Geben Sie einen Überblick über die amerikanischen Verhältnisse und erklären Sie, daß wir das hierzulande ja kaum verstehen könnten, denn die Kultur dort ist eine ganz andere, nur mit Verständnis dafür ist es möglich zu begreifen, wie das passieren konnte. Leiten Sie ihr Statement ein mit: ‚Wie konnte das passieren?‘ und dann mindestens fünf Punkte (…) Ihr nächster Post könnte dann lauten: ‚Was jetzt auf uns zukommt‘, dann aber bis zu zehn Punkte.“

Die Person, an die mich Trump am meisten erinnert, ist übrigens - darauf gebracht hat mich der Newsletter des Yogastudios um die Ecke, um mal eine recht exklusive Quelle zu zitieren - der Ronald Schill des Jahres 2001. Das gilt für seine Clown-Aura und seine damalige politische Unerfahrenheit und fürs Ideologische sowieso. Der Kurzzeit-Innensenator endete bekanntlich im Reality-TV-Gewerbe - also dort, wo Trump herkommt, wenngleich dieser eine ganz andere Rolle spielte. Beziehungsweise: Er war „ein erfolgreicher Star aus dem Universum des Reality-TV, also jener Massenunterhaltung, die das Publikum in eine zweite Wirklichkeit entführt“, wie uns der renommierte Massenunterhaltungskenner Mike Naumann aktuell im Tagesspiegel erklärt. Ausführlicheres zu dieser Phase von Trumps Vergangenheit siehe Medienkorrespondenz und Altpapier von vor rund einem Monat. Wobei man natürlich auch die These vertreten kann, dass der deutsche Prä-Trump Reiner Calmund war, der in „Big Boss“, einer der deutschen Versionen von Trumps „The Apprentice“, dessen Moderatorenrolle einnahm. Funfact: Einer von Calmunds Co-Moderatoren war Roland Tichy.

[+++] Mehrere Artikel befassen sich aktuell mit der Frage, welchen Einfluss Facebook und Fake News auf den Wahlausgang hatten. Karoline Meta Beisel und Jannis Brück schreiben in der SZ:

„Trumps Erfolg wirft auch die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung der sozialen Netzwerke auf, insbesondere von Facebook. Sein Wahlkampf lebte oft von Halbwahrheiten und Lügen, verbreitet von ihm und seinen Fans. Das Unternehmen prüft praktisch nicht, ob eine Meldung wahr ist oder nicht (…) Neben politisch unterschiedlich positionierten Medien, die sich mit realen Ereignissen beschäftigen, gibt es im Netz aber mittlerweile eine Parallelwelt an Seiten, die Fake News in die Welt setzen und über soziale Netzwerke Millionen Menschen erreichen. So war vor der Wahl zu lesen, (...) dass der Papst dazu aufgefordert habe, Donald Trump zu wählen. Falsche Nachrichten werden wegen ihres oft plakativen Inhalts häufig angeklickt - und je mehr solcher Interaktionen mit den Nutzern es gibt, desto schneller werden diese Nachrichten von den Facebook-Algorithmen weiterverbreitet: Was viele interessiert, bekommen auch viele zu sehen. Journalisten, die sich darauf spezialisiert haben, solche ‚Artikel‘ zu widerlegen, kommen nicht hinterher - oder erreichen nur die Leser in der Filterblase der vermeintlich Aufgeklärten, dafür sorgt wiederum der Algorithmus.“

Joshua Benton (Nieman Lab) präzisiert: 

„The pope’s ‚endorsement‘ has over 868,000 Facebook shares. The (…) piece noting the story is fake has but 33,000.“

Sowohl Benton als auch Olivia Solon (Guardian) sind mit großkalibrigen Argumenten am Start:

Our democracy has a lot of problems, but there are few things that could impact it for the better more than Facebook starting to care — really care — about the truthfulness of the news that its users share and take in“, 

schreibt Benton. Und Solon im Guardian:

Facebook will need to change its business model (…) Currently, the truth of a piece of content is less important than whether it is shared, liked and monetized. These ‚engagement‘ metrics distort the media landscape, allowing clickbait, hyperbole and misinformation to proliferate. And on Facebook’s voracious news feed, the emphasis is on the quantity of posts, not spending time on powerful, authoritative, well-researched journalism.“

Man müsse aber auch differenzieren, denn:

„Fake news is not a uniquely Republican problem. An analysis by BuzzFeed found that 38% of posts shared from three large rightwing politics pages on Facebook included “false or misleading information” and that three large leftwing pages did the same 19% of the time. What is a uniquely Republican problem is the validation given to fake news by the now president-elect. Trump has routinely repeated false news stories and whipped up conspiracy theories (…) The conspiracy theories are amplified by a network of highly partisan media outlets with questionable editorial policies, including (…) a cluster of pro-Trump sites founded by teenagers in Veles, Macedonia, motivated only by the advertising dollars they can accrue if enough people click on their links.“

Der bereits zitierte Benton schreibt bei Nieman Lab auch noch etwas Grundsätzliches zum Thema Filter Bubbles: 

„I used to be something of a skeptic when it came to claims of ‚filter bubbles‘ — the sort of epistemic closure that comes from only seeing material you agree with on social platforms. People tend to click links that align with their existing opinions, sure — but isn’t that just an online analog to the fact that our friends and family tend to share our opinions in the real world too? (…) Facebook friends are likely drawn from a wider group of people (the guy you went to middle school with, your mom’s neighbor, that rando you met that weekend at the beach) than the people you discuss news with in real life. But I’ve come to think that the rise of fake news — and of the cheap-to-run, ideologically driven aggregator sites that are only a few steps up from fake — has weaponized those filter bubbles. There were just too many people voting in this election because they were infuriated by made-up things they read online.“

Neben dem oben aufgegriffenen Text über Facebooks Verantwortung steht auf der SZ-Medienseite auch noch ein Text, in dem Jürgen Schmieder darüber sinniert, was der Sieg Trumps für seine Unterstützer bei Fox News und Breitbart News mit sich bringen könnte. Breitbart News plant im Übrigen die Expansion in Richtung Europa. Während Springers Welt sich für die Plattform aus diesem Anlass die irrwitzig-niedliche Titulierung „rechtskonservativ“ einfallen lässt, nennt - gepriesen sei der Binnenpluralismus im Konzern! - der Schwestertitel Gründerszene sie „ultrarechts“. Niklas Wirminghaus schreibt dort:

„Breitbart spielt mit 37 Millionen Besuchern und 240 Millionen Klicks im Oktober zwar noch nicht in einer Liga mit der Huffpost oder BuzzFeed, die normalerweise jeweils um die 200 Millionen Besucher verzeichnen, ist aber ähnlich groß wie etwa die Klatschportale TMZ oder People oder das Politikmagazin Politico (…) Die 2007 (…) gegründete Seite ist in den vergangenen Jahren zum wichtigsten Sprachrohr der Alt-Right geworden, der alternativen Rechten der USA – in Europa vergleichbar mit der sogenannten identitären Bewegung.“

[+++] Patrick Gensing liefert in seinem oben bereits erwähnten Blogbeitrag die instruktivsten Gedanken zum Thema Nummer eins.

„Einfach und emotional – so funktionieren die Botschaften und Parolen von AfD, Pegida und auch Donald Trump in den USA. Einfach und emotional – das sind auch die besten Voraussetzungen dafür, dass ein Thema in vielen Medien gut läuft. Boulevard- und knallige Talkformate aber auch Social Media scheinen wie gemacht für Populisten: Wer am lautesten und schrillsten schreit, kann eine Dynamik der Aufregung in Gang setzen. So können sich Populisten mit gezielten Provokationen und vermeintlichen Tabubrüchen inszenieren und Skandalisierung herbeiführen. Wir haben ein mediales Biotop für Populisten geschaffen.“

In diesem Sinne tragen die Medien dann durchaus eine Mitschuld am Wahlausgang - nicht, weil dort bestimmte Meinungen dominieren, sondern weil sie Mechanismen und Dynamiken bedienen, denen sie sich nicht widersetzen wollen. Gensing weiter:

„Im US-Wahlkampf profitierte Trump von den Mechanismen der Publikumsdemokratie, die mediale Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wurde, hätte er sich auch für sein gesamtes Vermögen nicht erkaufen können. In Deutschland wurde der Aufstieg der AfD durch lautes mediales Getöse und Aufregung in den Netzwerken begleitet. Bei Facebook ist die AfD mit Abstand die stärkste Partei, was die Zahl der ‚Likes‘ angeht – fast 300.000 nur für die Bundespartei. Eine effektive Strategie gegen die Populisten fehlt hingegen bislang – im Gegenteil: klassische Medien schauen immer stärker darauf, was ‚das Netz‘ meint. Doch vielleicht lässt sich der politische Schlagabtausch in den sozialen Medien einfach nicht effektiv führen oder sogar gewinnen, weil die Mechanismen zu sehr den Populisten in die Hände spielen? Vielleicht forcieren wir deren Aufstieg, weil viele Medienmacher überzeugt sind, sie müssten noch kürzer und knackiger berichten?“

[+++] Als Ergänzung zum Trump-und-die-Medien-Diskürschen empfehlenswert: die frei online noch nicht zu habende Kulturkolumne aus dem aktuellen Freitag, in der Uwe Schütte darauf eingeht, „dass der britische Boulevard unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit die demokratische Öffentlichkeit (unterminiert)“. Schütte schreibt:

„Wie sich das Meinungsklima im Nazi-Deutschland der 30er Jahre, mit all den überdeutlich gezeichneten äußeren Feinden und inneren angeblichen ‚Volksverrätern‘, angefühlt haben mag, kann man sich lebhaft vorstellen, wenn man die zumeist widerwärtigen Schlagzeilen der sogenannten tabloids betrachtet, also solcher Schmierblätter wie Daily Express, Daily Mail und The Sun.“

Aktueller Anlass des Textes sind die Beschimpfungen, mit denen die „Schmierblätter“ einen Beschluss der High Court zum Thema Brexit, tja, kommentierten. Das aktuell im Zusammenhang mit Medienkritik sehr beliebte Schlagwort „Verachtung“ kommt übrigens auch vor:

„Das Perfide an den manipulativen Taktiken der tabloids ist, dass die als Vertreter von ‚Volkes Stimme‘ paradierenden Journalisten in Wahrheit ziemlich clevere Menschen sind, die ihre Leser verachten - ob der Dummheit, mit der diese ihnen jede in Trump-Manier behauptete Unwahrheit abkauft.“

[+++] Im wichtigsten medienkritischen Text des Tages geht es gar nicht um Trump. Daniel Ryser liefert für die taz einen Nachklapp zur Debatte um die „Anne Will“-Sendung, mit der sich die Salafisten Nora Illi und ihr Ehemann Qaasim „als Marke etabliert“ hätten.

Richtigstellung:

In einem Beitrag in unserer Rubrik „Das Altpapier“ hatten wir unter der Überschrift „Nur Nora und Günther“ in Bezug auf die Salafisten Nora Illi und ihren Ehemann Qaasim Illi an dieser Stelle ausgeführt:

„Wollte Günther Jauch einmal eine ‚Homestory‘ mit radikalen Islamisten drehen und dafür ‚nur‘ 8.000,00 € zahlen? … Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo habe er einen Anruf von Günther Jauch erhalten, sagte mir Qaasim Illi kürzlich […]. er wollte mit Nora eine Sondersendung machen. Nur sie und Günther. […] Doch Jauch habe darauf bestanden, dass die Hälfte der Sendung aus einer Homestory hätte bestehen müssen: […] Das kam für uns nicht infrage. Zudem war es lächerlich, was die an Geld geboten haben. Nicht dass das eine Rolle gespielt hätte. Aber 8.000,00 €? Von Günther Jauch hätte ich wirklich mehr erwartet.“

Diese Darstellung ist nicht richtig. Herr Günther Jauch hat mit Herrn Illi nie gesprochen und wollte auch nicht mit Nora Illi eine Sondersendung machen, in der nur sie Gast gewesen wäre. Außerdem hat er nicht auf eine Homestory bestanden und haben weder Herr Jauch noch die Redaktion hierfür 8.000,00 € geboten.

Die Redaktion

[+++] Eines der dominierenden Themen in den nächsten Tagen: die 1.000. „Tatort“-Folge, die an diesem Sonntag ausgestrahlt wird und wie der allererste „Taxi nach Leipzig“ heißt. Diemut Roether hat für epd medien mit dem „Tatort“-Drehbuchautor Jürgen Werner gesprochen - und mit dem heute 81-jährigen Gunther Witte, der den „Tatort“ gewissermaßen erfand, nachdem ihn Günter Rohrbach, sein damaliger Chef beim WDR, beauftragt hatte, ein Konkurrenzformat zur damals sehr beliebten ZDF-Serie „Der Kommissar“ zu entwickeln. Witte sagt:

„Wir hatten vor dem ersten ‚Tatort‘ eine Pressekonferenz in Hamburg, die Kommissare waren fast alle da, die Fernsehspielabteilungen der ARD-Sender waren vertreten, aber es waren wenig Journalisten da. Die Pressekonferenz wurde geleitet vom damaligen Fernsehdirektor des Süddeutschen Rundfunks in Stuttgart, Horst Jaedicke, ein Schwabe. Die Journalisten fragten damals, was meinen Sie, wie lange die Reihe laufen wird? Und Jaedicke dachte ein bisschen nach und sagte: ‚Ich denke, zwei Jahre werden wir das schon machen.‘ Daran muss ich oft denken. Wir waren damals alle ein bisschen überrascht, als die Quoten der ersten Sendung kamen, die waren fantastisch.“ 

Klaudia Wick hat anlässlich des Feierlichkeiten sowohl für epd medien als auch für die Medienkorrespondenz in die Tasten gehauen. In der MK formuliert sie ein Lob, das man in dieser Form, sagen wir mal: eher selten hört:

„Deutlich werden in der Menge der Folgen Handschriften einzelner Redaktionen sichtbar. Diese, so ist zu vermuten, gründet sich auf experimentierfreudige Menschen, die in diesen Redaktionen Grenzen überschreiten, Künstler inspirieren, Hierarchen übergehen. Insofern ist der ‚Tatort‘ im besten Sinne Redakteursfernsehen. Was dafür spricht, dass dieses Redakteursfernsehen nicht das schlechteste war – und ist.“

Die Medienkorrespondenz hat außerdem ein Interview online gestellt, das ich vor 17 Jahren für den damals noch Funkkorrespondenz heißenden Fachdienst mit Friedhelm Werremeier geführt habe. Er hat die Figur des ersten „Tatort“-Kommissars Paul Trimmel erfunden - in dem Roman “Ich verkaufe mich exklusiv” - und auch das Drehbuch für den im November 1970 erstmals ausgestrahlten ersten „Taxi nach Leipzig“-Film geschrieben.

Wie ist denn nun der neue „Tatort“ bzw. der neue „Taxi nach Leipzig“-Film? Christian Buß schreibt bei Spiegel Online

„Gehen Ihnen die ‚Tatort‘-Kommissare manchmal auch auf die Nerven? Pochen auf ihre Intuition, wenn eigentlich Recherche gefragt ist. Machen auf Empathie, wo Analyse angebracht ist. Eignen sich über Fortbildungen Forensiker-, Profiler- und ITler-Wissen an, verlassen sich am Ende dann aber doch nur auf den, nun ja, Menschenverstand. Als 1000. ‚Tatort‘ gibt es nun eine kleine, böse, sehr schmerzhafte Hommage ans bauchgefühlige Ermittlungsverständnis der Kripo-Luschen.“

Beziehungsweise:

„Hier agieren von der Welt und von sich selbst überforderte Charaktere, denen auf Seminaren Spezialwissen eingetrichtert wird, das sie in Extremsituationen sowieso nicht abgerufen bekommen. Ein wunderbar pessimistisches Jubiläum.“

Und Thomas Gehringer lobt bei epd medien Regisseur Alexander Adolph:

„(Er) erzählt keine der üblichen Kriminalgeschichten mit Leichenfund am Anfang, den typischen Verhörszenen und der finalen Wendung zum Guten. Sein Film hält eine breite Palette aus erschreckenden, gewalttätigen, komischen, absurden und unerwarteten Momenten bereit (…) Dieses Roadmovie hat viel zu bieten, ist Horror-Trip, Komödie, Drama und Thriller in einem.“


Altpapierkorb

+++ Annika Reich von der Initiative „Wir machen das“ hat kürzlich auf der Konferenz „Formate des Politischen“ einen Vortrag zum Thema „Migrant*innen und Geflüchtete als neue Akteure und Akteurinnen in Politik und Medien“ gehalten, den die Organisation nun auf ihrer Website dokumentiert: „Als erstes Fazit lässt sich festhalten: Newcomer*innen erscheinen in den Medien oft als Perfekt-Assimilierte oder als potentiell gefährliche, traumatisierte, passiv in Erscheinung tretende Flüchtlinge (…) Beides ist eine Maske. Das heißt, das wahre Gesicht wird verborgen, indem man es verdoppelt. Indem man geflohene Menschen so als Flüchtlinge bezeichnet und zeigt, wird der ‚Flüchtling‘ zu einer Projektion, die mit den unterschiedlichsten Vorstellungen aufgeladen ist. Geflüchtete Menschen erscheinen in den Medien also oft als Oberflächenbilder, bei denen nicht zwischen Innerem und Äußerem unterschieden wird. Und genau das ist eine der Grundzüge von Rassismus.“ Reich plädiert dafür, Newcomer*innen tatsächlich als Akteur*innen zu begreifen – und zwar einmal in der Form der medialen Darstellung als auch als Medienmacherinnen“. 

+++ Die Verdi-Zeitschrift Menschen Machen Medien (mmm) weist online auf eine Studie „zu den TV-Nachrichten in ARD und ZDF über die Silvesternacht 15/16 in Köln“ hin, die die Salzburger Wissenschaftlerin Ricarda Drüeke im Auftrag des bei der Heinrich-Böll-Stiftung angesiedelten Gunda-Werner-Instituts für Feminismus & Geschlechterdemokratie. Die Zusammenfassung geht unter anderem darauf ein, „wer zu Wort kommt und so Deutungsmacht erhält: Zu 71 Prozent sind es Politiker_innen und zu 47 Prozent Vertreter_innen der Polizei. Nur ganz selten kommen Zeug_innen, Opfer, Frauen allgemein, Wissenschaftler_innen und zivilgesellschaftliche Akteur_innen zu Wort, Geflüchtete werden überhaupt nicht direkt zitiert. Drüeke resümiert, da ‚über die Ereignisse hinaus nicht auf sexualisierte Gewalt bedingende Strukturen hingewiesen wird (‚rape culture‘), erscheinen die Vorkommnisse der Silvesternacht als singuläres Ereignis, bedingt durch eine spezifische Gruppe und einen spezifischen Ort.‘“ Für jedermann zugänglich ist die Studie erst ab dem 18. November.

+++ Bülend Ürük, „vermutlich der größte Springer-Freund, der (noch) nicht bei Springer arbeitet“ (Altpapier), ist im siebten Himmel, er hat nämlich die Premiere der bild.de-Talkshow „Die richtigen Fragen“ miterleben dürfen. Beim Lesen seines kress.de-Artikels die Lachtränen zurückzuhalten, fällt nicht leicht. Nicht zu toppen: „Zwischendurch kommt dann auch Nikolaus Blome als Live-Gast ins Studio - Blome hat eine ganz eigene Ausstrahlung, egal bei welcher Talkshow, dieser Mann ist immer ein Gewinn.“

+++ Ist es eine gute Nachricht, dass Reinhold Beckmann Ende dieser Saison als Moderator der „Sportschau“ aufhört, wie die FAZ auf ihrer Medienseite mit Verweis auf das Hamburger Abendblatt berichtet? Angesichts dessen, dass er seinen Abschied unter anderem damit begründet, er wolle mehr Zeit für seine Reportagereihe „#Beckmann“ haben, vielleicht nicht.

+++ Mal a bisserl Theorie jenseits des Tagesgeschäfts: „Die Epoche der digitalen Gesellschaft ist das kybernetische Zeitalter der Rückkopplung auf Ebenen, die wir früher als Ebenen der Natur, der Kultur und der Technik voneinander unterschieden haben, jetzt aber als medial ineinander verwoben begreifen müssen." Geschrieben hat’s der Soziologe Dirk Baecker in der NZZ.

+++ Rückblick auf die ARD-Themenwoche zur „Zukunft zur Arbeit“ in Form einer Doppelrezension: Ich habe für die Medienkorrespondenz über den Spielfilm „Dead Man Working“, der aufgrund der Häufung von Suiziden hochrangiger Mitarbeiter in der Finanz- und Versicherungsbranche entstanden ist, geschrieben - und über eine Dokumentation, die einen der Fälle rekapituliert, die die Vorlage für die Fiktion lieferten.

+++ Seit Donnerstag (und noch bis März 2017) zu sehen: eine Ausstellung mit Werken der Stern-Karikaturisten Til Mette, Gerhard Haderer und Tetsche im Frankfurter Caricatura-Museum. Die Frankfurter Neue Presse und das Journal Frankfurt berichten.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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