Top-Foto-Motiv gedruckter Medien an diesem Freitag ist der Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan.
"Don't follow the leaders, watch the parkin' meters" (SZ), "Auf dem Highway 61 ist die Hölle los" (FAZ), "Wie sich die Zeiten ändern" (Springers Welt kongenial), "His Bobness" (Tagesspiegel) lauten Schlagzeilen zu überwiegend älteren Fotos des Künstlers. "How many lines must a man write down ..." titelt die TAZ über vielen hübsch gesetzten Songtexten. Kuratoren fürs Internet machen gerne von der Möglichkeit Gebrauch, Youtube-Videos einzubinden. Von "Hier sein berühmter Auftritt beim Newport Festival 1964, kurz bevor er mit der Folkbewegung brach ..." (perlentaucher.de) bis zu "Was viele nicht wissen: Der kritische Zeitbeobachter hat auch in - wenigen - Werbespots gesungen oder sogar mitgespielt" (horizont.net).
Und könnte jemand, den bereits starke Marken von "Victoria Secret" (Unterwäsche-Kenner würden ein "'s" oder "sic" einfügen) über Apple bis Google gebucht haben, den Nobelpreis nicht verdient haben?
[+++] Top-Leitartikel-Thema ist an diesem Freitag jedoch Sachsens Justiz. "Fassungslosigkeit über" sie (SZ), "Scharfe Kritik an" ihr (SZ), "Sachsens Justizskandal" (Tsp.) usw.. Wo bleibt das Positive? Z.B. gleich auf Seite 2 der FAZ. Im großen, sichtlich vor Bekanntwerden des Suizids im Gefängnis geführten Interview (frei online angeteasert, 45 Cent bei Blendle) unter der Überschrift "Als er Heißkleber kaufte, musste so schnell wie möglich gehandelt werden" erläutert Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen, der zur befreundeten Presse ja gute Drähte pflegt, wie sein Amt dem mutmaßlichen ISIS-Terroristen "auf die Spur gekommen" ist. Es geht dann auch, interessant, um Kommunikations-Themen im engeren Sinne:
"In vielen der zurückliegenden Terrorfälle war die Kommunikation in den letzten Stunden vor der Tat die entscheidende. Haben Sie darauf einen Zugriff?"
Maaßen: "Nehmen Sie WhatsApp – da muss man eingeladen werden oder technischen Zugang haben. Von einer terroristischen Organisation zum Chatten eingeladen zu werden, das ist äußerst unwahrscheinlich. Den technischen Zugang muss uns ein Unternehmen zur Verfügung stellen, das sehr oft einem eigenen Rechtskreis unterliegt, im Falle von WhatsApp sind das die Vereinigten Staaten von Amerika. Amerikanisches Recht muss also vorsehen, dass das Unternehmen verpflichtet werden kann, an uns Daten auszuleiten. Oder aber man hat einfach eigene technischen Möglichkeiten, Daten auszuleiten und zu entschlüsseln. Das aber, die Entschlüsselung, ist eine große Herausforderung."
"Reichen also die rechtlichen Möglichkeiten nicht?"
Maaßen: "Ein rechtliches Instrumentarium dafür haben wir. Das ist die Telekommunikationsüberwachung nach dem G-10-Gesetz. Das stammt allerdings aus einer Zeit, die noch keine Instant-Messenger-Dienste wie WhatsApp, kein Skype und andere Technologien kannte. Es kommt aus der guten alten Zeit der Bundespost. Wenn unsere Zielperson aber nicht mit Festnetz, nicht mit Handy, sondern mit solchen Messenger-Diensten kommuniziert, ist es außerordentlich schwierig ..."
Usw. Dass Whatsapp ja durchaus aus Handys pfeift und bloß nach geltendem deutschen Medienrecht was völlig anderes ist, zeigt, wie weit die Gesetzeslage den komplexen technischen Entwicklungen hinterher hinkt. Ob wünschenswert wäre, dass es sie nicht täte, bleibt eine der außerordentlich schwierig zu beantwortenden Fragen.
[+++] Wohin die konkrete Entwicklung gerade u.a. führte, meldet eine Zeitung aus Berlin:
"RTL bestätigte telefonisch gegenüber dem Tagesspiegel, dass sich der Sender die Rechte an der Geschichte der drei syrischen Männer vertraglich gesichert hat, die den mutmaßlichen Terroristen Jaber Albakr am Sonntag Abend der Polizei in Leipzig übergaben. Im Laufe des Mittwochs wurden dann jedoch Anschuldigungen durch den Terrorverdächtigen öffentlich, bei den drei Syrern handele es sich ebenfalls um Terroristen. RTL informierte die Ermittlungsbehörden schon vor Aufkommen des Verdachts über den bestehenden Kontakt und den Aufenthaltsort ..."
Zweifellos ist es für alle schwer, mit all den Echtzeit-Entwicklungen und der auf allen Endgeräten zusammenwachsenden Medien-Konkurrrenz zurechtzukommen. Aber vieles scheint doch irrer zu sein als es sein müsste.
[+++] "Wie kann man zum Beispiel als aufrechter Neonazi hauptsächlich Facebook, ein amerikanisches soziales Netzwerk, dessen CEO aus jüdischem Elternhaus stammt, für seine Fankommunikation verwenden?"
Diese Frage klingt etwas naiv. Schließlich ist Facebook der global führende Akteur der Entkontextualierung, die ja nicht bedeutet, dass etwas kontextlos dasteht, sondern immer in Kontexten erscheint, die einem selbst gefallen. Schließlich bietet es tolle Angebote, z.B. die gute Datenverschlüsselung von Whatsapp (außer natürlich gegenüber Facebook), die auch islamistische Terroristen gerne nutzen. Die Frage steht jedoch in einem klugen Text, den Shahak Shapira fürs deutsche vice.com geschrieben hat. Shapira nennt sich darin selbst "Quoten-Jude der Herzen". Was er damit meint, zeigt die darin verlinkte Webseite für sein Rowohlt-Buch schön.
Gerade war er wohl wegen des Buches gemeinsam mit weiteren Gästen bei einem Radiosender, Kiss FM (von Frank Otto betrieben), eingeladen. Zu den weiteren Gästen gehörte,
"wie ich erst wenige Stunden vor der Sendung erfuhr, der Neonazi-Rapper MaKss Damage ... Dass der Neonazi ebenfalls unter den Gästen war, fand ich ganz zufällig heraus, nachdem ich über einen Artikel auf die Facebook-Seite des Rappers gelangt war."
Shapak schildert dann im flotten Vice-Stil, was für Texte dieser "MaKss Damage" so rappt, wie "die äußerst interessante PR-Strategie des Rappers" aussieht und wie der gemeinsame Radio-Auftritt verlief:
"Anstatt mich aber wie abgemacht einfach dazuzuschalten, fragten die Moderatoren MaKss Damage, ob er zu einem Gespräch mit einem willkürlichen Anrufer bereit wäre - nicht, dass sich der Neonazi noch unwohl fühlt! Doch plötzlich bekam der Mann, der soeben erklärte, er würde mit JEDEM sprechen, kalte Füße ..."
Dass dieser "MaKss Damage" dieselbe Sache selber anders schildert, erwähnt Shapira, ironisch (er "feiert mit seinen Kameraden, sein inhaltsleeres Interview bei der Lügenpresse durchgezogen, ohne sich dabei völlig blamiert zu haben, wie eine Goldmedaille bei den Special Olympics"), ebenfalls.
Um Vice wiederum geht es in einem aktuellen Die Zeit-Interview (59 Cent bei Blendle; Gratis-Vorabmeldung), in dem dessen Chef Shane Smith nicht nur ankündigt, "innerhalb der nächsten zwölf Monate einen eigenen Fernsehsender in Deutschland" zu starten, sondern mit der fröhlichen Provokantheit, die Vices Markenzeichen ist, seine Sicht des Prinzips schildert:
"Das Traurige an der amerikanischen Politik derzeit ist: Die Kampagne der Präsidentschaftsbewerber ist so verrückt, seltsam und streitsüchtig, dass es guter Stoff ist. Und Trump ist so verrückt, dass daraus gutes Fernsehen entsteht. Das ist auch das Problem mit dem IS. Er ist eine der stärksten Marken der Welt."
In der Welt der stärksten Marken ist es natürlich auch kein Problem, wenn der Disney-Konzern, dessen größtes Geschäftsfeld ungefähr darin besteht, Zeichentrick-Tiere an Fastfood-Ketten zu lizensieren, bereits einen 18-Prozent-Anteil an Vice hält, in dessen deutschem Portal neben interessanten Texten wie dem verlinkten immer auch Schlagzeilen wie "32-Jähriger schneidet totem Freund im Suff den Penis ab" auftauchen, vor denen es Disney früher gegruselt hätte.
[+++] Zurück dahin, wo's übersichtlich ist. Bei ihrer Presseveranstaltung am Dienstag hatte Bertelsmanns Fernsehproduktionsfirma UFA viele neue Projekte angekündigt, über einiges (die 2012 bis 2015 geplante Hitler-Serie; Altpapier gestern) erst mal nichts gesagt und über die einzige ambitionierte Fernsehserie, an der sie in einem fortgeschrittenen Stadium arbeitet, so gut wie nichts. Die Fortsetzung der häufig gelobten RTL-Serie "Deutschland 83" gemeinsam mit Amazon als neuem Partner, von der dwdl.de im August erfahren hatte, wurde wie nebenbei erwähnt, weil noch nicht nicht alles völlig klar sei bzw. weil ...
... die Sache heute groß simultan auf den Medienseiten von FAZ und SZ, den größten Nichtboulevard-Tageszeitungen, erscheinen sollte.
Auf der FAZ-Medienseite herrscht entsprechend großes Getöse ("Erleben wir eine Wachablösung im Fernsehen?", fragt Michael Hanfeld im Vorspann; "kein Wunder, dass der Ufa-Chef Nico Hofmann von einem 'Game Changer' spricht", sowie von einem "Meilenstein in der Geschichte der Koproduktionen" undsoweiter).
In der SZ kommt mit Produzent und Autor Jörg Winger zwar auch ein relativ begeisterter Ufa-Vertreter zu Wort ("Wir machen zum ersten Mal aus Deutschland heraus eine Serie für die ganze Welt. Da ... stellt sich schon ein gewisses Hollywoodgefühl ein"). Aber da die SZ-Medienseite schon länger mindestens so viele Netflix- und Amazon-Serien bespricht wie klassischen Fernsehstoff sieht's Katharina Riehl gelassener. Den Unterschied zwischen Fernsehsendern, die Einschaltquoten brauchen oder wollen (und im Falle RTLs mit "Deutschland 83" nicht bekamen) und Amazon benennt sie so:
"Amazon aber will keine Quote, Amazon will Abonnenten für sein Prime-Angebot, das auch kostenlos Socken nach Hause liefert. Dort setzt man auf bekannte Namen und (wie in diesem Fall) bekannte Marken – und lässt den Machern sonst völlig freie Hand.
...
Ein deutscher Sender, das wird klar, auch wenn natürlich niemand das so sagen will, wird niemals solche Arbeitsbedingungen für Kreative bieten. Und darf sich daher auch nicht beschweren, wenn die wirklich spannenden Projekte von den Sockenhändlern aus Seattle realisiert werden."
+++ "Zusammenhängende Sätze mit echtem Informationsgehalt werden im Heft so sparsam eingesetzt wie ausgefallene Accessoires": Da vernichtet Katharina Pfannkuch (auch SZ), die neue Funke-Zeitschrift namens Selfie's (siehe Altpapierkorb letzte Woche). +++ Außerdem eine kleine Variation auf der SZ-Medienseite: Statt über eine neue Netflix-Serie wird über eine alte, "House of Cards", im Iran berichtet. +++
+++ Auch aufschlussreich: wie der französische Satellitenbetreiber Eutelsat beschloss, den in einem Vorort von Stockholm ansässigen kurdisch- und persischsprachigen Fernsehsender Newroz nicht mehr auszustrahlen. "Die Ausstrahlung erfolgt weltweit mit Schwerpunkt auf Europa und Asien ... Die Aussetzung der Ausstrahlung sei aufgrund einer Mitteilung der türkischen Medienaufsicht RTÜK erfolgt, der Sender habe sich nicht an die vertraglichen Vereinbarungen mit Eutelsat und nicht an den Rahmen des Europäischen Übereinkommens über grenzüberschreitendes Fernsehen gehalten", berichtet Reinhard Wolff in der TAZ. +++
+++ Anzeichen verdichten sich, dass die nächste Zeitungsverlag-Krise die DuMont-Zeitungsgruppen betreffen wird. "Wie es aus Unternehmenskreisen heißt, plane die Geschäftsführung, ihre Ergebnisse und Schlussfolgerungen für die Zukunft des gesamten Unternehmens ab Ende Oktober zu kommunizieren. Dem Vernehmen nach wird der Berliner Verlag den Anfang machen" hat meedia.de in seinen Bericht über die vorab bekannt gewordene Entlassungsaktion bei der Hamburger Morgenpost unten eingefügt. Siehe auch kress.de ("... Das Projekt 'Agile Redaktion' sei eine Reaktion auf die 'Erosion unseres alten Geschäftsmodells' und diene der "Transformation der Marke, um den Herausforderungen des digitalen Wandels ... ..."). +++
+++ Georg Mascolo würde sich "in Deutschland eine Medienkritik auf einem ähnlich hohen intellektuellen Niveau wie in den USA wünschen", und Stefan Niggemeier forderte "mehr Nüchternheit in den Medien": Vom Evangelischen Medienkongress in Hamburg wird hier nebenan berichtet. +++ Bei derselben Gelegenheit wurden die Robert-Geisendörfer-Preise der EKD verliehen, u.a. an Dunya Hayali, deren Leidenschaftlichkeit wiederum Mascolo lobte. +++
+++ Die FAZ-Medienseite berichtet über die Entführung und Folterung des südsudanischen Reporters Malek Bol (siehe auch reporter-ohne-grenzen.de). +++ Sowie über den US-amerikanischen Wahlkampf "... dass das demokratische Wahlkampflager sich offenbar inzwischen verstärkt bemüht, in ihrem Votum noch unsichere Wähler mit Hilfe digitaler Assistenten zu mobilisieren. Das geschieht nicht mit der Überzeugungskraft des politischen Arguments, sondern unter Ausnutzung psychologischer Schwächen: ein Schubs in die richtige Richtung – im Digitaljargon: Nudging – soll es richten. Und das ist nur ein Baustein eines technisierten Wahlkampfs, in dem der Wähler zunehmend nicht mehr weiß, ob ein Mensch oder eine Maschine zu ihm spricht". Das findet Adrian Lobe "ein gefährliches Spiel, bei dem am Ende alle verlieren könnten". +++
+++ War Jan Böhmermanns "Wetten, dass..?"-Variation eine "Verarsche-Show" oder nicht? Die Meinungen differieren. +++
+++ "Die Stimmung war trotzdem nicht übel, obgleich [Markus] Peichl insgeheim gehofft hatte, den Gästen würde der Abend nicht gefallen ..." (Ulrike Simon in ihrer RND-Madsack-Medienkolumne über die Lead-Awards-Feierlichkeit). +++
+++ Marc Jan Eumann, Nordrhein-Westfaliens Medienstaatssekretär, hat neulich noch mal den Evergreen von der Werbezeit-Reduzierung bei ARD und ZDF aufgeführt, und zwar beim "Medientreff NRW" in Bad Honnef (Medienkorrespondenz). +++
+++ "Innovation fällt nicht vom Himmel. Das ist etwas, was bei uns gut organisiert ist" (Frank Beckmann, NDR-Programmdirektor, im großen dwdl.de-Interview). "... Und wir freuen uns auf eine neue Gameshow mit zwei prominenten Hosts. Sie erfinden Geschichten zu ungewöhnlichen Kandidaten und ein Panel muss erraten, welche wahr und welche erfunden ist. Das kommt von Beckground", bei der es sich um Reinhold Beckmanns Produktionsfirma handelt. +++
+++ Sieht so aus, als würde der journalist, die Mitgliederzeitschrift der Journalistengewerkschaft DJV demnächst wieder erscheinen. Womöglich doppelt. +++
+++ Und was Heißes zum Fernsehspocht noch im Tagesspiegel (unten in der Erörterung zur Zukunft der RBB-Sport-Fernsehsendung): "Die ARD, so heißt es, prüft nun doch die Platzierung einer 'Sportschau' am Sonntagabend, ab der Saison 2017/18. Da sind die teuren Sportrechte auch besser aufgehoben. Es wäre ein ähnlich starker Aufschlag wie am Samstag im Ersten ab 18 Uhr 30. Fragt sich nur, wann? 'Tatort' und 'Anne Will' bis 22 Uhr 45 sind gesetzt ..." +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.