Das Feuilleton zählte in der goldenen Zeit der gedruckten Presse zu den allerrenommiertesten Ressorts. Mit dem Aufstieg des Internets hat sich das relativiert. Auf Startseiten reichweitenstarker Portale kann das Ressort "Kultur", selbst wenn die Fernsehkritiken enthalten sind, schon mal unterhalb des Auto-Subressorts "Fahrkultur" auftauchen ... Was derzeit in den Feuilletons steht, wirkt selten übers Feuilleton hinaus.
Aber in dieser Woche ist das einem Coup/ Scoop gelungen, der durch seine Umstrittenheit breite Wellen schlug. Die von vier internationalen Zeitungen, darunter deutscherseits der FAS, publizierte Enthüllung der Idenitität des Schriftstellerin-Pseudonyms Elena Ferrante erregte vor allem viel Kritik (siehe Altpapierkorb vom Dienstag, AP vom Mittwoch sowie perlentaucher.de).
Heute hat das Feuilleton der Süddeutschen den dabei ausdrücklich, online oft harsch, attackierten Investigativjournalisten interviewt. Claudio Gatti erklärt seine Haltung, keine Zeile zu bereuen (wobei gesagt werden muss, dass das der Wortlaut der letzten Frage des Interviewers Lukas Latz ist), einerseits mit Argumenten, die sich auf Ferrantes Werk beziehen. "Die allererste Person, die Elena Ferrantes Privatsphäre verletzt hat, war Elena Ferrante selbst. Sie schrieb das Buch, das in diesem November mit dem Titel 'Fragments' in den USA erscheint. Es enthält Interviews mit ihr und einen vermeintlich autobiografischen Essay: dass sie die Tochter eines Schneiders ist und drei Geschwister hat ... Nichts davon ist wahr. Man kann nicht absoluten Schutz der eigenen Privatsphäre verlangen und zugleich mit Falschinformationen Spekulationen über die eigene Biografie Nahrung geben", sagt er etwa.
Das müssen Kenner dieses Werks beurteilen, zu denen ich nicht gehöre. Das Altpapier ist ja keine Feuilleton-Kolumne. Andererseits führt Gatti aber auch ein Argument an, das unbedingt in eine Medienkolumne gehört:
"Ich habe in meiner Karriere viele gewichtige Investigativgeschichten gemacht. Die Ironie daran ist, dass nichts davon jemanden so interessiert hat wie jetzt die Ferrante-Geschichte. Ich habe eine große Geschichte darüber gemacht, wer den Menschenhandel zwischen Afrika und Europa kontrolliert. Ich habe Namen von Verbrechern enthüllt. Ich habe mit Drohnen gemachte Aufnahmen, wie Menschen in Libyen auf Schiffe gepackt werden. Ich habe darüber geschrieben, wie Shell einen nigerianischen Ölminister bestochen hat. Niemanden hat das je interessiert. Diese Recherchen hatten nie irgendwelche Konsequenzen."
Das ist Argument, das im Gedächtnis bleiben sollte, was immer man sonst von Gattis meist interessierender Recherche hält: Investigativjournalismus gibt es relativ viel, schon deshalb, weil das Präfix "Investigativ-" einen guten Klang hat (so wie "Qualitäts-", aber viel weniger verbraucht ist). Doch dass Investigativjournalismus grundsätzlich wahrgenommen wird und automatisch die verdiente Aufmerksamkeit erhält, bedeutet das überhaupt nicht.
Das Interview kostet bei Blendle 79 Cent und ist auch sonst lesenswert.
[+++] Gleich noch eine Schriftstellerinnen-Privatsphäre ist Thema der SZ, weiter hinten auf der Medienseite und frei online.
Für Anne Gesthuysens Roman "Wir sind doch Schwestern" waren bereits Verfilmungs-Arbeiten durch Star-Produzent Nico Hofmann angelaufen. "Dann aber gab es juristischen Ärger", und zwar mit einer Verwandten der Autorin, "die allgemeine Persönlichkeitsrechte verletzt sah". Nun ist er beigelegt (der Ärger, nicht der Film).
Wer diesen Roman gelesen hat, dürfte die im Artikel bemerkenswert zurückhaltend beschriebenen Verwicklungen wohl etwas besser verstehen. Dennoch bleibt rätselhaft, warum die SZ zwar erwähnt, dass Gesthuysen "bis Ende 2014 Moderatorin des ARD-Morgenmagazins" war, aber überhaupt nicht, dass sie weiterhin eine sehr präsente ARD-Nase ist und gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem ARD-Talker Frank Plasberg, regelmäßig in der von diesem produzierten ARD-Show "Paarduell" auftritt. Dass die ARD gerne auch noch die Romane ihrer Quizshow-Protagonisten verfilmen lässt, wäre als Medienseiten-Thema mindestens so interessant.
[+++] Joachim Fest war eine der großen Persönlichkeiten aus der großen Zeit des Feuilletons. Sein als ungefähr das Gegenteil eines Feuilletonisten, als Bild-Zeitungs-Mitarbeiter bekannt gewordener Sohn Nicolaus, ist gestern der AfD beigetreten. Das war, vielleicht gegen den Willen der AfD, vielleicht gerade nicht, schon vorab bekannt geworden (Altpapier gestern).
Die Pressekonferenz war daher gut besucht. Nicolaus Fest zitierte zwar sowohl Antonio Gramsci als auch Ludwig Börne, wird aber wohl nicht "Der AfD-Intellektuelle", als den Alan Posener (welt.de) ihn eher scherzhaft bezeichnet. Sondern ein "weiterer Scharfmacher" (zeit.de) bzw. sogar "der neue Hassprediger" (René Pfister in seinem SPON-"Morning Briefing"). Gleich sein erster Partei-Presseauftritt drohte "aus dem Ruder zu laufen" (auch SPON, anderer Artikel) und brachte "die AfD in die Klemme" (Tagesspiegel). Und Fest würde wohl gerne in den Bundestag gewählt werden (Berliner Zeitung) ...
Falls eine Empfehlung gewünscht ist: Den TAZ-Kommentar "Der verlorene Sohn" sowie Poseners welt.de Artikel lohnen zu lesen, auch wegen des darin eingebundenen Video-Ausschnitts aus der PK ("Vielleicht haben Sie das Buch meines Vaters gelesen. Ich nicht ..."). Und falls dieses Video zwischendurch von von gefälliger Popmusik untermalter Familienauto-Werbung unterbrochen wird, ist das ja ebenfalls aufschlussreich für die Medien-Gegenwart.
[+++] Stern.de zählt nicht zu den allerrenommiertesten Nachrichtenportalen, sondern legt eher das in den letzten Jahrzehnten ohnehin verblassende Renommee der namensgebenden Illustrierten immer noch etwas tiefer. Aber an diesem Freitag verdient stern.de geklickt zu werden. Unbedingt. Sofern Sie auf der Startseite bleiben, werden Ihnen nicht acht "Die Höhle der Löwen"-Artikel begegnen wie neulich mal (Altpapier), und auch nicht, was sonst dort zirkuliert. Sondern ausschließlich Fotos aus Aleppo.
"... stern.de wird heute den ganzen Tag still sein. Keine Nachrichten, keine Werbung, keine Breaking News. Nur Bilder. Aus Aleppo und Syrien. Keine Schockfotos. Keine blutverschmierten Kinder. Sondern der traurige Alltag.
Heute geht es nicht um Reichweite, Klicks und effiziente Vermarktung. Heute geht es uns darum, ein Zeichen zu setzen. Stumm. Und so der unerträglichen Sprachlosigkeit entgegenzubrüllen – indem wir sie einfach einmal zulassen",
heißt es auf der Startseite in einem aller Ehren werten Text unter der Überschrift "Wir schweigen heute".
+++ In der Augsburger Allgemeinen gibt's ein kleines Proseminar über die Unterschiede zwischen zivilrechtlichen und strafrechtlichen Vorgängen anhand des noch keineswegs abgeschlossenen Falls bzw. der noch keineswegs abgeschlossenen Böhmermann-Fälle. "Es ist eben nicht das gleiche, wenn zwei dasselbe sagen", sagt der Jurist und Journalist Thomas Becker am Donnerstag dem EPD unter anderem. +++
+++ Gestern wurde in Hamburg der Deutsche Radiopreis vergeben. "Besonders Stargast Sting sorgt bei der Show für viele glückliche Gesichter", steht weit oben auf dem Portal deutscher-radiopreis.de, das der NDR extra eingerichtet hat. +++
+++ Schön international heute ist die FAZ-Medienseite. Es geht erstens um den polnischen Spielfilm "Smolensk" über den Flugzeugabsturz im Jahr 2010, bei dem 96 Menschen, darunter der damalige Präsident Lech Kaczynski, starben. Regisseur Antoni Krauze "charakterisiert seine Figuren so eindeutig als gut oder böse, als wär’s ein Klassiker des sozialistischen Realismus. Jede Entwicklung der Charaktere fehlt". +++ Zweitens geht es um den Prix Italia, der gerade auf Lampedusa stattfand. +++ Und drittens um die Verurteilung des britischen Reporters Mazher Mahmood: Sie "beendet nicht nur eine fast dreißig Jahre währende Karriere als berühmt-berüchtigter Investigativjournalist. Nach Ansicht von Anwälten drohen seinem Arbeitgeber News UK, der zu Rupert Murdochs Medienimperium zählt, nun Klagen der Opfer Mahmoods auf Entschädigung von achthundert Millionen Pfund". +++
+++ "Nirgendwo sonst im deutschsprachigen Internet können Sie sich so gründlich über das Tagesgeschehen informieren. Damit wir das Angebot auch in den kommenden Jahren aufrechterhalten und sogar ausbauen können, zählen wir auf Ihre Bereitschaft, sich an den Kosten für dieses so außergewöhnliche journalistische Angebot zu beteiligen", schreibt Mathias Müller von Blumencron zur Eröffnung einer "neuen Premiumsektion", also eines weiteren irgendwie kostenpflichtigen FAZ-Online-Angebots. +++
+++ "Vorgänger erweisen sich in der Regel als hervorragende Quellen, um zu erfahren, was der Nachfolger falsch macht", berichtet Ulrike Simon in ihrer Madsack-RND-Kolumne aus ihrem Erfahrungsschatz. Dabei hätte manche Vorgänger eine Neigung zu "schlechtem Stil". Als Beispiel nennt sie, "was Ernst Elitz kürzlich tat" (gegenüber dem Tagesspiegel; siehe Altpapier). +++ Simon selbst hat wohl nicht Vorgängerin Dagmar Reim gefragt, was sie vom von Patricia Schlesinger beschlossenen Aus für Max Moor und Bettina Rust beim RBB-Fernsehen hält. Dafür zitiert sie in der MAZ die Nachfolgerin als RBB-Intendantin mit "Das sei wie an einem Bahnhof, wenn ein Zug abfährt: 'Ein paar werden am Bahnsteig stehen bleiben'. Und was dann? Dann geht es an die Strukturen, was wohl bedeutet: Dann fallen Personalentscheidungen." +++
+++ "Wir brauchen einen Martin Luther der Internetära" (Jeff Jarvis in der Welt bzw. in einer ursprünglich fürs ebenfalls von Springer produzierte Zuschauer-Print-Magazin des öffentlich-rechtlichen Kultursenders Arte verfassten Kolumne). +++
+++ Auf der SZ-Medienseite geht es, unfrei online, in einem schön überdrehten Titus-Arnu-Text ("Merke: Gutes Rad ist teuer, gutes Radmagazin auch") um "Radl-Magazine", d.h. Fahrrad-Zeitschriften. +++ Und Silke Burmester macht auf "Panorama - Die Show" mit dem aus dem Iran stammenden Moderator Michel Abdollahi um Mitternacht im NDR-Fernsehen aufmerksam. +++
+++ Bei uebermedien.de erzählt Boris Rosenkranz allerlei über die von den, nun ja, Volksparteien geführten "Freundeskreise" in den Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Gewährspersonen sind ZDF-Altintendant Dieter Stolte bzw. ein älteres Buch desselben sowie das aktuelle Fernsehrats-Mitglied Leonhard Dobusch, das bei netzpolitik.org so transparent wie halt möglich berichtet. +++
+++ Constantin Seibt und ungenannte Mitstreiter glauben unter project-r.construction, "dass auch im Journalismus die Zeit für eine kleine Rebellion gekommen ist" und laden ein, E-Mail-Adressen zu hinterlassen (NZZ). +++
+++ Dass "das Thema Armut zu wenig Raum in den Medien hat", schrieb Thomas Leif kürzlich schon mal im Freitag (Altpapier) und schreibt es ähnlich nun auch in einem "Kress-Essay" (kress.de), der wiederum auf seinen SWR-Film "Leif trifft arme Rentner - Kein Wohlstand mehr im Ruhestand?" am 12. Oktober aufmerksam macht. +++
+++ Und ein Ultra-HD-Fernseher mit "einer Mindestauflösung von acht Millionen Pixeln" sei "momentan noch für wenige Zuschauer sinnvoll", glaubt der Tagesspiegel. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.