Niemals zu den Bayern gehen

Niemals zu den Bayern gehen
Das gibt's selten: eine Überraschung im erschöpfenden Medien-Bohei rund um den deutschen Fußball-Rekordmeister. Alles zur kleinen Sensation im Dritten Programm des Bayerischen Fernsehens. Außerdem: Die neue EU-"Kulturprotektionismus"-Debatte läuft an (bzw. ist die erste Lobby hellwach). Und "Jamie-Lee konnte nicht zeigen, wie gut sie tanzen kann".

Der Fußball-Bundesliga-Verein FC Bayern München ist für Überraschungen eigentlich gerade gar nicht bekannt. Er wird so verlässlich Deutscher Meister, dass sich eventuelle Spannung, was ihn selbst betrifft, an den letzten Spieltagen allenfalls auf die Frage nach dem Torjägerkanonen-Gewinner konzentriert. Und das DFB-Pokal-Finale gewinnt er, auch wenn es dabei turnierregelngemäß etwas spannender zugehen mag, ungefähr so verlässlich, wie er andererseits dafür sorgt, dass die deutsche Vereinsfußball-Fernsehsaison vorm Champions-League-Finale vorbei ist. Wobei diese Bayern natürlich ziemlich zuverlässig garantieren, dass öffentlich-rechtliche Sender, die viele Millionen Euro Rundfunkbeiträge ins Ersteigern der teuren Fernsehrechte auch noch an diesem Wettbewerb investiert haben, bis zum Halbfinale auf ihre Quoten kommen.

Jetzt aber hat der FC Bayern für eine Überraschung gesorgt. Oder war's der Bayerische Rundfunk, der unter allen ARD-Anstalten vielleicht am allerwenigsten dafür bekannt ist, Respekts-Institutionen des von ihm bespielten Bundeslands wie, nur zum Beispiel, der CSU und dem FCB, kritisch zu begegnen?

Jedenfalls hätten am gestrigen Sonntag nach dem DFB-Pokal-Gewinn die "Double-Feierlichkeiten" (fcbayern.de) im Dritten Programm des BR übertragen werden sollen. Programmgemäß hätte damit "eigentlich .... Moderator Markus Othmer ab 14:45 Uhr gemeinsam mit den Kommentatoren Thomas Hitzlsperger und Bernd Schmelzer im BR Fernsehen auf Sendung gehen" sollen (dwdl.de). Doch war irgendjemand aus der prominenten Chefetage des Vereins auf die Idee gekommen, den Bayerischen Rundfunk zu bitten,

"sich an den Kosten - überwiegend für Sicherheit - in Höhe von etwa 300.000 Euro zu beteiligen" (fcbayern.de noch mal).

Das aber war, teilte der BR via Twitter mit, nachdem er nett gratuliert hat,

"eine kurzfristige finanzielle Forderung des FC Bayern München, die der Bayerische Rundfunk nicht erfüllen konnte"

So wurde im BR-Fernsehen

"stattdessen ... das reguläre Programm, das 'Tiere vor der Kamera' sowie das Magazin 'weiß blau' umfasst, gesendet" (dwdl.de noch mal).

Vermutlich hatte der BR dieses Programm für den theoretisch denkbaren Fall vorbereitet, dass die andere Mannschaft den DFB-Pokal gewonnen hätte. Schließlich sind "Double-Feierlichkeiten" ja keine "Meisterfeier". Die hatte bereits am Sonntag zuvor stattgefunden, und der BR hatte sie, ebenfalls von Markus Othmer und dem "BR-Fußballexperten" Thomas Hitzlsperger moderiert, übertragen. Immerhin 27 Minuten davon sind noch in der Mediathek zu haben.

Diese Übertragung war für den BR, was die Veranstalterrechte betrifft, "noch kostenlos" gewesen, weiß die Süddeutsche Zeitung aus München, durch die sich heute, vom Foto auf der Titelseite  ("Glänzendes Finale") über die renommierte Seite-drei-Reportage ("Die Tränen von Berlin beweisen: Pep Guardiola ist eine 'hoch komplexe Einrichtung'. Ein Abschied, eine Prognose") bis hin zum Sportressort natürlich auch viel FC-Bayern-Jubel zieht, in ihrem München/ Bayern-Ressort unter der Überschrift "Fan-Gesänge und ein Missklang" (frei online ähnlich). Dort gibt's auch ein paar weitere Orts- und Zahlen-Details:

"Konkret fragte der Verein bei dem öffentlich-rechtlichen Sender Ende der vergangenen Woche an, ob er sich mit 150.000 Euro an der Feier beteiligen würde. Insgesamt entstünden für den Verein Kosten in Höhe von etwa 300.000 Euro, ungefähr 75 Prozent davon für die Sicherheit. Das wollten die Bayern nicht zum zweiten Mal kurz hintereinander alleine tragen, daher also die Anfrage. Der Sender habe dies unmissverständlich ausgeschlossen – auch aus rechtlichen Gründen, weil Beitragsgeld nicht für solche Zwecke verwendet werden dürfe ..."

Was in diesem Artikel fehlt, aber die DPA am Ende ihrer Meldung (horizont.net) anfügt: Womöglich hatte die Stadt München "wegen der Kurzfristigkeit der ... Feier ... eine Beteiligung des Vereins an den Kosten" haben wollen, nachdem sie ihren Rathausbalkon in der Vorwoche noch gratis zur Verfügung gestellt hatte. Womöglich wollte der FC Bayern dann zumindest zum Teil dieser Ausgaben wieder beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen reinholen.

Die SZ-Reporter Nina Bovensiepen und Philipp Crone schildern in ihrem Artikel lieber noch exemplarisch, was den BR-Fernsehzuschauern entging:

"... Der Trainer schüttelte nur den Kopf, als Lewandowski zum Refrain seines Songs 'Robert, Robert, Robert' den Pokal umtanzte, als sei es eine Pole-Dance-Stange. Als dann Karl-Heinz Rummenigge das Kunststück fertig brachte, beim Geburtstagssong für Vidal nicht einen Ton zu treffen ..."

undsoweiter. Wobei das allein solchen Zuschauern entging, die den BR einschalteten. Denn natürlich muss ein von vielen Sponsoren unterstützter Verein wie der FC Bayern schon aus Umwegrentabilitätssgründen dafür sorgen, dass solche Veranstaltungen ein breites Publikum finden. Deswegen hatte er "sich mit dem Sender Sport 1 über Live-Bilder vom Rathaus verständigt" (fcbayern.de). Und dieser scharf rechnende Sender des kleinen deutschen Medienkonzerns Constantin bekam die Übertragungsrechte "umsonst" (Süddeutsche).  

Überdies war "über die Online-Plattformen des FCB (Youtube, Facebook) und über diverse Drittanbieter sicher gestellt, dass die gesamte Double-Feier umfassend live ausgestrahlt wird" (fcbayern.de noch mal), womit der Verein bewiesen hat, "dass er TV-Sender eigentlich gar nicht braucht" (turi2.de).

Wobei der Trikotsponsor des Vereins ja ein Anbieter von Telekomdienstleistungen ist, der auch Bewegtbild-Übertragungen stemmt und das (eigentlich kostenpflichtige, durchaus aber "Free-Videos" wie "News: Schampus! Müller! Double-Sause!" enthaltende) fcb.tv unterstützt ...

Wichtig ist an dieser Stelle natürlich noch, was Medien dazu meinen, die der FC Bayern vermutlich weiterhin braucht. Schalten wir also zur Bild-Zeitung:

"Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge: 'Das Statement des BR hat mich sehr verwundert. Die Veranstaltung kostet nun einmal viel Geld.' Zu sehen war Peps Party trotzdem. Mehrere Privatsender und auch BILD.de zeigten sie live. Dafür verlangten die Bayern kein Geld."

Zwischenbilanz: Offenbar hat ein Fußballverein, der die Globalisierung erfolgreich managt und ein (gar nicht mal knappes, aber) begehrtes Gut zu verkaufen hat, versucht, beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen als zuverlässigem Goldesel kurzfristig noch etwas mehr rauszuschlagen als er sowieso erhält. Gut und überraschend, dass ausgerechnet der Bayerische Rundfunk, der dem Verein und dessen Inszenierungen generell keineswegs kritisch gegenübersteht und der in anderen brisanten Zusammenhängen (etwa, was seine Radioprogramme betrifft) derzeit anfechtbar agiert, ebenfalls kurzfristig darauf nicht eingegangen ist. Über dieses Thema wird zweifellos noch diskutiert werden - zumal in Kürze ja ein Fußnallnationalmannschaften-Wettbewerb bevorsteht, der wiederum im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen wird und im Rahmenprogramm gewiss wieder ausführlich bequatscht werden dürfte.

(Und falls Sie statt "News: Schampus! Müller! Double-Sause!" lieber das Tote-Hosen-Lied über Bayern München hören und sehen wollen, das auch die Überschrift spendete: hier, bei Youtube).
 


Altpapierkorb

+++ "Das Lied ist weder die große gefühlsbeladene Ballade noch die mitreißende Uptempo-Nummer, Jamie-Lee konnte nicht zeigen, wie gut sie tanzen kann, und aus meiner Sicht wurde international nicht verstanden, warum Deutschland mit einem Manga-Mädchen antritt. In Deutschland war das anders: Während der Staffel 'The Voice of Germany' wurde deutlich, dass Jamie-Lees Manga-Stil total authentisch ist. Aber das konnten wir international nicht transportieren": Man muss kein Schlager- oder Pop-Experte sein, um zu erkennen, dass da ein absoluter Experte, wie heißt das? Klartext spricht. Thomas Schreiber, den noch am Donnerstag hier vermissten ARD-Unterhaltungskoordinator und damit ESC-Verantwortlichen, für ein ausführliches Interview zu gewinnen, ist Imre Grimm von den Madsack-Zeitungen (HAZ) gelungen. Hier fasst Madsacks RND das "Reformkonzept" als exklusive News zusammen. +++

+++ Was immer sich dem ESC-Wettbewerb vorwerfen lässt: Die Quote europäischer Produktionen ist fast so hoch wie in der Champions League. Die am Freitag hier erwähnten Pläne der EU-Kommission für eine Europa-Quote im Angebot von Videoanbietern wie Netflix bzw. für "Kulturprotektionismus" (Christian Lindner, FDP) hat ursprünglich wohl euractiv.com "geleakt" (und stellt das Papier hier als PDF zur Verfügung). Dieses Euractiv ist nach eigenen Angaben "das führende Medium zur Europapolitik", blendet weiter unten Sponsorenlogos u.a. des (auch im Fußball engagierten) Bayer-Konzerns ein und hat wg. der Europaquote beim Vizepräsidenten des Brüsseler Büros vom CCIA-Handelsverband angefragt: "Die Idee kultureller Quoten ist überholt und liegt im 21. Jahrhundert nicht mehr im Interesse der Kunden. Es hilft weder den Internet- noch Inhaltsinnovatoren", "betont" James Waterworth. Und wtf ist die CCIA? Die Computer and Communications Industry Association, in der alle großen kalifornischen Near-by-Monopolisten Mitglieder sind, aber z.B. auch Samsung. Während hierzulande die Debatte laangsam und kontrovers anläuft, sind die US-amerikanisch geprägten Lobbys also schon voll auf Draht. Und wer weiß, was zu diesem Thema so bei den TTIP-Verhandlungen diskutiert wird? +++ "Die EU will Netflix eine Europa-Quote aufzwingen" leitete auch Jürg Altwegg, der für Frankreich zuständige FAZ-Korrespondent, seine Besprechung der ersten europäischen Netflix-Produktion "Marseille" sowie der französischen Reaktionen darauf ein: "Frankreich, das Land des Films, hatte die neue Ära der Fernsehserien verschlafen. Inzwischen fällt die Bestandsaufnahme nicht mehr so düster aus. Noch nie aber ist eine aufwendige Produktion so einmütig in Bausch und Bogen verdammt und mit Spott und Hohn eingedeckt worden ...". +++

+++ Auf der SZ-Medienseite erklärt David Denk, dass nicht nur deswegen so viele in deutschen Vergangenheiten spielende TV-Filme in Tschechien produziert werden, weil Städte und Dörfer dort ähnlich wie hier, aber älter aussehen und es nahe liegt. Es hat auch damit zu tun, dass "seit 2010 ... der sogenannte Staatsfonds für Kinematografie 20 Prozent der in Tschechien anfallenden Herstellungskosten an die Filmemacher" zurückzahlt. Was Nico Hofmann dazu sagt, steht ebenfalls im Artikel. +++ Was Hofmann auch immer sagt ("Das hätte es doch vor fünf Jahren nicht gegeben. Die Sender sind stärker bereit, mutiger, radikaler Programm zu machen") sagte nun Oliver Berben dem Tagesspiegel. Der Produzent ist mit ARD und ZDF enorm zufrieden. +++

+++ Außerdem stellt die SZ Kater Demos vor, ein neues "utopisches Politikmagazin" ("Manche der etwas zu zahlreichen Essays klingen wie einem Uni-Reader entnommen"). +++ Sowie David Foster Wallaces "Unendlicher Spaß" als deutsches Hörspiel berichtet. +++ Indes mit John Dos Passos' "Manhattan Transfer" befasste sich die TAZ . +++

+++ "Für das Pressezentrum in der Wiener Hofburg waren am Wahlsonntag mehr als hundert ausländische Medienvertreter akkreditiert. Rund 30 Prozent der 560 ausgestellten Akkreditierungen entfielen auf internationale Medien, darunter die 'New York Times', Al Jazeera, die BBC sowie viele deutsche und italienische Medien, aber auch Zeitungen aus Japan" (Standard über die österreichische Präsidentenwahl). +++

+++ "Mit tänzerischer Eleganz filmisch erzählt, liegt eine elegische Stimmung in den Bildern, in den ungewöhnlichen Einstellungen, im Cinemascopeformat, in Zeitlupen und intensiven Blicken": Da beschreibt Heike Hupertz auf der FAZ-Medienseite das Kleine ZDF-Fernsehspiel "Die letzten Gigolos".  +++ In der FAS befasste sich Harald Staun mit jüngeren Glenn-Greenwald-Enthüllungen ("Nur die Klage, die man immer wieder in den Beiträgen der gestressten NSA-Mitarbeiter findet, kann man als Leser dieser Bulletins absolut nachvollziehen: wie schwer es ist, in der ganzen Datenflut irgendwelche interessanten Erkenntnisse zu finden"). +++  Von "einem bemerkenswerten Verfall publizistischer Sitten" schreibt Franz Sommerfeld, einst u.a. in führenden Positionen bei DuMont-Zeitungen, bei Carta. Damit meint er die FAS und deren Umgang mit Angela Merkel. +++

+++ Der Tagesspiegel würde schon jetzt gerne noch mehr über die deutsche Fernsehserie "Berlin Babylon" wissen, mit deren Dreh gerade begonnen wurde. +++

+++ Und gestorben ist Fanny Müller. Nachrufe und Ähnlichs gibt es allerhand, von titanic.de und konkret-magazin.de über TAZ bis SPON. +++ Doch nur Willi Winkler im SZ-Feuilleton scheint zu wissen, aus welcher ehemaligen Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten sie sich entwickelt hatte: "So gründlich gelang ihr der Wechsel von der Politik in die Kunst, dass Wikipedia sie bis heute unter beiden Namen führt, und die beiden Einträge nichts voneinander wissen". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.

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