Im konstruktivem Happy-Sound formuliert: Großartige Zeiten für echte Meinungsvielfalt herrschen gerade in der Medienmedien-Nische. So kontrovers leidenschaftlich über gleich mehrere Themen diskutieren lässt sich nicht oft.
Hat #Böhmi Recht mit seiner Meta-Schmähkritik an Erdogan/-wahn, hat es Merkel mit ihrer Böhmermann-Kritik? Beide Positionen sind mit jeweils vernünftigen Argumenten ohne Weiteres vertretbar, und die, dass beide Unrecht haben (weil Merkel in Medien-Dingen nun wirklich keine anderen Interessen verfolgt als ihre Macht zu sichern, und zwar erfolgreich; weil Böhmermann typisches deutsches Fernsehkabarett macht, allenfalls für Publikum, das eigentlich erst in ein bis anderthalb Jahrzehnten alt genug fürs ZDF sein wird ...) natürlich auch. Bevor Sie allerdings leichtfertig diese Haltung einnehmen: Achtung, Frank Überall, der omnipräsente DJV-Vorsitzende, hat bereits eine ähnliche formuliert (Deutschlandfunk-Interview, Schriftfassung).
Tagesaktuell instruktiv ist z.B. ein Edo Reents-Kommentar vorn auf dem FAZ-Feuilleton ("Man muss Böhmermann nicht mögen, aber ihn seine Arbeit machen lassen. Der Eifer, mit dem man ihm nun nachzuweisen versucht, dass er danebengegriffen hat, verrät eine irritierende Einigkeit und wird sonst (Mohammed-Karikaturen, Charlie Hebdo) darauf verwendet, die Pressefreiheit zu verteidigen, und zwar – das ist ja gerade ihr Witz – unabhängig von Geschmacksfragen"). Ferner steht nun ein topbrisanter Nachtrag im Altpapierkorb.
[+++] Oder die Panamapapers. Handelt es sich da um einen "Superlativ des recherchierenden Enthüllungsjournalismus", wie, um nicht immerzu Überall (der ja: "Meisterstück des investigativen Journalismus") zu zitieren, Volker Lilienthal twitterte, der weiter unten ebenfalls noch mal auftauchen wird?
Oder werden Münchener Multimillionäre künftig fünf Minuten ihres Lebens mehr investieren müssen, wie der-postillon.com scherzt, um neue Anlegestellen im "Oasendschungel" (schöne Formulierung in einem wiederum ernsthaften TAZ-Artikel) zu finden, und sonst ist eigentlich nichts passiert?
Böhmermanns Autoren wären, hieß es mit dem Klammerbeutel gepudert?, würden sie nicht längst Visualierungsideen für letztere Interpretation entwickeln. Während die Süddeutsche den Papers auch heute ein vierseitiges, schön illustriertes eigenes Buch widmet, ihre Original-Investigatoren im Online-Video des eigenen Hauses angenehm bescheiden ihren Erfolg bestaunen und Politikprotagonisten wie Heiko Maas ("zu SZ, NDR und WDR") und Martin Schulz (Passsauer Neue Presse) wie Uhrwerke ticken, ballt sich um den Panamapapers-Komplex ein gewaltiges Konglomerat von häufig fundierten Meinungen so gut wie aller Art.
Als scharfer Kritiker des "werbestolz daherkommen"-den "Weltrekords" und des Leaks-Journalismus der Süddeutschen sowieso ist, erstmals nach seinem resignierten Ausruf "Wozu überhaupt noch Medienkritik?", Wolfgang Michal mal wieder zum Bloggen geschritten. Es
"blenden die Enthüller die möglichen Motive der Quelle einfach aus und begnügen sich mit dem Hinweis, dass ihr journalistisches und ethisches Interesse allein der Echtheit des Materials gelte, nicht dem Überbringer oder dessen Motiven. So viel demonstratives Wegschauen und Nicht-Wissen-Wollen ist journalistisch zwar ehrenwert, aber politisch naiv",
lautet sein Fazit. Angesichts des von der SZ in ihrem Häufige-Fragen-Überblick selbst formulierten Versprechens, "nicht alle Namen [zu] veröffentlichen, die in den Panama Papers zu finden sind", und "die Daten nicht der Allgemeinheit und auch nicht den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung" zu stellen, das dem Ansatz des "International Consortium of Investigative Journalists" ICIJ, "seine Rechercheergebnisse und Datenbanken kostenlos zur Verfügung" zu stellen (EPD/ evangelisch.de), eher nicht entspricht, ist die cui-bono-Frage natürlich berechtigt.
Sie stellt etwa noch, außer dem von Michal verlinkten meedia.de, wortgewaltig ("dass das ICIJ und alle seine Hilfstruppen im Journalismus dem Ruf und der Bedeutung der Vierten Gewalt einen Bärendienst erweisen", "wenn auch die 'Panama Papers' ... nach kurzzeitiger Erregungsbewirtschaftung nicht zu Strafuntersuchungen, Anklagen und Verurteilungen führen, sollte man den Begriff 'investigativer Journalismus' dafür nicht mehr verwenden dürfen" ...) die Medienwoche. Wobei bei der ja schon die Länderkennung .ch in der Internetadresse andeutet, welchem Standort solche Enthüllungsjournalismus-Kritik nützt.
Andererseits:
"Die Reporter hinter den Panama Papers tun dabei nur das, was kritischer Investigativjournalismus leisten sollte: Sie decken ein System auf, mit dem Reiche und Mächtige die Öffentlichkeit seit Jahrzehnten täuschen. Ein System, das tatsächlich fast jedes Land auf der Welt betrifft und das zahlreiche Gesellschaften ungerechter macht. Umso erstaunlicher ist es, dass selbst diese Veröffentlichung blitzschnell eben jene Kritiker auf den Plan ruft, die überzeugt sind, dass die Presse schon längst nicht mehr frei und der Wahrheit verpflichtet sei ....",
findet die (auch keineswegs über alle Kritik erhabenen vice.com, vgl. Altpapierkorb gestern) deutsche vice.com-Depandance.
Und auch wenn dritterseits erstaunen mag, dass ausgerechnet ein Trendsetter wie vice.com Blitzschnelligkeit bestaunt, treffen Theresa Locker und Max Hoppenstedt da einen Nagel auf den Kopf. Und zwar den Nagel der "medialen Logiken in der warenförmigen Neuigkeitenproduktion", wie es im vielleicht instruktivsten Artikel zum Thema Tom Strohschneider vom Neuen Deutschland formuliert.
"Die Frage, wem das ganze, politisch gestützte System der legalen Steuervermeidung dient, muss ebenso gestellt werden wie die nach dem berühmten Cui bono. Aus den 'Panama Papers' aber eine Attacke westlicher Agenten oder regierungshöriger Journalisten zu machen, ist ebenso Vernebelung",
schreibt der Chefredakteur des linken Blattes. Wie alle anderen Medien lebt auch die Süddeutsche nicht in einem medienwandel-zeitungskrisen-freien Raum (sondern, wie regelmäßige Altpapier-Leser wissen, in der Südwestdeutschen Medienholding, in der keineswegs alle enge Freunde der teuren SZ sind). Insofern sind auch ihre Enthüllungen Produkte. Strohschneider:
"Das Ganze ist also auch eine Geschichte des politischen und wirtschaftlichen Umgangs mit Informationen in Medien, deren oft beschworene Objektivität nicht erst seit Sonntagabend eine Fiktion ist".
Bevor sich fundiert kritisieren ließe, dass die SZ aus der irren Datenmenge der Panamapapers falsche Personen herausgegriffen hat, womöglich die in der vorherigen Berichterstattung bewährten Schurken, womöglich mit politischen Implikationen, muss erst mal abgewartet werden, wie sie ihre "paar ganz legalen Steuerungstricks" (Johnny Haeusler nun, wired.de) tatsächlich eingesetzt haben wird, um ihr Produkt Enthüllung zu verkaufen, wie es Medien tun müssen.
Wie merkwürdig unentschlossen die mit der SZ kooperierenden, vom Medienwandel und Warenerzeugungs- bzw. jedenfalls Verkaufszwang weniger getriebenen ARD-Anstalten damit umgegangen sein werden, wird ebenfalls eine interessante Frage sein.
[+++] Damit zu noch so einem Aufreger, der zwar nur die Medienmediennische erregte, das aber Ende letzter Woche sehr. Die elektronische Presse des SWR, die den "Innovationsreport" des Spiegels, heißt es auch: leakte?, vermarktet diesen Scoop-Coup weiterhin in turioider Wortwahl weiter. "Medienpolitischer Sprengstoff, gnadenlose Selbstkritik, radikale Inventur", teasert swr.de beinahe so, als hätte der öffentlich-rechtliche Rundfunk bereits den verfassungsgerichtlichen Auftrag in der Tasche, für die mittelfristig steigen sollenden Gebühren (das dürfte, wie die ebenfalls am Freitag hier erwähnte Medienkorrespondenz schildert, dann doch explosiverer Sprengstoff sein; frischen Widerschein gibt Hans-Peter Siebenhaar ...) auch die dicht besetzte Szene der Medienmedien-Aggregatoren zu bereichern.
Unterhalb des Vorspanns findet sich aber ein Interview mit dem oben erwähnten Volker Lilienthal, der sich nicht zu lange mit dem Spiegel aufhält, sondern lieber über "ein chronisches Problem des gesamten deutschen Journalismus" redet, und über den SZ-NDR-WDR-Medienverbund (der, da hatte Frank Lübberding am Montag hier zweifellos Recht, den Spiegel selbst aktuell alles andere als freut). Lilienthal spricht von "einer aufrechten Aufklärungshaltung" und entwickelt daraus die wohl optimistischste Haltung, die zurzeit zu haben ist:
"Da wird Kooperation praktiziert, aus einem Wir-Gefühl heraus: 'Wir wollen die Gesellschaft beobachten, wir wollen auch, wo notwendig, Kritik üben'. Und dieses Wir-Gefühl motiviert. Und was auch ganz klar ist: Wenn viele Talente zusammenarbeiten, ihre Kräfte bündeln, dann kommt natürlich automatisch etwas Besseres, und hier besserer Journalismus heraus."
Wie gesagt: Zumindest für die Vielfalt möglicher Meinungen herrschen gerade großartige Zeiten.
+++ Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel geht im Juni in den Ruhestand. Ihr Nachfolger Robert Pölzer ist "studierter Kommunikationswissenschaftler" (Burda-PM; Standard). Bereits mit einer umfangreichen Riekel-Würdigung eines Autoren (Christian Mayer), der spürbar mit der Bunten unter Riekel, aber auch ihrem Vorgänger "durch dick und dünn gegangen" ist, am Start ist die SZ-Medienseite: "Anders als ihr Vorgänger Franz Josef Wagner, der ein oft genialer, dem Wahnsinn verpflichteter Schlagzeilendichter war und mit seinen fantastisch angereicherten Krawallgeschichten Kohorten von Anwälten den Job sicherte, bevorzugte Riekel das etwas ruhigere Fahrwasser, die Halbseriosität eines Mediums, das vor allem gute Unterhaltung bieten muss. Ihr Erfolgsrezept ist, dass die Figuren, die in der Bunten auftauchen, immer auch mit dem 'Lebensmodell unserer Leserinnen' zu tun haben müssen." +++ Riekels Leistung war es, "die Politik ... fest in der Zeitschrift" zu verankern, würde Kurt Sagatz (Tagesspiegel) sagen. +++
+++ Topbrisanter Nachtrag zum Thema ganz oben: Womöglich hat Angela Merkel durch ihren Anruf beim türkischen Premierminister Ahmet Davutoglu Jan Böhmermann vor einer Gefängnisstrafe von "bis zu fünf Jahren" bewahrt. Da zitiert der bekanntlich staatstragende Tagesspiegel aus einer "internen" Auswärtiges-Amts-Studie, derzufolge sich #Böhmi "höchst wahrscheinlich strafbar gemacht" habe. +++
+++ Die "sehr lustige" englische "Mockumentary-Serie", in der David Hasselhoff sich selbst spielt, bespricht in der SZ keineswegs Hans Hoff. +++ Außerdem geht es ebd. um das schwierige Staat-Medien-Verhältnis in Japan. +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite kommt Patricia Riekel einstweilen nur 17-zeilig vor. Dafür füllt fünf Sechstel der Seite ein schön feuilletonistischer ("Außerdem hatte" Verlagsgründer Rolf Becker " über Jahrzehnte solche Mengen an zeitgenössischer Kunst eingekauft, dass die Verlagswände mit Werken von Roy Lichtenstein über Anselm Kiefer bis Jonathan Meese regelrecht tapeziert sind. Die am wenigsten hässlichen haben Mitarbeiter in ihre Büros gehängt, will sagen: Meese bleibt auf dem Flur") Redaktionsbesuch Oliver Jungens bei der Apotheken Umschau im "beschaulichen Baierbrunn". Die legendär erfolgreiche Printzeitschrift bietet inzwischen auch eine App an. +++
+++ Falls Sie oben zu Hans-Peter Siebenhaar geklickt haben: Da geht es um die "GEZ-Rebellin", die auch in Udo Vetters lawblog.de so genannt wird (ohne Anführungszeichen) und inzwischen wieder auf freiem Fuß ist, da der MDR "einen Rückzieher" (Vetter) machte. Siehe welt.de. +++
+++ Weitere viel vermeldete Medien-Justiz-News: Ein 28 Jahre alter Bochumer, der auf Facebook geschrieben hat, Angela Merkel solle "öffentlich gesteinigt werden", wurde zu einer Geldtstrafe von "achtzig Tagessätzen à 25 Euro" verurteilt (u.a. faz.net). +++
+++ Auch bei Lesben-Zeitschriften "variiert" die Qualität (TAZ). +++
+++ Dagmar Reim, noch RBB-Intendantin, um deren Nachfolge es in Kürze spannend werden dürfte (Ulrike Simon in der MAZ), steht jetzt in einer Reihe mit Uschi Glas und Veronica Ferres (rbb-online.de), was freilich nicht unbedingt gegen sie spricht. +++
+++ Und in Cannes feierten wieder deutsche Filmförderer und Fernsehproduzenten, und dwdl.de war dabei ... +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.