Für der Demokratie zugewandte Leitartikler muss die vergangene Woche eine schreckliche gewesen sein. Da hämmern sie sich seit Monaten an der Tastatur die Finger blutig, um vor der AfD und ihren Ideen zu warnen. Und was erschüttert die Partei dann tatsächlich? Eine Homestory aus der Bunten. Bei der, fun fact, nicht jeder Mitarbeiter das brisante Stückchen Enthüllungsjournalismus gerne im Blatt sah, wie Meedia weiß:
„In der Bunte-Redaktion soll es deutliche Kritik im Vorfeld der Veröffentlichung des Interviews gegeben haben, das bereits vor den zurückliegenden Landtagswahlen geführt wurde. Zahlreiche – auch leitende – Redaktionsmitglieder hätten sich gegen eine Veröffentlichung ausgesprochen, heißt es. Es gab die Besorgnis, den Spitzenpolitikern der rechtspopulistischen AfD eine derartige Bühne zu bieten.“
Falls sie die vergangenen Tage nicht in einem Erdloch bzw. Schokohasenkoma verbracht haben sollten, kennen Sie die Highlights des Gesprächs mit Frauke Petry und Marcus Pretzell sicher schon („Was Beatrix gesagt hat, war katastrophal“, „Wer hat die Hosen an in ihrer Beziehung?“ – „M.P.: Beide. Ich trage zumindest nie einen Rock.“, „Liebe auf den ersten Blick war es jedenfalls nicht“).
Jörg Thomann, Regenbogenpresseexperte in der FAS, zieht daraus folgende Erkenntnis:
„Stark wie ein Grenzzaun, schön wie eine Dämonin: Die Power-Ergreifung des Paars auf dem Boulevard scheint unaufhaltsam, und nach dem schmählichen Abgang der Guttenbergs haben wir endlich wieder Glamour-Personal, das mithalten kann mit Amal und George, Hillary und Bill, Kim und Kanye. Ob des leicht biederen Klangs von ,Frauke und Marcus’ würden wir nur ein starkes Branding empfehlen, wie es Brad Pitt und Angelina Jolie vormachten, als sie ihre Namen zu ,Brangelina’ verschmolzen. Bei Frauke Petry und Marcus Pretzell würde sich etwa ,Mauke’ anbieten oder auch ,Fratzell’.“
Die politische Dimension beschreibt derweil Tilmann Steffen bei Zeit Online:
„Mehrere Mitglieder der Bundesspitze sehen durch Petry die AfD-interne Maxime verletzt, Vorstandskollegen nicht öffentlich vorzuführen. Ihre Kritik an Petry äußern sie folglich nur verdeckt. Vielen missfällt, dass Petry und Pretzell sich in der Öffentlichkeit inszenieren (...) Privates und Politisches derart zu vermischen, sei ,nicht besonders klug’ gewesen, beklagt ein Bundesvorstandsmitglied. (...) Offen fordert Petry keiner zum Rücktritt auf. Einer der Bundesvorstände regt lediglich an, Petry oder Pretzell ,mit einer neuen Funktion zu betrauen, um künftig Interessenkonflikte zu vermeiden’. So sei das etwa in Wirtschaftsunternehmen üblich.“
Was Schießbefehldebatte und ein deutschlandbeflaggter Geschichtslehrer mit seltsamem Geschichtsbewusstsein nicht vermochten, haben also drei Seiten Interview mit den beiden gut durchgegelten Jeansfreunden erledigt: Die Partei setzt an, sich selbst zu zerlegen. Wäre ich Hubert Burda, würde ich jetzt sicher behaupten, Print wirke (ganz recht: online scheint der Text nicht verfügbar. Wussten Sie übrigens, dass die Bunte tatsächlich 3,40 Euro kostet?! Für zehn Seiten Partyfotos von Uschi Glas im Hautfarbenen, und der Hoenig wird ja auch nicht gerade dünner, nich?). Aber eigentlich ist es nur die bewährte Kombination aus Politiker und Homestory, die sich noch immer als schlechte Idee für Erstere herausgestellt hat. Wer Beweise möchte, googele „Scharping Pool“ oder „Varoufakis Dachterrasse“.
Hinzu kommt, dass Petry Christian Lüth, der für die AfD mit der Lügenpresse spricht, ihr Vertrauen entzogen hat, wie am Samstag Justus Bender in der FAZ berichtete:
„Sollte Petry einen eigenen Pressesprecher einstellen wollen, müsse sie diesen selbst bezahlen, hieß es. Von Lüth organisierte Hintergrundgespräche mit Journalisten sollen künftig ohne Absprache mit Petry stattfinden. So berichten es mehrere Teilnehmer der Sitzung. Der Betroffene selbst, Lüth, sagte am Freitag auf Anfrage nur: ,Ich arbeite sehr gerne mit Frauke Petry zusammen. Trotzdem hat sie sich entschieden, die Pressearbeit für ihre Person selbst in die Hand zu nehmen. Ich spreche nun als Bundessprecher für die zwölf anderen Bundesvorstandsmitglieder.’“
So schön öffentlich auseinandergelebt haben sich wohl zuletzt Tic Tac Toe.
Wie es weitergeht mit Fratzell, Herrn Lüth und all den anonym Zitierten aus der FAZ werden wir natürlich berichten. Vor dem Themenwechsel sei nur noch angemerkt, dass man bei der FAZ in Sachen AfD über ein bewundernswertes Insiderwissen verfügt. Ich mag mich irren, aber die Zeitung scheint sich zur Anlaufstellen Nummer Eins einwickelt zu haben für AfDler mit dem Willen, etwas durchzustechen. Wäre ich zynisch, würde ich behaupten, sie hat in den vergangenen Monaten auch viel dafür getan, dieses Vertrauensverhältnis aufzubauen.
[+++] Gute Nachrichten für alle, die gute Nachrichten mögen, gab es am Montagvormittag: Perspective Daily hat über 12.000 Unterstützer gewonnen und damit auf den letzten Drücker das eigene Crowdfundingziel erreicht.
„Perspective Daily wird das erste konstruktive, lösungsorientierte Online-Medium in Deutschland, das sich durch seine Mitglieder und damit unabhängig von Werbekunden, politischen Parteien oder Organisationen finanziert“,
heißt es auf der Website.
Wenn dort in Bälde journalistische Artikel mit diesem Anspruch auftauchen, würde ich die Logos des Wirtschaftsministeriums, der EU sowie der Kultur- und Kreativpiloten Deutschland (eine Auszeichnung der Bundesregierung) wieder von der Website nehmen, die die Gründungsphase offenbar mit Geld und Wissen unterstützt haben. Das nur als konstruktiver Vorschlag.
Ein anderes Online-Medium, das alles mit der Crowd und besser machen will, feierte am Wochenende ebenfalls einen Etappensieg: Die Krautreporter (Offenlegung: für die ich auch schon schrieb) haben die Kohle für die Gründung einer Genossenschaft beisammen, mit der sie „Leser zu Miteigentümern machen und so die Unabhängigkeit des Unternehmens garantieren“ wollen.
Falls Sie sich an dieser Stelle fragen, ob dazu nicht schon die Abo-Gebühren da waren: Jawohl, aber als Genosse kann man offenbar auch auf Rendite hoffen (bei einer Online-Zeitung. Ha. Ha. Hahahahahahaha) und schöne Sachen machen wie Generalversammlungen besuchen, den Aufsichtsrat wählen oder den Vorstand bestellen (Quelle). Falls das aus Ihrer Sicht schöne Sachen sein sollten.
Ursprünglich wollten die Krautreporter bis Ende 2015 400 Genossen sammeln. Nun sind es Ende März 299, woraus sich ergibt, dass da einmal wieder weniger Menschen in mehr Zeit größere Einzelbeträge zusammengetragen haben. Erfahrungsgemäß wird sich noch jemand in diesem Internet finden, der daraus eine Verschwörungstheorie zu basteln bereit ist (Codewort: Augstein Stiftung). Andererseits scheint das bislang noch nicht geschehen zu sein, was drei Erklärungen zulässt, nämlich 1.: die Krautreporter sind so etabliert, dass nicht mehr jeder Schritt unter der Lupe betrachtet wird, 2.: die Krautreporter interessieren keinen mehr, oder 3.: Ostern.
[+++] Bevor alle zum Eiersuchen abtauchten, erschien am Samstag der britische Independent zum letzten Mal in gedruckter Form (siehe Altpapier). Er nutzte die Gelegenheit, um noch eben zu enthüllen, dass ein in Großbritannien lebender Dissident von Muammar al-Gaddafi beauftragt worden sein soll, den saudischen König Abdullah zu töten. Oder, wie Buzzfeed-UK-Redakteur Jim Waterson twitterte (via Guardian):
„I bloody love how the Independent went out with a scoop on its front page rather than self-indulgent bollocks.“
Vermutlich sollte Journalismus öfter seine Wichtigkeit unter Beweis stellen, indem er seine Aufgabe in der Gesellschaft ausführt statt sie immer nur zu beschwören.
Ein kleiner Nachruf aufs Gedruckte erschien am Samstag in der FAZ, wo London-Korrespondentin Gina Thomas auch daran erinnerte, dass die Zeitung zwar im Internet weiterlebt, ein Großteil der Redakteure und ihr Gehalt aber gestrichen werden:
„Das Ende der Zeitung auf Papier führt auch zu empfindlichen Personaleinschnitten. Es heißt, dass mehr als hundert von 160 Redakteuren entlassen werden. 34 Redaktionsmitglieder werden vom Johnston Verlag übernommen, der kürzlich 25 Millionen Pfund für ,i’, die erfolgreiche Kompaktausgabe des ,Independent’, bezahlt hat. Dem übrig gebliebenen Stab sind Gehaltskürzungen von bis zu fünfzig Prozent und schlechtere Arbeitsbedingungen in Aussicht gestellt.“
Vielleicht kann Perspective Daily in den kommenden Wochen einen Artikel zum Thema liefern, denn wie man solche Nachrichten konstruktiv und lösungsorientiert verpackt, interessierte mich durchaus.
+++ Kleiner Nachtrag zu Frauke Petry: Ein englischsprachiges Interview mit der Deutschen Welle hat ihr ebenfalls nicht gut getan, weil sie angesichts harter Nachfragen nicht gut aussah. Das Internet feixte, und beim Spiegel wird man in die Tischkante gebissen haben, weil deren Petry-Interview (Blendle-Link) das einzige war, über das am Wochenende kaum jemand sprach. +++
+++ Pressefreiheit in der Türkei I: „Extra 3“ hat es geschafft: Recep Erdo?an hat den deutschen Botschafter einbestellt, weil ihm ein Liedchen aus einer Sendung Mitte März nicht genehm war. Den Text „Ein Journalist, der irgendwas verfasst, was Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast“ fand er offenbar nicht ganz so witzig. Weiß: Spiegel Online. +++
+++ Pressefreiheit in der Türkei II: „Unser Job ist gefährlich geworden. Wenn es der Regierung gefällt, kann sie uns jederzeit aus dem Weg räumen. Sie kann uns einschüchtern, mit Klagen überschütten. Oder versuchen, uns gezielt in die Pleite zu treiben“, sagt Baris Ince, Chefredakteur der türkischen Zeitung Birgün im Interview mit der NZZ vom Wochenende. +++
+++ Twitter bewährt sich einmal wieder als Mittel, Alltagssexismus aufzuzeigen. Gruselige Erfahrungen lassen sich unter dem Hashtag #imzugpassiert oder zusammengefasst z.B. bei Spiegel Online nachlesen. +++
+++ Facebook hingegen hatte gestern Probleme, Pakistan geografisch richtig zu verorten und schaltete nach dem Anschlag in Lahore auch für Nutzer aus Berlin, Brüssel und Hongkong die Funktion frei, mit der man sich selbst nach Naturkatastrophen oder Anschlägen als in Sicherheit vermelden kann. Das wiederum vermeldeten (u.a.) Zeit Online und die taz. +++
+++ Der RBB bekommt einen neuen Intendanten, und Joachim Huber deckt beim Tagesspiegel auf, warum sich Patricia Schlesinger, Volker Herres und Theo Koll um den Posten beworben haben könnten: „Ob es allein der famose RBB ist, der sie zur Bewerbung motiviert, und nicht auch die Aussicht auf einen Chefposten in der Hauptstadt, am Sitz von Regierung und Parlament und überhaupt in Deutschlands place to be, das wollen wir mal unter zulässiger Spekulation abbuchen.“ +++
+++ Die Zwei-Klassen-Gesellschaft im Hause Zeit soll ein Ende finden. Dafür wollen Anfang April die Mitarbeiter von Zeit Online in den Streik treten, berichtet die taz. +++
+++ Übermedien goes Bildblog. In diesem Fall nimmt Boris Rosenkranz sich der falschen Meldung vom erschossenen Wachmann vor einem belgischen Atomkraftwerk an, die am Samstag durch die Medien geisterte. „Die meisten Medien berichtigten die falsche Nachricht, nachdem die Staatsanwaltschaft sie dementiert hatte. Doch sie ist eben immer noch zu finden, in den Feeds der sozialen Kanäle. Das Prinzip ist nicht neu: Immer schon werden vermeintliche Skandale erst aufgebauscht, auf Titelseiten, unübersehbar – die Korrektur aber fällt meistens viel kleiner aus. Und bei Twitter und Facebook halten es viele Medien offensichtlich nicht mal für nötig, die Unwahrheit, die sie verbreitet haben, überhaupt wieder einzufangen.“ +++
+++ Alexander Osang sinniert im Spiegel (Blende-Link) über die „Lügenpresse“: „Einmal habe ich mir von Angela Merkel eine Geburtstagskarte für meine Frau schreiben lassen. Im Kanzleramt! Ich war eigentlich für ein Interview da, aber es war der Geburtstag meiner Frau. Ich dachte, ich schlage zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich hatte zwei Karten dabei, eine mit Herzen, eine mit geometrischen Figuren. Frau Merkel fand die Herzenkarte ,zu lieblich’. Die Journalisten unter den Geburtstagsgästen haben sich betreten auf die Schuhe geguckt, als ich meiner Frau später am Abend den Geburtstagsgruß der Kanzlerin überreichte. Über uns allen, also uns Journalisten, schwebt ja die Meinung von Hanns Joachim Friedrichs, man dürfe sich nicht mit einer Sache gemein machen. Auch nicht mit einer guten. Es klingt vernünftig, ist meiner Erfahrung nach aber nicht machbar.“ +++
+++ „Frau Bier, Sie sind eine erfolgreiche Film-Regisseurin, haben schon einen Oscar gewonnen. Was hat Sie an einer Fernsehserie gereizt?“ wird vermutlich nicht den Preis für die kreativste Intervieweinstiegsfrage aller Zeiten erhalten. Wer sich trotzdem dafür interessiert, was die Regisseurin der neuen Amazon-Prime-Serie „The Night Manager“ auf die Fragen von Ulrike Klode zu antworten wusste, kann das bei DWDL nachlesen. Die Rezension dazu hat, Überraschung!, die Medienseite der SZ. +++
+++ Über Ostern war schon einmal Zeit und Platz, auf die am Mittwoch anlaufende Spielfilmtriologie „Mitten in Deutschland: NSU“ der ARD aufmerksam zu machen. Für die Wochenend-SZ war Cornelius Pollmer bei den Dreharbeiten („Der Plan lautet, Christian Schwochow und die Entstehung seines NSU-Films eineinhalb Jahre lang zu begleiten, aber schon nach einem Tag fragt man sich als Begleitender sehr ernsthaft, ob das überhaupt durchzustehen ist.“). Für die FAS-Gesellschaft hat Julia Schaaf Zschäpe-Darstellerin Anna Maria Mühe getroffen, und auf der Medienseite rezensiert Anna Prizkau: „Zwar kann wahrscheinlich jeder Deutsche die Namen Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt sagen und auch vielleicht noch Michèle Kiesewetter, den Namen der Polizistin, die von diesem Trio ermordet wurde, mutmaßlich. Doch Enver ?im?ek, Abdurrahim Özüdog?ru, Süleyman Ta?köprü, Habil Kiliç, Mehmet Turgut, Ismail Ya?ar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kuba?ik und Halit Yozgat, die Namen aller Opfer, sie werden nicht sehr viele Menschen in Deutschland aussprechen, aufsagen können. Deshalb ist ,Die Opfer – Vergesst mich nicht’ der wichtigste Teil dieser Reihe, moralisch, pädagogisch, das könnte man so denken. Das ist er aber nicht. Nicht pädagogisch, nicht moralisch. Sondern so wichtig, weil er groß ist als ein Film: poetisch, mal leise und mal laut, tragisch, grausam, gemein und dann doch voller Liebe.“ +++
Der Altpapierkorb füllt sich wieder am Mittwoch.