Der VW Passat und der Audi A 4 mit einem 2.0 Dieselmotor gehören zu den klassischen Firmenwagen in Deutschland. Nun sind Journalisten nach langen Jahren der Medienkrise Kummer gewöhnt. Um die Zukunft ihrer Firmenwagen aus dem VW-Konzern müssen sich daher wohl die wenigsten Kollegen Sorgen machen. Aber der #dieselgate ist das Thema dieser Tage. Es hat in den vergangenen Tagen sogar die alles dominierende Flüchtlingskrise aus den Schlagzeilen verdrängt. Das Bild vom kraftstrotzenden Riesen Deutschland bekommt in Wolfsburg erste Risse. Eine Krise in der wichtigsten deutschen Industrie ist sicherlich nicht das, was man mitten in der Zuwanderungsdebatte braucht. Schließlich sollen die vielen Flüchtlinge möglichst schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden. Wenn VW husten sollte, bekäme die deutsche Volkswirtschaft leichtes Fieber und Niedersachsen läge sogar mit einer Lungenentzündung im Bett.
In den Medien kommt das aber noch nicht zum Ausdruck. In der Flüchtlingsdebatte dominiert die These vom „starken Land“, dem die Arbeitskräfte auszugehen drohen, während beim VW-Debakel schon einmal die Frage nach den wirtschaftlichen Konsequenzen diskutiert wird. Inwiefern beides in einem Zusammenhang stehen könnte? Das ist noch kein Thema. Dieses Selbstbild vom deutschen Muskelprotz hat sich vor allem in der Eurokrise entwickelt. Zusammen mit jenem schulmeisterlichen Tonfall in den meisten Medien gegenüber den anderen Europäern, man habe hierzulande alles richtig gemacht. Das bestimmte bekanntlich auch die deutsche Selbstwahrnehmung in der Flüchtlingskrise. Zwar sind die Folgen des VW-Debakels noch nicht nicht erkennbar. Aber in einem Punkt kann man eine sichere Prognose wagen: Der Schwenk von der Selbstgefälligkeit zur Panik ist in Deutschland immer noch gelungen. Die Leitartikel, warum alle anderen das alles nicht schon vorher gewusst hätten, könnte man wohl jetzt schon schreiben. Aber immerhin müssen sich die meisten Journalisten um ihre Dienstwagen keine Sorgen machen.
+++ Was hätte man also vorher wissen müssen bei #dieselgate? Diese Frage stellt gestern Abend Zapp im NDR. Sie fragten diverse Autojournalisten. In der aktuellen Ausgabe etwa der Auto-Bild zur IAA ist von #dieselgate nichts zu lesen. Sie erschien auch am 18. September. An diesem Tag hatte die amerikanische Umweltbehörde EPA ihr Schreiben an den VW-Konzern veröffentlicht. Manches liest sich jetzt anders als ursprünglich gedacht. So eine Bemerkung des Auto-Bild Redakteurs Stefan Voswinkel zum neuen VW-Tiguan als der „Golf in Gummistiefeln“.
„Erwarte das Unerwartete? Nicht bei VW. Der neue Tiguan sieht aus, wie ein neuer Tiguan eben auszusehen hat.“
Das liest sich jetzt ungewollt komisch. Hier kommt aber jenes Selbstverständnis über „Made in Germany“ zum Ausdruck, das dieses Debakel zu erschüttern droht, nicht zuletzt in den Medien. Im Zapp-Beitrag wird deutlich, wie schwer es in der Praxis gewesen ist, diesem Betrug durch eigene Tests auf die Schliche zu kommen. Diese waren aber in den USA gemacht worden. Erst nach den Hinweisen einer NGO war die amerikanische Umweltbehörde überhaupt aktiv geworden. Allerdings können sich die Medien schon eine Frage stellen. Ob sie nicht jenem Mythos der eierlegenden Wollmilchsau aufgesessen sind, den die Autoindustrie (und ihre Kritiker) in den vergangenen Jahren gerne verbreiteten. Vielleicht lassen sich Klimaschutz und Gesundheitsprävention nicht so einfach vereinbaren, wie es die Politik verlangt? Ein Diesel ist gut für den Klimaschutz, aber pustet Stickoxide in die Umwelt. Bei Benzinmotoren ist das umgekehrt.
+++ Schon etwas von Facebook gehört? Der Konzern wirkt in der Debatte um Hasspostings etwas verwirrt. Der Account von Micky Beisenherz wurde für 30 Tage gesperrt.
„Angesichts des ausbleibenden Vorgehens von Facebook bei unzähligen Beiträgen, die unverblümt zu Gewalt gegen Flüchtlinge aufrufen, stellt Micky Beisenherz fest: "Ich muss mir auch langsam ernsthaft Gedanken über diese 'Gemeinschaft' machen und ob man dieser angehören sollte. Ich empfinde da zunehmend Unbehagen. Dieser Fall bestätigt mich in meiner Meinung über die Entwicklung dieses einstmals sozialen Netzwerks." Es ist nicht das erste Mal, dass Micky Beisenherz mit Facebook aneinandergerät und sein Account gesperrt wird. Mit Augenzwinkern stellt er fest: "Facebook wird gerade mein persönliches Robben Island."
Die Sperrung wurde wohl am Abend wieder aufgehoben. Nun könnte der amerikanische Konzern aber ein ganz anderes Problem bekommen. Unter Umständen muss er die Hasspostings von Beisenherz in Zukunft auf europäischen Servern speichern. In der Süddeutschen Zeitung und der FAZ findet man dazu entsprechende Berichte. Sind die USA sicher?
„Sind sie nicht, sagte Generalanwalt Yves Bot, und befand, es gebe in den USA eben keinen "wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz" gegen das Sammeln von übermittelten personenbezogenen Daten. Weshalb die irische Datenschutzbehörde, so die Logik, sich auch nicht auf die EU-Kommission verlassen darf, die sich wiederum auf Safe Harbour und die USA verlässt - sondern sich selbst um den Schutz der Daten von Schrems und allen anderen europäischen Usern zu kümmern hätte.“
Das wäre tatsächlich eine Wende in der europäischen Datenschutzpolitik, so die FAZ.
„Entscheidet das Gericht aber wie der Generalanwalt Bot vorschlägt, ist nichts mehr, wie es war, dann bleibt kein Stein auf dem anderen und setzt sich europäisches Recht durch, das die amerikanischen Online-Konzerne bislang vor allem umgehen, um Steuern zu sparen.“
Das sind jetzt gewissermaßen die Stickoxide von Facebook. Man darf gespannt sein, wer als erster auf die Idee kommt, ob man hier nicht einen Kompromiss finden könnte. Die USA bekommen die deutschen Diesel und dafür die USA die Daten von Beisenherz. Allerdings nur, wenn er auf Facebook wieder schreiben darf. Dem Einfallsreichtum der Politik ist schließlich alles zuzutrauen.
Altpapierkorb
+++ Nach allem, was wir bisher wissen, war die Manipulation der Abgaswerte bei VW der Sorge um das Image geschuldet. Es kommt halt nicht darauf an, was hinten herauskommt, sondern was uns die Software darüber verrät. Damit kennen wir Journalisten uns bekanntlich aus: Nur das, was bei uns vorkommt, hat auch wirklich stattgefunden. Daher ist es kein Wunder, wenn sich jetzt auch PR-Berater äußern. „Wie immer in solchen Fällen, so gilt auch hier: Man sollte im Rahmen der Krisenkommunikation nicht neue Fronten aufbauen, sondern lieber versuchen, sich in Fragen der Kommunikation mit den zuständigen Behörden abzustimmen. Wichtig ist auch die interne Kommunikation in die Belegschaft hinein: Denn dort ist die Verunsicherung besonders groß. … . Vor allem muss eine erfolgreiche Krisenkommunikation nachhaltig und über einen längeren Zeitraum gedacht werden, denn eins steht fest: Das Video vom VW-Chef bleibt im Netz und der Konzern wird langfristig an diesen Vorsätzen gemessen werden.“ Man könnte aber den Eindruck haben, dass diese Logik der Krisen-PR erst das Problem ausgelöst hat, was jetzt wieder behoben werden soll. Nämlich die heute alles dominierende Sorge um das Image.
+++ Darum geht es auch in der Süddeutschen Zeitung. Viele kennen mittlerweile den netten VW-Werbefilm von den drei älteren Damen, die in den USA über die Vorteile eines sauberen Diesels räsonieren. Soll man ihn im Netz lassen oder löschen? Letzteres hat VW gemacht. "Dass Volkswagen sich nicht zum Gespött der Leute machen will, ist verständlich", sagt Dirk Popp, Deutschland-Chef der Kommunikationsagentur Ketchum Pleon. "Aber das Video einfach zu löschen, ist kontraproduktiv." Popp berät Unternehmen im Umgang mit Krisen. In solchen Situationen sei es besonders wichtig, ehrlich zu sein. "Statt das Video zu löschen, hätte Volkswagen es besser kommentieren und einordnen sollen", sagt Popp. Sein Vorschlag: Schreiben, dass man sich des Problems bewusst ist und betonen, man stehe dazu und das Video deshalb im Netz lassen.“ Das hätte VW Respekt eingebracht, so Popps These. Man kann halt alles so drehen, wie es gerade in den Kram passt. VW hätte genauso gut als unbelehrbarer Ignorant gescholten werden können. Vielleicht sollte man sich einfach darauf verständigen, dass es sich hier um Werbung handelt. Und man Werbung nicht unbedingt ernst nehmen sollte. Wer den Schaden hat, brauchte sich noch nie um den Spott zu sorgen. Daran wird auch die Krisen-PR nichts ändern.
+++ Um Werbung geht es auch in diesem Interview mit dem früheren Chefredakteur des Guardian, Alan Rusbridger. Kann Werbung in diesem Internet die Journalisten ernähren? Er hofft es, auch wenn man Werbung gerade als Journalist nicht mit Berichterstattung verwechseln sollte. Aber Rusbridger hat noch interessante Anmerkungen zum Berufsbild des Journalisten gemacht: „Sprechen wir über Journalisten, dann sollten wir ihre Fähigkeiten nicht geringschätzen. Journalismus sieht einfach aus, ist aber schwer. Denn es gibt ja tatsächlich Dinge, die nur wir können. Journalisten finden Storys, fassen das Wichtigste zusammen, recherchieren, berichten schnell und akkurat. Dennoch wäre es vor dem Hintergrund der vergangenen zehn Jahre, in denen jeder zum Herausgeber werden konnte, der es wollte, verrückt zu sagen: Wir sind die Profis und ihr seid die Amateure. Diese Amateure veröffentlichen schließlich einen unglaublichen Schatz an Materialien und Informationen.“
+++ Wie sich die Bild 24 Stunden lang um Werbung bemühte, ist bei Meedia nachzulesen. Dazu passt auch dieser Zapp-Beitrag über die Suche nach der jungen Zielgruppe. Unter anderem Interviews mit Julian Reichelt (Bild) und Jochen Wegner (Zeit).
+++ Dagegen dokumentiert dieser Beitrag eher das geschwundene Selbstvertrauen von Verlagen. In Dresden waren an Abonnenten der "Dresdner Neueste Nachrichten" (DNN) und der "Sächsischen Zeitung" Flugblätter verteilt worden. Deren Thema war die „Lügenpresse“. Hier bekommen diese Flugblätter eine Bedeutung, die weniger über den Absender als über die Verunsicherung der Medien aussagen. Muss man sich wirklich davon so irritieren lassen, dass man diesen Flugblättern gleich einen ganzen Beitrag widmet?
+++ Im Standard findet man zwei interessante Artikel. Über die Begnadigung von Journalisten in Ägypten und die Lage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Rumänien. Dessen Chef wurde abgesetzt.
+++ Schließlich die Personalie des Tages. taz-Kolumnistin Margarete Stokowski wechselt zu Spiegel online
+++ Was jetzt auch nicht mehr fehlt? Diese Eilmeldung der Auto-Bild. Das verursacht gerade in den Medien große Aufregung. Auch ein BMW hat zu hohe Abgaswerte. Selbst der BMW-Kurs an der Börse stürzt ab. Nur hatte der besagte Peter Mock der NGO, die das alles ins Rollen brachte, in diversen Interviews genau das gesagt: Es seien auch andere Hersteller betroffen. Nur soll eben nicht jeder Hersteller wie VW diese Messwerte manipuliert haben.
Das Altpapier gibt es wieder am Freitag.