Die unzureichenden Reaktionen des Facebook-Konzerns auf rassistische Postings und auf die nicht minder unzureichenden Beschwerden von Nutzern, die gegen Flüchtlinge gerichtete Hetze melden (siehe ausführlich Altpapier von Donnerstag), sind aktuell Thema zweier größerer Artikel.
Simon Hurtz steigt im Haupttext der SZ-Medienseite ein mit auf Facebook gefundenen Wortmeldungen wie „Mit einem Loch im Hinterkopf wären manche Leute noch als Nistkasten zu gebrauchen“ und dem darauf folgenden „Appell“ („Saubere Straßen für Deutschland. Brummifahrer, haltet drauf“) - und betont, dass „diese und ähnliche Beiträge nicht entfernt“ worden seien.
Die Position einer Sprecherin - nicht die unter Medienjournalisten dreifünftelberühmte, unter anderem am Donnerstag deswegen hier vorkommende Tina Kulow, die aber ebenfalls im Text zitiert ist - fasst Hurtz so zusammen:
„Wenn sich die Androhung von Gewalt nicht konkret gegen einzelne Personen richte, sei sie strafrechtlich nicht relevant; allgemeine Aufrufe würden von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die sei für Facebook ohnehin ein hohes Gut, weshalb man eine Vielzahl von Meinungen aushalten müsse.“
Hurtz‘ im Tonfall zumindest teilweise moderater Kommentar:
„Damit macht es sich Facebook bequem: Man sei lediglich eine neutrale Plattform, auf der sich Nutzer austauschen können, heißt es. Dabei verschwimmen derzeit die Grenzen zwischen Tech-Unternehmen und klassischen Verlagen: Firmen wie Apple oder Twitter stellen Journalisten ein, die Inhalte kuratieren sollen, und ein soziales Netzwerk wie Facebook prägt das Weltbild von Millionen Menschen (...) Die digitalen Großmächte tun sich oft noch schwer damit, Verantwortung für die Inhalte zu übernehmen, die Nutzer auf ihren Seiten erstellen.“
Fürs Handelsblatt geht Tina Halberschmidt auf Kollegen ein, die vergeblich löschungswürdige Inhalte gemeldet haben, und erwähnt auch, dass die eigene Redaktion es ebenfalls getan hat, und zwar im Fall einer Seite, die unter anderem unter dem Motto „Kein Vergeben, kein Vergessen“ Rudolf Heß anpreist. Halberschmidt zitiert die typische Facebook-Antwort:
„‚Wir haben die von dir wegen Hassbotschaften oder -symbole gemeldete Seite geprüft und festgestellt, dass sie nicht gegen unser Gemeinschaftsstandards verstößt‘, heißt es in einer offiziellen Mail, die die Redaktion als Antwort auf ihre Meldung erhalten hat.“
Ob unter den Kommentatoren des Handelsblatt-Textes auch Rudolf-Heß-Fans waren, weiß man nicht, auszuschließen ist es aber nicht, weil die Redaktion recht viele Beiträge gelöscht hat bzw. wohl hat löschen müssen. Zwei Stunden nach Veröffentlichung des Textes wurde die Kommentarfunktion abgeschaltet.
[+++] Früher, als Journalisten noch naiv waren - kleiner Scherz am Morgen -, schrieben nicht wenige von ihnen mal über eine "Facebook-Revolution", die sich in Ägypten zugetragen haben soll. Sooo lange ist das auch nicht her:
„Viereinhalb Jahre nachdem das Volk den Sturz von Hosni Mubarak erzwungen hat, ist Ägypten wieder ein lupenreiner Polizeistaat“,
komentiert Paul-Anton Krüger heute auf der Meinungsseite der SZ.
Anlass des Textes ist ein gerade in Kraft getretenes „Anti-Terror-Gesetz“:
„Journalisten, die sich bei der Berichterstattung über Terrorismus nicht an die offiziellen Darstellungen halten, können künftig mit hohen Geldstrafen belegt werden“,
schreibt Krüger.
Naomi Conrad (Deutsche Welle) präzisiert, dass Strafen von umgerechnet mindestens 23.000 Euro vorgesehen sind
„für ‚falsche‘ Berichte bezüglich Terrorattacken und Sicherheitsoperationen. ‚Falsch‘ heißt in diesem Zusammenhang: Informationen, die offiziellen Statements widersprechen (...)“
Conrads Fazit:
„Das neue ägyptische Gesetz schreibt eigentlich vor, journalistische Grundsätze zu verwerfen. Journalisten sollen keine unabhängigen Quellen mehr anzapfen und am besten auch keine offiziellen Verlautbarungen der Regierung mehr überprüfen. Im Gegenteil, Informationen aus unabhängigen Quellen sollen Journalisten sogar lieber für sich behalten, sofern sie den offiziellen Stellungnahmen nicht entsprechen.“
[+++] Wie sieht es gerade mit Einschränkungen der Pressefreiheit in Deutschland aus? Eine geeignete Ansprechpartnerin ist möglicherweise Eva Mahnke, Redakteurin von klimaretter.info. Für ihre Redaktion und auch im Auftrag des Neuen Deutschland war sie am Wochenende im Einsatz als Berichterstatterin von der gegen den Braunkohleabbau in Garzweiler gerichteten Protestaktion „Ende Gelände“. Dort wurde sie mit Pfefferspray attackiert, obwohl sie sich
„sogar mit mehreren Schildern deutlich erkennbar – auch gegenüber der Polizei – als Pressevertreterin ausgegeben (hatte). ‚Ich habe das Geschehen auf der Sohle des Tagebaus fotografiert und spürte im nächsten Moment einen beißenden Schmerz im Gesicht‘“,
schreibt klimaretter.info, das gemeinsam mit dem ND - das darauf hinweist, dass Mahnkes Berichterstattung durch den Angriff „massiv behindert“ worden sei - „wegen Eingriff in die Pressefreiheit“ eine Beschwerde beim nordrhein-westfälischen Innenminister eingelegt hat. Im letzten Absatz des ND-Artikels sind andere Behinderungen der Pressefreiheit in Garzweiler erwähnt, ein weiteres Beispiel findet sich hier. Zum Gesamtkontext des Polizeieinsatzes siehe bzw. höre Jürgen Döschner, Leiter des investigativen Rechercheteams beim WDR-Hörfunk.
[+++] Gewiss große Pressefreiheits-Fans sitzen bei der Firma Boehringer Ingelheim, denn die trägt dazu bei, dass Spiegel Online seine Aufgabe als Sturmgeschütz des Gesundheitsjournalismus wahrnehmen kann. Artikel über Kopfschmerzen werden dort „präsentiert von Thomapyrin". Die Deutsche Apotheken-Zeitung (via @turi2) schreibt dazu:
„Aus Marketingsicht sicher ein genialer Schachzug. Ob es da noch nutzt, dass in einem Beitrag die Redakteurin erst einmal alle nicht medikamentösen Optionen zur Kopfschmerzbehandlung preist und vor zu vielen Kopfschmerztabletten warnt? Zu hinterfragen ist in jedem Fall, wie solche Beiträge erstellt wurden. Vollkommen unabhängig? Wenn ja, werden sie auch noch so wahrgenommen?“
„direkt aus der Fifa-Zentrale in Zürich an verschiedene Zeitungsredaktionen geschickt - mit der Bitte um Abdruck, allerdings ohne Hinweis auf den Verfasser“,
schrieb am Wochenende die WamS. Eine Überschrift hatte der von der Fifa zugeschickte Beitrag auch schon: „Platini: Leiche im Keller". Es geht also um Michel Platini, den Widersacher des noch amtierenden Fifa-Herrschers Sepp Blatter, und die Frage ist nun, ob der Auftrag für den Schmähartikel direkt von eben diesem Blatter kam - und, wenn ja, was für Folgen das für ihn haben könnte. Veröffentlicht hat das Werk bisher noch niemand, der Tages-Anzeiger hat aber in der vergangenen Woche bereits einiges aus dem Text zitiert. Dank eines Weiterdrehers im Guardian kann man i.Ü. lernen, dass man „Leiche im Keller“ mit „skeleton in the closet“ übersetzt.
[+++] Im FAZ-Feuilleton hatte jemand die nicht üble Idee, „Irma“, die aktuelle Drucksache der „Copy-and-paste-Maschine“ Tex Rubinowitz von Frank Fischer und Joseph Wälzholz, den Initiatoren von Der Umblätterer, besprechen zu lassen. Denn dieser Blog war einst ein Copy-Objekt von Rubinowitz gewesen - was diesem damals den Beinamen „Guttenberg des Feuilletons“ einbrachte. In der aktuellen Rezension führen Fischer/Währholz nun anhand von zahlreichen Beispielen aus, wie Rubinowitz aus Wikipedia-Texten kopiert. „Kein deutscher Autor“ tue das „so umstandslos“ wie er, heißt es in dem Text, der überschrieben ist mit „Plagiarismus, getarnt als Recherche“. Besonders hübsch ist folgendes Beispiel:
„Über Odo, eine Figur aus der Serie ‚Star Trek: Deep Space Nine‘, heißt es in der deutschen Wikipedia, er müsse ‚alle achtzehn (oder sechzehn, die Episoden widersprechen sich hierin) Stunden für eine gewisse Zeit in seine flüssige Form zurückkehren. Zu diesem Zweck hat er in seinem Quartier einen Eimer, in den er sich verflüssigt.‘ Die beiden Sätze hat Rubinowitz eins zu eins zu sich rüberkopiert (im gedruckten Buch auf Seite 39), ließ allerdings die einschränkende Klammer dabei weg. Diese defizitäre Veränderung plagiierter Stellen entspricht in den GuttenPlag-Kategorien der ‚Verschleierung‘ und ist noch häufiger bei Tex Rubinowitz anzutreffen.“
[+++] Eine Art Eisbär Knut des Feuilletons ist bzw. war - um einen Gedanken Andreas Rosenfelders und Ronja von Rönnes (Welt am Sonntag) abzuwandeln - Ai Weiwei. Chinas bekanntester Hertha-BSC-Sympathisant fetzt sich derzeit mit der Zeit wegen eines Interviews, das er der Wochenzeitung gegeben hat. Die veröffentliche Fassung missfällt ihm, und was das für Wortmeldungen nach sich gezogen hat, steht bei meedia.de. Interessanter als solche Kindereien ist, was in dem bereits zitierten WamS-Text über Ai Weiwei steht:
„Sein Geschäftsmodell basierte am Ende ganz auf seiner Glaubwürdigkeit als staatlich geprüfter Dissident.“
Originell ist das nicht, aber erwähnenswert, denn 2011 war das noch eine Minderheitenmeinung.
+++ Julian Reichelt macht Mimimi: „Es gibt zahlreiche (...) Fälle, in denen wir bei Bild uns für Flüchtlinge eingesetzt haben, weit über unsere Berichterstattung hinaus (...) Was ich persönlich (...) erwarte, ist, dass wir dafür nicht von Schreibtisch-Ideologen wie Mats Schönauer und Stefan Niggemeier verunglimpft und als Flüchtlingshasser verleumdet werden.“ Die Reaktion der „Schreibtisch-Ideologen“ lautet: „Julian Reichelt (hat) unseren Text offenkundig nicht verstanden (...) Wir werfen Bild und ihm ja nicht vor, ‚Flüchtlingshasser‘ zu sein. Sondern den Hass zu schüren, indem sie bewusst Fakten verschweigen oder verdrehen, um aufregende Schlagzeilen präsentieren zu können — die dann wiederum in Sozialen Netzwerken und den Köpfen vieler Leser die Stimmung gegen Flüchtlinge anheizen. Es geht nicht um das persönliche Engagement von Reichelt und seinen Kollegen. Es geht um die publizistische Verantwortung der Bild-Zeitung.“ Dokumentiert ist all dies im Bildblog, und man fragt sich natürlich, warum der nicht einflussarme Schreibtisch-Ideologe Reichelt meint, diesen Begriff als Schimpfwort verwenden zu müssen.
+++ Man kann zwar eine Zombie-Zeitung herausbringen, aber dummerweise ist die Abonnenten-Zielgruppe der Zombies derzeit noch nicht besonders gut erschlossen. Möglicherweise deshalb ist der Aschendorff-Verlag auf die Idee gekommen, Redakteure aus dem eigenen Haus aufzufordern, die Münstersche Zeitung zu abonnieren (meedia.de, SZ.de).
+++ „Hubertus Koch ist 25 Jahre alt, Filmstudent, will nach Syrien, hat keine Ahnung vom Land und vom Krieg, fährt aber dahin, wird voll getroffen von Leid und Elend, sagt Ich und nochmal Ich, heult vor der Kamera, ist wütend, beschimpft die Zuschauer, sie sollten sich was schämen, dass sie das alles ignorieren – alles Dinge, die man als gestandener Dokumentarfilmer eigentlich nicht macht.“ wolfsiehtfern.de lobt gerade deshalb diesen „aus jeder Routine“ sich heraushebenden Film, der in der vergangenen Woche in der Sendung „WDR weltweit“ lief und online noch zu sehen ist.
+++ Zum heutigen linearen Fernsehprogramm: Lob gibt es für Steven Soderberghs „The Knicks“ (ZDF neo). Worum geht es? „Dr. John Thackery (Clive Owen), Chefarzt des The Knick genannten Knickerbocker-Krankenhauses in New York, verkündet stolz, ‚vor 20 Jahren war 39 das Lebensalter, das ein Mensch zu erwarten hatte. Heute sind es schon mehr als 47!‘ Wir schreiben das Jahr 1900 und Thackery hält die Traueransprache für einen Kollegen, der sich nach dem zwölften missglückten Kaiserschnitt in Folge erschossen hat“, schreibt das Hamburger Abendblatt. Harald Keller (FR) meint: „Zartbesaiteten Zuschauern ist ‚The Knick“ nicht zu empfehlen. Steven Soderbergh, bei dieser Serie entgegen sonstiger Praxis alleiniger Regisseur und auch für die Kameraarbeit sowie den Schnitt zuständig, setzt nacktes Elend, versehrte Körper und blutige Operationen ungeschönt in Szene. Aber die Serie zählt nicht zum Horrorgenre, in dem sich die Maskenbilder eine Art Wettstreit liefern, wer die grausigsten Effekte und heftigsten Schocks abliefert.“ „The Knicks“ sei eine „schichtenübergreifende Erkundung einer turbulenten Epoche mit einer bis ins Detail perfekten Ausstattung. Wie ‚Downton Abbey‘ also. Aber mit mehr Innereien“.
+++ Der Mannheimer Morgen hat sich bestenfalls halbherzig für ein bestenfalls geschmacklos zu nennendes Kreuzworträtsel entschuldigt, findet Hardy Prothmann (Rheinneckarblog).
+++ Ein Rechtsextremist, der unter dem Namen eines Main-Post-Redakteurs einen Leserbrief an die SZ geschrieben hatte (den diese versehentlich druckte), muss nun wegen „Urkundenfälschung“ 4000 Euro Strafe zahlen. Das hat das Amtsgericht Schweinfurt entschieden. Die Main-Post berichtet in durchaus auch eigener Sache.
+++ Eine Ergänzung zu der Bedrohung und Ermordung säkularer Blogger in Bangladesch (siehe Altpapierkorb vom vergangenen Dienstag): Für die taz Nord habe ich den aus seinem Land geflohenen Islamismus-Kritiker und Bloggers Ananya Azad porträtiert, der seit kurzem mit einem Stipendium der Hamburger Stiftung für politische Verfolgte in Hamburg lebt.
+++ Die FAZ porträtiert die für die Deutsche Welle arbeitende Schanna Nemzowa, die Tochter des ermordeten Putin-Kritikers Boris Nemzows.
+++ Wie es wäre es, wenn Deutsche und andere Europäer vor Kriegen nach Afrika fliehen müssten bzw. konkreter: wenn ein linker schwuler Grafiker in einem Zelt in Südafrika auf seine Abschiebung nach Deutschland wartet - einen Text, der dies ausmalt und zuerst bei Hypnoid erschienen ist, haben die Prinzessinnenreporter republiziert.
+++ Und den Journalisten-Fragebogen der Prinzessinnenreporter hat Altpapier-Autorin Juliane Wiedemeier beantwortet.
Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.