Landesverrat und Landlust

Landesverrat und Landlust
Ein epochaler Tag für die deutsche Mediengeschichte: Das erste "Landesverrats"/ "Staatsgeheimnis"-Strafverfahren des Jahrtausends richtet sich gegen zwei Onlinejournalisten. Außerdem: Macht Gruner + Jahr aus der einzigen neuen Erfolgszeitschrift, was Dr. Oetker aus der Bionade machte?

Carl von Ossietzky, im KZ eingesperrt mit dem Friedensnobelpreis geehrt, und Rudolf Augstein, der nach der Spiegel-Affäre zum millionenschweren Erfolgs-Verleger wurde: Das sind die bekanntesten des Landesverrats angeklagten deutschen Journalisten des 20. Jahrhunderts.

Im laufenden 21. gibt es noch keine. Zumindest enden die kleinen Überblicke ("Selbst altgediente Juristen bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe müssen lange nachdenken, wann der Begriff des Staatsgeheimnisses zuletzt bemüht wurde"), die die Erstvermelder der News, Hans Leyendecker und Georg Mascolo, in der Süddeutschen geben, mit einem Prozess gegen die linke konkret in den 1980er Jahren. Bis dahin reicht das konkret-Onlinearchiv längst nicht zurück.

In dieser Reihe stehen der Gründer von netzpolitik.org (der Blog ist seit gestern schwer zu erreichen, aber geübt darin, Informationen auch auf anderen Servern zur Verfügung zu stellen), Markus Beckedahl, und sein Mitstreiter André Meister noch nicht. Schließlich bedeutet ein eingeleitetes Strafverfahren noch keine Anklage, schließlich ist der aktuelle deutsche Staat zweifellos ein Rechtsstaat.

In dieser Reihe werden die beide netzpolitik.org-Macher künftig aber genannt werden. Schließlich wird nun "zum ersten Mal seit Jahrzehnten und mehr als fünfzig Jahre nach der Spiegel-Affäre ... Journalisten wieder Landesverrat und die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen vorgeworfen." So leitet das SZ-Autoren-Gespann seinen Start-/Titelseiten-Artikel ein.

Schließlich ist es derselbe Generalbundesanwalt Harald Range (generalbundesanwalt.de), der in letzter Zeit vor allem dadurch Aufsehen erregte, dass er gegen Geheimdienste verbündeter Staaten, die mit deutscher Hilfe offenkundig deutsche und andere europäische Bürger und (in der deutschen Wahrnehmung vielleicht schlimmer:) deutsche und andere europäische Unternehmen ausspioniert haben, möglichst gar nicht vorgehen will, der nun gegen zwei Journalisten zur Tat schreitet. Er und seine Berater dürften sich das gründlich überlegt haben.

Schließlich ist es der vor allem aus ähnlichen Zusammenhängen bekannte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der drei Strafanzeigen gestellt hat, von denen Range nun zwei zum Anlass für Ermittlungen genommen hat. Schließlich ist "der Vorwurf des Landesverrats ... ein scharfes Schwert: den Bloggern droht jeweils eine Freiheitsstrafe von 'nicht unter einem Jahr'. Nachgewiesen werden müsste ihnen, dass sie ein Staatsgeheimnis öffentlich bekanntgemacht hätten, 'um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen' und dadurch 'die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit' des Staates herbeizuführen" (heise.de).

Was die dritte Anzeige angeht, so formuliert die andere Hälfte des Erstvermelders, des SZ/ WDR/ NDR-Rechercheverbunds, die eigene Sache so:

"Außerdem stellte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen in einem weiteren Fall Anzeige: Dabei ging es um einen geheimen Bericht über eine V-Mann-Affäre im NSU-Umfeld, über den NDR, WDR und 'Süddeutsche Zeitung' berichtet hatten. In diesem Fall prüfen die Strafverfolger in Karlsruhe noch, ob der Vorwurf für ein solches Verfahren reicht." (tagesschau.de)

Heißt: Die Fraktion der vermutlich exzellent vernetzten Betonköpfe in höchsten Beamtenpositionen, die Aufklärung der eigentlichen Überwachungsvorgänge mit viel Engagement weitestgehend vermeiden möchte, wollte sich mit etablierten, teilweise öffentlich-rechtlichen Medien lieber erst mal nicht anlegen. Aber doch mit dem Spenden-finanzierten Blog.

Um was es sich bei netzpolitik.org handelt, muss an dieser Stelle natürlich nicht erklärt werden. Das Porträt von der SZ-S. 2 ("Wenn sich BND-Präsident Gerhard Schindler über Zeugenaussagen im NSA-Untersuchungsausschuss informieren will, liest er, wie Vertraute berichten, den Blog Netzpolitik.org im Internet ... ") ist aber lesenswert. Eine interessante Markus-Beckedahl-Biografie, die auch die Herkunft des Bloggers aus dem rheinländischen Herz der Bonner Republik schildert, hat z.B. die Berliner Zeitung noch (unformatiert) in ihrem Archiv.

Was Beckedahl nun gerade in einem dreiminütigen Skype-Interview sagte, zeigt die "Tagesschau" auf Youtube. Was sein Kollege André Meister gestern im Blog schrieb, klingt im typischen, entspannten Blick und Brisanz kombinierenden netzpolitik.org-Sound ebenfalls gefasst:

"Wenn es nach Verfassungsschutz-Chef Maaßen und Generalbundesanwalt Range geht, sitzen Markus und ich bald zwei Jahre lang im Gefängnis.
... ...
Nächsten Mittwoch bekommen wir übrigens eine Auszeichnung als 'Ausgezeichneter Ort' von Deutschland – Land der Ideen, einer 'gemeinsamen Standortinitiative der Bundesregierung und der deutschen Industrie' – Schirmherr ist Bundespräsident Joachim Gauck."

Sorgen muss man sich nach diesem vermutlich recht epochalen Einschnitt, dessen Vorgeschichte Sie übrigens auch in diesem Altpapier finden, aber um die Medienfreiheit. Ihre Grenzen in Deutschland werden offenbar gerade ausgetestet.

"Die Betroffenen haben völlig Recht, wenn sie von Einschüchterungsversuchen und einem Angriff auf die Pressefreiheit sprechen. Sie haben Solidarität verdient" (Christian Stöcker, SPON).

"Etwas läuft schrecklich verkehrt im Staate Deutschland. Als der Generalbundesanwalt nach dem Empfinden des gesunden Menschenverstands hätte ermitteln sollen - nach den Snowden-Enthüllungen -, passierte: nichts. Als er nach Bekanntwerden der Überwachung der gesamten deutschen Bevölkerung durch ausländische Dienste hätte ermitteln sollen, passierte: nichts. Als das Abschnorcheln des Kanzlerinnenhandys bekannt wurde, passierte ein ganz kleines bisschen, letztlich aber ebenfalls: nichts. Erkenntnisse aus dem NSA-Untersuchungsausschuss waren ebenfalls kein Ermittlungsgrund. Als aber Netzpolitik.org über Pläne zur Internet-Überwachung berichtete (die uns alle betreffen): Das ging gar nicht. ... ... Daraus entnehme sicher nicht nur ich: Strafanzeigen des fragwürdigen Bundesamts für Verfassungsschutz haben in diesem Staat mehr Gewicht als Bürgerinteressen und vor allem: mehr Gewicht als Grundrechte."

(Vera Bunse auf rolandtichy.de, Tichy ist u.a. Vorstandsvorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung)

"Mit dem Ermittlungsverfahren ... werden Grenzen erkennbar, die eine Antwort auf die Frage ermöglichen, die ich mir schon 2013 in Bezug auf den Guardian und den britischen Geheimdienst gestellt habe: Auf welcher Seite stehst du? Diese Frage ist Vorraussetzung für eine Politisierung, sie ermöglicht eine politische Bewegung, die wie der Umweltschutz nachhaltig Wirkung zeigen wird. Bisher war diese Frage so schwer zu stellen, weil für viele die Grenzen nicht sicht- oder kaum greifbar waren. Das könnte wird sich jetzt ändern."

(Dirk von Gehlen in seinem Blog).

Um es positiv zu sehen: Die Solidarisierung, die es bisher gab (z.B.), gibt Anlass zur Hoffnung, dass der Verfassungsschutzpräsident und der Generalbundesanwalt da eine Initiative gegen Medien- und Journalismusverdrossenheit gestartet haben, die raffiniert indirekt und besser funktioniert als es eine täte, deren Schirmherrschaft gleich wieder Bundespräsident Gauck übernommen hätte.

Auch wenn der Text für Altpapier-Verhältnisse noch gar nicht besonders lang ist, geht's aus Priorisierungsgründen weiter im ...


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+++ Epochaler Schritt auch für Gruner+Jahr: Der früher wichtige Zeitschriftenverlag hat sich die größte, ja: einzige Erfolgszeitschrift des bisherigen Jahrtausends zur Hälfte in den Konzern geholt: "Gruner + Jahr und Landwirtschaftsverlag Münster planen gemeinsames Unternehmen mit Landlust und Essen & Trinken", heißt die Pressemitteilung, in der dann Landwirtschaftsverlags-Geschäftsführer Hermann Bimberg mit "... um unsere Medienpalette entlang der 'Food-Chain' von der Lebensmittelproduktion, über den Handel bis zum Lebensmittelkonsum, erfolgreich auszubauen" zititert wird. +++  "Gruner wird in erster Linie Erfahrung und Know-how bei der Vermarktung einbringen", geht meedia.de einen Tick darüber hinaus. Stefan Winterbauer kann aber nicht umhin, separat ein bisschen über das einst "stolz ... größte Zeitschriftenhaus Europas" zu lästern und in Frage zu stellen, ob Julia Jäkels Laden "nicht doch der Versuchung erliegt, an den berühmten 'Stellschrauben' zu drehen" und dem "erfolgreichen Sonderling ... seinen knorrigen Charme" zu nehmen. Also aus der Landlust zu machen, was Dr. Oetker aus der Bionade machte ... +++ Dass der in der G+J-Pressemitteilungs-Überschrift genannte Titel Essen & Trinken tatsächlich ein "traditionsreiches Magazin" (SZ-Medienseiten-Meldung) ist und auf eine eindrucksvolle Geschichte zurückblicken kann, die begann, als Henri Nannen 1972 wähnte, innerhalb von zwei Jahren seien doch alle Rezepte gedruckt (von der Food-Chain hatte er offenbar keine Ahnung), hat Simone Schellhammer für den Tagesspiegel aufgeschrieben. +++

+++ Die Medienseiten der großen Tageszeitungen widmen sich heute beide den komplizierten Konstruktionen von Tochterfirmen öffentlich-rechtlicher Sender. Die FAZ macht dazu gleich wieder eine ganze Themenseite. Jörg Seewald nimmt einen Bericht des in Salzgitter lehrenden Kommunikationsmanagement-Professors Harald Rau in der Zeitschrift Medienwirtschaft zum Anlass, solche Verflechtungen sowohl per bunter Grafik als auch in Textform zu schildern, "beispielsweise die Konstruktion, über die der NDR beziehungsweise seine hundertprozentige Tochter NDR media GmbH als Holding zu hundert Prozent an Studio Hamburg beteiligt ist, das seinerseits zu 51 Prozent an doclights beteiligt sei, diese wiederum zu hundert Prozent an der Riverside Entertainment GmbH und zu 25 Prozent an Gruppe 5 Filmproduktionen – die beiden Letzteren wiederum auf der anderen Seite von der hundertprozentigen ZDF-Tochter ZDF Enterprises gehalten würden ..."  +++ Außerdem interviewt er Rau, der etwa anhand der Produktionsfirma Network Movie beklagt, wie das ZDF "'dealt' mit Unternehmen, die über den privatwirtschaftlich operierenden Teil des ZDF wieder rückverbunden sind. Das sollte in einem öffentlich-rechtlichen System nicht der Fall sein. Aus meiner Sicht ist der Gesetzgeber gefragt". +++

+++ Indes auf der SZ-Medienseite geht Hans Hoff Geschäften der WDR Mediagroup nach, die u.a. Thommy Gottschalks Millionen-Ausfallhonorar so finanzierte, dass es die Gremiengremlins vom WDR nicht zu erfahren brauchten. "Just diese Firma betreibt auch mehrere Webportale, die recht rabiat die Grenzen dessen auszutesten scheinen, was sich beitragsfinanzierte Sender erlauben dürfen. 'Drinnen & draußen' und 'Rat und Tat' heißen zwei dieser Angebote, die sich über Werbung finanzieren sollen", aber mit WDR-Inhalten gefüllt werden. Hier sind sie; ein spezielles Werbevideo der Mediagroup sei nach einer SZ-Anfrage dazu am Mittwoch aus dem Netz verschwunden. +++

+++ Außerdem geht es in der SZ um die Programmpläne des BR-Fernsehens (zu denen der Tagesspiegel gestern die Fernsehdirektorin interviewt hatte): "Statt der 'Lesezeichen' soll am Montagabend Klassik im TV stattfinden, also der Bereich, der im BR-Radio von UKW demnächst ins Digitale weichen soll. Für Literatur ist ein Sendeplatz am Mittwoch vorgesehen, den unter anderem auch die Redaktion des Magazins 'Lido' bespielen soll ..." Für die genannten Sendungen setzt sich eine Onlinepetition ein. +++

+++ Die TAZ hat die drei neuesten deutschen Varoufakis-Interviews übersichtlich unter Aspekten wie "Infogehalt", "Selbstinszenierung der Reporter" und "Klischeefaktor" bewertet. Der Überraschungssieger im Spiegel/ Zeit/ Stern-Wettbewerb kommt aus Hamburg (und wird von G+J vorerst nicht ins Joint Venture mit dem Landwirtschaftsverlag eingebracht). +++

+++ Eines der Themen gestern hier waren rechtsextreme Facebook-Inhalte.  Dazu hat sich nun ein Oberstaatsanwalt aus Dresden geäußert, der "subjektiv eine Zunahme wahr" nimmt (sueddeutsche.de). +++ Ganz konkret von einer "Festnahme nach Facebook-Aufruf zu Anschlag" in Halberstadt berichtet die Mitteldeutsche Zeitung aus der DuMont-Verlagsgruppe ("Das Facebook-Posting ist inzwischen gelöscht. Nach MZ-Informationen sollen zuvor einige auf 'Gefällt mir' geklickt, es aber noch nicht kommentiert haben"). +++

+++ Heute endet die Frist für Stellungnahmen zum ab 2016 geplanten Jugendangebot von ARD und ZDF, "die jeder Interessierte abgeben konnte", und es geht unter den Interessierten schon recht hoch her (EPD/ evangelisch.de). +++

+++ "Vielleicht sollte der Versicherungsverband GDV sich einfach mal darauf einlassen, dass es zu der Aufgabe von Journalisten gehört, kritisch zu sein. Niemand mag Organisationen, die sich ihren eigenen Journalismus mit dem Scheckbuch zusammenkaufen", hofft Bülend Ürük (kress.de) im Zusammenhang der jüngsten Plasberg-Aufregung. +++

+++ "Dennoch nachträglich ein paar Infos, die in der öffentlichen Debatte irgendwie untergegangen sind" bloggt Günther H. Oettinger (ec.europa.eu) und bekommt vom österreichischen Grünen Michael Reimon eins übergebraten (Standard). Die wohl besten deutschen Experten in dieser Sache wären die Landesverrats-verdächtigten netzpolitik.org-Macher ... +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.

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