Der "Tatort" aus Wien hat eine noch größere Strahlkraft, aber der "Landkrimi" ist in Österreich eine ähnlich starke Marke, mit der die Zuschauer bestimmte Erwartungen verbinden. Zum Muster der Geschichten gehört neben dem Schauplatz in der Provinz auch die Ankunft regelmäßig wechselnder Ermittler von außerhalb, die die Umstände eines Mordes erforschen sollen. In "Grenzland", der zwölften Episode (TV-Premiere war 2019), soll eine Chefinspektorin kurz vor der Pensionierung irgendwo im Burgenland den Mörder einer jungen Frau suchen. Gespielt wird die Polizistin von Brigitte Kren, hierzulande vor allem als eine der Titelheldinnen der österreichischen Serie "Vier Frauen und ein Todesfall" bekannt.
Regie führte ihr Sohn Marvin, der nicht nur wegen der Serie "4 Blocks" (Grimme-Preis, Deutscher Fernsehpreis) ein sehr interessanter Regisseur ist. Zuletzt hat er für Netflix die knallharte Gangster-Serie "Crooks" (2024) gedreht, zuvor für den NDR hat einen sehenswerten "Tatort" ("Böser Boden", 2017) und für Sat.1 den imposanten historischen Krimi "Mordkommission Berlin 1" (2015). Die Handlung scheint überschaubar: Nach dem Fund der Leiche führt die Spur umgehend in ein zum Flüchtlingsheim umfunktioniertes Hotel. Das Opfer hat dort ehrenamtlich geholfen und offenbar ein Verhältnis mit einem Syrer begonnen. Dieser Achmet (Hassan Akkouch) ist für seine jähzornige Eifersucht bekannt und spurlos verschwunden.
Für die Einheimischen ist der Fall klar, und sollte Chefinspektorin Jandrasits von der Bundeskriminalpolizei Zweifel an Achmets Schuld haben, so verfliegen sie im Nu, als sie den Syrer mit Unterstützung des örtlichen Revierinspektors Boandl (Christoph Krutzler) in seinem Versteck aufstöbert und dabei niedergeschlagen wird. Der Syrer wird kommt in die Arrestzelle, der Fall scheint gelöst; zu diesem Zeitpunkt ist allerdings erst Halbzeit. In der zweiten Hälfte entwickelt die Geschichte (Buch: Konstanze Breitebner) nicht zuletzt dank der mehr und mehr packenden Musik (Stefan Will, Marco Dreckkötter) eine unerwartete Dramatik. Auch das Vorzeichen wechselt: Der beschauliche Provinzkrimi wandelt sich zum Thriller, als Achmet nach einem Molotow-Anschlag auf das Polizeirevier fliehen kann und eine selbsternannte Bürgerwehr eine Hetzjagd veranstaltet.
"Grenzland" ist aber auch schon vorher sehenswert, selbst wenn Jandrasits eine etwas gewöhnungsbedürftige Heldin ist. Der Film versucht gar nicht erst, seine Hauptfigur sympathisch zu gestalten. Als die Chefinspektorin die Todesnachricht überbringt und Renates Vater (Andreas Kiendl) nicht in der Lage ist, ihre Fragen zu beantworten, bietet Krens Mimik eine interessante Mischung aus Mitgefühl und Ungeduld. Dabei ist die Einführung der Ermittlerin aller Ehren wert: Im Prolog legt sie sich mit keinem geringeren als ihrem obersten Dienstherrn an, weil der Minister offenbar regelmäßig seine Frau schlägt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im Dorf zeigt sie sich dagegen von einer anderen Seite. Die Vorbehalte der Menschen scheint sie durchaus zu teilen. Der Film spielt im südlichen Burgenland an der Grenze zu Ungarn; hier kamen 2015 Tausende von Flüchtlingen nach Österreich. Die knorrigen Einheimischen machen keinen Hehl aus ihren Ressentiments, und die Chefinspektorin widerspricht ihnen nicht, im Gegenteil.
Umso wichtiger sind die Szenen, die Jandrasits beim ausgesprochen liebevollen Umgang mit ihrem Mann (Wolfram Berger) zeigen. Hier gewinnt die Ermittlerin jene Sympathien, die Voraussetzung dafür sind, ihr durch den Film zu folgen, schließlich wird die Geschichte über weite Strecken aus ihrer Perspektive erzählt. Trotzdem lebt der Krimi zunächst von den stimmungsvollen Aufnahmen der Landschaft, die Kameramann Georg Geutebrück gern bei Sonnenauf- oder -untergang und noch öfter im Nebel zeigt. Auch die zwielichtigen, leicht verschleierten Innenaufnahmen passen gut zur düsteren Geschichte.
Auf gewisse Weise amüsant ist dagegen das Zusammenspiel zwischen der Ermittlerin und dem Dorfpolizisten, weil sie den allzu redseligen Boandl regelmäßig schulmeistert; die Dialoge sind stark vom Dialekt geprägt und trotz leichter Synchronisation oft nur schwer zu verstehen. In der zweiten Hälfte weicht die subtile heitere Note einer bedrohlichen Stimmung, als Renates Onkel (Martin Zauner) mehrere Männer zur Hetzjagd aufstachelt. Dies ist der Auftakt eines makabren Wettlaufs zwischen der Polizei und den nunmehr mordlüsternen Einheimischen. Das Blatt wendet sich, als es Achmet gelingt, sich zu bewaffnen: Der Syrer hat mittlerweile rausgefunden, dass er Opfer eines finsteren Komplotts ist, und will Rache.