Intellektuelle und strategische Imitation

Intellektuelle und strategische Imitation
So entschlüsselt Nils Minkmar im Spiegel das Rätsel namens Angela Merkel. Wir nutzen die Gelegenheit, um zu verstehen, was der Spiegel meinen könnte, wenn man in Zukunft die vielfältige Welt der Medien im ganzen Blatt wiederfinden soll.

Ob Medien eine Medienseite brauchen? Diese Frage hat jetzt der Spiegel für sich so beantwortet: „Den festen Medienteil geben wir auf – Texte aus der vielfältigen Welt der Medien finden unsere Leser jetzt an vielen Orten im Heft.“ Nun kann man sich zwar fragen, warum Meldungen über die Medien nicht weiterhin gebündelt präsentiert werden sollen. Aber man kann durchaus eine Geschichte über den Ausstieg von Günther Jauch in Zukunft unter Kultur subsumieren, während man die über Twitter unter Wirtschaft laufen lässt. Kein Problem. Aber dafür zeigt uns der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe, wie man die vielfältige Welt der Medien beschreiben kann, und das sogar im eigenen Blatt. Nils Minkmar hat unter dem Titel „Jahre der schwarzen Null“ einen lesenswerten Essay über die das Land prägenden Jahre der Kanzlerschaft von Angela Merkel geschrieben. Im „Nachmachen von Chefs“, so seine These, „sind wir Weltmeister“. Nur sei die Sache im Fall der Kanzlerin subtiler.

„Es findet keine äußerliche Imitation statt, wir feiern keinen Personenkult. Die Leute nennen ihre Töchter nicht Angela, es gibt kaum Frauen, die sich ähnlich kleiden oder die Hände vor ihrem Bauch zur Raute formen. Wir beobachten vielmehr eine intellektuelle und strategische Imitation – das Vorbild wirkt damit aber gründlicher.“

Eliten übernähmen Merkels „strategische Art“, selbst die, die ihr nicht nahe ständen. Vor allem aber nehmen Medien den Unsinn, den sie jetzt seit Jahren erzählt haben, für bare Münze. Sie fallen gewissermaßen ihrer eigenen Kanzlerinnen-PR zum Opfer. Dazu gehört auch jenes Paradigma von der Ruhe, die Frau Merkel ausstrahle. Darüber kann man in der Titelgeschichte lesen, die der Spiegel zum Thema Grexit verfasste.

„Doch Merkel bewahrt vor dem Bundestag einmal mehr ihre unnachahmliche Ruhe. „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“, sagt sie wieder. Das heißt wohl: Sie will. Immer noch. Sie sagt: Ich hoffe, dass die griechische Regierung diesen Willen aufbringt.“ Aber kann Tsipras auch?“

Nun war diese Regierungserklärung so routiniert belangvoll, wie es solche Regierungserklärungen in vergleichbaren Situationen immer sind. Man will sich alle Optionen offen halten, die Gegenseite unter Druck setzen, nicht vorzeitig eigene Postionen räumen. Der Witz an diesem Zitat ist die historische Amnesie, die er zum Ausdruck bringt. Was glauben eigentlich die Spiegel-Autoren? Dass frühere Kanzler in Bonn wie aufgescheuchte Hühner vor dem Kanzleramt umhergeirrt sind? Oder via Twitter verkündeten: „Oh Gott, wir gehen unter. #Grexit“?

Der einzige Unterschied zwischen der amtierenden Kanzlerin und ihren Vorgängern besteht nämlich nicht in ihrer „unnachahmlichen Ruhe“, die im Falle von Frau Merkel allerdings die Scheu vor Entscheidungen ist, sondern der Kontrast zum Medienbetrieb. Die Ruhe der Kanzlerin bekommt nur deswegen diese Wirkung, weil es in der Geschichte der Politik-Berichterstattung noch nie so viele aufgescheuchte Hühner gegeben hat, die kopflos durch Berlin-Mitte irren wie heute. So ist am Samstag der SPD-Konvent zur Vorratsdatenspeicherung Anlass zur Empörung, am Sonntag ein Happening im Beerdigungsstil, am Montag der Grexit. Die Lage ist zwar ernst, das war sie schon immer, aber deshalb sollte man heute an Konrad Adenauer erinnern.

„Wenn man sich alle Gefahren vor Augen hält; das Gefährlichste ist das Bett, da sterben die meisten Menschen. Trotzdem legen wir uns jeden Abend wieder hin.“

Das sagte er am 11. Juli 1952 in einem seiner berühmt gewordenen Teegespräche mit ausgewählten Journalisten. Wer Empörendes sucht, wird dort übrigens fündig. Es ging um die Zukunft Russlands nach dem absehbaren Tod Stalins. Warum ein diktatorisches Russland in Zukunft seine Einwohner bei einer steigenden Bevölkerungszahl nicht mehr einfach hungern lassen könne? Adenauer antwortete auf den Zwischenruf „Trotz des Hungerns?“ so.

„Das ist die größere Fruchtbarkeit. In der Zeit, in der hier eine Frau ihre Kinder bekommt, wird die russische Frau Großmutter.“

Aber zum Glück liest niemand mehr Adenauers Teegespräche, höchstens die Dokumentation im Spiegel. Ansonsten müsste sich noch die Kanzlerin von ihrem Vorgänger distanzieren. Auf jeden Fall wissen wir aber jetzt, was der Spiegel mit der „vielfältigen Welt der Medien“ meinte, die wir in Zukunft „an vielen Orten im Blatt“ wiederfinden: Am Anfang des Heftes die empirischen Belege für die Thesen der Essays am Ende. Damit wäre eine Medienseite auch zweifellos überfordert.

+++ Was in Deutschland immer klappt: Der Verwaltungsvollzug. Aus dem Grund ist auch Ahmed Mansour festgenommen worden.

„Der Al-Jazeera-Reporter Ahmed Mansour ist eines der bekanntesten Fernsehgesichter der arabischen Welt, er war in der vergangenen Woche nach Deutschland geflogen, um am Mittwochabend seine wöchentliche Fernsehsendung "Bi La Hudud" ("Ohne Grenzen") live in Berlin zu filmen. Eine Stunde lang führte er ein Interview Guido Steinberg, es ging um deutsche Außenpolitik; im Hintergrund zeigte der Fernsehsender das Brandenburger Tor im Abendlicht.“

Das macht sich bekanntlich immer gut, das Brandenburger Tor im Abendlicht. Trotzdem kann man sich kaum vorstellen, dass Mansour an Kairo ausgeliefert werden könnte, jenseits dessen wie man Al-Jazeera beurteilt. Auch einem Mitarbeiter eines katarischen Staatssender ist es nicht verboten, eine politische Meinung zu haben, die einem nicht gefällt. Erstaunlich ist allerdings die Verwirrung über den „internationalen Haftbefehl“, den die Polizei als Begründung für die Festnahme Mansours nannte. Der existiert offensichtlich nicht. Nur warum soll jetzt die Bundesrepublik Deutschland ein Auslieferungsgesuchen Ägyptens positiv bescheiden, das einen britischen Staatsbürger betrifft, dem eine Straftat in Ägypten vorgeworfen wird?

Man sieht hier, wo das Problem liegt. Es gab diese Debatte schon bei Edward Snowden, ob er im Fall der Einreise nach Deutschland an die USA ausgeliefert werden muss. In Wirklichkeit ist das keine rechtliche Frage, und damit eine des Verwaltungsvollzugs, sondern eine politische Entscheidung der Regierung. Es geht hier schließlich um politische Justiz und nicht um ein gewöhnliches Strafverfahren. Insofern ist das Auslieferungsersuchen Ägyptens ebenfalls als ein politischer Akt zu bewerten. Ägypten will damit die Bundesregierung unter Druck setzen, ohne wahrscheinlich ernsthaft eine für die dortige Regierung positive Entscheidung zu erwarten. Eine Auslieferung sollte damit ausgeschlossen sein. Nur könnte man aus diesem Fall zugleich die Lehre ziehen, über politische Sachverhalte weniger in rechtlichen Kategorien zu denken als es hierzulande üblich geworden ist. Bekanntlich ist auch in den Medien das mittlerweile stärkste politische Argument die angebliche Verfassungswidrigkeit von allen möglichen Gesetzen geworden, die einem nicht passen.

+++ Heute geht es zwar den ganzen Tag um Griechenland, manchmal auch nur um Alexis Tsipras und dessen Frau, aber dafür hat der Spiegel ein Foto gefunden, wo sich der frühere US-Präsident über einen Spiegel-Titel freute. Um welches Cover es sich handelt, hat man jetzt aber auch geklärt. Nun gibt es auch einen weiteren Spiegel-Titel aus dem Jahr 1977. Der ist im Bonner „Haus der Geschichte“ zu sehen. In der Süddeutschen Zeitung wird über diese Ausstellung berichtet - und hier stellt sich die Frage, ob man zeitgenössische Dokumente mit dem „Recht auf Vergessen“ verwechselt.

„Oder man muss sich schämen für die brutale Naivität: Die Scorpions brachten 1976 das Album "Virgin Killer" heraus, auf dem eine nackte Zehnjährige zu sehen war. Und ein Jahr später kam der Spiegel mit einer Titelgeschichte über "Kinder auf dem Sex-Markt" und präsentierte ohne Scheu nackte Kinder, die ihre Geschlechtsteile in die Kamera reckten. Die Bonner Ausstellung zeigt das Spiegel-Cover "Die verkauften Lolitas", klebt jedoch eine schwarze Abdeckung über die Scham des elf Jahre alten, aber bereits pubertierenden Mädchens, das mit halterlosen Strümpfen posiert. Ansonsten nackt. Niemand würde heute noch solche Bilder drucken - nicht einmal gepixelt.“

Tatsächlich würde das niemand mehr tun, sogar der Spiegel hat in seiner Titel-Dokumentation dieses Cover entfernt. Aber wie weit geht eigentlich die Selbstzensur von historischen Dokumenten, um das es sich hier zweifellos handelt? Das könnte man weiterdenken: Um am Ende alles verschwinden zu lassen, was einem heute nicht mehr gefällt.


Altpapierkorb

+++ Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer hat auch ein Interview in der HAZ: „Aber wie einfach hatten es Chefredakteure in früheren, sorglosen Zeiten.“ Bezüglich früherer Zeiten ist dieser Hinweis von Klaus Kusanowsky hilfreich.

+++ Ist Apple ein Medienunternehmen? Die Unterschiede verschwimmen bekanntlich unter den heutigen Bedingungen. Aber der Fall von Taylor Swift könnte nicht nur die Musikbranche betreffen.

+++ Wenn man schon nicht Journalisten an Ägypten ausliefert, gibt es eigentlich auch keinen Grund für britische Minister einen Rachefeldzug gegen die BBC zu unternehmen.

+++ Wie blogs gemeinnützig werden, erläutert Daniel Bouhs. Wie regionale Blogs funktionieren, kann man an diesem Beispiel von Hans Schiebener sehen. Er berichtet seit Jahren kontinuierlich über das Sauerland – und darüber hinaus.

+++ Den Blick auf die große weite Welt hat dagegen die Deutsche Welle, auch wenn das Sauerland viel schöner ist, wie schon ein früherer Bundespräsident wusste. Sie startet heute ihr neues englisches TV-Programm. Das passt ja auch zum Staatsbesuch der Queen in dieser Woche. Die Medien sind schon ganz aufgeregt, obwohl dort nun wirklich nichts passieren wird, außer die obligatorischen schönen Bilder.

+++ Über die Rücktritte in der deutschen Fernsehunterhaltung berichtet Klaudia Wick. Außerdem schreibt Thomas Gottschalk über den gelungenen Rücktritt von Stefan Raab.

+++ Griechenland wird auch Morgen noch das große Thema bleiben. Die Queen kommt bekanntlich erst am Mittwoch. Wie griechische Journalisten mit dem Thema umgehen, ist bei Melanie Mühl in der FAZ nachzulesen: "Die griechischen Kollegen, Print-, Rundfunk- und Internetjournalisten, die nach Bonn gereist sind, sehen erschöpft aus. Nicht der Reisestrapazen wegen, natürlich nicht. Seit sieben Jahren leiden sie unter der Krise. Zehrende sieben Jahre, geprägt von Ungewissheit, Angst vor einem weiteren sozialen Abstieg, einem Leben am Existenzminimum. Zu Verzweiflung und Furcht gesellte sich bisweilen durch politische Versprechungen genährte Hoffnung, die jedes Mal bitter enttäuscht wurde. Wie hält eine Gesellschaft das aus?"

+++ Dagegen ist das Problem von Kai Diekmann wohl weniger dramatisch. Er wurde von einem CDU-Bundestagsabgeordneten geblockt.

+++ Was jetzt auch nicht mehr fehlt? Sandra Maischberger wird in Zukunft am Mittwoch mit ihren Gästen diskutieren. Die Sendung soll auch politischer werden, so ist im Tagesspiegel zu lesen.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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