Jeder wünscht sich Qualitätsjournalismus. Wirklich jeder? Ein Blick in die Vergangenheit und auf das Briefporto schärft den Blick. Aber das muss den Journalismus nicht daran hindern, seine eigenen Maßstäbe wieder in den Blick zu rücken.
In früheren Zeiten gab es eine klare Unterscheidung zwischen Berichterstattung und Kommentar. Über die Fakten wollte man weniger streiten als um deren Interpretation. Das wurde lediglich bei der Zeitung mit der größten Auflage in Europa, der Bild, ernsthaft in Frage gestellt. Dort, so der gut dokumentierte Vorwurf, galt die Interpretation der Fakten schon immer als Gegenstand der Meinungsbildung. Im Zeitalter der Digitalisierung kann von dieser Eindeutigkeit nicht mehr die Rede sein. Heute ist es nicht mehr so einfach auszumachen, was die Fakten sind und welche Meinung man noch äußern darf. Stefan Niggemeier hat sich in der FAS dieses Themas angenommen und "Journalistenverachtung" mit fatalen Folgen diagnostiziert.
"In der Wahrnehmung dieser Kritiker geht es nicht um Fehler, Pannen und Verfehlungen Einzelner. Sie unterstellen ein System, eine konzertierte Aktion, ein bewusstes Verschweigen und Verdrehen von Tatsachen, orchestriert im Zweifel von den Vereinigten Staaten, jedenfalls im Dienst ihrer Interessen - und einen Krieg mindestens in Kauf nehmend."
Diese Idee, es könnte heute noch eine Art Behörde geben, die die Berichterstattung steuert und manipuliert, ist an sich schon kurios. Das funktionierte lediglich in Diktaturen wie der DDR, wo der Journalismus den Weisungen der Politik zu folgen hatte. Das Kuriose an dieser Debatte ist die Ignoranz gegenüber ihren technologischen Voraussetzungen. Die Digitalisierung hat das alte Sender-Empfänger-Modell zur Charakterisierung von Massenmedien aufgehoben, weil heute jeder selbst mit wenigen Klicks zum Sender werden kann. Das frühere Monopol des Journalismus, die Gesellschaft über sich selbst informieren zu können, hat sich damit erledigt. Die Medienkritik als Verschwörungstheorie entwertet somit den von Niggemeier artikulierten Gedanken, berechtigte Kritik als "einen ganz banalen Appell für mehr kritischen Journalismus" zu verstehen. Die Folgen beschreibt er auch:
"Viele der seriösen Medien scheinen noch nicht zu ahnen, wie groß die Erosion des Vertrauens in ihre Arbeit ist und dass dieses Vertrauen die Grundlage für alles ist. Die Gefahr für uns alle ist, dass Menschen, die ihnen nicht mehr glauben, alles glauben."
[+++] So berechtigt die Kritik am Journalismus ist, so naiv sind bisweilen die Vorstellungen über den Medienkonsumenten. Schon immer standen Anspruch und Wirklichkeit in einem gewissen Kontrast. Alle überregionalen Tagenszeitungen in Deutschland hatten bis in die 1980er Jahre zusammen nur einen Bruchteil der Leserschaft der Bild. Die Wochenpresse, vom Spiegel über die Zeit bis zum Stern, stand im Schatten der Yellow Press. So konnte 1964 eine Portoerhöhung von drei Pfennige (das sind 1,5 Cent) die damalige Bundesregierung in eine Krise stürzen. In der Zeit las man damals, was passierte:
"Einige Tage darauf waren es dann schon „Tausende von Bild-Lesern“, die protestierten. Das „Bild-Leserinnenparlament“ schaltete sich ein. Die „MdBP’s“ appellierten an den Kanzler, der sie erst kürzlich zu einem Plausch in Bonn empfangen hatte, „maßzuhalten“."
####LINKS####Die Bild als kraft Auflage selbsternannte Stimme des Volkes vermochte größere Durchschlagskraft zu entwickeln als der damalige Qualitätsjournalismus mit seinen staatstragenden Leitartikeln. Nur musste Volkes Stimme noch durch das Nadelöhr namens Axel Springer. Das hat sie heute nicht mehr nötig. Aber dafür muss man sich natürlich die Frage stellen, ob sich der Medienkonsum so positiv verändert hat. Noch nie wurden so häufig Kriterien für guten Journalismus postuliert und so selten wird gefragt, wer sich eigentlich noch für diesen interessiert. Diese Frage stellt aber Ronnie Grob in einem lesenswerten Aufsatz.
„Danach gefragt, was sie gerne lesen und sehen möchten in den Medien, wünschen sich die meisten ein Mehr an echtem Journalismus und Hintergrund – lange Lesestücke und Dokumentationen, die klüger machen und über Ereignisse informieren, über die sie noch nicht Bescheid wussten. Misst man allerdings, was diese Leute tatsächlich anklicken und anschauen, kommt heraus, dass solche Stücke gar nicht so oft konsumiert werden.“
Dabei dürfen auch alle Qualitätsapostel ihren eigenen Medienkonsum hinterfragen. So wird das Dschungelcamp sicherlich wieder seine positive Resonanz in den Feuilletons finden. Die ersten Namen wurden schon für die neue Ausgabe genannt. Natürlich in der Bild.
[+++] Was tun? So berichtet der junge Kollege Nicolas Miehlke in seiner Abschlussarbeit zum Thema: „Beschleunigung, Exklusivitätsdruck, zu große Macht? Der Berliner Journalismus im Wandel des Internetzeitalters“ über seine Erkenntnisse zum Medienwandel. Er sieht dort zwei Tendenzen. Zum einen nicht mehr "jeden Hype mitzumachen" und sich zum anderen mehr dem "Erklären und Einordnen" zu widmen. Wie sehr sich die Printausgaben der Tageszeitungen schon dem Druck der Digitalisierung angepasst haben, macht der Chefredakteur der Thüringer Allgemeine, Paul-Josef Raue, deutlich. Das Charakteristikum der klassischen Tageszeitung war der Umstand gewesen, dass es dort mehr zu lesen gab als der Zeitungsleser tatsächlich zu lesen beabsichtigte. Die ungelesenen Artikel waren schon immer in der Mehrheit gewesen. Raue zieht aus der digitalen Informationsschwemme die Konsequenz des Kuratierens.
"Wir bieten unseren Lesern – und in erster Linie nicht aus Spargründen – eine relativ schmale Zeitung an, meist 24 oder 28 Seiten. Wir haben von unseren Lesern gelernt: Sie wollen eine Zeitung, die übersichtlich ist und ihnen das Wesentliche in hoher Qualität bietet, das sie in ihrer knappen Zeit bewältigen können. Sie wollen nicht suchen und blättern, sie wollen lesen."
Nur was will der Leser? Roland Tichy ist sich in der Beziehung aber nicht so sicher. Angesichts der Einführung der nun schon genug mit guten Gründen verspotteten "Kompetenzteams" bei Gruner und Jahr (etwa im Altpapier von Freitag), sieht er das grundsätzliche Problem, das auch Grob thematisierte. Vielleicht will der Leser nur Fußball-Sammelbilder?
"Der deutsche Pressegroßhandel hat in seinem Kernsortiment, der Presse, im ersten Dreivierteljahr 2014 einen Absatz von 1,51 Mrd. Exemplaren erzielt. Das sind 7,6 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum 2013. Nur, weil so wichtige journalistische Produkte wie Sammelbilder zur Fußballweltmeisterschaft besser laufen, blieb der Rückgang insgesamt am Büdchen auf nur rund drei Prozent begrenzt."
Der Qualitätsjournalismus war als Geschäftsmodell schon immer eine Nische gewesen. Der Erfolg der Bild und der Yellow Press sind die herausragenden Beispiele aus der Vergangenheit. Dessen Zukunft wird also nicht davon abhängen, ob 80 Millionen Deutsche ihr tradiertes Konsumverhalten ändern, sondern ob es dem Qualitätsjournalismus gelingen wird, ihre Nische von ihrer Qualität zu überzeugen. Ansonsten wird diese Zielgruppe dessen Refinanzierung nicht sicherstellen wollen. In gleicher Weise wie sie heute übrigens bereit ist, alleine für den Zugang zur digitalen Welt enorme Summen an Geld und/oder eigene Daten aus- und preiszugeben. Das setzt aber die von Niggemeier geforderte Kritikfähigkeit voraus.
Altpapierkorb
+++ Was den Unterschied zwischen analogen und digitalen Medien ausmacht, wird etwa an den #HoGeSa Demonstrationen deutlich (Siehe Altpapier von vergangenem Montag). Die Kritik an den Medien geschieht zumeist in der Form der Gegen-Berichterstattung. Wer nicht dabei gewesen ist, wird Schwierigkeiten haben, sich ein eigenes Bild zu machen. Es wird zur Glaubensfrage reduziert. Berichterstatter können daraus aber vor allem eine Erkenntnis ziehen. Dass nämlich das erwähnte "Einordnen und Erklären" vor allem dann funktionieren wird, wenn man auf Dramatisierung möglichst verzichtet. Sie hat sich heute schlicht abgenutzt. Das gilt in gleicher Weise für den Begriff Katastrophe, worauf Udo Stiehl unlängst aufmerksam machte.
+++ Eine Medienthema der vergangenen Wochen war bekanntlich die Maut. Sie nimmt allerdings mit dem Gesetzesvorschlag von Bundesverkehrsminister Dobrindt eine unerwartete Wendung, wenn er auch das Bezahlen mit Daten nicht ausdrücklich vorsieht. Es geht ihm um die Innere Sicherheit. Bei der Netzpolitik findet man denn jetzt auch den Gesetzentwurf. Journalistisch wird es aber darauf ankommen, ihn einzuordnen. Welcher Medienkonsument wird schon die Zeit haben, ihn zu lesen, und wer hat die Kompetenz, ihn zu verstehen, wenn er den Gesetzentwurf wider Erwarten doch lesen sollte?
+++ Der Kampf zwischen Politik und Journalismus ist ein institutionalisierter Konflikt. Die Politik will nur das öffentlich machen, was ihr selbst nützt, und der Journalismus das, was der Leser als mündiger Staatsbürger wissen muss. Eine neue Wendung ist jetzt bei Thomas Wiegold zu lesen. Um Dokumente vor dem Staatsbürger zu schützen, bemüht die Politik mit Zustimmung von Gerichten ausgerechnet das Urheberrecht. Das dient allerdings dazu, Geschäftsmodelle zu schützen (ob nun berechtigt oder nicht), und nicht die Politik vor dem mündigen Staatsbürger. Es ist wahrscheinlich die dümmste Form neoliberaler Logik, die bisher von einem Gericht bestätigt worden ist. Politik und Recht haben ihren kategorialen Unterschied zur Ökonomie vergessen. Dazu auch Sascha Stoltenow in seinem Bendler-Blog.
+++ Ansonsten hat der Spiegel ein Interview mit Wolf Schneider über Gruner und Jahr, während bei turi etwas zur Zukunft deren Chefredakteurs zu finden ist. Die FAZ hat außerdem ihre Comic-Strips eingestellt.
+++ Ein ungeklärtes Problem der Digitalisierung bleibt der Umgang mit Daten. Die Idee, negative Kritiken durch Google löschen zu lassen, ist die neueste Wendung.
+++ Was darf ein Kommentar in der NZZ sagen - und was nicht? Zeitungen auf eine Blattlinie zu verpflichten, ist eher ein Merkmal früherer Zeiten gewesen. Insofern ist die Reaktion der NZZ-Chefredaktion auf einen kritischen Artikel über das Coming out des Apple-CEO schon bemerkenswert. Oder ging es in Wirklichkeit darum, die altehrwürdige NZZ rechtzeitig aus der Schusslinie zu nehmen? Dagegen ist heute der Bundespräsident wegen seiner Interventionen in die deutsche Innenpolitik unter Beschuss. Die unterschiedliche Reaktion auf eine NZZ-Redakteurin, die nicht mehr ihre, wenn auch schlecht begründete, Meinung sagen darf, und einem Bundespräsidenten, der laut Grundgesetz kein Leitartikler ist, ist schon bemerkenswert.
+++ Am Sonntag verstarb ein Journalist, der, wie kein anderer, dem Amt des Regierungssprechers seinen Stempel aufgedrückt hatte: Klaus Bölling. Nachrufe findet man via turi.
+++ Zur Kritik des früheren FAZ-Redakteurs Udo Ulfkotte äußert sich jetzt der FAZ-Herausgeber Günther Nonnenmacher. Jenseits der Debatte um das besagte Buch Ulfkottes macht Nonnenmacher Anmerkungen zur Kritik am Journalismus: "Die wachsende Journalismuskritik kann laut Nonnenmacher ein existenzielles Problem für die Branche werden: "Wenn diese Entfremdung zwischen Öffentlichkeit und Journalisten voranschreiten sollte, ist klar, dass wir zu den strukturellen Problemen der Branche – Werbeeinnahmen, bröckelnde Auflagen – noch ein anderes hinzubekommen würden." Hinter vielen Kritiken insbesondere an der Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt vermutet er eine konzertierte Aktion, "erkennbar an fast wortgleichen Mails, die die Onlineforen überschwemmen. In solchen Kommentaren spiegelt sich keine lebendige Demokratie." Wie man daran sieht, ist das Thema in den Chefetagen angekommen.
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.