Lauter Feinde

Lauter Feinde

Ganz Deutschland ist im Bann der Salafisten. Von den Hooligans in Köln bis zu Dieter Nuhr in Osnabrück. Carl Schmitt hätte seine Freude gehabt. Überall sucht man nach Feinden. Wer wundert sich dann noch, wenn sogar Jurastudenten durchdrehen?

Wie nennt man 4.500 Demonstranten gestern in Köln? Hooligans? Rechtsradikale? Nazis? Auf jeden Fall hatte ihre Demonstration in den Medien einen herausragenden Erfolg. Ihnen war die ungeteilte Aufmerksamkeit sicher, trotz der Wahlen in der Ukraine, Brasilien und Tunesien. Der Aufmarsch gegen die Salafisten konstituierte eine Art Bürgerkriegsarmee, wo jetzt alle bemüht sind, sie gemäß der eigenen Urteile gefahrlos einzuordnen. Für Linke steht der Feind wieder rechts, wo allerdings von deren sonstigen Lieblingsthemen Polizeigewalt oder dem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit nicht mehr die Rede ist. Dort hat man eher den Eindruck, sie könnten in Köln den konsequenten Einsatz von Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken vermisst haben. Die Polizei selbst sieht Hooligans dagegen nur als unpolitische Gewalttäter, wo es „um Gewalt geht und sonst nichts“ und „der Kampf gegen den Salafismus nur ein Alibi“ sei: „Man will die Gewalt ausleben.“ Die Hooligans hätten halt einen Grund für eine Auseinandersetzung mit der Polizei gesucht. So muss sich niemand mehr die Frage stellen, was die öffentliche Debatte über den Umgang mit den Salafisten eigentlich mit dieser Bürgerkriegsarmee zu tun hat. Die wurde zunehmend so geführt, wie es der Bild-Kolumnist Franz-Josef Wagner heute mustergültig vorführt.

Bewundernd schaut die Welt zu, wie Ihr gegen die Kopfabschneider mit den schwarzen Fahnen kämpft. Vielleicht, ich weiß es nicht, sind die Terroristen von früher heute die einsamen Kämpfer in Kobane. Männer ohne Angst, Männer, die immer gekämpft haben. Einer der Kämpfer sagte: Meine letzte Kugel hebe ich für mich auf. Ich lasse mir nicht den Kopf abschneiden. Was für Helden. Man kriegt Gänsehaut.“

In einem politischen Klima, wo Kobane mittlerweile überall ist, dürfen sich auch Hooligans angesprochen fühlen, sich den Salafisten heldenhaft entgegenzustellen. Die These, das sei alles unpolitisch, ist allerdings selbst unpolitisch. Ein gesellschaftliches Klima, wo sich alle Gruppen nur noch in der Logik von Freund und Feind definieren, ist nämlich laut dem Staatsrechtler Carl Schmitt der Kern der Politik. So sind Salafisten, Antifaschisten und Hooligans auf dem Weg in den Bürgerkrieg, der eine existentielle Abwechslung zur sonstigen Langeweile der Zivilgesellschaft verspricht. Sie brauchen nur noch die Gänsehaut der Medien, damit sich auch der Rest der Gesellschaft an der Suche nach Feinden beteiligt.

+++ Vielleicht könnte darüber Dieter Nuhr Auskunft geben, der am Samstag in Osnabrück aufgetreten ist. Er steht jetzt mitten im Mediengetümmel über den Umgang mit Salafisten. Ein in religiöser Tarnung auftretender Idiot hat ihn wegen seiner Aussagen zum Islam angezeigt. Die Neue Osnabrücker Zeitung will das kurz vor seinem Gastspiel nutzen, um eine interessante Geschichte über den Kabarettisten und seinen beleidigten Zuhörer zu bringen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen verweigert Nuhr eine von der Zeitung angefragte Stellungnahme. Er hätte etwa die aussichtslose Strafanzeige als Realsatire kennzeichnen können. Außerdem das jeder das Recht habe zu demonstrieren, jenseits seiner sonstigen intellektuellen Fähigkeiten. Er hätte sogar darüber erfreut sein können, dass seine satirisch überspitzte Islamkritik tatsächlich noch so etwas wie politische Relevanz bekommt. Das passiert heute bekanntlich nicht mehr sehr oft. Das hätte er alles tun können, aber Nuhr lehnte ein Interview ab. Was machen die Kollegen aus Osnabrück? Sie reagieren beleidigt auf die Ablehnung und nehmen die idiotische Strafanzeige zum Anlass, sich jetzt kritisch mit der Islamkritik von Nuhr zu beschäftigen. Über diese Aufmerksamkeit wird sich Erhat Toka sicherlich gefreut haben, so hieß der Herr aus Osnabrück, der Nuhr angezeigt hat. So begann die Medienspirale, zuerst mit einem Nuhr-Interview in der Welt am Sonntag, heute in der FAZ. Die Welt hat dann auch in ihrem Teaser alles gesagt, um diese Affäre politisch richtig einzuordnen.

Eigentlich ist Dieter Nuhr kein Mann mit der Pauke, kein Trommler für eine politische Botschaft, die sich als ewiger Merkel-Witz tarnt. Er ist schon gar kein Repräsentant des üblichen linken Bauerntheaters, das mit hocherhobenem Kabarettfäustchen Abend für Abend das Ausbleiben der Weltrevolution beklagt. Nun aber wird er als "Hassprediger" beschimpft und mit Boykott bedroht. Islamische Fanatiker demonstrieren gegen ihn. Und der Besitzer einer Kampfsportschule in Osnabrück, der als Islamist gilt, hat ihn angezeigt. Wegen Sätzen, die Nuhr vor Jahren in einer Kabarettsendung gesagt hat – Sätzen wie diesem: "Wenn man nicht wüsste, dass der Koran Gottes Wort ist, könnte man meinen, ein Mann habe ihn geschrieben." Für Erhat Toka ist das eine "Beschimpfung von Bekenntnissen und Religionsgesellschaften".“

####LINKS####„Linkes Bauerntheater“ und die „Weltrevolution“? Zwar ist jedes Kabarett vor allem kritisch gegen die Machthaber, aber das mag die Welt anders sehen. Eigentlich geht es um etwas anderes, was Nuhr in der FAZ so zum Ausdruck bringt:

„In meinen Programmen geht es oft um die Freiheit des Denkens, um bürgerliche Freiheiten überhaupt. Diese Freiheiten sind ja immer bedroht. Interessant ist, dass sich die angeblich kritischen Menschen bei uns gerne gegen Big Data oder die NSA wehren, auch die Bedrohung der bürgerlichen Freiheiten durch die katholische Kirche beschwören, aber beim Islamismus seltsam ruhig bleiben. Sich damit auseinanderzusetzen ist halt nicht so bequem, schon weil der Gegner bedrohlich knurrt. Natürlich auch, weil da Werte miteinander kollidieren. Man will gleichzeitig für Freiheit, für Frauenrechte und für Ausländer sein. Das kann schwierig werden, weil der Ausländer im Fall des Islamisten ganz andere Werte vertritt.“

Hier erleben wir ein interessantes Beispiel für eine Wahrnehmungsstörung. Die Salafisten haben in diesem Land die schlechteste Presse, die man sich vorstellen kann. Ob sich einige Kabarettisten kritisch mit den Salafisten beschäftigen oder nicht, ist dabei völlig irrelevant. Man kann wirklich nicht davon reden, dass sich diese Gesellschaft vor den Zumutungen dieser religiös drapierten Clowns verstecken könnte. Sogar die Hooligans als deren Brüder in schlicht gestrickter Geistesverfassung sehen sich schon zur Tat aufgerufen und prügeln sich deswegen mit der Polizei. Es gibt somit nichts bequemeres als sich mit dem Salafismus kritisch zu beschäftigen. Was aber Nuhr nicht daran hindert, jetzt wegen einer so unsinnigen wie folgenlosen Strafanzeige die „bedrohte Freiheit“ zu verteidigen. Dabei rennt man mit dieser Verteidigung offene Türen ein. Die Annahme, die Salafisten wären eine ernsthafte Bedrohung für die freiheitliche Verfassung, ist absurd. 99 % der hiesigen Bevölkerung wollen eines ganz bestimmt nicht: Einen islamischen Staat, um sich danach von bärtigen Predigern vorschreiben zu lassen, wie man zu leben hat. Aber soviel Realismus ist wahrscheinlich schon zu viel verlangt. Es fehlt ja nicht mehr viel bis etwa ein Franz-Josef Wagner auf die Idee kommt, die Gänsehaut der Hooligans als Schutzstaffel vor den Salafisten zu begreifen.

+++ Wie alle daran arbeiten, das gesellschaftliche Klima im Sinne von Carl Schmitt zu verändern, erlebt man auch an anderen Beispielen. Manche fragen sich ja schon ernsthaft, ob nicht Don Alphonso oder Harald Martenstein die Meinungsfreiheit missbrauchen. Sicher wird jetzt auch Jürgen von der Lippe in diese Kategorie eingeordnet werden. Man bekommt mittlerweile wirklich den Eindruck, die Sittenwächter aller Lager könnten an einer Neubestimmung der Meinungsfreiheit arbeiten. Dazu passt auch die Meldung über die Geistesverfassung von Jurastudenten. Sie plädieren in zunehmenden Maße für die Todesstrafe. "Jeder dritte Jurastudent, so eine neue Studie, ist für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Und jeder zweite meint, die Anwendung von Folter sei unter bestimmten Voraussetzungen durchaus gerechtfertigt, zum Beispiel zur Rettung eines Menschenlebens oder zur Verhinderung eines Terroranschlags", so ist in der Zeit heute Morgen zu lesen. Die Jurastudenten werden solche Ideen nicht in der Studierstube entwickelt haben, sondern sie reflektieren damit ein verändertes gesellschaftliches Klima. Bei Spiegel online gibt es ein Interview mit einem Salafisten. Spannender wäre wahrscheinlich ein Gespräch zwischen ihm und einem der besagten Befürworter der Todesstrafe unter den Jurastudenten. 


Altpapierkorb

+++ Stefan Niggemeier hat sich bei den Krautreportern mit den Thesen des ehemaligen FAZ-Redakteurs Udo Ulfkotte beschäftigt.

+++ Über die Fortschritte zur Errichtung eines autoritären Staates in Ungarn findet man hier und hier zwei interessante links.

+++ Im Iran warnt man dagegen nach der Hinrichtung einer jungen Frau vor der "Auslandspropaganda". Man sollte die Jurastudenten nach ihrer Meinung dazu fragen, ob der Iran neuerdings ihrem Verständnis von Rechtsstaat entspricht.

+++ In der Samstagsausgabe der FAZ erfuhr man auch etwas über die Geheimdienste, die Nuhr erwähnt hatte. So Patrick Bahners über die NSA: "Die tatsächlichen Dimensionen der Überwachung machten auch Insider sprachlos. Das Dokument, dessen Veröffentlichung das Vertrauen in die Regierung zerstörte, war der geheime Gerichtsbeschluss, der die Telefonfirma Verizon anwies, sämtliche Verbindungsdaten ihrer Kunden zu offenbaren. Alle Beschwichtigungsversuche erübrigten sich, als der frühere Chefjurist der NSA, Stewart Baker, in der Zeitschrift „Foreign Policy“ bekannte, auch er habe es zuerst nicht glauben können, als er gesehen habe, wie umfassend diese Ermächtigung sei." Darüber hinaus wurde über die Bespitzelung der Historiker Eric Hobsbawm und Christopher Hill berichtet: "Trotz dieser intensiven Beobachtung konnte der Geheimdienst weder bei Hobsbawm noch bei Hill Hinweise auf landesverräterische Aktivitäten feststellen." 

+++ Ansonsten wird Markus Lanz in der letzten "Wetten, dass" Sendung ohne seine Vorgänger auskommen müssen und wurde ein Verfahren gegen die Berliner Morgenpost eingestellt.

+++ Zudem gibt es eine Debatte über Selfies, die aber auch kritisch gesehen werden.

+++ Der Innenminister des Landes NRW, Ralf Jäger, hat im ZDF-Morgenmagazin sogar die Einschränkung des Demonstrationsrechts in die öffentliche Debatte eingeführt, um aber gleichzeitig die Polizeistrategie in Köln als erfolgreich zu loben. Warum er dann aber noch das Bundesverfassungsgericht von dieser Einschränkung eines Grundrechts überzeugen will, ist eines der Rätsel, die als das Ergebnis solcher Debatten zu betrachten ist. Links findet man hier und hier.  Außerdem Heribert Prantl und Jürgen Kaube zum Fall Dieter Nuhr, der keiner gewesen ist. Bei Meedia etwas zur überwältigenden Zustimmung zu Nuhrs Aussagen in den sozialen Netzwerken.

+++ Dafür hat Adolf Muschg in der NZZ noch etwas zum "digitalen Fundamentalismus".

+++ Außerdem Hakan Tanriverdi über die Widersprüche in türkischen Familien - und damit sorgt er für den Einbruch der Wirklichkeit in die heutige Salafismus-und-Demonstrationsrecht-und Nuhr-Debatte. Der Text ist übrigens aus dem Jahr 2013. 

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?