Eine Sprache finden, die uns eint mit Gott

Pastor Sven Quittkat
Privat
"Da wir als diakonisches Unternehmen interkulturell und interreligiös divers aufgestellt sind, möchten wir auch alle Menschen inkludieren, die an einer Kirchengemeinde auf unserem diakonischen Gelände interessiert sind", so Sven Quittkat.
Ökumenisch und interreligiös
Eine Sprache finden, die uns eint mit Gott
In Hannover soll es bald eine ungewöhnliche Kirchengemeinde geben, in der neben evangelischen Christen auch Katholiken, Muslime und Menschen ohne Konfession Mitglied werden können. evangelisch.de-Redakteurin Alexandra Barone hat Pastor Sven Quittkat getroffen, um vom Bereichsleiter für Theologische Unternehmensentwicklung der Diakonie in Hannover mehr zu erfahren über die Gründungsidee, den interreligiösen Dialog und Zukunftsaussichten.

evangelisch.de: Herr Quittkat, in Hannover will die Diakonie eine Kirchengemeinde gründen, in der auch Muslime und konfessionslose Mitglied werden können. Wie sieht das im Einzelnen aus?

Sven Quittkat: Wir haben unsere Kirchengemeinde hier am Standort Stephanstift umgewandelt von einer sogenannten Anstaltsgemeinde, wie früher Gemeinden in diakonischen Einrichtungen hießen, zu einer sogenannten Personalgemeinde. In diesem Zuge möchten wir uns neu aufstellen. Wir haben die Satzung bereits 2024 eingereicht und die ist von der Landeskirche Hannover genehmigt und verabschiedet worden. 

Aufgrund der Neuerung der Landeskirche Hannover haben wir die Möglichkeit, wie alle Kirchengemeinden auch, dass weitere evangelische Kirchenmitglieder sich melden und sich bei uns mit einer zweiten Kirchenmitgliedschaft eintragen können. Und zusätzlich gibt es die Möglichkeit einer Gastmitgliedschaft, wenn Personen z.B. sagen: ‚Ich finde euer Konzept interessant. Ich möchte hier bei euch mitmachen.' Diese Gastmitgliedschaft gilt auch für Menschen, die nicht evangelisches Kirchenmitglied sind.

Ein Gastmitglied hat demnach auch Rechte?

Quittkat: Ja, genau. Wir sehen in der Gastmitgliedschaft die Möglichkeit, dass Menschen, die eine andere Konfession oder Religion haben oder auch gar nicht religiös gebunden sind, sagen können: 'Das interessiert mich, ich engagiere mich und gestalte mit.' Die Gastmitglieder haben ein Rederecht in der Gemeindeversammlung. Das Einzige, was sie nicht haben, ist die Möglichkeit, sich zum Kirchenvorstand wählen zu lassen und zu wählen.


 
Warum bieten Sie diese neue Gemeinde gerade jetzt an? Besteht mehr Bedarf zum interreligiösen Dialog? 

Quittkat: Ja und Nein. Wir machen mit unserer Satzung, die letztes Jahr verabschiedet worden ist, einfach nur ernst. Als Diakonie sind wir bereits seit Jahren im interreligiösen Dialog, denn unsere Klient:innen, Bewohner:innen und Mitarbeitende hier auf dem Campus Stephanstift sind nicht nur evangelisch oder christlich. Durch die Änderung der sogenannten Loyalitätsrichtlinie der Evangelischen Kirche in Deutschland ist es bereits ab Ende 2016 möglich, dass auch Mitarbeitende der Diakonie nicht unbedingt Kirchenmitglieder sein müssen. Diese Realität leben wir also schon seit Jahren. 

"Wir bieten keine Programme und Angebote an, sondern die Mitglieder müssen das selbst in die Hand nehmen, anfragen und organisieren."

Wir möchten mit dieser Gründung nun ein Zeichen setzen und sagen, dass alle willkommen sind und die Möglichkeit haben, sich hier in dieser Gemeinde auch zu engagieren. Das, finde ich, ist im Übrigen gar nicht so eine Neuerung, weil wir davon ausgehen, dass auch andere Kirchengemeinden alle Interessierten zu Gottesdiensten einladen, um ihnen unsere Religion näher zu bringen. Wir haben die Möglichkeit mit dieser Gastmitgliedschaft in unserer Satzung einfach schriftlich festgelegt.

Herr Quittkat, die Neugründung versteht sich nicht als Konkurrenz zu bestehenden evangelischen Kirchengemeinden, sondern als neuartige Ergänzung…

Quittkat: Ja, genau. In der Verfassung der Landeskirche Hannovers wurde festgelegt, dass es sogenannte Personalgemeinden geben kann, mit einem besonderen Profil. Diese definieren sich nicht über die sogenannte Parochie, über den Gemeindebezirk, sondern haben ein besonderes Ziel, vielleicht auch eine besondere Zielgruppe. So eine Personalgemeinde ist beispielsweise die Stephanus-Kirchengemeinde in Münster, eine Kirche für Soldatinnen und Soldaten. 

Eine Personalgemeinde, in der die Mitglieder auch mehr mitbestimmen können hinsichtlich Programme und Angebote…

Quittkat: Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter. Unsere Gemeinde will sich partizipativ aufstellen, das heißt, es werden nur Dinge realisiert, die von engagierten Leuten ins Leben gerufen werden. Wir bieten also keine Programme und Angebote an, sondern die Mitglieder müssen das selbst in die Hand nehmen, anfragen und organisieren. So sind wir sicher, dass wir nichts "aufstülpen", sondern nur das angeboten wird, was die Mitglieder selbst wollen und erarbeitet haben. Wenn also jemand an einem Bibellesekreis Interesse hat, dann müssen sich auch Leute finden, die das zusammen auf die Beine stellen. 

"Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Leute sich aus der Kirche verabschiedet oder sich bislang gar nicht religiös gebunden haben."

Sie wollen mit der Gründung auch Konfessionslose ansprechen. Ist das eine Reaktion auf die schwindenden Kirchenmitglieder, also eine Art von Annäherung? 

Quittkat: Wir haben kein besonderes missionarisches Programm, aber wir schauen in unsere Gesellschaft und sehen eben diese Diversität. Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Leute sich aus der Kirche verabschiedet oder sich bislang gar nicht religiös gebunden haben. 

Bisher ist zwar noch kein Moslem gekommen oder ein Bahai oder eine Jüdin oder eine Buddhistin. Aber es ist jemand gekommen, der nicht konfessionell gebunden ist, also keiner Kirche gehört. Er hatte über Umwege im Internet gesehen, was wir als Diakonie machen, das hat ihn angesprochen und er will weiter in Kontakt bleiben.

Der interreligiöse Dialog ist sicherlich nicht leicht. Meinen Sie, dass bis zur Gemeindegründung im Mai noch ein Moslem oder eine Jüdin dazukommen oder ist das utopisch? 

Quittkat: Ich glaube, das kommt darauf an, wie stark eine Person auch in ihrem eigenen Glauben und religiösen Kontext behaftet und verbunden ist. Aber wir hier in der Diakonie leben bereits seit Jahren den religiösen Dialog. Die Mitarbeitenden, die eine andere Religion haben, nehmen zu. Für alle neuen Mitarbeitenden machen wir an unterschiedlichen Standorten Einführungsgottesdienste, um sie zu begrüßen. Wir hatten bereits eine Buddhistin gehabt und jemanden, der Jeside ist, also aus dem kurdischen Kontext und natürlich haben wir auch immer Muslime. 

"Wir wollen eine Form finden, eine gemeinsame Sprache, die uns eint mit dem einen Gott, der für uns alle da ist."

Allen bieten wir einen Segen an, um sie in unsere "Arbeitsfamilie" aufzunehmen. Natürlich sprechen wir im Vorfeld mit ihnen über diesen Gottesdienst und auch darüber, was da geschieht. Falls jemand nicht gesegnet werden möchte, nehmen wir natürlich Rücksicht darauf, dann finden wir eine andere Form der Begrüßung. Aber die allermeisten nehmen diesen Segen erstmal gerne an. Vor allem, weil er universal ist und auch sehr emotional – da sind auch schon mal Tränen geflossen. Wir wollen eine Form finden, wo wir das Christliche nicht verlassen, aber auch eine Form, eine gemeinsame Sprache, die uns eint mit dem einen Gott, der für uns alle da ist.

Ein Gottesdienst als Willkommensgruß - das zeigt den Mitarbeitern auch, dass sie etwas Besonderes sind und stärkt auch das Zugehörigkeitsgefühl…

Quittkat: Ja, genau. Wir alle wollen als Menschen gesehen werden, die etwas zur Gesellschaft beitragen. Dafür wollen wir eine Rückvergewisserung, das wir auf dem richtigen Weg sind. Wir wollen wissen, dass wir nicht alleine stehen, sondern eine Gemeinschaft sind und unsere Kräfte bündeln. 

Wir sollten uns also erst einmal als Menschen sehen und verstehen. Ich glaube, das brauchen wir in diesen Zeiten tatsächlich wieder. Es ist daher wichtig, dass wir dieses kategoriale Denken und die Denkmuster verlassen. Wir sind nicht nur Moslems, Juden oder Christen, wir sind Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen und ins Gespräch miteinander kommen.

Ich habe mich mal auf einer Zugfahrt mit einem jüdischen Herrn über verschiedene Bibelstellen unterhalten. Dann kam ich auf das Hohelied der Liebe zu sprechen im 1.Korintherbrief 13. Kapitel. Er wollte mehr darüber wissen und ich habe ihm das zitiert - das war für ihn eine Offenbarung. Paulus selber war ja Jude, hat Christus kennengelernt und ist dann Christ geworden. 

"Du musst nicht Christ sein, um das Hohelied der Liebe zu verstehen."

Plötzlich war ein religiöses Gespräch im Gange, denn du musst nicht Christ sein, um das Hohelied der Liebe zu verstehen. Da geht es um Emotionen, um eine spirituelle Dimension. Und diese Gemeinsamkeit kann man bei bestimmten Sachen einfach spüren. 

Eine Gemeinsamkeit, die sich in dieser neuen Kirchengemeinde auch widerspiegeln könnte. Wer entscheidet denn über die Mitgliedschaft? 

Quittkat: Wer evangelisches Kirchenmitglied ist, der kann einfach in unsere Gemeinde wechseln. Bei der Gast- bzw. Zweitmitgliedschaft entscheidet der Kirchenvorstand. Das heißt, man stellt einen Antrag, indem man Interesse bekundet. Dann würden wir diese Person kontaktieren und idealerweise auch kennenlernen wollen. 

Es geht hierbei nicht um eine ‚Gesichtskontrolle‘, sondern um die Antwort auf die Frage: ‚Bejahst du unser Anliegen und auch unsere Haltung?‘ – nämlich, dass wir uns für eine bunte und vielfältige Gesellschaft einsetzen, die zusammen im Frieden lebt. Es geht  auch nicht um eine Gewissenskontrolle, sondern vielmehr um eine inhaltliche Übereinstimmung, weil wir als Gemeinschaft gemeinsam arbeiten wollen, nicht gegeneinander. Menschen, die unsere Haltung nicht akzeptieren, werden weder zu uns kommen, noch Platz bei uns finden.

Was genau planen Sie für den 11. Mai, den offiziellen Gründungstag der neuen Kirchengemeinde? 

Quittkat: Das ist ein Sonntag, daher wird sicher ein Gottesdienst gefeiert. Auf der Gemeindeversammlung danach wollen wir einen Kirchenvorstand wählen. Es haben sich bereits 30 bzw. 40 Interessent:innen für die Diakoniegemeinde gemeldet, die jetzt erst einmal schauen wollen. Einige kommen aus dem Stadtbezirk hier und wollen herausfinden, was wir als Gemeinde vorhaben und wie sie sich einbringen können. Einige von ihnen sind vorsichtig und sagen, ich schaue erst mal zu. Andere sagen, wir haben schon konkrete Ideen und da sind wir natürlich ganz gespannt darauf. 

Natürlich ist bei uns jeder willkommen, theoretisch auch bundesweit. Aber wir sind keine Online-Gemeinde, daher ist der persönliche Kontakt sehr wichtig. Es gibt allerdings ein Ehepaar, das nicht mehr hier in der Nähe in Hannover wohnt. die aber mit dem Stephanstift verbunden ist. Die möchten Zweitmitglied werden und unsere Aktivitäten verfolgen. Alle Interessierten sind bislang aber eher aus dem christlichen Bereich.

Interessierte aus anderen Religionen haben wir bisher noch keine. Ich denke, das ist nochmal ein echter Sprung für die Person. Ich stellte mir vor, dass für diese Menschen der persönliche Kontakt wichtiger ist, dass ein Bekannter vielleicht von uns erzählt und uns weiterempfiehlt. Vielleicht muss sich unser Vorhaben auch erstmal herumsprechen.  Vielleicht erzählt irgendjemand einem anderen von uns und dann haben sie Lust, unsere Gemeinde kennenzulernen. So wie damals die Gemeinde entstanden sind, in den Zeiten der Apostelgeschichte. Da hat man sich auch erst einmal persönlich kennengelernt und geschaut, ob man sich sympathisch ist und zueinander passt.