Showdown an der Ericusspitze: Büchner/Saffe vs. die Ressortleiter/Mitarbeiter KG oder was der Spin ist. Wie der sich bei Dominik Wichmann in der Entlassung noch mal geändert hat. Was Twitter von Facebook unterscheidet. Was Journalisten, Dschihadisten und Sportvereine verbindet.
Welterkärungen, die über den Tag hinaus beschäftigen: Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter hatte in der FAZ vom Dienstag eine besonders gute Idee, wie man die Popularität islamistischer Krieger begründen könnte. In seinem Text heißt es:
"In der heutigen westlichen Welt wird schon im Kindergarten jede Form von Aggression unmittelbar sanktioniert. Unsere Söhne müssen wie friedfertige Mädchen heranwachsen und können ihre (sexuelle) Energie nur im Sport und bei aggressiven Computerspielen ausagieren, bei denen sie Tag für Tag Dutzende virtueller Feinde töten. Der Dschihad erlöst junge Männer von diesen Beschränkungen, und ebendeswegen ist er auch im Westen für junge Männer so attraktiv."
Thank god, möchte man ausrufen, dass die Männer aus der Generation um de Winter (Jg. 1954) herum nicht als Tussi-Pussies reifen mussten. Die müssen dann nicht in den Heiligen Krieg, um die Sau rauszulassen, sondern können ihre (sexuelle) Energie in klassischen Machtkämpfen performen.
In solchen, wie beim Spiegel einer tobt, wo Chefredakteur Wolfgang Büchner (1966) und Geschäftsführer Ove Saffe (1961) wohl zum finalen Gefecht mit Ressortleitern wie Armin Mahler (1954), Lothar Gorris (1960) und Alfred Weinzierl (1959) blasen.
Die drei Namen erwähnt zumindest Ulrike Simon in ihrem gut informierten Text in der Berliner.
"Am Dienstag wurde die Mitarbeiter KG, der der Verlag zu 50,5 Prozent gehört, kurzfristig von Geschäftsführer Ove Saffe zu einer Sitzung gebeten. Dort informierten er und Chefredakteur Wolfgang Büchner die fünf geschäftsführenden KG-Vertreter im Beisein des Personalchefs, dass die Stellen aller Ressortleiter neu ausgeschrieben werden."
Offizielle Begründung: Online und Print endlich richtig miteinander verbinden. Inoffizielle Lesart: den Widerstand brechen, der sich vor gut einem Monat bei Saffe in Abwesenheit Büchners artikuliert hat.
Oder wie es im Text auf welt.de steht:
"Die Neuausschreibung der Stellen – das ist wohl die Antwort darauf. Der erste Leidtragende wäre denn auch einer der größten Kritiker Büchners: Wirtschaftschef Armin Mahler, dessen Zweijahresvertrag Ende 2014 ausläuft."
Was man in Simons Text nebenher erfährt, sind Details aus dem ursprünglichen Personaltableau Büchners – sollte Springers Blome nur zweite Wahl gewesen sein?
"Geplant war für den Spiegel allerdings, dass mit Wolfgang Krach, dem Vizechef der Süddeutschen Zeitung, und Stefan Plöchinger, Chef von sueddeutsche.de und auch beim Printblatt inzwischen Mitglied der Chefredaktion, zwei Könner ihres Fachs und Kenner des Spiegel-Verlags kommen sollen. Als Büchners Stellvertreter zu fungieren hatten die beiden jedoch keine Lust. Bald zeigten sich Büchners Defizite."
Dieser Texte machte gestern im Laufe des Tages die Runde. Weshalb, so fix kann Print sein, in der SZ Kristina Läsker und Claudia Tieschky bereits den Fortgang der Geschichte abbilden können:
"Büchner will, so schrieb es zuerst die Berliner Zeitung, alle Ressortleiterposten im Haus zeitnah neu ausschreiben und künftig eine gemeinsame Leitung für Print und Online schaffen. Der Spiegel nahm auf Anfrage am Mittwoch dazu nicht Stellung. Für 18 Uhr am Mittwochabend hatte Büchner die Ressortleiter in den Konferenzraum K4 eingeladen. Er wollte dort sein Konzept erläutern – vorbehaltlich der nötigen Zustimmung der Gesellschafter."
Und selbst vom Ausgang dieses Termins gibt es schon Kunde. In der SZ:
"Was dann stattfand, folgte nicht ganz dem Drehbuch: Statt nur der geladenen Ressortchefs erschien unabgesprochen fast die gesamte Redaktion im Konferenzraum, wo Verlagschef Ove Saffe und Büchner aufklären wollten. ... Büchner wurde mit Vorwürfen konfrontiert, die er bestritt. Nein, es gehe nicht darum, Gegner an den Ressortspitzen abzusägen. Und nein, es gehe nicht um 'Vertrauensverlust' zwischen Chefredakteur und Blattfürsten."
Dass da was dran ist, bestreitet keiner der Beobachter. Bei Meedia.de lässt sich ein fast focus-online-eskes Kommentaraufkommen registrieren, drei Texte zum Thema. "Mega-Eklat" schreibt the one and only Stefan Winterbauer. Und Georg Altrogge meint:
"Das kann eigentlich nicht gutgehen. Es ist anzunehmen, dass sowohl Saffe als auch Büchner dies nur zu gut wissen. Dass sie trotzdem die Flucht nach vorn antreten, ist Indikator dafür, wie sehr beide von den Vorgängen der vergangenen Monaten zermürbt worden sind. Und beide handeln aus einer vergleichsweise sicheren Position; ihre noch frischen Verträge sichern ihnen für den Fall des Ausscheidens hohe Abfindungen, Summen, die sich der Spiegel angesichts einer wirtschaftlich angespannten Situation eigentlich nicht leisten will."
Dass die Spiegel-Mitarbeiter an ihrer Malaise selbst mit Schuld tragen, vergisst kaum ein Text zu erwähnen. Ulrike Simon erinnert an die Rolle der stimmberechtigten Belegschaft bei der Büchner-Berufung:
"Selbst hatte sie keinen eigenen Kandidaten, also stimmte sie Saffes Vorschlag zu – obwohl jeder hätte wissen können, dass Büchner seine Erfolge weder als Blattmacher noch als Schreiber noch als politischer Kopf erzielt hat."
Und Altrogge zur aktuellen Lage:
"Der größte Schwachpunkt der Anti-Büchner-Fraktion ist, dass es an einem eigenen tragfähigen Konzept für die Weiterführung des Magazins mangelt und dass es mit Blick auf die digitalen Aktivitäten überhaupt keine erkennbaren Ansätze zu geben scheint."
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Es steht also Spitz auf Knopf, Ausgang offen. In diesem Sinne ließe sich Büchners Move wie Gabriels Mitgliederbefragung bei der SPD vor der Großen Koalition lesen. Die SZ:
"Vielmehr wirkt es, als suche Büchner eine Eskalation, die seine eigene Lage beim Spiegel klären soll."
Und für den Fall, dass er scheitert, gäbe es auch eine Erzählung, die zumindest einen Teil seiner Reputation retten würde:
"Er hätte für einen solchen letzten Akt auch eine ihm dienliche Geschichte inszeniert, eine Exit-Strategie: die vom angeblich engagierten Neuerer, der gegen die angeblich Gestrigen im Magazin einfach nicht ankam."
Denn so unbeschadet aka "mit der besten Reputation" (Julia Jäkel) wie Dominik Wichmann den Stern dürfte Büchner den Spiegel nicht verlassen. Kurt Sagatz wirft am Ende seines Tagesspiegel-Referats der Lage übrigens ein, dass G+J als Mehrheitsbeschaffer für eine Anti-Büchner-Mitarbeiter KG etwas chefredakteurswechselmüde sein könnte:
"Allerdings ist nicht sicher, ob sich Gesellschafter Gruner + Jahr beim 'Spiegel' auf eine weitere Chefredakteurssuche begeben möchte, nachdem gerade erst an der 'Stern'-Spitze eine Ablösung erfolgt ist."
Was ja aber auch sehr vage formuliert ist. Während Steffen Grimberg im Interesse des NDR-Medienmagazins Zapp gestern via Twitter einen sendungsadäquaten Zeitplan anmahnte –
"Könnte sich er SPIEGEL bitte entweder bis 20.00 Uhr zerlegen oder erst kommende Woche für die nächste Sendung? Danke."
–, ist Alina Fichter in der Zeit von heute (S. 20) noch damit beschäftigt, die Scherben der Wichmann-Entlassung zusammenzukehren. Dabei spricht aus dem Entsetzen über die Art und Weise des Umgangs wohl auch die Befürchtung, dass die Einschläge näher kommen. Es wird zugig im Zeitungsbiz:
"Das Wie und die fehlende Begründung hätten die Redaktion schockiert und fassungslos gemacht, ist von dort [aus dem 'Stern, AP] zu hören – auch von jenen, die explizit nicht als Wichmann-Freunde bekannt sind. Denn Feinde, die hatte er schon. Gerne wäre der Geschasste vergangenen Donnerstag vor seine Mannschaft getreten, um ein paar Worte des Abschieds zu sprechen, erzählt eine Führungskraft. Das sei ihm aber verwehrt worden: 'All das stärkt nicht gerade das Vertrauen der Redaktion in den Verlagsvorstand', sagt der Journalist."
Wozu brauchen Verlagsvorstände aber Vertrauen, wenn sie Gewinne in einer niedergehenden Branchen aufrechterhalten wollen?
Fichters Text bestätigt die Burmester-Lesart (gestern auch im Altpapierkorb), dass es ums Runtersparen fürs Aufhübschen geht und Wichmann da "kein einfacher Gegner" gewesen sei.
Tröstlich für den ganzen Spiegel daran ist allein, dass sich der Spin am Ende auch ganz schnell noch mal ändern kann: Wichmann steht jetzt jedenfalls als aufrechter Kämpfer mit gar nicht so schlechten Zahlen da, eben: "mit der besten Reputation" (Julia Jäkel).
Und wer Geld verdienen will, geht eh in die PR.
+++ Das viel größere Ding: Wie umgehen mit Enthauptungsvideos? Arno Widmann besinnt sich in der Berliner auf die Mittel des deutschen Leitartikels und greift von Beginn an ganz tief in die Tasten: "Wir können sie uns alle ansehen: die Ermordung von James Wright Foley durch einen Vertreter der Gruppe Islamischer Staat." Ob die faszinierte Schilderung dessen, was man ablehnen will, hilft? +++ Medial interessanter ist da der Unterschied zwischen Facebook und Twitter, den "KRT" in der TAZ auf Basis eines Günter-Hack-Textes rausstellt: "Der Kommunikationswissenschaftler Günter Hack beschreibt auf zeit.de den Wert dieser Kontrolle anhand der Wahrnehmung der Zustände in Ferguson auf Facebook und Twitter. Während Facebooks Auswahlalgorithmen Tage brauchten, um das Thema in den Timelines der Nutzer auftauchen zu lassen, verbreiteten sich Bilder und Kommentare ungefiltert und zügig auf Twitter." +++ Der Vorteil: "Die Proteste im US-Städtchen Ferguson etwa wären ohne Twitter womöglich rasch wieder versandet und hätten niemals weltweite Aufmerksamkeit und dieses Ausmaß der Berichterstattung erreicht", schreibt Hakan Tanriverdi in der Süddeutschen (S. 29). Der die Propagandaverbreitungsfrage eher praktisch angeht: "Denn die Terroristen der IS wissen, dass sie ihre Botschaft online am schnellsten verbreiten können. Sie sehen, dass Netzwerke wie Twitter und Youtube eine gewisse Zeit brauchen, bis sie reagieren, um Nutzer zu sperren und Videos zu löschen. Weder Twitter noch Youtube wollten sich dazu äußern, wie lange es gedauert hat, die Accounts und Videos im Falle des grausamen Videos zu löschen. Youtube soll innerhalb von 30 Minuten reagiert haben, um ein Video zu löschen. Das ist zwar schnell - aber dennoch war das Video bis dahin längst schon mehrfach hochgeladen." +++ Dazu auch Tatjana Kerschbaumer im TSP: "Die IS-Milizen, die ihre Ideologie samt ihrer Verbrechen auf Social-Media-Kanälen wie Twitter und Youtube verbreiten, sind sehr auf ihre Außenwirkung bedacht. Das Video, das die Hinrichtung von Foley zeigt, sei aber selbst für sie eine 'neue Ebene'. 'Für IS ist das eine Strategie. Sie wollen weltweite Aufmerksamkeit', sagt Ballweg." +++ Thorsten Schröder nimmt in seinem stern.de-Blog die Twitter-Erfahrung von Ferguson zum Anlass, die Irrelevanz deutscher Tweets zu beklagen: "Denn dort ist Twitter noch immer ein Nischenphänomen, wir schaffen es mit unseren Nutzerzahlen noch nicht mal in die Top 10. Woran liegt das? Ist der Dienst hier immer noch nur ein Mittel zur Selbstbebauchpinselung sprachlich talentierter Nutzer der ersten Stunde, der digitalen Bohème sozusagen? Ist deutsch einfach zu kompliziert, um es in 140 Zeichen zu pressen?" +++
+++ Marktwirtschaftliche Wirs, die sich beim Aufbruch in den globalen Konkurrenzkampf anfeuern, finden sich auch in der SZ. Dort schreibt die Datenanalystin Yvonne Hofstetter im Feuilleton (S. 11) über die digitale Lage: "Bedeutet das draufgängerische Vorgehen amerikanischer digitaler Geschäftsmodelle deshalb, dass Europa technologisch hoffnungslos abgeschlagen ist? Mitnichten ist richtig, dass uns – damit ist primär Deutschland gemeint – amerikanische Unternehmen technologisch meilenweit voraus sind. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns zurücklehnen dürfen. Nur: Genau das tun wir – leider." +++ Und der Autor, Übersetzer und Islamwissenschaftler Stefan Weidner ruft ein paar Seiten weiter hinten in Sachen Amazon ebenfalls zum Duell, nicht zum Jammern: "Um einen entstehenden Markt zu erobern und einen Strukturwandel zu überleben, der so gründlich ist wie die Digitalisierung, braucht man Aggressivität und einen unsentimentalen Blick nach vorn. Amazon hat das, der deutsche Buchmarkt nicht, nichts anderes belegt der Protest gegen Amazon. Ich verstehe die Gründe für den Protest und die Angst, aber das ändert nichts an der Verknöcherung und Reformunwilligkeit des Buchmarktes." +++
+++ Neben Journalisten und Dschihadisten benutzen auch Sportvereine Twitter, Facebook und das Internet. Daniel Bouhs refertiert in der TAZ eine Untersuchung von Christoph G. Grimmer über die neue Konkurrenz für den Sportjournalismus, die nicht nur Alleinstellungsmerkmalsvorzeigegefühle weckt: "Sender fragten mitunter gezielt an, ob die Vereine aus Trainingslagern im Ausland nicht ein paar Bilder zuliefern könnten - detaillierte Shotlists, also Angaben zu den einzelnen Einstellungen inklusive. Das wiederum klingt in Zeiten redaktioneller Sparzwänge nach Kooperation. Die gemeinsame Sache – auch sie gehört offensichtlich zur neuen Medienwelt." Dann aber nicht jammern, wenn einen keiner mehr braucht! +++ Was dem Büchner die Ressortleiter sind Sky die Gastwirte? Thomas Magenheim erkennt in der erneuten Erhöhung der Kosten jedenfalls einen Plan im KSTA: "Kündigungen seien durchaus im Kalkül von Sky, mutmaßen Kneipiers. Der Bezahlsender wolle Kneipengänger mit schwarzen Bildschirmen bei ihrem Wirt dazu bringen, privat Abonnent zu werden und unter dem Strich damit mehr Geld einzunehmen. Die Dehoga will sich diese Vermutung nicht zu eigen machen, findet es aber schon seltsam, das Sky die satten Aufschläge mit gestiegenen Kosten begründet, aber Privatabonnenten davon komplett verschont." +++ Michael Hanfeld über "11 Freunde TV" in der FAZ: "Etwas weniger langweilig und doch auch gerne nicht nur lahm-satirisch, sondern kritisch dürfte es schon sein." +++
+++ "Der Trend geht zum Zweitblogger", kündigte Stefan Niggemeier gestern das künftige Mitmachen von Zapp-Mitarbeiter Boris Rosenkranz bei ihm im Blog an (der, also Rosenkranz, gleich was über die Unterleibs-Boulevard-Geschichten in der Schweiz schreibt). Niggemeier führt Rosenkranz mit seinem beharrlichen Beitrag über die Politikferne des ZDF-Fernsehrats ein. +++ An dieser Front agiert auch die als Lanz-Petentin bekannt gewordene Maren Müller mit ihrem Verein Ständige Publikumskonferenz, der die Landtagswahlen in Sachen, Thüringen und Brandenburg als Spitzenzeitpunkt erkennt, die verfassungswidrigen Gremienbesetzungen zu korrigieren: "In Anbetracht der anstehenden Landtagswahlen befinden sich die Länder Sachsen, Thüringen und Brandenburg in der komfortablen Situation, ihre jeweiligen Gremienbesetzungen fristgemäß gesetzeskonform realisieren zu können", heißt es in einem Schreiben, dass an die zuständigen Stellen der Länder verschickt wurde. +++
+++ Kraftfuttermischwerk fühlt sich vom Hannah-Lührmann-FAZ-Vice-Text falsch verstanden und hilft mit einer Selbstdarstellung aus, die Journalisten, man glaubt es kaum, noch immer überraschen kann: "Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, ob ich mit dem, was ich hier tue, irgendwelchen journalistischen Ansprüchen gerecht werden könnte. Das war mir immer völlig latte. Ist ja mein Job nicht, den machen andere (hoffentlich) viel besser, dachte ich immer und denke ich mir auch heute noch." +++
+++ Über welches Land wird hier ganz sicher nicht gesprochen? "Aber in der Unterhaltungsbranche wird man offensichtlich belohnt, wenn man etwas anderes anbietet als all die anderen, und sei es melancholisch" – Matthew Weiner, der "Mad Men"-Erfinder im FAZ-Gespräch mit Ursula Scheer (S. 13) +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder.