So kann man's auch sagen: Die FAZ muss auf Twitter mit den Klischees einer Greser-und-Lenz-Karikatur dealen. Man kann daran sehen, wozu Twitter, bei aller Aufregung, gut ist und woran der deutsche Rassismusdiskurs krankt. Betrifft auch: Klaus Theweleits Rundum-Rant. Auch noch: Christian Wulff wird als Medienkritiker wohl keine große Karriere mehr machen.
Wer immer gestern Schicht hatte am Twitterdesk von @faznet – es war ein schönes Stück Arbeit. "Am Ende des Tages" (Kalle Rummenigge) klang's erschöpft und auch ein wenig versöhnlich:
"Aber das werden wir morgen in Ruhe besprechen. (Hab ja eigentlich lange Feierabend.)"
Zuvor hatte die FAZ-Tweeterin (womöglich ja auch mehrere) im wesentlichen einen Satz wieder und wieder rausgejagt:
"Das Bild zeigt ein Ressentiment, vergrößert es und macht es dadurch lächerlich. Oder?" / "es zeigt es nicht einfach, es vergrößert ins Groteske und macht das Ressentiment dadurch lächerlich. Satire eben." / "Es vergrößert vorhandene Ressentiments ins Unwahrscheinliche und macht sie dadurch lächerlich." / "was ich verstehe, ist, daß hier ein Ressentiment so weit vergrößert und vergröbert wird, bis es lächerlich wird."/ "Können wir gern! Was wir sehen, ist Satire, die durch Übertreibung funktioniert. Durch die Vergrößerung wird d Vorurteil lächerlich"
Hat in dieser Reihung etwas. Wobei die Reihung auch deutlich macht, dass mit der Wiederholung der Zweifel wächst.
Worum es ging? Um eine – dafür ist Twitter fresh genug – zwei Wochen beziehungsweise noch ältere Greser-und-Lenz-Karikatur zu einem Wirtschaftstext über Hausärzte-Mangel: Eine Lösung des Problems, dass vor allem niedergelassene Ärzte in dünn besiedelteren Regionen keine Nachfolger für ihre Praxis finden, karikierten Greser und Lenz mit "eingewanderten Fachkräften", worum sie sich dann einen bis auf den Lendenschurz, und die Masken nackerten "Dr. Mbongo" vorstellten, der mit Totenschädel ums Feuer tanzt.
Dass man diese Darstellung rassistisch nennen kann, hatte, via @R_esineD, Caspar C. Mierau aka @leitmedium festgestellt. Daraus ergab sich dann ein Getweete und Gereplie, an dem man doch ganz schön sehen kann, wie Twitter funktioniert und wofür es gut ist.
Denn natürlich ist Twitter das Medium von Erregung und Aufregung. Aber wenn abzieht, was daran – im Vergleich zur gesitteten Unter-vier-Augen-Auseinandersetzung – Überschuss ist, so wie man die Beiträge von "geistigen Nichtschwimmern" (der Kaiser) ja auch einfach übergeht, wenn man sich aufs Wesentliche zu konzentrieren versucht, dann bleibt doch eine Kritik übrig, die ihre Berechtigung hat. Und – das ist das Schöne an Twitter – womöglich auch begriffen werden kann.
Die Chronik der @faznet-Tweets lässt jedenfalls Lerneffekte erahnen. Hieß die Ersterklärung noch:
"Die Karikatur stammt von Greser & Lenz (ehemals Titanic). Sie spießen auf, was so mancher Deutsche heimlich denkt. (1/2) Das kann manchmal böse und hintersinnig zugleich sein. Der Rassismus-Vorwurf ist jedenfalls nicht haltbar. (2/2)"
Hingen später die Wolken der Skepsis über den Sonnenstrahlen der Selbstsicherheit, um einmal ein um Poesie bemühtes Bild zu verwenden:
"es ist wohl nicht das brillanteste Werk von Greser & Lenz, aber sie sind sicherlich keine Rassisten. Danke in jedem Fall ..."
Was man daran natürlich auch sieht: Wie viel Ahnungslosigkeit im deutschen Reden über Rassismus steckt, wobei Ahnungslosigkeit immer so unverschuldet-putzig klingt; tatsächlich handelt es sich ja nicht selten um Ignoranz, um Nicht-wissen-wollen.
Das führt dann zu den Missverständnissen die vielleicht – so richtig mögen wir nicht dran glauben – in der avisierten Morgenkonferenz bei FAZ.net aufgelöst werden. Deshalb hier noch mal der Versuch der Vermittlung: Ja, die Karikatur versucht Vorstellungen des "Fremden" zu übertreiben. Das Problem ist nur, dass es sich dabei um Exotismus-Vorstellungen handelt, wie sie 1892 oder von mir aus auch 1953 noch en vogue waren. Und so fällt eben auf, wie viel Spaß es Greser und Lenz selbst bereitet, das N-Wort zu sagen oder nackerte "Wilde", gerne auch Kannibalen zu malen, wenn es um "Afrika" geht. Und dann wird eben nicht lächerlich gemacht, sondern fortgeschrieben.
Das ist ein bisschen schwerer auch deshalb zu verstehen, weil es sich bei Greser und Lenz nicht um jene "klotzköpfigen" (Kurt Kister) Vertreter des Branche handelt, die noch nie lustig waren. Und weil Greser und Lenz im Wissen um die Abgenutztheit gewisser Vorstellungen etwa nie, nie, nie einen "deutschen Michel" zeichnen würden, wie er 1893 oder 1952 en vogue gewesen sein mag (und es bei den anderen Kollegen noch immer ist). Nicht umsonst heißt es in der Selbstauskunft:
"Die beiden Zeichner legen Wert auf die Feststellung, daß ihre Arbeiten alles sein dürfen, nur nicht mit spitzer Feder auf den Punkt gebrachte Mißstände, bei denen dem Betrachter das Lachen im Halse steckenbleibt."
Warum sollte dieses ironische Besserwissen nicht auch im Bezug auf die eigenen "Afrika"-Vorstellungen erlangbar sein?
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Dass Wohlmeinen nicht vor Blindheiten in der eigenen Wahrnehmung betrifft, was den Rassismusdiskurs betrifft, kann man auch an Klaus Theweleits Samstags-Rant aus der TAZ sehen (in dem nebenher hier und da noch angemerkt wird, was gerade so über die Leber lief – etwa Lob für Ulrike Herrmann für ihren Schirrmacher-Text).
Darin schrieb der antinationalistische Theweleit bekanntlich über die Wurzeln des "Gaucho"-Deutschen-Gehens in einem schlechten Oliver-Pocher-Witz bei der Fanmeilensause nach der EM 2008:
"Ich hab das damals ausgeschaltet (wegen krassem Feier-Rassismus)."
Dann lobt Theweleit zum einen aber Peter Unfrieds "locker fachliche Artikel", die mitunter leider ziemlich dämlich sind in ihrem stolz zur Schau getragenen Ich-bin-unter-lauter-verknöchert-dogmatischen-Linken-der-total-unkonventionelle-Kopf-und-löcke-deshalb-gegen-den-Stachel-Witz.
Und schreibt so was:
"In der ersten Gruppe kommen 'Kedhira', 'Özil' und 'Boateng', sehr sinnig, womit die etwas Farbigeren schon mal unter sich waren."
Also "Khedira" falsch, im Urteil vielleicht etwas vorschnell (alle Spieler wohnten nach Vereinen, die vielen Bayern wurden aufgeteilt), vor allem aber "Farbigeren", was doch jemand, der Leute nicht ohne Not beleidigen will, nicht schreiben würde.
Das wäre dann die letzte Erklärung für heute; man kommt ja beim Versuch, Verständnis zu stiften und Vermittlung zu befördern doch immer nur als klugscheißender Oberlehrer rüber.
Deshalb zur Linderung noch etwas gänzliches Unerwartetes, etwas, von dem ich nie dachte, dass ich es je sagen würde:
Online bei Springers WamS ein Text von Ernst Elitz, den man lesen kann.
Es geht um Nazi-Verstrickungen des Literaturkritikers Friedrich Sieburgs. Der Text mündet in einem Fazit, das man bei G+J nicht gerne lesen wird, wo die Henri-Nannen-Kritik womöglich als amerikanischer Spleen firmiert:
"Angesichts der in den deutschen Feuilletons endemisch aufschwappenden Empörungswellen über die wie auch immer zustande gekommene NSDAP-Mitgliedschaft von Walter Jens, die verspätete Bekanntgabe von Günter Grass' Einziehung zur Waffen-SS bis hin zum kurzzeitig erwogenen Einschmelzen der Nannen-Preis-Statue (Nannen war Mitglied der Propagandakompanien) wäre eine historische Gewissenserforschung über die braunen Verstrickungen des eigenen Gewerbes nur fair. Die Frage nach Anstand und Wahrheit des Journalismus ist heute so aktuell wie damals im Streit zwischen Sieburg und Willy Haas."
+++ Christian Wulffs Medienkritik (Altpapier von gestern) kommt wohl nicht so gut an. Und dabei muss man nicht mal Kai Diekmanns via Twitter rumgeschickten Briefe anschauen, die im Text von Holger Schmale in der Berliner verlinkt sind, um zu dem Urteil zu kommen: "Heute spricht Christian Wulff von einem Medienkartell, das sich gegen ihn verschworen habe und fordert eine Verschärfung des Pressekodex. Ihm und dem Land wäre viel erspart geblieben, hätte er sich an eine einfache Grundregel gehalten, die immer schon – auch für seriöse Journalisten – galt: Distanz zu wahren." +++ Sonja Álvarez kennt im TSP weitere Zurückweiser: "Dass Wulff die Berichterstattung über seinen Fall offensichtlich verzerrt sieht, stellte dann auch noch die Bundespressekonferenz (BPK) klar. Wulff hatte sich in dem 'Spiegel' über den Umgang mit seinem Freispruch beschwert. Regierungssprecher Steffen Seibert sei in der Bundespressekonferenz von den Journalisten gefragt worden, was Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Einstellung von 'Wetten, dass..?' sage, sein Freispruch sei dagegen gar nicht Thema gewesen. Wo keine Frage sei, könne Merkel auch keine Antwort geben, so Wulff." +++
+++ Diffuser ist die Lage im Fall Gustl Mollath. Benjamin Weber skizziert in der TAZ die Lager der Berichterstattung: "Im zunehmenden Kampf um die Deutungshoheit geht auf beiden Seiten irgendwann die journalistische Sorgfaltspflicht verloren. Uwe Ritzer und Olaf Przybilla von der SZ versuchen mit allen Mitteln, Mollath als aufrechten, fehlerlosen Bürger darzustellen - wohingegen der nicht widerlegte Vorwurf, Mollath habe 129 Autoreifen von Freunden seiner Frau zerstochen, in der Berichterstattung erstaunlich wenig Platz einnimmt." +++ Ebenfalls in der TAZ schreibt Torsten Kleinz über die "Edit-Wars" im Ukraine-Konflikt auf Wikipedia: "Völlig anonym sind solche Änderungen, genannt "Edits", dennoch nicht. Und so kamen die Manipulationen beim Propagandakrieg um die Ukraine durch eine Reihe Twitter-Bots an die Öffentlichkeit. Diese Programme suchen im Datenstrom der Wikipedia gezielt nach Internetadressen von staatlichen Institutionen oder Firmen und veröffentlichen sie auf Twitter." +++ In der Türkei sorgt Erdogans Macht für ein Ungleichgewicht in der Berichterstattung, schreibt Hülya Özkan in der FAZ (Seite 13). +++
+++ Netflix kommt offiziell nach Deutschland, meldet die FAZ: "In zwei Monaten geht das in Amerika populäre Videostreaming-Portal Netflix auch in Deutschland auf Sendung. Das kalifornische Unternehmen nannte den Termin am Montag bei der Vorlage der Geschäftszahlen fürs Halbjahr. Zeitgleich startet Netflix in Österreich, der Schweiz, Frankreich, Belgien und Luxemburg." +++ Murdoch könnte der derweil Sky Deutschland verkaufen, um Geld für den TimeWarner-Erwerb zu haben, berichten Christopher Keil und Kathrin Werner in der SZ-Wirtschaft: "Doch 80 Milliarden Dollar haben weder der Multimilliardär Murdoch noch sein Unternehmen 21st Century Fox einfach so in der Tasche. Fox arbeitet – wohl auch deshalb – daran, zwei europäische Bezahlsender zu verkaufen: Sky Italia, der komplett zum Konzern gehört, und Sky Deutschland, an dem 57 Prozent der Anteile zu Fox gehören, sollen an die britische Sendergruppe BSkyB gehen. Die Gespräche seien in einem frühen Stadium, teilte BSkyB mit. Medienexperten kalkulieren, dass der Verkauf bis zu zehn Milliarden Euro in die Kassen von Fox bringen könnte." +++
+++ Adrian Lobe schreibt in der NZZ über nachinszenierten Immersive Journalism aus den USA: "Der Zuschauer bekommt eine klobige VR-Brille (von Oculus Rift) umgeschnallt und taucht in die Szene ein – als sei er selbst Teil der Handlung. Immersive Journalism ist eine neue Form nichtfiktionalen Geschichtenerzählens, die es erlaubt, Ereignisse oder Situationen aus den Nachrichten gleichsam unmittelbar zu erleben." +++ Und Katharina Frohne berichtet für die SZ (Seite 31) über eine Veranstaltung in München, auf der Serialität diskutiert wurde: "Hierzulande seien Selbstreflexion und erzählerische Innovation dagegen noch selten. Das gelte besonders für den typisch deutschen Tatort. Immerhin: Auch er leistete sich in 'Am Ende des Flurs' den ersten Cliffhanger seiner Geschichte – und ruderte nach Beschwerden eilig zurück. Beschwichtigend verkündete der BR: Der verletzte Münchner Ermittler Leitmayr wird leben. Noch ist man zu ängstlich, um Pionier zu sein. To be continued." +++
Gilt auch für das Altpapier – morgen geht's weiter.