Zeit des Lieferns

Zeit des Lieferns

Einiges los heute: Erinnerungen an Springers WM 1978 und Nazi-Sprüche in der Kronen-Zeitung. Claus Kleber überall. ZDFs Bester: Ein alter Walter-Ulbricht-Trick. Frauen in der Gesellschaft von Brand Eins. Polizeieinsatzvideos in Berlin. Google-Löschungen und die Pressefreiheit. Und noch was zu Frank Schirrmacher.

Thank God ist Constantin Seibt da, wenn man ihn braucht. Letzter, jüngster Eintrag im Deadline-Blog:

"Der verfluchte erste Satz, Teil 1: Was ist Dein Problem?"

Dankenswerterweise bietet Seibt am Ende des Eintrags ein Problemanalysetool an, das die Gründe für den Ärger am Anfang einschränkt. Wir würden als Erklärung für den schon wieder viel zu späten Beginn die zweite "Kartografierung" wählen:

"Die Wirklichkeit ist sich selbst nicht klar. Das Material ist verwickelt, undeutlich, ausfasernd, unvollständig, uferlos, kurz: objektiv komplex. Das heisst: Man muss ein Ordnungssystem erfinden."

Gibt einfach zu viele Eröffnungen heute. Tagesaktuell wäre der Verweis auf den Bildblog. Dort erinnert Malte Welding mit einem Blick ins Archiv, wie Springers BamS bei der WM 1978 mit Unterstützung der Junta sich ein Bild machte von den Zuständen im Gefängnis:

"'Die Zellen sind sauber, in allen steht ein kleiner Ofen. Die Häftlinge können sich ihren Tee oder Kaffee selber kochen… Jedem subversiven Verbrecher in 'La Unidad 9' stehen pro Tag 450 Gramm Fleisch zu.'"

Geschrieben hat das Springers damaliger Chefreporter Michael Jeannée, der, was eine Koinzidenz, als eine – ist "Post von Wagner"-Wagner steigerungsfähig? – üblere Version des schmierigen Boulevardkolumnisten gerade in den Twitter-Timelines auftaucht.

Der deutsche "Endspielsieg" in Rio ist in einer späteren Version der Kronen-Zeitung wohl gestrichen; was diese Art von Redigat an der eigenen – kann man das im Falle der Kronen-Zeitung sagen? – Reputation retten soll, wenn man eine Figur wie Jeannée beschäftigt, müsste einem auch noch mal eine High-End-PR-Agentur erklären.

In einem weiteren Sinne in diesen Blick zurück gehört ein etwas rätselhafter Text in der TAZ von Jürgen Vogt. Dort wird Elisabeth Käsemann aus der sehr geliketen Eric-Friedler-Dokumentation in der ARD (siehe Altpapier) als entschiedende Guerillera erzählt:

"Elisabeth Käsemann blieb und kämpfte weiter, war also alles andere als eine naiv-mildtätige Studentin, die in den Armenvierteln Almosen verteilte."

They call it Geschichtspolitik, liebe Kinder, und tatsächlich ist bei solchen Auseinandersetzungen nicht ganz uninteressant, was man nach dem Tod draus macht. Ist der Gedanke zu defätistisch, dass da ein radikallinker Restrumor rebelliert gegen die verniedlichende Vereinnahmung einer Frau ("Das Mädchen") durch die bürgerliche Mitte?

Wo wir bei Staatsgewalt sind: In Berlin beschäftigt Bildmaterial von einem Polizeieinsatz um die von Flüchtlingen besetzte Schule in der Ohlauer Straße.

Johnny Haeusler hatte darüber auf Spreeblick berichtet – unter Einbeziehung von Skepsis gegenüber bewegten Bildern.

"YouTube-Videos von solchen Vorfällen sind immer mit Vorsicht zu betrachten, schließlich zeigen sie nur einen Ausschnitt dessen, was passiert ist. Bei dem Clip, der derzeit über die bekannten Kanäle die Runde macht, bleibt einem allerdings unabhängig von der Vorgeschichte mal wieder die Spucke weg."

Dem kann man, wie Andreas Kopietz, der Polizeireporter der Berliner Zeitung, entgegenhalten, was alles nicht zu sehen ist:

"Was der geschnittene Film ebenfalls ausblendet, ist die Pfeffersprayladung, die jemand auf die Polizisten sprüht. Er zeigt auch nicht, dass der Beamte, der den Ausweis des 22-Jährigen sehen wollte, am Schluss von oben bis unten bespuckt war."

Das Problem bleibt aber trotzdem, dass Kopietz sich bei diesen Anmerkungen auf Polizeischilderungen verlässt – was nicht heißt, dass Polizeiangaben falsch sein müssen. Es entsteht nur ein journalistisches Problem, auf das Anne Roth in ihrem Blog abhebt:

"Was lernen diese Leute eigentlich auf den vielgepriesenen Journalist_innen-Schulen? Unter anderem doch wohl, dass der echte, der Qualitätsjournalismus sich u.a. deswegen von den Blogs und subjektivem 'Bürgerjournalismus' unterscheidet, weil immer verschiedene Seiten gehört werden, niemals nur eine Seite dargestellt wird."

Roth beschreibt die strukturellen Schwierigkeiten von so was:

"Natürlich sind diejenigen Beteiligten, die nicht bei der Polizei sind, nicht so einfach zu finden – gerade nicht bei solchen Vorwürfen und wenn sie möglicherweise traumatisiert sind nach der Prügelei. Vermutlich haben sie keine Pressestelle und verschicken nicht am nächsten Tag eine Pressemitteilung."

[+++] Um auf die sunny side des Themenspektrums heute zu wechseln. Lieblingstweet seit Stunden:

"Was Claus Kleber sagt!"

Ist von @LangerJan vielleicht gar nicht so subtil-aufreizend-ironisch gemeint, wie es bei uns ankommt, nämlich nur so scheinbar bewunderungsergeben-gieksend wie eine smarte Frauenrolle in einem Hollywoodfilm der frühen sechziger Jahre. Wäre aber egal.

####LINKS####

Claus Kleber, der Duffman des Journalismus-Journalismus, spannt einerseits schon seit Tagen auf die Folter, was denn nun Endgeiles auf seinem hj-LapTop close to G G zu sehen ist:

"Biete an: Ehrliche Antwort auf #CKFAQs: Kostprobe: was bringt LapTop auf #heutejournal-Tisch? Erst mal Ihre Theorien, bitte: Bin gespannt"

Denn bis auf Gratisbewunderung für die tollen Vorschläge hat Duffclaus noch nicht, äh, geliefert, wie es in der Sprache von diesen richtig-echten Journalisten wohl hieße:

"wow-kreativ! Besonders die falschen Ideen :-) Verdienen mehr als Text. Ich handy-filme morgen Antwort und liefere."

Lass dir Zeit, Alta, so spannend isses nicht. Dafür, und nur deshalb diese Abschweifung, hat Claus Kleber einen anderen rausgehauen, über den man bei JBKs zu Hause vermutlich nicht so abgegangen sein wird.

"Besser kann es JBK nicht, aber geht schon."

Wenn das mal nicht ein astreiner Paternalismus ist, dann weiß ich's auch nicht. Witz dabei: Kleber meint das Handyfoto, das JBK am Rande von "Deutschlands Beste" gemacht hat ("Olaf Schubert nicht mit drauf, aber immer on Top"). Der versierte Mediennutzer wird das Urteil aber sofort auf die Kritiken zur gruseligen Sendung beziehen. Stefan Niggemeier hatte in der FAZ eine sehr schöne geschrieben. In seinem Blog legt er jetzt dar, dass wirklich alles an dieser Sendung Verarsche war – auch die scheinbare Beteiligung von Menschen an einer sogenannten Abstimmung.

"Zu dem Zeitpunkt, als die 'Hörzu' zur Wahl aufrief, standen die Top 50 längst fest. Das Umfrageinstitut Forsa hatte sie zwischen 24. und 28. April in einer Umfrage für das ZDF ermittelt. Aber man musste kein 'Hörzu'-Leser sein, um mit seiner Stimme das Ergebnis der Wahl nicht zu beeinflussen."

Freundinnen unserer beliebten "ARD/ZDF und die DDR: Ein Systemvergleich" werden angesichts solcher Strategien sofort erkannt haben, dass man in Mainz seinen Ulbricht (Muss demokratisch aussehen, steht natürlich aber vorher fest) gelesen hat.


Altpapierkorb

+++ Claus Kleber überall? Daniel Bouhs serviert in seinem TAZ-Text über David Schravens "Correctiv" eine Haken im Vorübergehen: "Am Rande der Jahrestagung des Netzwerks Recherche, das wiederum Investigation lehrt, aber selbst nicht liefert, erzählt David Schraven von seinem Projekt." Das wäre vielleicht auch die Antwort auf die oben gestellte Frage von Anne Roth. Eigentlich geht's aber um Schravens Projekt, das bis dato erstmal als Versprechen existiert. Weshalb Bouhs mit der Versprechensästhetik einleitet: "Erst den Dicken markieren, dann irgendwann liefern – das kann Correctiv schon mal, der neue Verein, der sich der Investigation verschrieben hat. Das Projekt wirbt mit "Recherchen für die Gesellschaft" für sich, hat gerade in Berlin Räume bezogen und sucht Mitarbeiter. Die Ausschreibung dazu ist ein Statement: Wir suchen die Harten!" +++ Ganz lustig ist in diesem Zusammenhang noch das Interview, das World Wide Wagner mit Schraven für RadioEins geführt hat: In den kritischen Fragen wirkt Wagner vielleicht nicht hundertprozentig ambitioniert, weshalb sich Schraven ("Dat sind 300 Millionen"/"Ein Angestellter im Tierschutzverein kriegt auch Geld") während der Unterhaltung spürbar mehr als einmal wundert. +++

+++ "Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich jemals veranlasst sehen würde, zu betonen, dass ich nichts gegen Frauen habe. Aber zur Zeit wird im Netz über die vermeintliche Frauenfeindlichkeit von brand eins debattiert, und nun sehe ich mich dazu veranlasst", schreibt Brandeins-Chefredakteurin Gabriele Fischer auf die Kritik, das Heft sei zu männerlastig, die durch das – sagen wir es freundlich – ungeschickte Verhalten von Brand Eins-Mann Frank Dahlmann auf Facebook befeuert wurde. (siehe auch wirres.net). Fischer sagt nun Sätze wie da oben, was eigentlich nie weiterhilft – es geht wohl weniger um offensive Frauenfeindlichkeit als vielmehr die ganz gewöhnliche, schlumpige Ignoranz, mit der man sich in seinem Weltbild eingerichtet hat. Antje Schrupp versucht Verständnis zu haben, kommt aber damit nicht so recht weiter: "Aber meine Vermutung ist auch schon lange, dass ein hoher Frauenanteil in Führungskreisen genau nicht dazu führt, dass Frauen und das, was sie tun, in den Fokus rücken, dass Frauen und ihre Initiativen und Perspektiven mehr wahrgenommen werden als anderswo. Sondern dass vielleicht gerade im Gegenteil diese Frauen aus einem vermutlich nicht wirklich bewussten, sondern unterschwelligen Anpassungsgestus heraus vermeiden möchten, zu sehr 'Frauenkram' zu machen." +++

+++ Online-Kram: Stefan Plöchinger again, der, noch einmal recht sympathisch erklärt, warum der Hoodie-Kram saugt. Und, was im Internet bei wem geht: "Ein Irrglaube ist zum Beispiel, dass lange Texte, abstrakte Essays oder Sozialthemen im Netz nicht funktionieren. Quatsch, unsere Zahlen beweisen das Gegenteil. Artikel dürfen gern lang, aber nicht langweilig sein, sie dürfen abstrakt, aber nicht unverständlich sein, und unsere Leser interessieren sich für gesellschaftliche Streitfragen mehr als für vieles andere. Ich denke, bei 'Focus Online' würden Sie andere Auskünfte bekommen, aber so ist das zum Glück im Netz 2014." Geht in dem Interview mit Ben Schwan auch noch um Bezahlmodelle im Netz. +++ Die Poesie der Aufmerksamkeitsgenerierung dieser Tage: "Vier der fünf Top-Artikel des bisherigen Jahres haben laut SimilarWeb mit dem Thema Mutter zu tun. Ein weiterer Themenkomplex, mit dem die HuffPo punktet ist offenbar Sex. So war der zweiterfolgreichste Artikel im März 'Was passierte, als ich ein Jahr lang jeden Tag Sex hatte' und auf Platz 3 folgt 'Pornos sind schuld, dass Frauen falsche Vorstellungen von Sex haben'." +++

+++ Google Löschungen bedroht Freiheit der Presse, merkt die jetzt, wie SZ (Seite 27) und NZZ berichten: "Doch nun hat der Wind gedreht, nachdem Google begonnen hatte, Links aus den Suchresultaten zu entfernen. Reklamiert haben, wen verwundert's, die betroffenen Medien." +++ Wo wir in der NZZ und bei Wundern sind: Rainer Stadler, geschieht auch nicht alle Tage, schwer beeindruckt von Rassismusanalysen, wie sie eine ZDFneo-Sendung am Do. sie vorstellt: "Die wenigen Rebellen geraten dadurch in die Rolle des Spielverderbers. So vermag die Diktatur der Workshop-Regel ihre perverse Logik durchzusetzen und die Opfer perfide zu manipulieren – eine Fernseherfahrung, die nachdenklich stimmt." +++ Immer noch NZZ – Joseph Croitoru über die Bildpolitik von Isis: "Die Kämpfer sprechen meist ein makelloses Hocharabisch, und ihre verschiedenen Akzente und Physiognomien lassen auf all die Länder schliessen, aus denen sie stammen. Neben Arabern aus Saudiarabien, Tunesien oder Ägypten erkennt man an ihrer Aussprache auch Bosnier, Albaner und Mujahedin aus den zentralasiatischen Republiken. Interviewt werden neben den eigenen Leuten auch mit den Extremisten sympathisierende Passanten in den Ortschaften, in denen sie die Kontrolle übernommen haben. Solche Aufnahmen suggerieren eine heile Welt, in der – da sie nun von den Boten des angeblich wahren Islam regiert wird – alles mit rechten Dingen zugeht." +++

+++ Im Tagesspiegel schaut Sonja Álvarez ein Video der EU-Grünen, das an jüngere Zuschauerinnen adressiert: "Eigentlich eine gute Idee, dieser Videoblog – noch dazu mit einer jungen Abgeordneten wie Reintke, die – nun ja – erfrischend und begeistert von ihrer Aufgabe schwärmt. Dann aber bitte sollten die Clip-Macher ihre Zuschauer ernst nehmen – und nicht so tun, als wollten sie ein neues Format erfinden: Scripted-Reality auf Kika-Niveau." +++ Anne Goebel besucht für die SZ (Seite 27) das Frauenmagazin "Donna": "Es geht gerade darum, das Modezeitschriften-Repertoire – und das Selbstverständnis der Leserin als Frau mitten im Leben – nicht aufzugeben, sondern alles eine Spur herunterzudimmen. Der Mix aus Trends, Partnerschaftsthemen und Kosmetiknews wird nicht wie sonst zur ultimativen Wunderfibel komprimiert, sondern wirkt wie ein von Spätsommerlicht durchschienener Monatsbegleiter für die Generation Power Yoga." +++ Für die FAZ hat Stefan Schulz ein Konferenzvideo mit den Google-Gründern geschaut, in dem die über ihre Anfänge erzählen. Liest sich aber immer noch komisch, wenn die FAZ auf den Kapitalismus sauer ist: "Im Silicon Valley rühmt sich Google für seine zerstörerische Kreativität. Doch die gibt es nur intern. Für alles andere schickt Google seine Geschäftsleute los – mit klarem Ziel und nur einer Vision: Märkte zu beherrschen." +++ Eine Erklärung steckt in dem lesenswerten Text von Ulrike Herrmann aus der TAZ vom Wochenende, in dem sie Frank Schirrmacher beschreibt: "Doch Schirrmacher war weder links noch radikal, sondern zutiefst konservativ. Er wollte die Privilegien der Elite retten, zu der er sich selbst zählte. Er stellte sich nur schlauer an als die anderen Besitzstandsbewahrer. Der Trick war so simpel wie wirkungsvoll: Da Schirrmacher stets 'die Revolution' ausrief, schien eine Reform überflüssig. Das Machbare in der Gegenwart wurde ignoriert, weil es angeblich von der Zukunft überholt war." +++

+++ Und noch ein Highlight zum Schluss: Wolfgang Michal über die Nähe der Dienste in den USA und der BRD, mit einem schönen Fundstück über Reinhold Gehlen: "Ein damaliges Mitglied des CIC: 'Einer der größten Fehler, den die Vereinigten Staaten jemals auf dem Gebiet der Geheimdienstarbeit begangen haben, war es, Gehlen zu nehmen. Schon im Krieg war sein Laden nicht gerade effektiv, und er hat im Laufe der Zeit auch nichts dazugelernt. Seine Methodik war antiquiert, sein Kommunikationswesen primitiv und seine Sicherheit gleich Null. Er war vom ersten Tag an der Infiltration ausgesetzt.'" +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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