Frank Schirrmacher ist im Alter von 54 Jahren überraschend gestorben – und motiviert noch im Tod zu journalistischer Hochform. Eine kleine Schau durch die ersten Nachrufe.
Größe und Bedeutung des gestern überraschend verstorbenen Frank Schirrmacher zeigen sich auch daran, dass Deutschlandradio Kultur seine tägliche Anrufer-Sendung "2254" vergangene Nacht thematisch dem FAZ-Herausgeber gewidmet hat.
Oder besser widmen wollte. Denn mehr noch als Schirrmacher trieb die Anrufer das designierte Los ihrer Lieblingssendung um. "2254" soll im Zuge der Programmreform in einer Woche verschwinden, wogegen sich Protest auf allen Kanälen findet, wie Saskia Hödl heute in der TAZ schreibt,:
"Dabei sind es gerade die neuen sozialen Medien, die den Bedarf nach Diskussion im Radio verdrängen, argumentiert Kultur-Chef Hans Dieter Heimendahl, der am Mittwoch als Gast im '2254'-Studio saß: 'Die Hörer gehen vermehrt ins Internet, um zu kommunizieren.' Der Kerngedanke der Reform sei, den Sender als nationales Kulturradio zu profilieren, deshalb solle der Sender nun mit 'Musik wuchern'."
Es steht die Planung anhand abstrakter Zahlen gegen die mit heißem Herzen vorgetragene Versicherung der Hörer, wie sehr ihnen "2254" Forum sei, ein Ort, an dem öffentlich miteinander gesprochen werden kann. Agora heißt so was in jeder Projektskizze für ein/e Museum, Veranstaltungsreihe, Medienprojekt, nur zur Erinnerung.
Bemerkenswert ist das alles aber, weil in "2254" tatsächlich miteinander gesprochen wird. Stefan Niggemeier hat die Diskussion der WDR-Wetterwarnungen noch einmal zum Anlass genommen, fast nebenher grundsätzliche Beobachtungen zum Öffentlich-Apparat zu äußern:
"Nehmen wir den 'WDR-Check' von letzter Woche. Man würde beim Betrachten einer solchen Sendung nicht erkennen, ob es zum Beispiel heftige Kritik gab an der Ukraine-Berichterstattung der ARD, ein massives Unbehagen. Es wird alles professionell wegmoderiert, jeder nur eine Frage, fassen Sie sich bitte kurz, na, wir können ja nach der Sendung vielleicht nochmal darauf zurückkommen, und jetzt Musik! Dass eine solche Sendung nicht nur stattfindet, sondern in ihr etwas passiert, ist weder vorgesehen noch erwünscht."
"2254" von letzter Nacht, vor allem so ab 18 Minuten vor Schluss, im Gespräch der Moderatorin Birgit Kolkmann mit dem Hörer Richter, ist das ganze Gegenteil. Es wird nicht abgewiegelt und durchroutiniert, es findet vielmehr ein beinahe utopischer Moment statt: Moderatorin und Hörer diskutieren darüber, wie die Hierarchen, die Absetzung rückgängig machen könnten – ohne "Gesichtsverlust", wie die apparatserfahrene Kolkmann erklärt (was Hörer Richter auf Anhieb nicht als Problem erkennen will). Anders gesagt: dass die Möglichkeit, einen Irrtum zu korrigieren, nicht Schwäche, sondern Stärke bedeuten könnte. Man darf gespannt sein, für welche Option sich die DLR-Vorgesetzten entscheiden.
Und damit zurück beziehungsweise zu den Nachrufen auf Frank Schirrmacher, dem "2254" dann womöglich auf viel präzisere Weise gerecht wurde, als durch explizite Wortmeldung, weil die Sendung am offenen Herzen dessen operierte, was den FAZ-Mann ausgemacht hat: Gespür, Gegenwart, Begeisterung, aber eben auch machtpolitisches Kalkül.
Für Größe und Bedeutung Schirrmachers spricht, das in der Kürze der Zeit, Texte entstanden sind – in der FAZ, SZ, Berliner Zeitung und Tagesspiegel –, von denen an – um aus unserer pragmatischen Perspektive zu sprechen – gewöhnlichen Altpapier-Tagen einer schon ein Glück wäre, weil sich darin so viele schöne, unbedingt zitiert werden müssende Stellen finden. So motiviert der schillernde Schirrmacher noch im Tod zu journalistischer Hochform.
Überhaupt ist an den Nachrufen und Trauerbekundungen interessant, wie sich der jeweilige Autor zur Schirrmacher in Bezug setzt (was auch damit zu tun, dass die Wegmarken von Schirrmachers Karriere wegen, eben, Größe und Bedeutung, geläufig sind – Walser, Genom, Demographie, Internet, etc.)
So drängt sich bei Iris Radischs Text nicht der Eindruck auf, dass die Zeit-Feuilletonchefin deshalb auf Zeit-Online schreibt, weil sie den FAZ-Herausgeber – ganz wertfrei – persönlich besonders gut kannte:
"Zuletzt sah ich ihn, wie er neben dem Sarg Marcel Reich-Ranickis in der Trauerhalle auf dem Frankfurter Hauptfriedhof stand, ein verschwörerisches Lächeln im Gesicht."
Die Trauerfeier fand am 25. September 2013 statt und war eine quasi öffentliche Veranstaltung. Da kann Jan Fleischhauer auf Spiegel-Online ganz anders aus dem Nähkästchen plaudern:
"Seine letzte Mail war eine Einladung, ihn in seinem Haus am See zu besuchen. 'So schönes Wetter jetzt. Bin diese Woche noch in Rom. Wollen Sie nächstes Wochenende nicht zum Schwimmen kommen? Ehe unser Journalismus abtaucht.... Ihr fs.' Am Samstag wollten wir uns sehen, so war es geplant."
Vielleicht tut man Fleischhauer, wenn man ihn nur durch seine Publizistik kennt, auch unrecht, aber in der Konsequenz von Schirrmachers – in allen Nachrufen erwähnter – Begeisterung für und Neugierde auf intellektuelle Fragestellungen erscheinen einem Gesprächspartner wie Constanze Kurz oder Frank Rieger irgendwie plausibler.
Und es scheint auch mehr über Fleischhauer selbst zu sagen, als für ein gutes Gespür zu sprechen, wenn er scheinbar Schirrmacher schützend antizipiert:
"Man wird in den kommenden Tagen über Schirrmacher nur Gutes hören, aber in Wahrheit hatte er eine enorme Zahl von Gegnern, die sich über ihn bei jeder Gelegenheit das Maul zerrissen. Diese Leute verachteten die enthusiastische Sorglosigkeit, mit der er die Seiten seines Feuilletons für Themen öffnete, die nach ihrer Meinung dort nicht hingehörten. Was die zwei-, dreihundert Angehörigen des inneren Kreises denken, ist ihnen wichtiger als die Zustimmung des großen Publikums."
Denn damit liegt Fleischhauer schon heute falsch. Größe und Bedeutung von Schirrmacher zeigen sich auch daran, dass seine Schwächen und Fehler in das Bild von ihm zu integrieren sind, ohne dass das Bild dadurch an Strahlkraft verlöre. Die plumpe Lobhudelei wäre langweilig, Schirrmacher erscheint vielmehr als Figur von literarischer Farbigkeit, weshalb es passend ist, dass unter der Online-Version von Edo Reents FAZ-Text der Link-Hinweis steht:
"Themen zu diesem Beitrag: Frank Schirrmacher | Thomas Mann | Alle Themen"
(In einer früheren Fassung lautete die Reihenfolge gar: "Thomas Mann | Frank Schirrmacher | Alle Themen").
Selbst Reents schreibt nun:
"Dieser Charakter war, um das mindeste zu sagen, schillernd; und er war, auch dies gehört in dieser Stunde dazu, bei einigen auch gefürchtet. Jeder, der ihn kannte, der das Glück hatte, ihn zu kennen und, vielleicht sogar, auch mit ihm zu arbeiten, wird wissen, wie das gemeint ist. Es kann gar nicht missverstanden werden."
In der SZ gelingt Franziska Augstein, Andrian Kreye und Gustav Seibt das Kunststück, über die Auseinandersetzungen innerhalb des FAZ-Feuilletons zu schreiben (in deren Folge erst Seibt und dann Augstein mit anderen das Blatt verließen), ohne despektierlich zu wirken. Etwas unangenehm liest sich allein der Hinweis auf Schirrmachers Herkunft:
"In Frank Schirrmacher mischten sich größter Machtanspruch und Unsicherheit. Das mag seiner kleinbürgerlichen Herkunft geschuldet sein: Dass einer wie er jemals zu einem der Vordenker der Bundesrepublik werden würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt."
Es mag anerkennend gemeint sein, verbirgt aber den Dünkel schlecht, der zu deutschen Bürgerlichkeitsperformances leider auch gehört.
Den kann man auch bei Michael Naumann finden, der im DLF-Interview gestern gelobt hat:
"Was nicht erwähnt wurde in Ihrer kurzen Anmoderation ist der Sachverhalt, dass er kurz nach der Wiedervereinigung die moralische Debatte über die Rolle der Intellektuellen in der DDR, Stichwort Kant und Ähnliche, angestoßen und geführt hat, während andere Blätter – darunter zähle ich leider auch 'Die Zeit' – diesen Aspekt der Wiedervereinigung, der sich dann wirklich massiv manifestierte in den Entlarvungen und Enthüllungen der Gauck-Behörde, thematisiert hat. Da hat er das richtige Gespür gehabt, finde ich, und auch dafür gebührt ihm eigentlich, man wagt es ja kaum zu sagen, Dank."
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Aus heutiger Perspektive würde man die Christa-Wolf-Auseinandersetzung eher zu den nicht so visionären Schirrmacher-Debatten rechnen, weil die moralische Empörung darin doch arg bequem war. Andere Beispiele wären die "Unsere Mütter, unsere Väter"- oder die Tom-Cruise-Begeisterung, an die die SZ wiederum ohne Misstöne erinnert.
Insofern werden die Texte Schirrmacher viel besser gerecht, die nicht verabsolutierend loben, sondern die Widersprüche der Figur beschreiben.
Dass Schirrmacher eine Überfigur war, zeigt die Art, wie Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), sich ausdrückt:
"Die Nachricht vom Tod Frank Schirrmachers hat uns tief erschüttert. Wir trauern um einen großen und leidenschaftlichen Zeitungsmann. Der BDZV hat einen Freund verloren, der mit seiner scharf analytischen und zugleich visionären Kraft für die Zeitungskultur in Deutschland noch so vieles hätte tun können."
Denn tatsächlich steht der deutsche Journalismus seiner Krise nun ohne den – bei Reents schön beschrieben – selbstbewussten Kraftmenschen Schirrmacher da, was die Hoffnungen auf eine neue Erzählung vom Journalismus trübt. Auf das Fehlen von Schirrmachers Anregungen für die von Verlusten verschlankte FAZ weist Gregor Dotzauer in seinem Text für den TSP hin:
"Es ist nicht gesagt, dass es für die Geschäftsführung ohne Schirrmacher nun leichter wird – höchstens für einige, die sich ganz besonders unter ihm wegducken mussten."
Zuletzt ist das Übermäßige an Schirrmacher pikant für das Schreiben über Schirrmacher, weil es den Autoren zwangsläufig klein macht. So klingt der Tweet von Springers Christoph Keese klingt ein bisschen wie das Pfeifen im Walde der eigenen Bedeutungslosigkeit:
"Ohne Frank Schirrmacher wird Deutschland ein anderes Land sein. Er hat die Zukunft ausgeleuchtet und nie eine triviale Zeile geschrieben."
Genauso wie Fleischhauer seinen Bewunderungssatz ja nicht als unbeteiligter Außenstehender meinen kann, sondern sich dann irgendwie auch:
"Ich habe in meinem Leben nicht viele Journalisten kennengelernt, die so begeisterungsfähig waren wie Schirrmacher."
Ein wahres Alphatier, das bei aller Liebe und jedem Respekt nicht vergisst, auf welcher Höhe es sich selbst sieht, formuliert deshalb eher so wie Bild-Chef Kai Diekmann:
"Oft durfte ich ihn um Rat fragen. Manchmal fragte er mich um Rat. Wir führten einen Dialog, wie er noch vor 20 Jahren zwischen FAZ und BILD kaum vorstellbar gewesen wäre."
Mit Blick auf die gestern hier diskutierte Osmose ist das aber keine gute Nachricht.
+++ Der Unvollständigkeit halber: "Die taz trauert" mit einem Text von Jan Feddersen. +++ Und Torsten Krauel schreibt etwas ungelenk in der Welt: "Er hat Deutschland einen Orientierungsrahmen gegeben, flüchtig manchmal, weil sich sein Interesse urplötzlich mit einem neuen Gegenstand beschäftigte, aber immer mit dem Nachdruck, der notwendig ist, um Gehör jenseits der Ratespiele und Fußballwelten zu finden." +++ Dazu: Schirrmachers letzte Tweets (Welt). +++ Und ein letztes Fernsehinterview für Zapp vom NDR (bei dem man sich im Wissen um den Tod heute über das schwere Atmen wundert). +++ Zu den Umständen des Todes hat Springers heißes Blatt etwas rausgefunden. +++
+++ Die FAZ-Medienseite (S. 15) liest sich heute wie ein Testament: Google-Kritik, gleich zweimal. Florian Zimmer-Amrhein war wie Googles Eric Schmidt bei der Eröffnung der Start-up-"Factory" in Berlin. +++ Fridjof Küchemann spricht mit Fadi Chehadé von der Internetverwaltung ICANN über Pläne zu "Internet Governance": "Man würde das Feld der Internet-Entwicklungshilfe nicht einfach Google überlassen. – "Genau. Weil Google seine eigenen Interessen hat. Das ist gut für das Unternehmen, aber wir sollten auch unseren Teil beitragen." +++
+++ "Der Kulturbetrieb funktioniert also mit der bewährten durchschlagenden Wirkungslosigkeit, während die Ökonomisierung aller Lebensbereiche auf die Spitze getrieben wird", schreibt Joachim Meißner im Auftakt-Text der Funkkorrespondenz, die diese Woche ganz im Zeichen des Hörspiel(preises der Kriegsblinden) steht. Alle Texte online. +++ Auch das schöne Protokoll aus dem – von Niggemeier oben schon kritisierten – "WDR-Check", bei dem Zuschauer Romanowski eine Frage hat: "Jetzt ham se den Samstagskrimi von elf auf 23.00 Uhr gelegt. Warum?" Es findet sich eine Erklärung, keine Sorge. +++
+++ In der SZ (Seite 43) lobt Bernd Graff Jon Stewarts einstigen Sidekick: "In den USA, beim privaten Sender HBO, ließ man den Briten John Oliver nicht nur die Netzneutralität in seiner Show Last Week Tonight behandeln, sondern auch noch die Todesstrafe. Die Todesstrafe? Als 13-Minüter in einer Comedy-Show? Ja. Und danach kam die Fifa dran. Die Fifa in den USA zu behandeln, ist dort als Programmidee absurder, als hierzulande den Musikantenstadl rückwärts ausstrahlen zu wollen." +++ Und Friederike Zoe Grasshoff schreibt über die neue ARD-Haupstadtstudio-Leiterin Tina Hassel. +++
+++ Im Tagesspiegel orientiert Markus Ehrenberg über die Abos bei Krautreporter: "Als ersten Grund für seinen Wunsch, dass die Krautreporter scheitern, schrieb der Journalist Christian Ankowitsch in einem offenen Brief an Sebastian Esser: 'Ihr wirkt auf mich wie eine Gruppe freier Journalisten, die darauf hoffen, angestellt zu werden – und nicht wie eine Gruppe von Entrepreneuren, die um jeden Preis eine journalistische Vision verwirklichen wollen.' Klar, man habe auch Fehler gemacht, aber solche Häme habe massiv beim Crowdfunding geschadet, 'das ging schon an die Substanz', sagt Esser." Sieht doch aber gut aus (Stand 10:40 Uhr: nur noch 900 Unterstützer fehlen).
Der Altpapierkorb füllt sich Montag wieder.