Sascha Lobo hält auf der Re:publica eine politische Rede. Auf der Re:publica und der Partnerverstaltung Media Convention fehlt derweil ein Gespräch mit Kritikerinnen der Rundfunkfinanzierung. Das Zeit-Magazin kriegt ein Online-Spielfeld fürs handverlesene Umfeld von Luxusanzeigen. Bei Springer ist die Stimmung weniger prächtig. Originelle Journalistenpreisdotierung in Russland
Beste Medienkritik des Tages kommt – hätten wir so auch nicht gedacht – von Horst "Kanzlerberater" Teltschik, dem vormaligen Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Teltschik hat heute morgen in den DLF-Informationen am Morgen ein unaufgeregtes Interview zum Russland-Komplex gegeben. Und dabei ganz am Ende auf die Frage der Moderatorin Christiane Kaess, wie er die Lage im politischen Berlin beurteilen würde, wo etwa die "Linke sich als Russlandversteher" gerieren würde, geantwortet:
"Ja, das ist das übliche Getöse in Berlin. Es ist im Augenblick schwierig zu entscheiden, wie man mit Russland umgehen soll."
Und konkreter zum worst Wort der Auseinandersetzung:
"Dieses dumme Wort vom Russlandversteher zeigt ja auch, dass die, die es benutzen, es für besser finden, wenn man Russland nicht versteht."
Ob Christiane Kaess verstanden hat, dass Teltschik damit auch ihren Sprachgebrauch kritisierte, wird sich zeigen. Erstaunlich ist doch immer, dass Journalisten, deren Arbeitsmaterial die Sprache ist, damit mitunter umgehen wie kein Tischler je mit seinem Holz.
Die Bedeutung der Sprache weiß Sascha Lobo zu schätzen. Über den Auftritt Lobos schreibt Sebastian Leber im Tagesspiegel ("die ambitionierteste, kämpferischste Rede des ersten Tages"):
"Der Blogger ruft dazu auf, bei der Beschreibung des Skandals nicht mehr auf abgenutzte Orwell- und Stasi-Vergleiche zu setzen, sondern neues, aggressiveres Vokabular zu benutzen. Den politischen Gegner zu brandmarken. Über 'Spähangriffe“ und 'Spitzelattacken' solle sich künftig laut beschwert werden, über die 'Spähradikalen', die aus 'Kontrollsucht' handelten und deren 'Spähfanatismus' gezügelt werden müsse."
Beeindruckt von Lobos Aufruf zur Aktion zeigen sich auch erklärte Skeptiker vom "Sei-du-unser-Grillo" (Wolfgang Michal).
Ebenfalls deutlich klingen die Worte, die vom Re:publica-Gründer Markus Beckedahl (den Dirk von Gehlen auf der SZ-Meinungsseite protraitiert) bei der Eröffnung zitiert werden, etwa im Text von Jonas Rest in der Berliner:
"Die Bundesregierung stecke den Kopf in den Sand, während die deutschen Sicherheitsbehörden das, was Edward Snowden aufgedeckt hat, als Machbarkeitsstudie zu sehen scheinen, kritisiert Netzaktivist und Re:publica-Mitgründer Markus Beckedahl zu Beginn der Konferenz. 'Es geht um unsere Grundrechte. Und wir fordern unsere Bundesregierung auf, diese auch endlich mal durchzusetzen,' ruft er unter Applaus. Auf der Konferenz, so Beckedahl, wolle man über Strategien diskutieren, 'wie wir das Netz wieder aus den Händen der kriminellen Geheimdienste entreißen können'."
"Kriminelle Geheimdienste" darf man schon als politische Entscheidung verstehen. Der Auftritt von David Hasselhoff weckt dagegen eher instabile Gefühle, wie man der Wortwahl von Felix Disselhoff anmerkt, der auf Meedia.de bemerkt:
"Zweifelsohne ist Hasselhoffs Auftritt eine Marketingaktion par excellence. Dass diese Erfolg haben wird, ist vorprogrammiert. Dafür ist 'The Hoff' ein Garant, was er zuletzt am 1. April in Zusammenarbeit mit Google unter Beweis stellte."
Am elegantesten, weil nüchternsten zieht sich hier Jonas Rest aus der Affäre, der am Ende den Moment beschreibt, als Hasselhoff tun musste, was alle von ihm erwarteten:
"Der Star lehnt ab. Hier gehe es um eine ernste Sache, davon wolle er nicht ablenken. Stattdessen fängt eine Frau im Publikum an zu singen: 'One morning in June/ some twenty years ago/ I was born a rich man's son.' Zweimal will sich The Hoff nicht bitten lassen. Jetzt schmettert er mit, dass der Hangar erzittert. Und die ganze Re:publica-Gemeinde fällt ein: 'We've been looking for freedom.'"
Nicht vorprogrammiert, um das Wort zu variieren, war der Erfolg eines Carta-Beitrags zur Re:publica. Wolfgang Michal informiert, dass die Idee, über die Verwendung der Rundfunkgebühren zu reden gescheitert sei. Was an den ausgewählten Gästen gelegen hat, die nicht die Adabeis solcher bis zum Erschöpfung durchexerzierter Podien in Berlin sein sollten, sondern mit Anna Terschüren und Maren Müller (die Michal im ersten Anlauf noch Karen nennt) zwei nicht-instituionalisierte Kritikerinnen.
Anna Terschüren war die NDR-Mitarbeiterin, die über die Verfassungswidrigkeit der Haushaltsabgabe promoviert hatte. Maren Müller initiierte die sogenannte Lanz-Petition und hat unlängst einen Verein zur Qualitätsmessung bei den Öffentlich-Rechtlichen gegründet. Auf der Re:publica reden beide nun nicht. Michal:
"Doch dann passierte Folgendes: Der Vorbereitungskreis der re:publica reichte das Thema intern an die Planer der gleichzeitig stattfindenden Media Convention Berlin weiter. Dort hieß es, man bereite eine ganz ähnliche Veranstaltung vor, man könne ja vielleicht zusammenarbeiten. Für das Podium wolle man aber zwei andere Gäste gewinnen: Malu Dreyer, die Vorsitzende der Rundfunkkommission, und Dagmar Reim, die Intendantin des RBB."
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Die Media Convention wird veranstaltet vom Medienboard Berlin-Brandenburg, einer staatlichen GmbH für Filmförderung und Standortmarketing – ob die Staatsferne so einer Einrichtung die des öffentlich-rechtlichen Fernsehens noch unterbietet, müsste bei Gelegenheit mal jemand nachmessen.
"Eine Woche später lauteten die erwünschten Gäste dann: Peter Voss (Ex-Intendant des SWR), Lutz Marmor (ARD-Vorsitzender) und Malu Dreyer (Vorsitzende der Rundfunkkommission). Einen Vertreter von Carta hätte man als Zugeständnis mit aufs Podium gelassen. Man wolle, hieß es, das Thema 'auch gern sehr kritisch' diskutieren, 'aber lieber auf der Ebene der Entscheider.' Angefügt ist der unmissverständliche Satz: 'Es tut uns leid, dass wir Frau Müller und Frau Terschüren nicht unterbringen konnten, aber die o.a. Runde würde mit den beiden nicht zustande kommen.'"
Der unmissverständliche Satz ist zugleich der schönste: Die Großkopferten des Systems reden kritisch unter sich. Und die Obrigkeitshörigkeit der Veranstalter 96 Jahre nach Wilhem II. geht so weit, dass man lieber die "Entscheider" einlädt, obwohl man sich aus deren gesammelten Sonntagsredeblöcken schon vorab das Haus bauen könnte, das gleich errichtet wird.
Die polemische Überleitung zu Putins Journalistenorden verkneifen wir uns an dieser Stelle (siehe Korb).
Noch mal kurz zurück zur Re:publica: Der Tagesspiegel berichtet von leichter Verwunderung über die digitale Gestellsferne der Yes Men, die gestern dort einen Auftritt hatten (den Beckedahl in seinem Fazit des ersten Tages erwähnt):
"Dass die 'Yes Men' trotz Verzichts auf jegliche Mailverschlüsselungstechnik derart großen Unfug treiben können, macht einige re-publica-Besucher misstrauisch. Ein böser Verdacht kommt auf: Sind die 'Yes Men' am Ende vom US-Geheimdienst bezahlt und wurden geschickt, um die Netzaktivisten in falscher Sicherheit zu wiegen?
Man steckt einfach nicht drin in diesen Geheimdiensten.
+++ Zeit Magazin launcht seine eigene Website. Alexander Becker, Redaktionsleiter von Meedia.de, schreibt: "Spätestens seit dem gescheiterten Vanity Fair-Versuch gab es hierzulande keinen großen verlegerischen Versuch mehr, klassischen Magazinjournalismus im Netz zu machen." Und zeigt sich zuversichtlich: "Bei der Erfolgswelle, auf der die Zeit seit einiger Zeit reitet, sollte jedoch auch das neue Web-Projekt ein Erfolg werden." Oder doch nicht? "Allerdings fehlt es in diesem Segment noch völlig an Erfahrungswerten." Nee, zuversichtlich: "Ein erster Blick auf die Seite verspricht jedoch einiges." Doch nicht: "Allerdings ist ein Web-Portal, anders als ein Print-Magazin, kein fertiges Produkt, sondern stetig in der Mache." Wie auch immer: "Es wird interessant sein zu beobachten, wie die Print-Profis des Zeit Magazins mit dieser gänzlich anderen Arbeitssituation umgehen." +++ Für Kress hat Henning Kornfeld (bei Meedia ist die Herkunft der dort verwendeten Zitate nicht ausgewiesen) mit "Print-Profi" (Becker) Christoph Amend von der Zeit gesprochen: "Wenn sie ein schön gestaltetes, aufwändig produziertes Magazin in die Hand nehmen, darin blättern, lesen, sich überraschen lassen von den Themen, den Texten und den Bildern, dann wissen Sie: Das wird niemals überflüssig. Es ist ja kein Zufall, dass in Blogs, die sich mit ästhetischen Fragen auseinandersetzen, über kaum etwas lieber geschrieben wird als über schön gestaltete Zeitschriften." Zeit-Online-Chef Wegner war mit von der Partie: "'Zeit Online' profitiert überproportional von Kunden aus der Luxus- oder auch der Autoindustrie, die handverlesene Umfelder suchen. Das Print-Magazin ist da bereits sehr erfolgreich und brauchte auch ein digitales Spielfeld. Das hat es jetzt bekommen." +++
+++ Auf dem Spielfeld steht auf der Startseite aktuell eben Nina Hoss im Wind über Paris. Und es tummelt sich der beliebte Kolumnist Harald Martenstein, der jeden Tag einen Beitrag verfassen will: "Von morgen an möchte ich täglich auf einen Leserkommentar auf Zeitmagazin Online antworten." Wobei wir beim Lesen der ersten (beiden?) Kolumnen nicht ganz verstanden haben, ob der Beitrag in einer Kolumne oder einem Leserkommentarkommentar oder beidem besteht. +++ In der nicht minder beliebten, nun täglichen Kolumne "Gesellschaftskritik", schreibt zum Auftakt Style Director "Zeit Magazin" Tillmann Prüfer über Ben Affleck, der nicht Black Jack spielen darf: "In der Wirklichkeit taugt das Casino offenbar nicht mehr als Platz für Fantasien. Würde Rain Man in Las Vegas erscheinen, würden die Sicherheitskräfte ihn nach kurzer Zeit einfach aus dem Saal befördern." +++
+++ Nicht ganz so gut ist die Stimmung bei Springer, wo die Welt mit N24 verschweißt wird, wenn auch im Stammhaus: "Dieser Schritt dürfte die Befürchtungen vieler Mitarbeiter weiter schüren, die der Gesamt- und Konzernbetriebsrat bereits im November des vergangenen Jahres in der eigenen hausinternen Zeitung GBR & KBR aktuell auf die Titelseite hob: 'Die Zukunft: Mehr AG-Töchter, noch weniger Tarif?' In dem darunter folgenden Artikel wird Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner zitiert. Auf die Frage, was künftig noch ausgegründet werde, habe Döpfner geantwortet: 'Alles! Bereiten Sie sich darauf vor.' Ein paar Seiten weiter heißt es in einer Überschrift ganz simpel: 'Das Klima bei Axel Springer wird rau.'" +++ Steht Arbeitnehmerrechtevernichtung ins Haus, gilt das Prinzip "cut out the tarif"? – Mal wieder durcheinandergekommen! So heißt es richtig von der Springers Christoph "Konzerngeschäftsführer Public Affairs" Keese am Montag sprach, überliefert von Heise: "Internet-Unternehmen wie Google, Apple und Facebook sowie zahlreiche aufstrebende Startups 'wollen uns Verlage vernichten', sagte er vor den anwesenden Verlegern. Nach dem Prinzip 'cut out the middleman' werde versucht, Anzeigenerlöse an den Verlagen vorbei zu generieren." +++ Auf das Zitat bezieht sich auch die TAZ-Kriegsreporterin: "Ehrlich gesagt, Herr Keese, das Gebaren Ihres Verlags zum Abbau des Journalismus als Beruf, von dem man leben kann, ist so erfolgreich, dass ich geradezu auf Google warte, um Sie wegzuputzen. Natürlich ist es etwas traurig, dass Google kommen muss, wo die 68er versagt haben, aber man kann nicht alles haben!" +++
+++ Jörg Michael Seewald spricht mit Martin Wagner vom BR über den Move, die Klassikwelle ins Internet zu verdammen (siehe Altpapierkorb von gestern, ganz unten). Es wird laviert. "Seewald: Trotzdem zwingen Sie die Leute, sich ein neues Radio zu kaufen. – Wagner: Wir glauben, unser Angebot ist so gut, dass sie sagen, ich kaufe mir einen Adapter. Es ist aber wichtig, dass die anderen Programme wie Bayern 1 mitziehen und auch für Digitalradio werben. Wir gehen davon aus, dass Digital die Zukunft ist." +++ RTL erfüllt vorbildlich seinen Bildungsauftrag sorgt nun zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit mit spektakulären Recherchen für Presse: Nach dem Burger-King-Film von Günter Wallraff, erzählt der Undercover-Reporter Wolfram Kuhnigk der FAZ (Seite 15), dass er die Polizei über den Pädophilen-Ring von Aschersleben informiert hat, der Film folgt im Herbst: "'Zum Ende hin waren diese Recherchen für mich sehr belastend', sagt der 45 Jahre alte Reporter, der für den Sender schon Kindesmisshandlungen in der Sekte 'Zwölf Stämme' aufgedeckt hatte. Auch diese Recherche hatte mit einem Polizeieinsatz geendet. Eine weitere Schattengesellschaft ans Licht der Öffentlichkeit zu holen sei seine Motivation gewesen, in das Pädophilen-Milieu einzutauchen." +++
+++ Die Lage für Journalisten in der Ukraine ist nicht gut: "Allein in der Separatisten-Hochburg Slowjansk sind seit Anfang April 30 Reporter von Separatisten festgehalten worden – vier sollen sich immer noch in deren Gewalt befinden. Diese Zahlen präsentierte 'Reporter ohne Grenzen' (ROG) am Mittwoch in Berlin." Schreibt Nik Afanasjew im TSP +++ Dagegen beeindruckt das Belohnungsmodell, das sich mit Auszeichnungen durch Putin verbindet, über die Christian Esch etwa im KSTA berichtet: "Die Auszeichnungen haben im Übrigen eine erfreuliche Nebenwirkung: Die Grundrente im Alter wird deutlich angehoben, und zwar um 330 Prozent für die neuen Träger des Ordens 'Für Verdienste gegenüber dem Vaterland'." +++ Jan Freitag hat für die Berliner mit Francis Fulton-Smith über die für ihn ungewöhnliche Rolle als FJS im "Spiegel-Affären"-Film gesprochen: "Nun, ich habe als Schauspieler auch eine Familie zu ernähren. Und für viele Zuschauer ist es nach einem harten Tag entspannender, etwas Leichtes zu schauen. Auch gut gemachter Herzschmerz ist daher alles andere als verwerflich. Mich interessiert jetzt eher die Frage, wie viele meiner üblichen Zuschauer bereit sind, mich in einen Film wie 'Die Spiegel-Affäre' zu sehen?" +++ Joseph Hanimann stellt in der SZ (Seite 35) die neue Wochenzeitung "Le 1" des Ex-Le-Monde-Herausgebers Eric Fottorino vor: "Finanziert wird sein Blatt vom Unternehmer Henry Hermand, der auch den linken Think Tank 'Terra Nova' trägt. Auf Werbung wird bei Le 1 verzichtet – bei Le Monde habe ihn immer gestört, dass die Aufmachung der Zeitung stark vom Werbeaufkommen bestimmt werde, sagt Fottorino: Manchmal sei er sich wie ein Lückenfüller zwischen den Werbeblöcken vorgekommen. Sein Zwei-Mann-Unternehmen kann darauf verzichten. Mit 30000 verkauften Exemplaren wäre die Zeitung überlebensfähig." +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.