Furchen und Dellen
Roman über die Emanzipationsgeschichte einer Frau in den Wechseljahren
"Diese Weisheiten, und dann stimmten sie doch nicht." Ela Meyer schreibt in einer genial verkörperten und bildreichen Sprache mit tiefgehenden Wortschöpfungen über die Geister des vergangenen Krieges, die sich im inneren Nachhall der Aggressionen des Großvaters zeigen. Tragende Gefühle sind Schuld und Scham, die beide Welten zusammenhalten und für die Protagonistin zur Existenzgrundlage wurden.
Meyer stellt die moralische Vorherrschaft der Verwandtschaft über die Freundschaft infrage, erkundet alternative Lebens- und Liebensmodelle und befragt die staatliche Kontrolle über das Privatleben.
Über die Aneignung des Hauses des verstorbenen Großvaters gelingt es der Protagonistin, den Weg zur eigenen Identität ohne die männlich-dominierten Zuschreibungen über Frauen im Allgemeinen und sich selbst im Speziellen zu finden, ihre Wut zu befreien und kein ewiges "Es tut mir leid" hinterherzuschieben.
Ein wahnsinnig tiefsinniges und bestärkendes Buch! Unbedingt lesen!
Für alle, die sich für weibliche Unsichtbarkeiten und Formen der Emanzipation interessieren. Nicht an eine Altersgruppe gebunden. Ließe sich auch wunderbar in einer Gruppe lesen. Jule Zemke
Meyer, Ela: Furchen und Dellen. Roman. Ela Meyer. Hamburg: Goya 2024. 220 S. ; 22 cm. ISBN 978-3-8337-4813-4, kt.: 20 €
But make it classy!
Unterhaltsamer Trip durch die deutsche Literaturgeschichte von Barock bis Romantik
"Meine liebste Definition eines Klassikers ist, dass manche Werke nicht aufhören zu sagen, was sie zu sagen haben." Deshalb erklärt Teresa Reichl in "But make it classy!" Klassiker. Mit dem Anspruch, dass über Literatur zu sprechen keine elitäre Angelegenheit ist, werden Werke aus fünf Epochen von Barock bis Romantik betrachtet.
Das kurze Buch (154 Seiten) bietet dabei neben zahlreichen Fakten auch eine feministische Perspektive: Von den weiblichen Autorinnen hätte ich gerne auch schon im Deutschunterricht gehört und das "feministische close-up deutscher Literatur" macht große Lust, Klassiker neu- und wiederzuentdecken.
Kleine Illustrationen ergänzen den sinnvoll gegliederten Überblick. Reichl gelingt es, auf unterhaltsame Weise Wissen zu vermitteln. Besonders ist dabei eine jugendliche Zielgruppe im Blick. Wer sich an popkulturell-jugendlicher Sprache stört, wird möglicherweise weniger Freude haben.
Große Leseempfehlung – macht Schüler:innen ebenso Spaß wie Literaturfreund:innen, die sich neu mit Klassikern auseinandersetzen.
Sofie Fiebiger
Reichl, Teresa: But make it classy! Ein feministisches Close-Up deutscher Literatur. Teresa Reichl. Ill. von Hanna Wenzel. Hamburg: Carlsen 2024. 155 S. : Ill. ; 19 cm. ISBN 978-3-551-32179-4, kt.: 10 €
Revolution der Verbundenheit
Erkundungen zu einer Lebenshaltung
In ihrem neuen Sachbuch erkundet die Schweizer Geschlechterforscherin und Soziologin Franziska Schutzbach Frauenbeziehungen und deren emanzipatorisches Potenzial. Von Freundinnenschaft und Familie bis hin zu Liebe, Sisterhood und feministischer Verbündung – in verschiedenen Lebensbereichen können Frauen sich miteinander solidarisieren und dadurch ihre Gegenwart und Zukunft verändern.
Briefe und Essays machen das Buch zu einem Lesevergnügen, das in besonderem Maß dazu inspiriert, die eigenen Beziehungen bewusst und solidarisch zu gestalten. Gerade braucht es positive Bilder und Utopien von Wohlwollen, Verbundenheit, Gemeinschaft und zugewandten Menschen – mit diesen klugen Gedanken macht Franziska Schutzbach richtig Lust, Teil dieser Bewegung zu sein.
Für alle, vor allem für Frauen/FLINTA, die gerade auf der Suche nach einer mutmachenden Bande sind und/oder Lust haben, über (ihre) Frauenbeziehungen nachzudenken. Große Empfehlung! Sofie Fiebiger
Schutzbach, Franziska: Revolution der Verbundenheit. Wie weibliche Solidarität die Gesellschaft verändert. Franziska Schutzbach. München: Droemer 2024. 316 S. ; 22 cm. ISBN 978-3-426-27904-5, geb.: 24 €
Everybody - Warum unser Körper politisch ist
Ein Sachbuch über den langen Kampf der körperlichen Freiheit
Was ist ein freier Körper? Dieser Frage geht Olivia Laing in vielen Facetten und historischen Referenzen auf den Grund. Ein Körper der gefangen ist, krank ist, begehrt, sexualisiert oder befreit wird, je nach dem mit welchem Blickwinkel und welcher Vorstellung von Moral und Zeit darauf geschaut wird.
Sie thematisiert in ihrem Werk verschiedene Epochen und Strömungen des 20.Jahrunderts: von der Weimarer Republik über die Bürgerrechtsbewegung bis hin zu globalen Gesundheitskrisen. Laing beginnt bei den Theorien von Wilhelm Reich, streift die Jahre der sexuellen Befreiung, analysiert den Kampf um körperliche Freiheit, Feminismus, Eugenik und gibt Einblicke in ihre eigene Biografie.
Dabei porträtiert sie wie nebenbei Persönlichkeiten wie Siegmund Freud, Nina Simone oder Susan Sonntag. Sie beleuchtet welche Rechte Körper habe, wer darauf Zugriff hat und haben darf und greift dabei auf viele Beispiele aus Literatur, Kunst und Geschichte zurück. Das Buch ist eine Mischung aus Sachbuch, Essay und Autobiografie und schafft es trotz seiner Komplexität, nicht zu überfordern.
Ein umfangreiches, anspruchsvolles Buch mit wissenschaftlichen, politischen und philosophischen Bezügen für zeitgeschichtlich und politisch interessierte Leser:innen. Susanne Hartmaier
Laing, Olivia: Everybody - Warum unser Körper politisch ist. Olivia Laing. Dt. von Thomas Mohr. München: btb 2024. 383 S. ; 22 cm. Aus d. Engl.
ISBN 978-3-442-75965-1, geb.: 26 €