Glaubwürdigkeitsverluste

Glaubwürdigkeitsverluste

Wer bei der Re:publica fehlt - und wer nicht. Wie Medien funktionieren, wenn ihnen die Selbstgewissheit abhanden kommt. Was das Problem des Spiegel nach der Blattreform bleibt. Warum Adressen so wichtig sind. Was RTL so macht.

Re:publica ist in the house, und Marie Rövekamp vermisst im Tagesspiegel Namen auf der Gästeliste:

"Wen die Veranstalter gerne im Programm gehabt hätten? Den Internet-Minister Alexander Dobrindt – und: den Whistleblower. Edward Snowden."

Das Programm kann sich aber dennoch sehen lassen, nimmt man dafür die Namen als Indiz, die sich am eindrucksvollsten droppen lassen:

Saskia Sassen, Sarah Harrison, Evgeny Morozov beziehungsweise: eigentlich alle anderen (außer den beiden oben genannten).

Das Topthema im Jahr 1 nach den Snowden-Enthüllungen heißt aber: David Hasselhoff.

Ein wenig wohlfeil dieser Gag. Denn zum einen ist das "Lebensthema" (Joachim Gauck) von Hasselhoff – und damit ist noch nichts über den Grad der Reflexion gesagt – "Freedom". Und zum anderen weiß das die Re:publica-Family selbst.

Stammgast Felix "Rotzblogger" Schwenzel aka wirres.net im Tagesspiegel:

"Als ich hörte, dass  Hasselhoff reden darf, hab ich mir schon an den Kopf gefasst. Aber das scheint eher ein PR-Gag eines Sponsors zu sein, und zumindest werde ich mich drüber lustig machen können. Ansonsten hat sich die re:publica ihren familiären und ja: auch selbstreferenziellen Charakter zum Glück bewahrt."

Re:publica-Gründer Markus Beckedahl erklärt die Personalie, dien sich einem der Sponsoren verdankt, medientheoretisch im Gespräch mit dem Falter:

"Als Gag würde ich es nicht bezeichnen, es ist ein geschickter Schachzug. Die wissen halt, wie Medien funktionieren, und wollen das Größtmögliche aus ihrer Präsentation herausholen."

Für die reflexiven Fähigkeiten von Beckedahl spricht, dass PR für ihn nicht als Letztbegründung taugt:

"Ne, das ist ein bisschen surreal und man sagt sich: 'Na gut, so funktioniert das Mediensystem halt'. Aber dann gibt es auch Momente, wo man sich denkt: Eigentlich wär mir lieber, wenn Medien anders funktionieren würden."

Tu parles! "Was mir lieber wär" ist naturgemäß das Desiderat all unserer werktäglichen, frühen Bemühungen hier. Es fragt nur so selten jemand.

Das hat sich womöglich auch Stefan Winterbauer, Chefredakteur von Meedia.de, gedacht, weshalb er, ungefragt und nach der Erstbesprechung durch Christian Meier, Chefredakteur bei Meedia.de, nachlegt in Sachen Spiegel-Layoutreform (Altpapier von gestern).

"Stell Dir vor, es ist Layout-Reförmchen und keiner guckt hin."

Leitet Winterbauer seinen Fünf-Punkte-Plan ("MEEDIA zeigt auf, welche Änderungen beim Spiegel wirklich nötig wären") ein, der sich per Ferndiagnose und geschickt den Gestus überbezahlter externer Berater imitierend in die Diskussion darüber einschaltet, was Deutschlands Immer-noch-Nachrichtenmagazin-Nr. 1 jetzt tun muss. Tun müsste. Könnte. Eh nicht machen wird. Die Forderung "Mitarbeiter KG" für alle kassiert Winterbauer gleich selbst:

"Das Problem: Es gibt keine Einzelperson mehr, die eine solche tiefgreifende Änderung verfügen könnte. Und die Geschichte lehrt, dass privilegierte Gruppen niemals ihre Privilegien freiwillig aufgeben."

Führungsstarke Einzelpersonen scheinen Winterbauer zu faszinieren:

"Um wenigstens einige, wenn nicht gar alle der oben genannten Ziele zu erreichen, braucht es an der Spitze von Redaktion und Geschäftsführung Chefs, die mit harter Hand regieren. Chefredakteur Stefan Aust im Tandem mit Geschäftsführer Karl Dietrich Seikel war so ein Gespann."

Eine Einzelperson mit harter Meinung erblickt der Meedia-Chefredakteur zumindest in Kolumnist und Minderheitengesellschafter Jakob Augstein – auf jeden Fall eher als in Konterpart Jan Fleischhauer:

"Man muss mit ihm nicht immer einer Meinung sein, aber Augsteins Stimme findet Gehör und er hat immerhin eine echte Meinung."

Immerhin spricht für Augstein noch mehr:

"Dazu kommt, dass er den Namen Augstein trägt und seine Kolumne Online wie Print den Titel des wohl berühmtesten Rudolf-Augstein-Zitates ziert."

Daraus sollte sich in den nächsten drei Tagen doch einiges an "Weiterdrehe" ziehen lassen:

"Zehn falsche Meinungen von Nikolaus Blome (Mitglied der Chefredaktion des Spiegel)"

"Die neun unbekanntesten Rudolf-Augstein-Zitate"

und

"Die 20 Kinder mit den berühmtesten Namen – und was sie heute machen"

Notfalls kann das Medienportal gmx.de auch was davon übernehmen.

[+++] Genug gescherzt. Und die Frage, wie hart die Hand von Gabor Steingart ist, VHB-Chef, wohin Meedia.de ja gehört, ist, heben wir uns auch für ein andermal auf. Weitergedreht wurde meanwhile die Niggemeier-Hesselmann-Kontroverse, die interessierte Zeitgenossen über das erste Maiwochende auf der Facebook-Seite des TSP-Online-Chefs verfolgen konnten. Den Facebook-Thread könnte Prof. Lilienthal, zufällig auch noch der große alte Mann der Schleichwerbungsenthüllung, gleich mal sichern und im Seminarapparat für die Veranstaltung "Kritik des journalistischen Selbstverständnis'" einstellen.

Ausgangspunkt der Debatte waren zwei Posts von Niggemeier, die einen redaktionellen Tagesspiegel-Schwerpunkt zu Tourismus und Billigfliegern dafür kritisierten, dass er sich ebenso gut wie eine schlecht kaschierte Anzeigenbeilage für den Billigfluganbieter Easyjet lesen ließe.

Und interessant am Facebook-Thread ist neben der Ernsthaftigkeit, mit der diskutiert wird, das Krisenmanagement, das in diesen Tagen immer auch Zeitungskrisenmanagement ist. Das Insistieren von Tagesspiegels Hesselmann auf Handwerk (Niggemeier hätte nachfragen müssen), ohne je zu erklären, was das erwartbare Dementi am Eindruck geändert hätte, hat etwas Schiedsrichterhaftes – und sagt damit, wie in der Aktivismus-vs-Journalismus-Debatte (Altpapier), eher etwas aus über die Verunsicherung eines Berufsstands aus.

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Denn da wo Journalismus Kommunikation, den freien Streit der Meinungen, die Materialbasis für Twitter-Scharmützel und Facebook-Likes meint, da ist Journalismus wie Fußball: Nach dem Spiel interessiert keinen, wie man sich fürs Spiel aufgestellt, sondern wer die Dinger reingemacht hat.

Dass auf Niggemeiers Blog (und tagesspiegel.de – aufschlussreich für die Mikroexegeten der Kommentarbereiche) nun noch eine Replik von Markus Hesselmann erscheint, ist dann vor allem eine – auch nicht geringzuschätzende – symbolische Handlung in einer gesitteten Konversation.

Dabei hätte man etwa gern detaillierter darüber gelesen, wie konkret unmoralische Werbeangebote an Zeitungsmacher herangetragen werden in einer Zeit, in der sich nun noch ein paar ältere Stammleser in der Provinz über die dauernden Uhren- und Schmuckausgaben des Zeit- oder SZ-Magazins wundern. Hesselmann:

"Das liegt unter anderem daran, dass ich Anfragen aus der Werbebranche in dieser Richtung — und die gibt es tatsächlich — immer sofort zurückgewiesen habe, unter anderem mit der Erklärung, dass Schleichwerbung dem Journalismus schadet, indem sie dessen Glaubwürdigkeit zerstört. Im weiteren versuche ich dann manchmal noch zu erläutern, dass Schleichwerbung letztlich auch nicht gut ist für Werbekunden. Denn wenn die Glaubwürdigkeit eines Mediums leidet, dann ist auch die Botschaft des Werbers, der für gutes Geld seine Anzeigen im Umfeld des redaktionellen Teils platziert, weniger wert."

Ob das letzte Argument so überzeugend ist? Der Werbewirtschaft muss es nicht um Nachhaltigkeit gehen, sie wird doch immer Medien finden (siehe Anzeigenschwund),  durch die sie an den Konsumenten gelangt.

Notfalls stellt sie die selbst zur Verfügung, wie Ralf Wiegand unlängst (und gestern hier schon verlinkt) zerknirscht in der Süddeutschen feststellen musste: Wozu muss Pep Guardiola der SZ ein Interview geben kann, wenn er über die Kanäle seines Arbeitgebers oder dessen Sponsoren kommunizieren kann?


Altpapierkorb

+++ Die neueste Ausgabe des Verbandsmagazins Journalist bildet das Elend eines verunsicherten Berufsstands ab. Jan Freitag handelt in seinem Text (S. 24) über das Problem, das auch hinter dem Niggemeier-Post stand – die Grenzverwischungen zwischen Journalismus und PR in Zeiten knapperer Kassen. Zitiert wird darin auch Prof. Lilienthal: "Journalismus ist eben nicht nur der Wahrheit verpflichtet, sondern auch ein Geschäft." Das funktioniert für den Journalismus allerdings nur mit der Glaubwürdigkeit aus dem Hesselmann-Zitat. "Journalisten, fordert der Hamburger Journalistik-Professor Volker Lilienthal, müssten 'aus ureigenem Interesse' auf Misstände und Lobbyismus hinweisen." +++ Passend dazu die deprimierenden Rochaden bei Rheinischer Post und Westdeutscher Zeitung (S. 7) sowie die nicht jubelnde Verkündung der Tarifverhandlungsergebnisse durch den Verband ("Ein Traumergebnis ist es nicht", S. 16) – es siecht. +++ Hoffnungsvoll im weiteren Sinne wäre Bericht über den "Wandertag" der freien Journalistinnen bei der Sächsischen Zeitung als Andeutung eines "charmanten Streiks". Warum muss man als Arbeitnehmerin eigentlich immer nur auf die Entlassung warten? +++ Passend dazu: eine Skizze zum Gespräch, an dem AP-Autorin Juliane Wiedemeier gleich auf der Re:publica teilnehmen wird, und in dem es um das Siechtum des Lokaljournalismus geht: "Doch warum erstellen nun Journalisten Produkte, die sie offenbar selbst schrecklich finden? Zwei einfache Gründe: Sie haben keine Zeit, aber Angst." +++ An der Re:publica hängt im übrigen noch eine Veranstaltung des regionalen Medienboard, die Jürn Kruse in der TAZ wenig beeindruckt: "Die Messe, die bislang im Rahmen der Medienwoche der Internationalen Funkausstellung stattfand, wird nun an diesem Dienstag und Mittwoch während und auf dem Gelände der Internetmesse Re:publica abgehalten: in der Station Berlin am Gleisdreieck. Sie heißt auch nicht mehr 'Internationaler Medienkongress', sondern 'Media Convention'. Das klingt schon schwer nach Zukunft." +++

+++ Christoph Engemann und Stefan Schulz erklären in der FAZ (Seite 15) mit kulturhistorischen Exkursen die Macht Googles interessant aus dem Geist des Adresswesens: "Erst mit der Französischen Revolution wurde dann das Namenssystem per Gesetz etabliert. Jeder Bürger erhielt einen Vor- und Zunamen, der Zivilstatus einer Person wurde daran geknüpft, wie auch das Versprechen auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das Deutsche Reich vereinheitlichte die Personennamen auf dieselbe Weise. Anders hätte die Sozialversicherung hundert Jahre später nicht eingeführt werden können." +++ Nach Lektüre dieses Textes hat man jedenfalls ein besseres Gespür dafür, warum Karl Lüönds NZZ-Beitrag über local.ch als Nachfolger der Telefonbücher brisant ist: "Der Bereich 'Search & Find' mit den Marken local.ch, local.fr und home.ch ist seit vielen Jahren einer der grössten und verlässlichsten Geldverdiener der PubliGroupe. Im Jahr 2013 hat diese Plattform 200 Millionen Franken Umsatz und eine Ebit-Marge von 25 Prozent erzielt. Mit über 2,2 Millionen Downloads zählt local.ch zu den beliebtesten Applikationen in der Schweiz; ausserdem ist sie Nummer 1 beim Besucheraufkommen." +++

+++ In Dänemark kann man sehen, was passiert, wenn die Edward Snowdens dieser Welt ihre Skills nicht für das Gute einsetzen. Reinhard Wolff berichtet für die TAZ von einem Deal mit Kreditkartendaten, der Klatschzeitungen die Promiüberwachung erlaubte: "Gefüttert – und dafür von der Se & Hør-Chefredaktion monatlich entlohnt – wurde das Blatt von einem IT-Techniker, der für den skandinavischen Bankdienstprovider 'Nets' arbeitete. Laut dieser Firma gibt es zwar Sicherheitsvorkehrungen, die das so gut wie unmöglich machen sollen: Aber ihm gelang es, die laufenden Kontrollen, mit denen unbefugter Datenzugriff aufgedeckt werden soll, jahrelang auszutricksen. ... Der Informant war nämlich dazu angeheuert worden, just diese fraglichen Sicherheitssysteme zu überwachen, und laut ehemaliger Nets-Mitarbeiter sei es durchaus möglich und üblich gewesen, sich über den Kreditkartengebrauch von Nachbarn und Promis zu informieren und auszutauschen." +++ Wie leitet man von da zu Peer Schaders Privatfernsehbeobachtung im Stern.de-Blog über, in der es um die Unmöglichkeit einer Pause bei dem immer weniger populären DSDS geht? "Doch die Angst davor muss riesig sein. Es ist die Angst der Verantwortlichen, ohne DSDS plötzlich über vier Monate Inhalte finden zu müssen, mit denen RTL der Samstagabend stattdessen füllen könnte. So groß ist die Furcht davor, ohne Bohlen noch schlechter dazustehen, dass Hoffmann lieber die eklatante Flucht des Publikums hinnimmt und schönredet...Es ist eine ungeheure Ratlosigkeit der großen Privatsender, die entweder nicht mehr wissen, wie sie ihre Zuschauer heute unterhalten sollen, oder schlimmer noch: die es sich gar nicht erst trauen, und deshalb einfach so weitermachen wie immer." +++ Claudia Tieschky schreibt in der SZ (Seite 31) vom BR, der vor einem Legitimationsproblem steht, das ein Gutachten aufgeworfen hat: "Degenhart schrieb das Gutachten im Auftrag des Privatsenderverbands VPRT, der seine eigene Agenda durchsetzen will. Die Fragen, die er aufwirft, sind aber schwer mit Hinweis auf den Auftraggeber abzutun. Wenn der Rundfunkrat des BR die Pläne des Intendanten in den kommenden Wochen absegnet, muss er im Ernstfall gerichtsfest erklären können, warum der BR gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstößt." +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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