Pulitzer-Preise gehen raus. Laura Poitras und Glenn Greenwald reisen auch deswegen erstmals ein in die USA since then. Netflix kommt nach Deutschland, wo das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch mit dem "Wetten, dass..?"-Ende hadert. Die "Schweinepresse" erkennt sich derweil selbst nicht wieder: Cindy aus Marzahn kriegt die brutale Professionalität von Springers Leuten zu spüren.
Die Pulitzer-Preise sind vergeben, und die Agenturen berichten, wie etwa in der Berliner zu lesen ist:
"Die amerikanische Ausgabe des britischen 'Guardian' und die 'Washington Post' bekamen den Preis am Montag zugesprochen, weil sie das Material des Informanten Edward Snowden veröffentlicht hatten. Dafür war eigens die wichtigste der 21 Preiskategorien geteilt worden, um zwei Blätter ehren zu können."
Die Geehrten selbst prozessieren die Auszeichnung mit zurückhaltender Sachlichkeit. Ed Pilkington im Guardian:
"At the Guardian, the NSA reporting was led by Glenn Greenwald, Ewen MacAskill and film-maker Laura Poitras, and at the Washington Post by Barton Gellman, who also co-operated with Poitras. All four journalists were honoured with a George Polk journalism award last week for their work on the NSA story."
Der Chef wird auch zitiert:
"'We are truly honoured that our journalism has been recognised with the Pulitzer prize,' said Alan Rusbridger, the editor-in-chief of the Guardian."
Und schaut ansonsten in der ihm eigenen Weise in eine Handykamera vom Tresen des Lokals, in dem der Guardian die freudige Nachricht feierte.
Meanwhile in Hamburg, kommt einem hier nur in den Sinn, weil – manch einer erinnert sich vielleicht noch – Rusbridger einen seiner letzten Preise gemeinsam mit Wolfgang Büchner vom Spiegel bekommen hatte für "Mut und Beharrlichkeit".
Die New York Times zitiert in ihrem Bericht einen Satz, der die Auszeichnung doch leicht heraushebt aus dem Eiergeschaukel business as usual von Journalistenpreisverleihungen:
"David Remnick, the editor of The New Yorker, who was not a Pulitzer judge, said that the story was 'the epitome of important reporting and the epitome of what public service in journalism is all about.'"
Remnicks Pathos mag man auch in beliebigen Sonntagsreden finden – was es meint, zeigt die Tatsache, dass Laura Poitras für die Preisverleihungen erstmals nach New York geflogen ist. Vor einem Monat hatte sie im Interview mit der Berliner Zeitung noch erklärt:
"Ich rechne damit, dass sich noch andere Behörden meiner annehmen werden, sobald ich in meine Heimat zurückkehre. Denkbar wäre sogar ein Gerichtsverfahren gegen mich."
Markus Beckedahl hatte am Freitag bei Netzpolitik.org den Flug von Poitras in Begleitung von Glenn Greenwald als "Lackmustest für die US-Demokratie" bezeichnet:
"Update: Zumindest reingekommen sind sie wohl ohne Probleme. Wir wünschen viel Erfolg beim Rauskommen."
[+++] Die andere Topnachricht des Tages kommt aus der Gegenrichtung, von dort nach hier. Felix Disselhoff schreibt beim Online-Magazin Curved den Satz:
"Wie CURVED von mehreren mit dem Prozess vertrauten Personen erfahren konnte, geht der Deutschland-Ableger noch in diesem Herbst live."
Und bekräftigt in den Kommentaren:
"Mehr als zwei Quellen. Das Ding kommt im September. So viel steht fest."
Dann wird sich wohl auch manche Netflix-Überhöhung relativieren. Zweifel am Sinn des Schritts – das lässt sich den Kommentaren unter Disselhoffs Text entnehmen – formuliert der Blogger Peter Mock. Der zitiert eine Goldmedia-Studie, der der Chef bescheidet:
"Trotzdem hat es VoD schwerer als anderswo. Die Fernsehlandschaft bietet mit vergleichsweise wenigen Werbepausen und einer geringen Affinität zum sogenannten 'Binge Viewing' (extensiver Konsum ganzer Serienstaffeln) weniger Argumente für die All-you-can-watch-Angebote à la Hulu oder Netflix aus den USA."
Heiter an Mocks Skepsis gegenüber einem offiziellen Markteintritt von Netflix in Deutschland ist der Satz:
"Eigentlich müssten die klassischen TV-Sender so gut wie alles falsch machen, um in diesem Konkurrenzkampf um den Zuschauer nicht am Ende doch als Sieger vom Platz zu gehen."
Denn: Das machen sie doch. Oliver Jungen lauschte für die FAZ am "Großen Showgipfel" in Köln den Auslassungen eines ARD-Mannes über die Entscheidung von mehreren ZDF-Männern:
"Bei den anderen Granden der Branche stieß dies nicht unbedingt auf Gegenliebe. Thomas Schreiber, der ARD-Koordinator für Unterhaltung, nannte es 'gefährlich, eine Marke aufzugeben, weil man zwar ganz schnell sieben Millionen Zuschauer los ist, aber ganz schwer sieben Millionen Zuschauer wieder neu auf einem Sendeplatz zu einer Uhrzeit in einem Kanal versammelt' habe: 'Es wird der Wahrnehmung von Unterhaltung nicht helfen.'"
Irgendwie weiß der entscheidende ZDF-Mann das schon auch, wie Nike Laurenz in der Berliner berichtet:
"Dennoch sei die Entscheidung zur Einstellung von 'Wetten, dass..?' nicht einfach gewesen: 'Immerhin ist diese Sendung ein nationales Kulturgut. Manche Leute arbeiten seit 20 oder 30 Jahren für diese Show', sagte Oliver Fuchs."
Don't tell das jemandem in den Land, wo Netflix streamt. Und da reden wir nur von "Wetten, dass..?", das Oliver Kalkofe in den zahlreichen Interviews anlässlich seines 20-jährigen Bestehens (Altpapier von gestern) auch nicht so leicht aufgegeben hätte:
"Wenn sie mit 1,8 Milliarden an Gebührengeldern im Rücken selbst dazu zu doof sind, ihr stolzes Flaggschiff am Leben zu halten, können sie auch nach Hause gehen."
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Hieß es in der Welt. Heute druckt die SZ (Seite 27) das letzte Gespräch mit Kalkofe aus diesem Öffentlichkeitsarbeitszusammenhang, zumindest zeitlich:
"Fürs letzte Gespräch an diesem Interviewtag ist Kalkofe zu seinem Lieblingsitaliener umgezogen."
Im Text von David Denk findet sich Atmosphärisches (Westberliner Bildungsbürgerviertel, Tomatensuppe) und dieser Vorschlag zur Heilung:
"Alle Redakteure müssten ihre Programme in voller Länge anschauen, in der Freizeit und im Familienkreis: 'Das Programm würde sich schlagartig radikal ändern, weil sie sich so schämen und ihre Lebenszeit nie wieder mit so einem Scheiß verschwenden würden.'"
Spitzenvorschlag, der mit einem Schlag das Geschäft der "Blöd-Zeitung" (Kommissar Stoever) beenden würde. Wie das Gegenargument aussieht, kann man bei – das ist jetzt nicht Fernsehen, das Prinzip aber das gleiche – Focus-Online-Chef Daniel Steil bestaunen. Der performt im Meedia.de-Interview zur Schumi-Managerin-Kritik (mehr im Korb) am Live- aka News-Ticker einen dieser Erklärteppiche, mit denen man den Abgrund des eigenen Zynismus zu überdecken versucht, wenn mal Besuch kommt:
"Unsere User haben ein sehr starkes Interesse zu erfahren, wie es ihrem Idol geht. Deshalb haben wir uns entschieden aus einem anfänglichen Liveticker später einen Newsticker zu machen. In diesem Newsticker finden sie zwei Dinge: Exklusive Focus Online Informationen und einen Überblick über das, was andere Medien schreiben."
Unsere User – was wäre man nur ohne die? Kalkofe, diesmal im Tagesspiegel, über das Kalkül der Medienbranche:
"Die wissen das doch. Alle. Sie wissen aber auch: Wenn sie dieses bestehende Quoten-System umstürzen, gibt es Chaos. Das ist halt die einzige Währung, die wir haben."
Insofern kann Philip Oltermann im Guardian noch lange über deutsche Youtube-Stars wie Y-Titty oder LeFloid schreiben. Die Leute wollen das einfach nicht:
"'Of course the success of Germany's YouTubers has to do with the poor offerings on terrestrial TV here,' says Y-Titty's manager Christoph Krachten, a former TV producer who now runs his own science show on the network."
+++ Die Günther-Jauch-Sendung beschäftigt über Gebühr, weil Springers Alfred Draxler im Zuge der Schumi-Berichterstattung "Schweinepresse" nicht über das eigene Blatt gesagt hat, sondern zu den anderen. Katharina Riehl in der SZ (Seite 27): "Draxler blickte streng, als er Magazine wie die Freizeit Revue als 'Schweinepresse' bezeichnete. Heftchen, die (erklärte ein Medienblogger aus dem Studiopublikum) vor allem von 'jungen Frauen' vollgeschrieben werden. Ah. Ach so." +++ Matthias Kalle im TSP: "Bevor er [Dominik Höch, AP] Anwalt wurde, war der Mann Boulevardjournalist, manchmal wusste man nicht so genau, in welcher Rolle er sprach. Jedenfalls empörte auch er sich nicht darüber, als Draxler mal so nebenbei fallen ließ, was er alles über einen Fußballnationalspieler wisse und nicht schreiben würde – den sagenumwobenen 'Giftschrank' der 'Bild' bestätigte er zudem noch." +++
+++ Wie die Springer-Masche des Dooftuns läuft, illustriert ein Text in der Welt. Andrea Hanna Hünniger ist sauer auf Ilka Bessin, weil die außerhalb ihrer Kunstfigur Cindy aus Marzahn nicht reden will: "Sie hat sich eine brutale Professionalität zugelegt, die selbst unter den berühmtesten Berühmtheiten ihresgleichen sucht. Warum? Würde sich ihr Publikum nicht darüber freuen, wenn hier ihr womöglich vergoldetes Badezimmer beschrieben würde, in ihrer Berliner Wohnung in Wilmersdorf, dem stadtsoziologischen Gegenteil von Marzahn?" Wie man Leute verunglimpft, weil sie nicht nach der eigenen Pfeife tanzen – ein Lehrbeispiel. Aus dem Beitrag allein könnte sich Prof. Lilienthal ein Medienethik-Seminar für WS 14/15 schnitzen. Und um die Frage nach dem Warum zu beantworten: Damit der Dreck nicht in die Wohnung kommt und später keiner sagen kann, sie wollte es doch auch. +++ Das Umarmen ebenfalls bei Springer hat Petra Winter gelernt, die Chefredakteurin der Madame ist und von Alfons Kaiser in der FAZ (Seite 13) portraitiert wird: "An markigen Worten, die sich ihrer Herkunft aus dem Cloppenburger Land und der Headline-Schulung in Springer-Redaktionen verdanken, fehlt es Petra Winter bei den Renovierungsarbeiten nicht: 'Wir sind sinnlich und wollen den Leser umarmen', meint sie." +++
+++ Jonas Schaible macht sich auf Carta Gedanken über das dünne Eis einer Seymour-Hersh-Enthüllung: "Ich möchte dazu noch ein paar grundsätzliche Gedanken loswerden, weil uns dieser Text mehr lehren kann, als dass die Weltpolitik schmutzig ist: nämlich ein wenig mehr Sensibilität im Umgang mit politisch folgenreichen Informationen." +++ Joseph Hanimann schreibt in der SZ (Seite 27) vom auf einer Extraseite im Blatt ausgetragenen Streit zwischen Redaktion und Besitzer der Libération: "Unlängst zerpflückte die Redaktion auf ihrer Sonderseite den frisch ernannten Geschäftsführer Pierre Fraidenraich in einem Porträt als Witzbold, Zahlenfresser und journalistischen Stümper." +++ Tobias Feld schreibt in der NZZ über erfolgreichen Regionalmagazingründungen von entlassenen Lokalreportern: "Zu Startbeginn, als die Zeitung gratis zu haben war, vertrieb man etwa 20 000 Exemplare. Die kostenpflichtige Auflage weise derzeit eine vierstellige Ziffer aus – Tendenz steigend. Aufwendige Reportagen, etwa über Grabungen des archäologischen Museums von Harburg, tragen sicher ebenso zum Erfolg bei wie die Zusammenarbeit mit lokalen Künstlern oder die Präsentation der Wochenzeitung mithilfe eigens gestalteter Zeitungsständer in Schiffsform." +++
+++ Einer der schönsten Texte des Tages – Felix Johannes Enzian argumentiert in der FAZ (Seite 13) seine Kritik an einem Hape-Kerkeling-Schlager-Album sehr genau: "In der Musikproduzentenfachwelt fiele dazu der Begriff „General-Midi-Standard“. Das sind international standardisierte Keyboard-Klangfarben, die auch in Karaoke-Bars zum Einsatz kommen, um die Lizenzierung der Originalplaybacks einzusparen...Schlechter Geschmack erfordert, um nicht zu langweilen, mindestens so viel Hingabe, Instinkt und Finesse wie guter. Es geht um die Kunst, gleichzeitig ironisch und tief gefühlvoll bitterernst zu sein, wozu eine konsequente, radikale Haltung gehört." +++
Neues Altpapier gibt's morgen wieder.