Ein Anfang und ein Ende der Scherereien

Ein Anfang und ein Ende der Scherereien

Nur Journalisten, die nicht beim Spiegel arbeiten, können, was Friseure können: über Sparpläne beim Nachrichtenmagazin. Der WDR-Rundfunkrat winkt erwartungsgemäß Valerie Weber als Hörfunkdirektorin durch – mit einem CSU-Parteitagsergebnis. Jörg Schönenborn ist auch gewählt und setzt sogleich den Blinker auf die Datenautobahn. Und im ZDF läuft ein gelobter Thriller von Hans Steinbichler.

Die fünf besten Altpapier-relevanten Sätze seit Samstag:

- "Manchmal beginnt eine Revolution auch von oben."

- "Nur totalitäre Staaten brauchen öffentlich-rechtliche Medien."

- "Wir sind wir, und der Rest sind Friseure."

- "Nun hatte der Reporter nicht die Zeit oder die endlose Recherche-Geduld, mit den Jugendlichen selbst zu sprechen. Aber wozu gibt es Fragezeichen? Wozu?"

- "Im ZDF hatte man Andrea Bergs Küche nachgebaut, damit die Schlagersängerin für ihr 'Seelenkochbuch' werben konnte."

Am liebsten würden wir hier die Geschichten zu allen Sätzen übereinander schreiben, damit keine wichtiger wegkommt als die andere.

Beginnen wir aber mit "Manchmal beginnt eine Revolution auch von oben". Wir denken sofort an Kiels-Ex-Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke, die dem Betrieb als Journalistin eine "weniger 'hermetische Politikersprache'" einbimsen wollte – im aktuellen Cicero erzählt sie, inwiefern sie zumindest damit nicht gescheitert sei ("Für diese Form von Gesprächskultur habe ich bei vielen Menschen Anerkennung gefunden"). Gemeint ist aber die Revolution des Tom Buhrow. Buhrow, wir erinnern uns, ist WDR-Intendant, und der Satz stammt vom bekannten Kritiker der Öffentlich-Rechtlichen, Michael Hanfeld von der FAZ.

Online beschreibt er damit die Vorgänge rund um die Wahl der anstaltsintern nicht nur freudig erwarteten (Altpapier) Valerie Weber, der bisherigen Programmdirektorin von Antenne Bayern, zur Hörfunkdirektorin (auf den Fotos jeweils zweite von rechts; oben am 15.11. in der Privatwirtschaft, unten am 22.11. öffentlich-rechtlich).

Die Süddeutsche Zeitung schreibt: "Bei Antenne Bayern in Ismaning, wohin Weber bei gutem Wetter aus der Münchner Innenstadt radelt, pflegt sie einen modernen Führungsstil."

Überraschend am Ausgang der eine Weile schwelenden Geschichte ist das Horst-Seehofer-Wahlergebnis: Weber bekam von den Leuten, die sie nie infrage gestellt hatten, schon weil sie ihren eigenen neuen Intendanten nicht beschädigen konnten, nämlich von den Mitgliedern des Rundfunksrats, 40 von 43 Stimmen. Wobei, überraschend? Eigentlich haben wir ja gelernt (anderes Altpapier), dass der Rundfunkrat Buhrows Vorschlag annehmen musste, wollte er seinen Intendanten nicht gleich übel beschädigen.

Buhrow, schreibt Hanfeld übrigens, sei ein "Intendant, der sich bis dato ganz anders aufführt als etliche seiner staatstragenden Kollegen, und einen offenen Umgang pflegt". Dieses Bild entspricht etwa dem, das Buhrow in der Sendung "WDR-Check" abgab (siehe Kritiken bei Spiegel.de oder meine eigene bei Zeit.de); in der FAS steht außerdem noch das Interview, das Hanfeld wohl am Rand der Sendung geführt hat, aktuell ergänzt um Fragen zu Webers Wahl.

Warum aber nun "Revolution von oben"? Deshalb: "Dem WDR kann es nur gut tun, ein paar Leute an der Spitze zu haben, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht als Apparat sehen, der nur sich selbst genügen muss", schreibt Hanfeld.

Zu guter letzt ergibt sich so nun das denkwürdige Meinungsgesamtbild, dass das Gesamtprozedere rund um die Weber-Wahl –  ein Privatradiogewächs gehöre nicht in die Öffentlich-Rechtlichen; es gebe bessere, nur hätten alle abgesagt – genau solange öffentlich kritisiert wurde, wie sie nicht vom Rundfunkrat gewählt war. Die Gegenstimme kommt von der TAZ, die auch heute noch vornehmlich Weber-Kritiker zu Wort kommen lässt.

Randnotizen: Jörg Schönenborn wurde erwartungsgemäß zum Fernsehdirektor gewählt und hat sich als erstes gleich mal das Metaphernfeld "Datenautobahn" draufgeschafft: "Wir müssen den Blinker Richtung Videos im Netz stellen" (Tagesspiegel). Valerie Weber teilt mit, dass sie die Kritik nicht persönlich nehme (Meedia) und "dass das Radio auch künftig auf dem Endgerät bleibe" (ebenfalls TSP) bzw. jedenfalls sollte.

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+++ "Nur totalitäre Staaten brauchen öffentlich-rechtliche Medien." Ist ein in der FAZ zitierter Satz von Roger Köppel, dem Chefredakteur der Weltwoche, der blödsinnig genug ist, dass wohl nur ein paar sehr altgediente Springer-Redakteure wohlwollend nicken. Hintergrund ist, dass im Schweizer Fernsehen ein großes Ding nach dem Vorbild von "Die Deutschen" laufe und Köppel finde, dass das nicht fair sei, weil sich private Medien so etwas nicht leisten könnten. (Merkt jemand was? Warum braucht man öffentlich-rechtliche Medien? Na?) "Er kritisiert die Wettbewerbsverzerrungen bei den Gehältern der Journalisten, die als Angestellte des Radios und Fernsehens die Ideologie des Staates verinnerlichten."

Köppel wird hier aber eigentlich nur wegen der Journalistengehälter zitiert, als Überleitung zu: "Wir sind wir, und der Rest sind Friseure." Sucht man nach Friseuren in der DPA-Bilddatenbank, stößt man auf Bebilderungsvorschläge zum Thema Mindestlohn. Passt in den Kontext dieses Top-Five-Satzes: Was die Gehälter angeht, sollte man sich, wenn man die Wahl zwischen normalem NDR- und normalem Spiegel-Redakteur hat, tendenziell für den Spiegel entscheiden. Noch. Dort gibt es laut SZ-Medienredakteurin Claudia Tieschky und Ex-Spiegel-Redakteur Hans Leyendecker zwei Hausbräuche, I und II:

"(A)m besten hat ein Geschäftsführer des Magazins diesen Hausbrauch I mal zusammengefasst: 'Wir sind wir, und der Rest sind Friseure.'"

Der weniger handwerksfeindliche Journalist versteht den Distinktionsversuch gleich gar nicht, denn er weiß: Ob Multicoloureffekt, Modern Shortcut oder Retro-Style"was Friseure können, können nur Friseure". (Ebenfalls beim unter uns Friseuren üblichen Googeln entdeckt: "Um wieviel mehr hätten Anwälte Grund zu dem Slogan: Was Anwälte können, können nur Anwälte".) Aber es geht eigentlich um den zweiten Hausbrauch, der sich unter Vernachlässigung aller Details mit "mehr Geld" umschreiben lässt. Die SZ:

"Und dieser Hausbrauch II soll jetzt, wie der Betriebsrat den Mitarbeitern mitteilt, für Neueintritte nach dem 28. Februar 2014 'komplett gekündigt' werden. Das hätten, so der Betriebsrat, 'mit einer knappen Mitteilung' der Geschäftsführer Ove Saffe und der Verlagsleiter Personal angekündigt. Der Betriebsrat jedenfalls werde sich 'mit aller Macht gegen einen solchen Kahlschlag für neuere Mitarbeiter wehren'."

Officially seitens Spiegel heißt es: "Die Kündigung des Hausbrauchs diene dem Zweck, ihn neu verhandeln zu können." Im Katalog der zusammenzustreichenden Leistungen finden sich laut SZ auch die Leistungen "Reduktion des Weihnachtsgeldes, Reduzierung der Fahrgelderstattung, Reduzierung der Sonderurlaube". Ein solches Zusammenstreichen von Reduktionen würde man nach Abzug aller doppelten Verneinungen auch Aufstockung nennen. Gehen wir daher mal davon aus, dass hier irgendetwas in der Darstellung nicht stimmt.

Statt am Ende einem naheliegenden Neidreflex zu erliegen, fragt die SZ: "Wäre es nicht auch ein gutes Zeichen, dass zumindest der Spiegel da oben der Spiegel bleibt?" Doch, wäre es natürlich. Wobei in dem SZ-Text eine im Schwang befindliche Sache nicht thematisiert wird, nämlich was aus der eigentlich doch besprochenen von Fremdmedien öffentlich problematisierten Angleichung von Print- und Online-Redakteuren werden soll. Print-Redakteure bekommen zum Beispiel eine Gewinnbeteiligung, die Onliner nicht. Dass sie vielleicht bald kein neues Redaktionsmitglied mehr bekommt, ist wirtschaftlich betrachtet ökonomisch, und man hätte gleich darauf kommen können.

Wie aber schreibt Ex-Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo im Cicero (der hier zitiert wird, weil er einen Medientitel hat):

"Ich halte es (...) für schädlich, wenn sich Journalisten heute bei ihren Treffen zuerst fragen, wie es um ihr Geschäftsmodell steht, bevor sie über gute Geschichten reden. Soll doch bitte jeder seinen Job machen."


ALTPAPIERKORB

+++ Es fehlen noch zwei der Top-Five-Sätze, aber eine Sache geht vor: der "wirklich große Krimi" (SZ) "Hattinger und die kalte Hand – Ein Chiemseekrimi" mit Edgar Selge und als Kommissar Michael Fitz, der "Hans Steinbichlers Adaption des Romans 'Chiemseeblues' von Thomas Bogenberger" ist (20.15 Uhr, ZDF): Der Film sei deshalb groß, "weil man diesen Mörder durchaus versteht, was gibt es schließlich Schlimmeres als den Verlust des eigenen Kindes (...). Den harten Stoff bettet Hierankl-Regisseur Steinbichler tief in seine eigene Heimat, die malerische Landschaft um den Chiemsee, was dem Ganzen eine merkwürdige Fallhöhe gibt, das psychopathisch düstere Treiben in dieser sommerlichen Kalenderblattidylle" (SZ) +++ Die FAZ hebt hervor, dass "unser inneres Auge immerhin ahnt, was dem äußeren verwehrt (und erspart) bleibt. So kommt ein brillanter Fürchte-Effekt in guter, nein: sehr guter Hitchcock-Nachfolge zustande" +++ "Vor allem (...) erlaubt die Abkehr vom Whodunit-Kimi, also dem 'Wer war es?', dem Zuschauer, sich auf erheblich tiefergehende Weise mit dem Täter zu beschäftigen" (Tagesspiegel) +++

+++ Der nächste Top-Five-Satz: "Nun hatte der Reporter nicht die Zeit oder die endlose Recherche-Geduld, mit den Jugendlichen selbst zu sprechen. Aber wozu gibt es Fragezeichen? Wozu?" Jakob Hein nimmt in seinem TAZ-Blog die Seite 3 der SZ vom Samstag auseinander. Es geht darin darum, dass am Prenzlauer Berg Leute an einem Bouleplatz Touristen geschubst haben, womit bewiesen wäre, dass es in Berlin so eine Art Klima gibt +++ Heute geht es auf Seite 3 der SZ übrigens um Wikipedia, den Tip-Top-Satz "Die Wikipedia funktioniert nicht in der Theorie, nur in der Praxis"inklusive +++

+++ Die TAZ schrieb über Beerdigungs-Selfies: "Die Jugendlichen versuchen etwas, womit sich alle Hinterbliebenen gemeinhin schwer tun: das Leben weiterzuleben, weiter zu lachen, sich selbst vor der Verzweiflung ob des Verlusts zu schützen" +++ Weil bei Twitter gerade #shelfies aus Selfies werden, also Fotos des eigenen Bücherregals: Die FAS berichtet im "Drinnen&Draußen"-Teil über tolle Regale. Interessant wäre auch noch der Text eines Langgedienten, der sich früher gern über die Egomanie in Social Media aufregt, darüber, wie gehaltvoll sein Regal ist. Please! +++

+++ Und der fünfte Satz betrifft den Fernsehsamstag. Bei der Rheinischen Post gab es dazu den Zapping-Ticker: "Vier von fünf großen Sendern boten ihren Zuschauern ihre Version der großen Samstagsabendunterhaltung: In der ARD lief 'Verstehen Sie Spaß?' mit Guido Cantz, das ZDF schickte Carmen Nebel ins Rennen, RTL wollte mit dem 'Supertalent' punkten und für Prosieben war Stefan Raab mit dem 'TV Total Turmspringen' am Start. Auch wenn die Ansätze unterschiedlichen (sic) waren: Bizzarr ging es auf allen vier Sendern zu. Die ARD erschreckte für 'Versteßen Sie Spaß?' (sic) allen Ernstes Kunden in einem Bekleidungsgeschäft mit einer Rattenattrappe an einer Schnur. Im ZDF hatte man Andrea Bergs Küche nachgebaut, damit die Schlagersängerin für ihr 'Seelenkochbuch' werben konnte. Bei RTL blieb man sich treu und führte ein übergewichtiges Mädchen vor – und bei Prosieben durfte Joey Kelly seine nackte Brust als Werbefläche nutzen" +++ DWDL hätte die Quoten +++

+++ Aus: Der Betrieb des Deutschen Fernsehballetts werde "spätestens im März 2014" eingestellt, berichtet der Spiegel, zitiert bei sz.de oder Tagesspiegel.de +++ An: Springer plant für 2014 einen Wirtschaftstitel namens "Bilanz". Chefredakteur wird der "Manager Magazin"-Autor Klaus Boldt (Horizont) +++

+++ Der Spiegel schreibt, nicht 444 Stunden der ARD-Sportberichterstattung entfielen auf Fußball, das wären 22 Prozent, sondern 27 Prozent – die ARD habe nur Live-Berichterstattung eingerechnet, nicht aber etwa die "Sportschau" +++ Verwirrt über diverse Angaben zeigte sich vor zweieinhalb Wochen auch schon Lorenz Matzat von "Open ARD ZDF" bei Carta +++ Der Spiegel schreibt ebenfalls (zusammengefasst bei Meedia), Modedesigner Harald Glööckler verklage die Axel Springer AG auf 500.000 Euro Schmerzensgeld wegen der Bild-Zeile "Kokain-Skandal". Am Sonntag meldet Springer laut SZ, man habe sich "auf eine außergerichtliche Lösung verständigt" +++

+++ Die FAZ schreibt über die von Amazon produzierte Sitcom "Alpha House": "Von vierzehn Projekten ließ man Pilotfolgen produzieren, die von Amazon-Kunden nach dem bekannten Sterne-Verfahren bewertet wurden. 'Alpha House' erhielt 2600 Rezensionen, davon mehr als die Hälfte mit fünf Sternen" +++ Im Dritten des BR startet heute "Meinungsfern" – ein Talkexperiment aus einer Münchner Kneipe, wohlwollend besprochen von der SZ (deren Redakteur Christian Helten dabei hinter dem Tresen steht), angekündigt von der TAZ +++

+++ Und eine kleine Erklärung inkl. Geschichte des Spoilers beim Tagesspiegel: "Der berühmteste Spoiler war der Ausspruch 'Der Borsche war's', den der Kabarettist Wolfgang Neuss 1962 in Print-Anzeigen verbreitete. Er verriet dadurch den Mörder des Films 'Das Halstuch' von Francis Durbridge, ein Straßenfeger zu jener Zeit" +++

Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.

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