Was hilft gegen die Medienkrise? 90 Prozent rausschmeißen. Der Spiegel kann seine Blattlinie behalten, wenn Nikolaus Blome kommt. Der Verfassungsschutz findet heraus: Es gibt zwei Blaschkes. Eine Studie findet heraus: Informationssendungen in Dritten Programmen enthalten Spuren von Information. Und mit Burkhardt Müller-Sönksen, dem medienpolitischen Sprecher der FDP, verlässt ein verlässlicher Zitatspender den Bundestag.
Hurra, es gibt frische Vorschläge zur Beendigung der bei Vortragsreisenden und Medienjournalisten nicht unbeliebten Medienkrise, Vorschläge von Seymour Hersh und dem Magazin Dummy. Und keine schlechten. Dummy preist im Editorial des Jubiläumshefts No. 40 die eigene Arbeitsweise als Modell – man muss den Leser nicht "dort abholen, wo er steht", sondern anderswo:
"Dieses schaurige Bild wird von Medienleuten gern verwendet, um ihre Arbeit zu beschreiben. Das heißt: Bitte nur das liefern, was nicht weh tut, nicht aufregt, nicht zum Nachdenken anregt. Der Leser, diese volatile Kreatur, darf nämlich nicht zu sehr gefordert werden, sonst kündigt er womöglich das Abo."
Und Hersh empfiehlt nichts anderes, nur formuliert er es positiv und würde es anders umsetzen, hier indirekt zitiert vom Guardian:
"Close down the news bureaus of NBC and ABC, sack 90% of editors in publishing and get back to the fundamental job of journalists which, he says, is to be an outsider."
Auf deutsch also etwa: Schmeißt sie alle raus, und dann macht wieder was Richtiges.
Hier sind gleich zwei Medienthemen des Wochenendes anschlussfähig: Erstens, Alexander Gorkows Fernsehkulturkritik anlässlich der bevorstehenden Verleihung des Deutschen Fernsehpreises, zu lesen in der SZ vom Samstag – Hersh würde sie zusammenfassen mit: 90 Prozent der Redakteure rauswerfen und dann macht wieder Fernsehen; wir kommen darauf zurück. Und zweitens, der aktuelle Spiegel-Titel, der sich von jenem des Focus in Gestaltung und Aussage wenig unterscheidet, was schon ganz amüsant ist, von wegen der Nachtigall: Zwei Magazine – eines konservativ, eines glaubt, es sei links – bilden eine große Koalition.
Die Spiegel-Redaktion distanzierte sich angesichts der Verpflichtung Nikolaus Blomes von der Bild-Zeitung noch vor vier Wochen von dessen mittlerweile ehemaligem Arbeitgeber (Altpapier). Und nun produziert man einen Titel, den auch die Bild gemacht haben könnte. "Geld her!" lautet die Titelzeile, dazu sieht man Sigmar Gabriel und Angela Merkel als Posträuber und Zorroine; der Kontext ist die Debatte über Steuererhöhungen unter einer denkbaren CDU/CSU-SPD-Regierung. Im Lauf der Blome-Diskussion tauchte ja im Spiegel die Frage auf, ob sich die politische Ausrichtung mit Blome ändern würde. Eine Antwort gibt die Bild.de-Redaktion, die den Spiegel-Titel einfach affirmativ benutzt und von der "großen Zorro-Koalition" schreibt. Wenn Steuererhöhungen im Spiegel also schon vor Blome als Raubzug bebildert werden, kann man sie mit Nein beantworten: Die derzeitige Blattlinie ändert sich nicht unbedingt, wenn Blome am 15. Oktober beim Spiegel anfängt.
Die Unterzeile "Wie uns die große Koalition ausplündern wird" über einer Angie&Siggi-als-Bonnie&Clyde-Montage hat es laut Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner übrigens nicht ganz in den Druck geschafft.
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Dass der ehemalige stellvertretende Bild-Chefredakteur Blome schon früher als ursprünglich geplant als Hauptstadtbüroleiter des Spiegels beginnt, ist mittlerweile wohl geklärt: Sein Vorgänger Konstantin von Hammerstein war gegen seine vorzeitige Abberufung gerichtlich vorgegangen (Altpapier). Was nun vor Gericht am Freitag stattfand, hat Christian Bommarius in der Berliner Zeitung aufgeschrieben, und weil die Ereignisse ausfielen – u.a. laut FAS haben sich Spiegel und von Hammerstein außergerichtlich geeinigt und "Stillschweigen" vereinbart, was nach all dem spiegelschen Lautschweigen der vergangenen Wochen tatsächlich mal was Neues ist –, weil der Leser also nirgends abgeholt werden musste, nutzte Bommarius die Zeit, die er für die Anreise zum Leser gebraucht hätte, um durch die Gegend zu cruisen:
"(E)s sei per se kein Problem, über Nichts zu schreiben, denn erstens sei das Nichts seit jeher einer der beliebtesten Gegenstände der Philosophie, zweitens das tägliche Brot aller Journalisten. Als Problem trete es erst in Erscheinung, wenn etwas anderes als das Nichts vom Journalisten erwartet werde und entsprechend in der Redaktion angekündigt sei. Denn werde Etwas angekündigt, verbiete es sich selbstverständlich, 100 Zeilen über Nichts zu schreiben. So liege es bedauerlicherweise hier."
+++ 100 Zeilen über Nichts, das kennt man natürlich auch von mancher Fernsehkritik. Einige Produzenten, die Redakteuren immer wieder den "gleichen Pudding" servieren,
"spielen für das hiesige Fernsehen heute die Rolle, die Johannes Mario Simmel mal im Buchmarkt spielte: als Impresarios inhaltlich relevanter, formal seifiger Kartonware wie den ZDF-Dekorationsunsinn 'Adlon' mit seinen durch Trümmerdialoge stolzierenden Kostümträgern",
schreibt Alexander Gorkow in seiner schon erwähnten Begehung der deutschen Fernsehkulturlandschaft in der SZ, spricht von "(k)alkulierten Rührpornos" – womit er etwa die Verleihung von Ehrenpreisen an zum Beispiel Otfried Fischer meint –, Blingbling-Events und auch davon, dass nicht alles schlecht sei im deutschen Fernsehen, nur viel zu viel.
"Jede Gegenwart braucht Erzählungen, um nicht böser Banalität anheimzufallen. Soll also die deutsche Gegenwart tagein tagaus durch Kommissare erzählt werden, die auf eine jeweils regionale Wasserleiche starren?"
No, Sir. Nicht von einem Sender mit einem "Organigramm eines mittelgroßen Landes", und um solche Sender geht es hauptsächlich bei Gorkow, sondern von RTL kommt – kann man sich bei der Überschrift fast auch denken – allerdings "(d)er schlechteste Film aller RTL-Zeiten" (Hans Hoff bei DWDL).
"'Helden' ist eine Leistungsschau des kollektiven Unvermögens, geballt in einer Produktion von Dreamtool Entertainment, in der ganz offensichtlich peinlich genau darauf geachtet wurde, dass absolut nichts stimmt. Ich bin ein bisschen mangelhafte Logik gewohnt aus den Actiongeschichten von 'Auf der Jagd nach...', aber die waren gegen 'Helden' Goldstücke der deutschen Fernsehkultur."
Wäre Hoff kein renommierter Fernsehkritiker, und würde Claudius Seidl den Film in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nicht ebenfalls, dort sechsspaltig, mit einem gewaltigen Verriss bedenken ("man hat immerhin gelernt, dass, wenn die Tassen aus allen Schränken fallen, das noch lang kein richtiger Katastrophenfilm ist"), könnte man beinahe glauben, da übertreibe jemand. Aber so gilt die Regel: Je schlechter ein Film, je nichtiger das Nichts, desto weniger kompliziert ist es, gerechte Formulierungen zu finden. Hier scheint es ziemlich einfach gewesen zu sein.
+++ Warum übrigens sollte der Verfassungsschutz nicht bald mal ein Fall für Nico Hofmanns Fernseheventklitsche TeamWorx sein – die von Gorkow nicht genannte Firma, die sonst ja auch alles wegproduziert, was mehr als zwei Schlagzeilen bei Spiegel Online macht? Laut Niedersachsens Verfassungsschutzchefin Maren Brandenburger, die vor kurzem den freien Journalisten Ronny Blaschke informiert hat, er sei in einer Extremismusdatei gelandet und ins Visier des Geheimdiensts geraten (Altpapier vom Donnerstag), gibt es weitere Journalisten, von denen – womöglich rechtswidrig – Daten erfasst wurden. Der Fall Blaschke derweil hat sich grob aufgeklärt: Nicht der freie Journalist, sondern ein Mann gleichen Namens, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter von Linken-Chefin Katja Kipping, war ins Visier des Geheimdiensts geraten, und Brandenburger hatte den falschen informiert.
Der TeamWorx-Film müsste demnach eine Satire sein. Vielleicht ginge auch ein Trauerspiel. Oder, wenn man die Figuren nackig genug macht, im Eventfernsehen natürlich nur im übertragenen Sinn, ein kalkulierter Schüttelporno.
+++ Es wird Zeit, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass Burkhardt Müller-Sönksen als medienpolitischer Sprecher der FDP nicht mehr all den Unsinn erzählen wird, den er als Abgeordneter erzählt hat. Die Funkkorrespondenz hat nachgesehen: Neben Müller-Sönksen scheiden auch die medienpolitischen Sprecher von Union (Wolfgang Börnsen) und Linke (Kathrin Senger-Schäfer) aus dem Bundestag aus, aber der Abschied von Müller-Sönksen trifft die v.a. Bild-Zeitung am härtesten. Aus gegebenem Anlass: Stefan Niggemeiers Best-Of von 2010 +++
+++ Nun, nach der Wahl, schreibt der Spiegel, nicht nur die Grünen hätten in den 70ern und 80ern "offen über Pädophilie diskutiert", sondern "auch liberale Medien wie die 'Zeit' und der Spiegel überschritten bisweilen unverhohlen Grenzen". Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo – am Samstag noch in der SZ mit seinem Erfolgsgeheimnis "Kein Zynismus" – distanziert sich dort von Texten des langjährigen Feuilletonchefs der Zeit, Rudolf Walter Leonhardt: "Hier hat der Freiheitsdrang der liberalen Medien in die Irre geführt." Es sei "grotesk, welch bildungsbürgerlicher Aufwand betrieben worden ist, um die eigentliche Aussage zu kaschieren, Fummeln mit Kindern sei nicht so schlimm" +++ Und die TAZ (deren Chefredakteurin Ines Pohl vom Spiegel mit einem Porträt bedacht wird, der die ihr gegenüber zweispältige Stimmung im TAZ-Haus zusammenfasst) kümmert sich im Rahmen der Pädosexualitätsaufklärungsdebatte jetzt um die FDP +++
+++ Altpapier-Autor René Martens macht in der Funkkorrespondenz eine mittlere Serienbesprechungsinflation aus: "Bald könnten Fernsehserien einen ähnlichen Status erlangen wie Fußball. So gut wie jeder Journalist, der sich für Fußball interessiert, glaubt ja, auch darüber schreiben zu können." Immerhin gibt es Serien, über die es sich zu schreiben lohnt; der oben zitierte Gorkow fasst den Unterschied zwischen USA und Deutschland dabei so zusammen: "Würden in den USA aber nicht besessene Produzenten den Ton angeben, sondern, wie in Deutschland, Redakteure reformresistenter Anstalten, man säße dort gerade an der 44. Staffel der Waltons" +++ Da passt es für die Überprüfbarkeit ganz gut, dass heute eine Serie – die nächste Staffel "Borgia" (heute, 20.15 Uhr, ZDF) – auf den Medienseiten auftaucht, die vom US-Autor Tom Fontana geschrieben und vom ZDF koproduziert wurde. Die SZ findet im Fontana-Interview: "kein Bügelfernsehen". Und Nikolaus Festenberg schreibt im Tagesspiegel: "Der Bierernst dieses überdrehten Melodrams ist unerbittlich." Und das, wo ein HBO-Mann dahinter steht +++ Breaking Bad News: Wer nicht will, dass irgendeine Pfeife das Ende der letzten Folge verrät, bevor man sie selbst gesehen hat, sollte das Internet dann allmählich ausmachen +++ Die Krankenhausserie "Saving Hope" bespricht die FAZ (20.15 Uhr, beim RTL-Abosender Passion) +++
+++ Und wo wir schon beim Vorwurf mangelnder Kreativität sind: Plagiatsvorwürfe gibt es nicht nur gegen Frank-W. Steinmeier, sondern auch gegen den "Polizeiruf 110": Die Autorin Marinella van ten Haarlen will laut Nürnberger Zeitung zwischen dem Film "Der Tod macht Engel aus uns allen" und ihrem Roman "Heimkehr nach Mbuji-Mayi" mehrere hundert Übereinstimmungen ausgemacht haben. Laut BR gebe es höchstens "zufällige Ähnlichkeiten, die typisch sind für Krimis" (FAZ via DPA) +++
+++ Nochmal ARD-Anstalten: Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung über Information und Boulevard bei den Dritten Programmen mit dem Ergebnis: weniger ersteres, mehr zweiteres als behauptet, vor allem bei NDR und SWR. Der Spiegel zitiert vorab, siehe eine Zusammenfassung auch u.a. bei Kress +++
+++ Mehr Fernsehen: Willi Winkler in der SZ über Oliver Stones "Die Geschichte Amerikas" (n-tv, 20.05 Uhr): "Trotz aller Einwände ist Stones (durch den Historiker Peter Kuznick gestützte) Geschichte der USA eine heilsame Abwechslung zu dem mittlerweile auch vom ehemaligen Antikriegs-Präsidenten Barack Obama gesungenen Heldenlied" +++ Tagesspiegel und TAZ schreiben über Fernsehtagungen +++
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.