Wird Wolfgang Büchner zum ehemaligen designierten Spiegel-Chefredakteur? Die derzeitige Lage beim Spiegel wird, je nach Betrachter, als möglicherweise existenzielle Eskalation, als Annäherung der Konfliktparteien oder als Zukunftsfindungsprozess zur rechten Zeit beschrieben. Dazu: Taz, Wahlkampf im Fernsehen, Olli Schulz' neue Sendung, Kevin Spaceys Rede zur Lage der Fernsehfiktion und eine Kooperation von Guardian und New York Times.
Hausmitteilung: Der Spiegel ist für das Altpapier, was die NSA-Affäre für den Spiegel ist – damit gehen wir im Zweifelsfall auch dreimal am Stück nach vorn. Nach dem Altpapier vom Donnerstag über die "saftige Personalie" Nikolaus Blome und jenem vom Freitag über eine ob der Personalie saure Redaktion und über die Frage, ob der eventuell demnächst antretende Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner "den Doofen" spiele, geht es hier heute um Machtkampfberichte. Die lassen schließen auf eine bevorstehende und online gut verkäufliche "Eskalationsstufe 'Triple'" (Meedia vom Freitag), auf eine "Annäherung" (FAZ vom Montag) bzw. auf einen Konflikt, der sich um "die Existenz des Unternehmens" dreht (SZ vom Samstag) – all das ist im Interpretationsprogramm.
Der "Machtkampfbericht", als der Michael Hanfelds FAZ-Feuilletonaufmacher überschrieben ist, scheint insofern die richtige Form für Berichte über das Geschehen beim Spiegel. Es geht um Macht in mehrerer Hinsicht, und es gibt nicht nur einen Kampf, um in der Kriegsmetaphorik zu bleiben, die in der Berichterstattung aufblitzt. Zum ersten gibt es den Personalaspekt, zum zweiten den strukturellen, und da geht es dann auch tief in die Unternehmensgeschichte.
Wolfgang Büchner, der bis Ende August noch bei der Deutschen Presse-Agentur angestellte, derzeit in Elternzeit befindliche designierte Chefredakteur des Spiegels, "der am 1. September sein neues Amt antreten soll, hat die Vertrauensfrage gestellt", berichtete nicht dpa, sondern die Kollegen von epd am Freitag (siehe etwa taz.de oder berliner-zeitung.de). Und es werde nicht erwartet, "dass die KG die Vertrauensfrage Büchners positiv beantwortet. Im Gegenteil: 'Die Stimmung ist so, dass nicht nur Blome, sondern auch Büchner gar nicht antreten soll', sagt ein Insider." Vielleicht ist der designierte Chefredakteur also eigentlich der designierte ehemalige designierte Chef. Immerhin, so einen Titel hätte sonst niemand auf der Visitenkarte.
Es kann – das liest man auch – schon auch sein, dass alles so wild dann doch nicht ist und hier nur ein paar Medienprofis aus der Spiegel-Redaktion den Teufel an die Wand malen, um ihre Forderungen durchzukriegen, die sich im Großen und Ganzen seit den letzten Altpapier-Ausgaben nicht groß verändert zu haben scheinen: Büchner hat als Vize Blome eingetütet bzw. akzeptiert; die Mitarbeiter KG, die 50,5 Prozent am Spiegel hält, lehnt den derzeitigen Bild-Vize-Chefredakteur nicht als Neuzugang, aber als stellvertretenden Chefredakteur ab.
Die Frage, was das Team Büchner/Blome bedeuten würde, ist so unwichtig allerdings wirklich nicht für ein Magazin, das sich seit Günter Gaus "im Zweifel links" wähnt (siehe Carta). Die SZ vom Samstag dazu:
"In Hamburg fragt man sich (...): Was bedeutet das, wenn ein eher profilloser Journalist Chefredakteur wird und ein profilierter Journalist mit konservativem Portfolio und Kanzlernähe sein Vize?"
Verständlich ist diese Frage, und im Grunde dürfte jede Antwort darauf einschneidende Folgen haben, jeweils für andere. Christian Bommarius, bekannter Bild-Kritiker der Berliner Zeitung, findet allerdings, die Frage, ob sich mit Blome die politische Ausrichtung des Spiegels verändern würde, sei die falsche: "Richtig gestellt, hätte sie lauten müssen: Wie viel Gossen- Journalismus verträgt der Spiegel?" Denn was das Links-Sein des Spiegels betrifft, dazu fragt Bommarius: War der Spiegel denn je links? Und antwortet selbst (und etwas anders als Carta):
"Der Ausrufung des postideologischen Zeitalters hätte es nicht bedurft. Zumindest die gelenkigsten unter den politischen Journalisten haben nie in einem anderen Zeitalter gelebt. Und auch die zwei einflussreichsten deutschen Printmedien, der Spiegel und die Bild-Zeitung, haben sich – entgegen den Behauptungen ihrer Anhänger und Gegner – nie einem bestimmten politischen Lager zuweisen lassen."
Was bedeutet der Konflikt nun für den Spiegel jenseits der Personalien? Nochmal die SZ:
"Aus Kreisen anderer Anteilseigner wird die KG unmissverständlich gewarnt: Wenn Büchner seinen Job nicht antreten könne, weil Blome verhindert werden solle, würde auch Geschäftsführer Saffe gehen. 'Dann hat die Mitarbeiter KG das Unternehmen plattgemacht', sie hätte sich dann 'moralisch selbst überlebt'. Es gehe folglich bei der Frage, ob Büchner seinen Job antrete, letzten Endes 'um die Existenz des Unternehmens'."
[Regiehinweis: Dramatisch klingen hier Geigen in Moll.]
Eine Gegensicht steht in der Montags-FAZ: "Nicht wenige Redakteure denken, Saffe" – also der vom Anteilseigner Gruner&Jahr gekommene Geschäftsführer Ove Saffe – "gehe es um die Entmachtung der Redaktion, und Büchner und Blome seien in diesem Bund der Zweite und Dritte." Das stand ähnlich auch in der Sonntags-FAS:
"Saffe, darauf läuft dieser Verdacht hinaus, setze Büchner ein, um die Macht der Redaktion (vor allem die der selbstbewussten Ressortleiter) einzuschränken. Mit dem wichtigsten Ressort fange das an; wer vier Wochen vor der Wahl den Chef des Hauptstadtbüros mit dem Klassenfeind besetzt, dem würde man anschließend alles zutrauen."
Es gibt dabei auch einige Unterschiede zwischen FAS und FAZ. Während Harald Staun in der Sonntagsausgabe über Büchners Auftritt vor den Redakteuren schreibe: "Der Eindruck der meisten Redakteure (...) war: Der neue Chef möchte nicht mit uns reden", schreibt Michael Hanfeld in der Montags-FAZ, noch nicht frei online: "Büchner trug die Berufung in einer Redaktionskonferenz vor, diskutieren wollte er sie nicht. Der Mann (...) wollte zeitig seinen Zug nach Berlin erreichen." Wer mag, kann das nachvollziehbar finden in Zeiten des Bahn-Chaos, wer weiß denn schon, wann der nächste fährt?
Hanfeld hat einige weitere Interpretationen bzw. auch Informationen exklusiv. Er schreibt etwa, die Mitarbeiter KG sei bereits vor zwei Monaten über den Stand in Sachen Blome informiert worden:
"Informiert war die KG über die Personalie Blome seit Ende Juni, mit ihrem Einspruch dagegen wartete sie bis zur vergangenen Woche, als Blomes Wechsel von der 'Bild' zum 'Spiegel' öffentlich verkündet wurde."
[Update 10:55 Uhr: Meedia schreibt, die Frage, wann die KG was gewusst habe, sei zentral bei der heutigen Spiegel-Konferenz.] Und zu Büchners Vertrauensfrage, die der per Mail gestellt haben soll, schreibt Hanfeld: "Doch wird auch das, wenn man sich umhört, in seiner Konsequenz unterschiedlich interpretiert oder bestritten. Es scheint also Spielraum für eine Annäherung zu geben." Wie es weitergeht und auch was überhaupt passiert ist, das hängt nach heutigem Stand also schon auch ein wenig davon ab, wen man anruft.
Wolfgang Michal kann bei Carta – in derselben Geschichte, die oben schon verlinkt ist – etwas Positives für den Spiegel entdecken: "Der Spiegel muss – wie 1968 – entscheiden, was er sein will", schreibt er und warnt vor einer Einschränkung der Mitarbeitermitbestimmung:
"Die Chancen stehen (...) nicht schlecht, den gedruckten Spiegel in diesem Machtkampf tatsächlich neu auszurichten. Nicht nur, was seine politische Position als Aufklärungs- und/oder Unterhaltungsmagazin angeht – auch das Mitbestimmungsmodell, das als Relikt und Hoffnungszeichen aus der 68er-Zeit in die Gegenwart hineinragt, könnte auf den Prüfstand kommen. Doch eine Einschränkung der Mitbestimmungsbefugnisse der Mitarbeiter KG bei der Festlegung der Blattlinie wäre ein herber Verlust für die ganze Medienlandschaft, denn die journalistischen Zukunftsmodelle heißen angesichts der Zeitungskrise heute nicht mehr Familienverleger, Presselords, Aktiengesellschaften und anderes altmodisches Gedöns, sondern Netzwerk-Genossenschaft (taz), Stiftungen (FAZ, Guardian) und Redaktionseigentum (Spiegel). Nur so hat kritischer Journalismus in Zeiten des Internets eine Chance."
Und der Spiegel selbst? Schreibt dazu in der aktuellen Ausgabe gar nichts, und das Spiegelblog wurde für sowas offensichtlich auch nicht erfunden. Aber sehr indirekt kriegt Blome doch eine mit: "Die Berichterstattung von 'B.Z.' und 'Bild' über eine angebliche Affäre eines 16-jährigen Mädchens mit Spielern des Fußballbundesligisten Hertha BSC droht für den Springer-Verlag peinlich zu werden."
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+++ Auch das zweite Freitags-Altpapier-Thema ist noch immer eines: die Taz. Es geht wieder (siehe dieses und dieses Altpapier) um Christian Füllers Artikel, in dem er die These vertrat, Pädophilie sei in der grünen Ideologie angelegt gewesen. Der Artikel wurde nicht gedruckt; in der Redaktionskonferenz gab es – so berichtet die FAS auf Seite 3 – einen "Eklat", an dem sich nicht nur Chefredakteurin Ines Pohl und Füller beteiligt hätten. Und die Frage, die die FAS nun stellte, lautet: "Geht die 'taz' zu sanft mit den Grünen um?" Das ist etwa die Frage, die Stefan Niggemeier bloggte – ob die taz "eine Art grünes Gegenstück zum Bayernkurier der CSU sei". Die FAS schließt den Fall ohne "Zensur"-Ruf, aber taz-kritisch fürs Erste ab:
"Zeitungen sind Tendenzbetriebe, erst recht in Wahlkampfzeiten. Sie dürfen parteilich sein, sie dürfen sogar Parteizeitungen sein oder sich für solche halten. Aber wenn sie es sind, oder wenn ihre Chefin sie dafür hält, und wenn sie ihre Macht parteilich ausüben: Dann sollte sie es auch zugeben."
Mehr über die Berichterstattung in Wahlkampfzeiten – da gibt es einiges an Programmhinweisen, Einordnungen und Rezensionen zu verlinken – steht im Altpapierkorb.
+++ Es gibt, so kurz vor einer Bundestagswahl, Diverses zu Wahlkampfformaten im vor allem Fernsehen. Die Berliner Zeitung schreibt: "Vier Wochen vor der Bundestagswahl ist das Fernsehprogramm randvoll mit Politik-Erklärstunden. Die Anstrengung der Verantwortlichen, ihr Publikum mit originellen Herangehensweisen zum Einschalten zu kriegen, ist diesmal besonders groß. Genau wie die Chance, damit zu scheitern." +++ Die Taz gibt ebenfalls einen Überblick über "teils ungewöhnliche Formate" +++ Der Spiegel disst das am Sonntag anstehende TV-Duell: "Es gibt kaum etwas zu gewinnen für die Moderatoren dieses TV-Staatsakts. Allein die Konstellation – vier Journalisten fragen zwei Politiker, die sich nicht anschauen – ist Irrsinn" +++ Auch Hans Hoff beschreibt das Kanzlerduell in seiner DWDL-Kolumne als ödes Ritual +++ Der ProSieben-Vierteiler "Task Force Berlin", der auch kurz in der taz- und der Berliner-Zeitungs-Sammlung auftaucht, wird in der SZ besprochen. Die SZ findet, das Format, das vier Botschafter junger Leute auf Politiker loslässt, funktioniere nicht: "oft sind die Wortmeldungen aus den Jugendzentren interessanter und reflektierter als das, was die Botschafter daraus machen". Findet auch die Berliner im eben erwähnten Text: "Wer bei 'Taskforce Berlin' was lernen will, muss sich schon arg anstrengen." Und der Tagesspiegel schreibt auch darüber, eher deskriptiv +++ Spiegel Online bespricht den Fernsehwahlkampf am Sonntagabend +++
+++ Der Guardian kooperiert mit der New York Times: "Die amerikanische Zeitung erhält Zugang zu den Unterlagen, die der einstige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden dem Guardian-Journalisten Glenn Greenwald überlassen hat" (SZ). Der Hintergrund ist bekannt (siehe auch Altpapier): "Hochrangige Regierungsvertreter hatten die Herausgabe oder Zerstörung des Materials gefordert. Vor einem Monat haben Mitarbeiter des Guardian daraufhin unter Aufsicht von Geheimdienstleuten Festplatten zerstört. (...) Die Partnerschaft mit der New York Times erlaubt dem Guardian, auf dem Snowden-Material beruhende Geschichten mit dem Hinweis zu veröffentlichen, dass sie ohnehin erscheinen" +++ Und sage keiner, die NSA-Affäre habe keinen direkten Bezug zum deutschen Wahlkampf. Die SZ schreibt im Feuilleton: "Obama selbst, der als Kandidat forderte, die 'Überwachung unschuldiger Bürger' müsse aufhören, bevor er sie als Präsident noch verschärfte, verdankt seine Wahl zu einem nicht geringen Teil den Instrumenten von Big Data: Seine Strategen sammelten und kombinierten sämtliche von den Wahlberechtigten verfügbaren Informationen: Parteizugehörigkeit, Spenden, Einkommen, Familienstruktur, Zeitschriftenabonnements, Sozialstruktur der Wohngegend. Damit konnten sie latente Obama-Wähler sehr gezielt mobilisieren, statt mit der Gießkanne die knappen Spendengelder zu verschwenden." Parteien, die sich lustigerweise an Obamas Wahlkampfstrategien versuchen, müssten eigentlich wissen, dass sie die nicht nach dem Zufallsprinzip umsetzen können. "Guten Tach, darf ich stören, ich bin Ihr Europaabgeordneter und möchte einfach mal mit Ihnen quatschen" – das ist nicht Obama-Wahlkampf. Obama-Wahlkampf ist, wenn der Europaabgeordnete vorher weiß, dass hinter dieser Klingel ein bei Amnesty International aktiver Sozialkundelehrer wartet +++
+++ Thomas Middelhoff, Ex-Bertelsmann, der vor kurzem, etwa in der SZ, seine Rückkehr ins Medien-Biz angekündigt hat, kommt wahrlich nicht gut weg im Spiegel: "Wenn Middelhoff wieder da ist, dann (...) mit einer blendenden Fassade" +++ Bülend Ürük äußert zum Spiegel-Text bei newsroom.de sein Missfallen +++ Sibylle Berg antwortet einem Redakteur der Züricher SonntagsZeitung, der ihr mitgeteilt hatte, dass ihre Kolumnen eingespart werden müssten +++
+++ Dann gibt es einige Geschichten über Männer im Fernsehen: An erster Stelle ist hier Oscar-Preisträger und "House of Cards"-Hauptdarsteller Kevin Spacey zu nennen, dessen wohlformulierte Rede zur Lage der Medienwelt DWDL dokumentiert +++ Nico Hofmann will für RTL die Biografien geschasster Schlecker-Verkäuferinnen als Komödie zu verfilmen. Alles klar +++ Olli Schulz, dessen Sendung ProSieben heute erstmals ausstrahlt ("Schulz in the Box", 22.15 Uhr), wird von der SZ porträtiert und von DWDL interviewt +++ Der Tagesspiegel interviewt, ebenfalls anlässlich einer neuen Sendung (das "TVLab: Der Richter in dir" bei ZDFneo, 21.45 Uhr) Michel Friedman +++ Und der Spiegel interviewt Olli Dittrich anlässlich seines Kinofilms, aber es gibt darin auch eine Dittrich-Fernsehmeldung; sein "Frühstücksfernsehen" soll zweimal jährlich laufen +++
+++ Und im Radio oder besser, im Internet unter www.bbc.co.uk/radio2, läuft um 21 Uhr deutscher Zeit Tom Stoppards Musical "Darkside", "mit dem ihn die BBC zum vierzigsten Jahrestag von Pink Floyds bahnbrechendem Album 'The Dark Side of the Moon' beauftragt hat" (FAZ). Stoppard wolle "so viele Modelle des philosophischen Denkens wie möglich in eine knappe Stunde zu zwängen. Vom Utilitarismus über die Debatte um den Naturzustand bis hin zum Gottesbeweis und der Bewusstseinstheorie handelt er Grundfragen des Seins in einem surrealen Streifzug ab, der, trotz komischer Akzente, der verstörenden, trancehaften Stimmung der Platte entspricht" +++
Neues Altpapier gibt es am Dienstag.