Wie geht die TAZ mit ihrer Entscheidung um, einen grünenkritischen Artikel nicht gedruckt zu haben? Eher gar nicht. Andere freuen sich. Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Ulmen können gar nicht Thomas Gottschalk und Günther Jauch werden. Und: Formel zur Berechnung der Memmenhaftigkeit von ARD-Chefredakteuren entdeckt!
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Die Berichterstattung über die via Stefan Niggemeier publik gewordene TAZ-Entscheidung, einen Text von Christian Füller nicht zu drucken, der die Grünen kritisiert für den Umgang mit einstigen Haltungen in der Partei zu Pädophilie (Altpapier von gestern), kommt heute in den Konkurrenzmedien an. Und gibt doch was her für vergleichendes Lesen.
Nobel beziehungsweise sachlich geht Fabian Leder in seinem Tagesspiegel-Beitrag an den Start:
"Fünf Wochen vor der Wahl muss sich die 'Tageszeitung' ('taz') gegen Vorwürfe wehren, sie unterbinde die Veröffentlichung eines Textes, um den Grünen nicht zu schaden."
Genüsslich spaziert dagegen Michael Hanfeld in der FAZ durchs das Thema, das seine Zeitung betrifft, insofern Füller, den Hanfeld "streitbar" nennt, auch für die FAS schreibt. Am Ende des Textes stehen Fragen:
"Wie schrieb Ines Pohl noch am vergangenen Samstag in der 'Zeitungsdebatte' bei 'Spiegel Online'? 'Journalisten sind da, um aufzudecken, aufzuklären und so zu kontrollieren und über die Herrschenden zu wachen.' Ob das bei der 'taz' auch gilt, wenn es um die Grünen und die Pädophilen geht?"
Häme, was ist das, fragt man sich dagegen beim Lesen von Torsten Krauels Text in der Zeitung Die Welt. Der nimmt nämlich Maß und nutzt die Gelegenheit, ein paar offene Rechnungen zu begleichen:
"Kürzlich war hier freilich dann wieder über möglicherweise vor der Entlassung stehende Kollegen der zum Springer-Verlag gehörenden 'BZ', in dem es hieß, 'Bild' und 'BZ' seien für die Berliner Pressevielfalt 'ungefähr so wertvoll wie die Vielfalt an verschiedenen Hundekackehaufen': 'Die Arbeitslosigkeit dieser Kollegen ist ein Gewinn für die Stadt.' Die arbeitslosen Redakteure hätten die Chance, 'doch noch zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft' zu werden. Das war alles nackte Nazisprache, und daran störte sich in der 'taz' kaum jemand."
Selbst wenn man Krauel zustimmen könnte im Klagen über den Unsinn, den die TAZ mitunter verfasst, auch auf Feldern, die eigentlich ureigenes Terrain sein müsste – ist das der Zeitpunkt zurückzukeilen? Und vor allem in diesem petzigen Ton? Man kann immerhin sehen, warum die Welt wohl nie die FAZ werden wird.
Krisenmanagement, was ist das, könnte man dagegen die TAZ fragen. In der Ausgabe von heute (wenn wir das in der Schnelle richtig gesehen haben) kein Hinweis auf die Diskussion (nur der im Grunde unkommentierte Blog von Detlef Gürtler, der schon bei Niggemeier verlinkt war, wo Gürtler auch diskutierte).
Und in der FAZ:
"Zu dem Vorgang, heißt es auf Anfrage dieser Zeitung von ihrem Büro, wolle sie sich nicht weiter äußern. Die Sache sei in der Redaktionskonferenz ausführlich und sachlich besprochen worden. Es handele sich um einen innerredaktionellen Vorgang, und das solle auch weiterhin so bleiben."
Sowie im Tagesspiegel:
"Auf Anfrage des Tagesspiegels wollte sie sich zu dem Vorgang nicht äußern."
Man müsste mal einen Experten beauftragen, der erklärt, ob das Klappehalten nicht tatsächlich effizienter ist als alles andere (weil der Medienwolf der Empörung sich nach ein paar Tagen wundgescheuert hat). Andererseits: Von welcher Zeitung, wenn nicht von der TAZ mit ihrer gegenöffentlichen Geschichte, wollte hier einen offeneren Umgang mit den eigenen failures erwarten? Und was wäre daran so furchtbar?
[+++] Super super Überleitung:
"Ich staune bei der Arbeit an unserer Show immer wieder über die Humorlosigkeit der Grünen. Mit so Außenbordern wie Hans-Christian Ströbele, Rezzo Schlauch oder Volker Beck geht’s prima, aber Künast, Roth, Trittin und all die anderen zentralen Figuren trauen sich nicht, zu uns zu kommen. Schockierend trist, humorlos, immer beleidigt. Dagegen sind ältere Herren von der CSU für jeden Spaß zu haben."
Sagt Benjamin von Stuckrad-Barre im Tagesspiegel-Doppelinterview an der Seite von Christian Ulmen mit Sonja Alvarez und Markus Ehrenberg.
Man könnte da sehr viel zitieren, auch so Bemerkungen über Wahlkampfplakate wie die von Ulmen:
"Ich habe mich gefragt, wie dieser Moment aussah, als Martin Lindner sein Foto fürs FDP-Wahlplakat ausgesucht hat. Oder war er bei der Auswahl gar nicht dabei? Wenn doch: Eitel kann er schon mal nicht sein."
Toll und so wahnsinnig doppelsinnig, dass man's kaum aushält, ist der Teil des Gesprächs, wo es um die Frage geht, warum beide nicht zusammen im Fernsehen auftreten.
"Warum machen Sie es nicht mal wie Jauch und Gottschalk und treten als Dreamteam gemeinsam vor die Kamera?
STUCKRAD-BARRE: Machen wir ja. Zu Hause im Garten. Da treten wir für unsere Frauen und Kinder auf.
ULMEN: Wir haben früher mal zusammen moderiert, bei Fritz. Ich glaube, dass Benjamin schneller assoziiert als ich. Vielleicht nicht besser, aber schneller (lacht). Für so eine Doppelmoderation muss man in Geschwindigkeit und Timing eine gemeinsame Taktung haben.
Sie sind also eher der Jauch. Und Sie der Gottschalk, Herr von Stuckrad-Barre?
STUCKRAD-BARRE: Das ist jetzt natürlich für beide eine Unverschämtheit. Also für Gottschalk und Jauch."
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Seriös betrachtet ist der Höhepunkt des Interviews wohl aber die Stuckrad-Barres Kritik an den seriösen Politikinterviewern:
"Ich habe neulich in der ARD das Sommerinterview mit Horst Seehofer gesehen. Da sitzen diese beiden traurigen Typen, Ulrich Deppendorf und Rainald Becker, und hatten spürbar das Seehofer-Interview in der 'Bild am Sonntag' gelesen. Jetzt wollten sie all die dort gesagten Hammer noch einmal in ihrer Sendung hören, weiter nichts."
[+++] Und wie zum Beleg hat Ulrike Simon für die Berliner mit ARD-Chefredakteur Thomas Baumann gesprochen – über die ungemein spannende Frage, was die ARD jetzt macht, wo das ZDF zum ersten Mal in der Geschichte von ARD und ZDF es wagt, drei Tage vor der Wahl noch eine Wahlumfrage zu veröffentlichen (Altpapier vom Freitag).
Das Interview ist auch deshalb ein tolles Dokument von gegenwärtiger Verzweiflung, weil Simon insistiert mit Detailfragen zu einem langweiligen Thema und stellenweise so herrlich güntergaushumorlos klingt ("Stimmt es, dass das Thema in der ARD-Chefredakteursrunde durchaus kontrovers diskutiert wurde, sich aber Schönenborn vehement durchgesetzt hat?")
Mag sein, dass uns die Tragweite der Entscheidung tatsächlich nicht bewusst ist, obwohl wir glauben würden, jederzeit für Institutionen zu streiten, die hehr sind – aber ist das wirklich ein Problem, das außerhalb von Tagesabläufen aus Gremiensitzungen und Konferenzkonferenzen überhaupt verstanden werden kann?
Baumann:
"Mit Blick auf die Zahlen kann es sein, dass das ZDF mit seinem Kalkül bei der kommenden Wahl Glück hat. Das Ganze kann aber auch nach hinten losgehen. Dies umso mehr, weil in diesem Jahr eine Sondersituation vorliegt. Am 15. September ist Landtagswahl in Bayern. Deren Ergebnis kann auf die Bundesebene ausstrahlen. Dieser mögliche Effekt muss nicht länger als ein paar Tage andauern. Er läge aber genau in dem Zeitraum, in dem die Forschungsgruppe Wahlen ihre Sonntagsfrage erhebt, deren Ergebnis das ZDF dann am Donnerstag veröffentlicht. Am Wahlsonntag selbst kann es wieder anders aussehen."
Zählen Sie die "Kanns" und multiplizieren Sie deren Quadratzahl mit der Vorstellung eines GAUs – dann haben Sie ungefähr einen Begriff von der Angst, die Leute auf den luxuriösesten Posten des Landes haben. Man rafft es nicht: Es geht bei Baumanns Argumentation für oder wider etwas nie um Gründe oder Überzeugungen, sondern immer nur darum, damit nichts falsch gemacht zu haben. Und dann beim Amtsantritt von Gestaltungswille sprechen. Puh.
Oder mit Stuckrad-Barre auf die Praxis des ARD-Chefredakteurs geschaut:
"Das finde ich das Trostloseste, was man machen kann."
+++ Dass die Dinge sich nicht zum Guten wenden werden, ist die Ansicht des beliebtesten Kraft-der-Negation-Twitterers @NeinQuarterly, hinter dem sich der Germanistik-Professor Eric Jarosinski aus Amerika versteckt. Kia Vahland schreibt eine kleine Eloge in der Süddeutschen: "Abends hängt der nach Selbstauskunft 'gescheiterte Intellektuelle' bei einem Glas Riesling in der Bar herum, auf einen Klönschnack mit Leo Trotzki, Jorge Luis Borges oder seinem Lieblingsbuchstaben, dem ü. Wenn es gut läuft, dann kann er nachts sagen: 'I hugged a lonely hipster. And I liked it.'" +++
+++ Das Handelsblatt hat noch eine Lesart von Bezosens Kauf der Washington Post: "Der Mitbegründer von 'Free Press', einer gemeinnützigen Organisation für öffentliche Interessen und Demokratie, Robert McChesney, erklärte: 'Zeitungen mit Monopolstellung, insbesondere die 'Washington Post' in der Hauptstadt der Nation, die vielleicht wirtschaftlich gesehen kein rentables Unternehmen mehr sind, haben immer noch große politische Macht.' Diese seien jetzt ein 'Spielzeug' für jene Milliardäre, die diese aggressiv benutzen könnten, um ihre eigene Politik voranzutreiben." Wenn das wirklich neu ist, käme man allerdings in Grübeln, wie man sich ältere Player wie William Randolph Hearst erklärt. +++ In der SZ (Seite 31) ein Bericht über die Lage von Journalisten in Ägypten: "Windfuhrs [(Ex-)Spiegel-Mann, der sich kritisch über die Berichterstattung äußert] Kollege Gebauer ist nicht der einzige, der drangsaliert wird. Ein Dutzend ausländischer Journalisten wurde in den vergangenen Tagen festgenommen, viele klagen über Drohungen, Rempeleien, zerschlagenes Equipment. Matt Bradley, Reporter des Wall Street Journal, musste von Soldaten vor einer aufgebrachten Menge in Sicherheit gebracht werden. Mindestens drei Journalisten sind seit Mittwoch ums Leben gekommen, als sie über die Räumung des Pro-Mursi-Protestlagers durch die Sicherheitskräfte berichteten." +++ Dazu auch noch mal das Gespräch aus der DLF-Sendung "Markt und Medien" vom Samstag, in der der Ex-Spiegel- und heutige ARD-Reporter John Goetz über die Spiegel-Bild-Geschichte bei der Geiselnahme eines Journalisten spricht (siehe Altpapier). +++ Katharina Finke hat für die TAZ Al Jazeera America besucht: "Zuerst in den Newsroom mit 150 Arbeitsplätzen, wo in verschiedenen Schichten rund um die Uhr das Programm gestaltet wird. Das besteht zu 14 Stunden aus Nachrichten, der Rest sind Dokumentationen und andere Beiträge." +++ Rainer Stadler scheibt in seiner NZZ-Kolumne über die Oprah Winfrey und die Handtaschen: "Wie so oft im Leben sind die Erinnerungen der Beteiligten höchst unterschiedlich. Journalistische Vorsicht wäre also geboten. Doch weil die ersten Botengänger nur die eine Seite anhörten, kommt die angebliche Rassismus-Affäre in Fahrt." So recht er hat – mit dem Rassismus ist es allerdings so, dass er in den Medien höchstens in Fußballstadien akzeptiert und problematisiert wird. +++
+++ Ins Fernsehen: "Der Autovermieter Sixt klagt gegen den neuen Rundfunkbeitrag. Nachdem der Gebührenbescheid für das erste Quartal dieses Jahres eingegangen ist, zieht Sixt vors Verwaltungsgericht München. Man sei 'entschlossen, notfalls den Rechtsweg auszuschöpfen und durch alle Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht zu gehen'. Für das erste Quartal 2013 soll Sixt 718 000 Euro Gebühren zahlen." Da macht Michael Hanfeld in der eigenen Zeitung (FAZ, Seite 31) noch mal eine Meldung über einen Bericht aus dem Wirtschaftsteil, der prominent auf Seite 1 angekündigt wird. That's Nachhaltigkeit. +++ "Lauter richtige Themen, falsch aber ist der forcierte Ton. Nicht von ungefähr ließ der Einspielfilm, der den Unternehmer vorstellte, Steinbrück- und Merkel-Porträts über ein Abfall-Sortierband wandern: Trash-TV. Es ist schade, dass RTL nicht einmal bei solch einem Anlass aus seiner Haut herauskommt", schreibt Matthias Hannemann ebenda über RTLs Tischgespräch mit Peer Steinbrück. +++ Immer noch da referiert Nina Rehfeld den Fame der letzten "Breaking Bad"-Staffel, um so zu enden: "Einigen ist der Rummel um die Serie inzwischen schlicht zu viel. 'Breaking Bad Burnout' betitelte der 'Boston Globe' einen Leser-Chat. Ein entnervter Leser schrieb da: 'Ist eine tolle Serie, wir haben’s kapiert, aber es reicht.'" +++ Nadja Schlüter findet in der SZ (Seite 31) Tilo Jungs Interview-Format "Jung & naiv" mal nicht revolutionär: "Das könnte lehrreich oder lustig sein. Leider ist es keines von beidem, weil Jung seinen Gesprächspartnern auf die Art keine interessanten Informationen entlockt. Der Erkenntnisgewinn tendiert gegen null. Trotzdem gelingt Jung & Naiv der Sprung vom Netz ins Fernsehen, am Montagabend interviewt Tilo Jung den Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, zu sehen beim Jugendsender Joiz um 20 Uhr (über einige Kabelnetze, IP-TV, Zattoo und Stream auf www.joiz.de)." Das "Trotzdem" könnte bei Gelegenheit noch mal erklärt werden. +++ Die NZZ zitiert zur Belebung alter Unterhaltungssendungen ("Dalli, Dalli") den "Marburger Medienwissenschafter Gerd Hallenberger, Sachverständiger für Quiz- und Gameshows": "Schwieriger findet Hallenberger den Transfer ins Abendprogramm: 'Die Latte liegt heutzutage ohnehin schon wesentlich höher als damals, aber in der Hauptsendezeit muss eine Show zudem wesentlich greller, lauter und teurer als im Nachmittagsprogramm oder am Vorabend sein'. Deshalb wirkten im neuen 'Familien-Duell' auch Prominente mit. Eine Show wie 'Der Preis ist heiss' würde mit Prominenten jedoch nicht funktionieren: 'Dass jemand keine Ahnung hat, wie teuer ein Päckchen Butter ist, ist nur einmal witzig.'" +++ Meedia.de diskutiert eine Moderatorenumfrage, in der Markus Lanz nicht so hoch im Kurs steht, um es einmal höflich zu sagen: "Für die Umfrage ermittelte mafo.de pro Moderator 1000 Meinungsbilder via Online-Umfrage. Es wurden Werte für die Faktoren Bekanntheit, Kompetenz, Sympathie, Glaubwürdigkeit, Begehrlichkeit und Überzeugungskraft ermittelt. So scheint beispielsweise RTL-Anchor Peter Kloeppel im News-Segment uneinholbar vorne." Grüßen Sie ihn, wenn Sie ihn das nächste Mal sehen. +++
+++ Zum Tod der Musikerin Almut Klotz, die etwa für die Berliner Zeitung geschrieben hat: Jens Balzer in der Berliner. +++ Jenni Zylka in der TAZ. +++ Die TAZ veröffentlicht noch ein Interview mit Klotz und ihrem Partner Christian Dabeler über die neue Platte, das Julian Weber im Sommer geführt hatte. +++ Im Tagesspiegel schreibt Joachim Huber zum Tod von Henning Vosskamp: "Henning Vosskamp wusste, was er tat. Wenn er bei 's-f-beat' die 'heißen Scheiben' auflegte, dann wurden in den Haushalten in West- und in Ostberlin die Tasten der Kassettenrekorder gedrückt." +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.