Wie zeitversetztes Fernsehen funktioniert. Wie zeitversetzt Wahlumfragen öffentlich gemacht werden sollen. Wie die Planung für einen Jugendkanal bei ARD und ZDF klingen könnte. Warum Oli Kahn versagt hat und Frank A. Meyer ermüdet
(Disclosure: Ich weiß, dass es dirty ist, darauf überhaupt einzugehen, geschweige denn damit einzusteigen)
Andere Leute wissen manchmal auch nicht, was sie schreiben sollen. Jan Fleischhauer hat eine Kolumne bei Spiegel-Online, also muss am Freitag was raus, und das ist diese Woche – Schnallen Sie sich an! – tatsächlich ein Text zu Matusseks Beleidigtsein über seinen Auftritt bei Krömer. Matussek ist in der Ich-bin-so-stolz-auf-meinen-Dreiteiler-Szene offenbar noch immer ein hot shot! Und das Tolle ist, dass dieser Text nach gefühlten sieben Wochen Rumgekaue auf einem gehtsogeilen Thema, dessen Sinn sich darin erschöpft, auf eine Fernsehsendung aufmerksam zu machen, daherkommt wie der erste Bericht zur Lage. Fleischhauer scheint also für Menschen zu schreiben, die nur alle halbe Jahre mal das Internet anknipsen, um zu sehen, was es so Neues gibt.
Als Suptertopüberfliegerkolumnist weiß die alte Heulboje natürlich, wie man den Einzelfall zum Allgemeinskandal hochfährt – einfach die ganz großen Schlüsse ziehen. O-Ton Fleischi:
"Man sollte sich also gut überlegen, mit welchen Worten man einen anderen in den Senkel stellt. Es sei denn, man arbeitet beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen... Was im Straßenverkehr oder Büro sofort den Staatsanwalt auf den Plan rufen würde, fällt hier unter künstlerische Freiheit. Keine Ahnung, ob das die Gründer im Sinn hatten, als sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus der Taufe hoben, aber das ist die Rechtslage."
Kurz und auch ein klein wenig, ein ganz klein wenig witzig gedacht:
"Wenn Sie mal so richtig die Sau rauslassen wollen, sollten Sie sich von der ARD anheuern lassen."
Was mich auf eine Weise bei so einem Text dann doch irgendwie noch ernsthaft interessiert: Glaubt Fleischhauer eigentlich, was er da schreibt? Und wenn nicht, was ich vermuten würde – warum?
Das ist halt das Biz, werden die Auskenner sagen, und dass es doch funktioniert, von wegen Erregung, Gesprächsstoff und, bestes Beispiel, dieser Text hier.
Die Superkolumne exerziert das Thema jedenfalls in der üblichen Jammerei durch, Fleischhauers Texte sind ja die letzten Reservate der Selbstviktimisierung, hier kann man noch ganz unverstellt Opfer sein. Im Beschwerdebuch wird vermerkt:
"Matussek ist vor ein paar Wochen bei 'Krömer' zu Gast gewesen, der neuen Late-Night-Show der ARD. Es solle um Religion und den Papst gehen, hatte man ihm gesagt. Als er stattdessen vom Moderator Kurt Krömer die ganze Zeit nur angepöbelt wurde, versuchte er die Ausstrahlung seines Auftritts zu verhindern."
Hamm die den Matze echt fies gelinkt, ey, nee, ARD, das ist voll nicht geil so was, erst Mohrrübe Papst und Religion hinhalten, der Mattes freut sich 'n Wolf auf ernsthaftes Gespräch und so, und dann nur so: rumpöbeln, ey, merkste selber.
Bevor mich das Bedürfnis übermannt, Matthias Matussek und Jan Fleischhauer nacheinander in den Arm zu nehmen und ganz lieb zu streicheln, rasch zum schönsten Satz aus der Kolumne. Zur Erklärung der eigenen Unkenntnis ("Ich hatte Krömer nie zuvor gesehen") schreibt Agnus Fleischhauer:
"Ich sehe am Samstag überhaupt wenig Fernsehen."
Doppelt toll, weil da zum einen dieser kulturelle Distinktionsdruck lässig ausgesprochen werden will, dass jetzt ja bloß keiner auf die Idee kommt, Herr Jan Fleischhauer könnte Samstagabend in Boxershorts und mit bierbekleckertem T-Shirt vor der Knipse sitzen, um beim gelangweilten Griff in die Chips-Tüte der Frau zu sagen: "Guck doch mal, was im ZDF kommt."
Und zum anderen in Sachen Mediengebrauch natürlich 19. Jahrhundert.
Immerhin kann man damit ausschließen, dass Jan Fleischhauer mit Katty Salié befeundet ist. Die Aspekte-Moderatorin erzählt im Portrait von Viola Schenz in der SZ (Seite 31) über ihre Zuschauerschaft:
"'Die zwischen 25 und 40 schauen Freitagabend um 23 Uhr einfach kein Kulturmagazin. Das kann man sich abschminken. Die wirklich Kulturinteressierten unter den Jüngeren schauen sich Kultur direkt an, die gehen freitags ins Theater oder ins Konzert.' Aber die schauen Aspekte dann immerhin vielleicht in den folgenden Tagen in der Mediathek an. 'Meine Freunde machen das fast alle so, die klicken sich danach rein.'"
Das ist der Vorteil des zeitversetzten Fernsehens. Aspekte ist übrigens die Kultursendung des ZDF. Nicht neu, aber schön ist dieser Hinweis:
"Die Vorgängergesichter bei Aspekte, das waren bis zur Stabübergabe im Januar 2012 Luzia Braun und Wolfgang Herles. 18 Jahre hatte die eine moderiert, elf Jahre der andere. Braun, 59, ist jetzt stellvertretende Leiterin der Sendung, Herles, 63, moderiert seitdem die ZDF-Literatursendung Das blaue Sofa. Nun, so sind sie, die Gesetze des Fernsehens: Frauen verschwinden ab einem gewissen Alter in der Redaktion, ältere Männer bekommen eine Show."
Zurück zu den Jüngeren, die die Aspekte-Sendung im Netz nachgucken.
"Eine Akzeptanzsteigerung bei der jugendlichen Zielgruppe könnte zudem durch eine Auftragsevaluation mit Blick auf das Angebot im Internet erreicht werden."
Raten Sie, was das ist!
"Derzeit ist das öffentlich-rechtliche Angebot im Internet beschränkt. Teilweise können Inhalte nur bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung im Fernsehen im Internet noch einmal abgerufen werden. Gerade bei jüngeren Menschen stößt diese Regelung auf Unverständnis: Schließlich habe man für das Programm bereits gezahlt."
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Klar, sofort erkannt, das ist doch die Julia Klöckner, die "CDU-Landes- und -Fraktionsvorsitzende in Rheinland-Pfalz und Vorsitzende der AG Medien der Fraktionsvorsitzenden-Konferenz von CDU und CSU". Das ist der medienpolitische Hammer des Tages der längste medienpolitische Text heute. In der FAZ auf Seite 39. Eine Art "Baustellen"-Besichtigung. Insgesamt sechs "'Baustellen'" hat Klöckner ausgemacht bei der Frage nach der Zukunft von öffentlich-rechtlichen Digitalkanälen beziehungsweise: Ob es einen Jugendkanal geben könnte, sollte, müsste.
Die Funkkorrespondenz berichtet, dass der SWR Eins plus zu eben diesem Jugendkanal umbaut:
"Wie ein SWR-Sprecher auf FK-Nachfrage erklärte, würden bei Eins Plus ab Mitte September von montags bis freitags in der Zeit von 17.15 bis 7.15 Uhr durchgehend Jugendformate gesendet. Hinzu kommt an diesen Tagen noch die Programmstrecke von 13.15 bis 15.00 Uhr. Samstags beginnen die Jugendsendungen demnächst um 13.15 Uhr und enden am Sonntagmorgen um 7.15 Uhr. Am Sonntagnachmittag ab 16.15 Uhr ist dann wieder Platz für Jugendformate, die bis zum Montagmorgen um 7.15 Uhr zu sehen sind."
Julia Klöckner konstatiert zwar, dass die Diskussionen schon weit fortgeschritten seien, macht aber noch einen zweiten Vorschlag:
"Anstelle eines eigenen Senders für Jugendliche könnte daher auch eine abendliche 'Jugendkanal'-Schiene ab 20 Uhr im 'Kika' integriert werden. Das ist weniger teuer als ein eigener Kanal, zum anderen könnte auf bestehende Strukturen aufgebaut werden."
Klingt interessant. Und erklärt wohl die Brisanz des Textes, die sich dem nicht so drinsteckenden Leser nicht mit aller Gewalt aufdrängt:
"Ein Internet-Portal mit den jugendaffinen Inhalten aus Radio und Fernsehen der öffentlich-rechtlichen Sender könnte 'JuKa' sinnvoll ergänzen – wie bereits von den Sendern angedacht."
Internet, Jugend – gab es da nicht schon mal eine revolutionäre Entwicklung in der ARD?
+++ Einen Satz von Klöckner, den wohl jeder unterschreiben kann: "Wichtig ist: Stillstand bei den Öffentlich-Rechtlichen würde deren Abschaffung bedeuten." Und deshalb wird aktuell diskutiert, wie knapp vor der Wahl noch Umfragen veröffentlicht werden. Das ZDF prescht vor und will noch drei Tage vor der Wahl ein Politbarometer veröffentlichen. Sonja Alvarez und Markus Ehrenberg vermessen im Tagesspiegel das Feld der Ansichten: "So fürchtet ARD-Chefredakteur Thomas Baumann, dass kurzfristig veröffentlichte Ergebnisse eine unbeabsichtigte manipulative Wirkung entfalten – etwa kurz vor dem Wahltag den Eindruck erwecken, die Wahl sei bereits gelaufen – und damit eine Demobilisierung der Wahlberechtigten provozieren. 'Das würde ja heißen, dass die Bürger in jedem Fall den Trends entsprechend taktisch wählen. Da ist es dann doch nur besser, dass sie das auf der Grundlage der neuesten Ergebnisse tun', sagt Falter. Er bestätigt allerdings Lösche, dass es keinen wissenschaftlichen Beleg für eine solche Wahl-Taktik gibt." +++ Zum Thema als solchem sei an einen Kommentar von AP-Autor Klaus Raab nach der Niedersachsen-Wahl im Freitag erinnert: "Keine Beeinflussung. In der Tat wünscht man sich genau das von der Demoskopie und den Massenmedien – sofern man ein 1970 emeritierter Politikwissenschaftler ist, der von der Sorge um das Gedeihen des zarten Pflänzleins namens Demokratie getrieben ist. 2013 fragt man sich allerdings, was das sein soll: eine Beeinflussung durch zu viele Informationen." +++ Tanja Kerschbaumer gibt im TSP noch einen kurzen Überblick zu den Aktivitäten von Phoenix. +++
+++ Der Bedeutungsverlust der Leichtathletik lässt sich auch daran sehen, dass Moderatorenkritik nicht groß stattfindet. Dietrich Leder schreibt fast als einziger in der Funkkorrespondenz: "Für die Sportreporter provozierte diese Sachlage einen ideologischen Eiertanz. So gilt Usain Bolt so lange als unschuldig, bis er des Dopings überführt würde. Gleichzeitig wachsen mit jedem weiteren überführten Sprinter die Zweifel daran, dass ausgerechnet der nun seit Jahren die Weltelite anführende Bolt seine Leistung ohne jedwede illegalen Mittel vollbringt." +++ Michael Hanfeld arbeitet in der FAZ derweil den Mittwochabend (3:3 gegen Paraguay) auf (Jogi Löw, Oli Kahn, KMH): "Oliver Kahn pflegt den Disput, der seine Aufgabe als Experte ist, leider meist nur mit Katrin Müller-Hohenstein. Kommt der Bundestrainer, zügelt Kahn seine Angriffslust. Dann spielt auch er ohne Abwehr." Nicht zu vergessen (Bela Réthy): "Béla Réthy ist und bleibt Béla Réthy, der Mann, der einzelne Spieler nicht voneinander unterscheiden kann. Was bei einer eher miserablen Gesamtleistung wie gegen Paraguay für jeden, der da aufläuft und einen Fehler nach dem anderen macht, von Vorteil ist." +++
+++ Ungarn hat in Monika Karas eine neue Leiterin der Kontrollbehörde für Medien aka Oberzensorin, wie Frank Herold in der Berliner schreibt: "Frau Karas kann Kraft ihres Amtes auch freihändig entscheiden, was Begriffe wie Ausgewogenheit und Informationspflicht bedeuten, und sie kann bei Verstößen Bußgelder verhängen, die sofort vollstreckbar sind." +++ In der TAZ widmet sich Alexander Kohn dem sogenanten PiratBrowser, der angeblich Nordkorea und Iran beim Surfen helfen soll, technisch aber offenbar nicht viel hermacht: "Es handelt sich dabei um eine Kombination aus dem kostenlosen Browser Firefox und der ebenfalls kostenfreien Anonymisierungssoftware TOR, mit der man unerkannt im Netz surfen kann. Weiter unten auf der Seite finden die User eine englischsprachige Anleitung zum Herunterladen und Installieren des Browsers. Eine taz-Anfrage zu dem Browser und besonders zu der Frage, ob die Anleitung bald auch auf Farsi und Koreanisch angezeigt wird, ließen die Betreiber von The Pirate Bay vorerst unbeantwortet." +++ VPN- und Anonymisierungsratschläge gibt es im Tagesspiegel. +++
+++ In der Spiegel-Serie zur Tageszeitung in sechs Jahren wünscht der Investigativjournalist Daniel Drepper sich amerikanische Stiftungsmodelle wie "ProPublica" auch hier, was zu Effekten gerade da führen könnte, wo die große Recherche nicht so zu Hause ist: im Lokalen. +++ In der SZ schreibt Johannes Boie über Ladar Levinson, den Betreiber des geschlossenen Snowden-Providers: "In einem Interview mit der New York Times sagte der Programmierer, er wisse immer noch nicht, ob er verhaftet werde. Der Druck der Behörden lässt jedenfalls seit einer Woche nicht nach, erzählt Levison: 'Ich bin mit pauschal formulierten Gerichtsbeschlüssen konfrontiert, mit denen die Regierung Zugriff auf alles erhält.'" +++ In der FAZ (Seite 39) eine Meldung, dass sich bei Ringiers Blick gegen den Einfluss des hausinternen Superjournalisten Frank A. Meyer gewehrt wird – per Brief aller Ressortleiter: "Ihr Brief ist eine Kampfansage an Frank A. Meyer, dessen Einmischungen und gescheiterte Experimente (linker Boulevard, deutsche Chefredakteure, Tabloid-Format) als 'ermüdend' geschildert werden. Bleicher sei erfolgreich, die Auflage stabil, die Redaktion endlich wieder hochmotiviert. Der geplante Wechsel gehe nun wirklich zu weit: 'Wir halten ihn für ein abermaliges Experiment mit ungewissem Ausgang.'" +++ Rupert Neudeck schreibt in der Funkkorrespondenz über Gerd Ruges Memoiren: "'Unterwegs. Politische Erinnerungen' ist das Buch eines ganz großen Reporters, der es nicht nötig hatte, mit irgendetwas anzugeben, und der stets ein bescheidener Mensch blieb. Er gehört du den integersten Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die man sich vorstellen kann." +++
Der Altpapierkorb füllt sich Montag wieder.