Im Dickdarm

Im Dickdarm

Edward Snowden auf einem T-Shirt, mit seinen multiplen Folgen aber auch auf allen anderen medialen Kanälen. Außerdem: "dummdreiste Chuzpe" bei einer Qualitätszeitung, ein "deutsches 'Breaking Bad'" und andere Herzensbrecher im ZDF.

Das "merkwürdige Missverhältnis", das "bisher zwischen der Aufregung in Medien und Expertenkreisen einerseits und der relativen Zurückhaltung der meisten deutschen Parteien andererseits" herrschte (Lenz Jacobsen bei zeit.de) und das natürlich die Snowden-Prism-Sache betrifft, löst sich langsam auf.

Das heißt, während Edward Snowden immerhin zur Ikone (bild.de-Story, die im durchklickbaren Kleingedruckten auch frischen Stoff für Ernst-Elitz-Gegner bietet; aber auch ehrenwertes Campact-T-Shirt; hier lässt sich der Campact-Appell pro Snowden online unterschreiben) wird, nähern sich die relative Aufregung und die relative Zurückhaltung aneinander an.

Und während in den Berichten aus dem Bundestag beziehungsweise aus seinem Parlamentarischen Kontrollgremium das gute alte, bekanntlich kontinuierlich kriselnde Medium Zeitung Auftrieb bekommt (nur aus ihm will schließlich der Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen, ein kluger Kopf gewiss, von "Prism" erfahren haben will, vgl. FAZ, S. 2), haben kurz vor Sommerpausen-Saison auch die ARD-Talkshows die aktuelle Brisanz des Themas doch noch entdeckt.

"Deutschland bespitzeln, Snowden verfolgen - sind diese Amerikaner noch unsere Freunde?", lautete der Titel der gestrigen Anne-Will-Show. Unter anderem gastierte mit Andrew B. Denison ein Amerikaner, der wie aus einem Bilderbuch amerikaskeptischer Klischees entsprungen auftrat. In Sätzen wie "Amerika wird heute und in Zukunft alle Datenströme, die über seine Grenzen fließen, vollständig speichern" appellierte er bemerkenswert flammend ans Publikum, zumindest alle Googlemail-Accounts rasch zu löschen. Schon daher eine ziemlich gelungene Sendung, fand ich bei handelsblatt.com. Weitere Kritiken gibt's bei etwa faz.net und welt.de.

[+++] Große Meinungsvielfalt herrscht bei der Kommentierung der diplomatisch ziemlich beispiellosen und spektakulär mysteriösen Zwangslandung des bolivianischen Präsidentenflugzeugs in Wien.

Dazu steht in der Süddeutschen ein Kommentar, der manche SZ-Leser erstaunen könnte (oder in dem man zumindest gern auch einen Satz über Bradley Manning lesen würden). Stefan Kornelius endet mit den Worten "Snowden gehört nicht nach Moskau oder Bolivien, sondern vor ein Gericht in den USA", wobei er zwischendurch immerhin konstatiert, "so wenig er ein Fall für einen (deutschen) Asylrichter ist, so wenig dürfen hysterische Regierungen einen Regierungsjet zur Landung zwingen". Ein Kommentar Johannes Kuhns zum selben Thema, der in deutlichen Worten vermutlich "vorauseilendem Gehorsam" ausgereichnet der "drei einst größten Kolonialmächte des europäischen Kontinents" gegenüber den USA kritisiert, kam nicht ins gedruckte Blatt, steht bei sueddeutsche.de aber frei online. Die TAZ verwendet die überstrapazierte Spionagethriller-Metapher halbwegs produktiv ("Man würde das Buch an dieser Stelle entnervt zuklappen", wäre es einer...).

Doch so ein außenpolitische Thema ist natürlich auch bei weitem Medienbegriff kaum noch eines für Medienmedien (obwohl das meinungsfrohe Twittern authentischer Staatsoberhäupter wie Cristina Kirchner sicher noch mal eines wird). Bloß eine Einschätzung noch hier: "SO SEHR steckt Europa im Dickdarm der USA fest!", bloggte in gewohnter Prägnanz und Kürze Fefe in seinem Blog.

[+++] Und eben dem begegnet man unter seinem bürgerlichen Namen Felix von Leitner sowie der Berufsbezeichnung "IT-Sicherheitsexperte" heute auch vorn auf dem FAZ-Feuilleton, für das Michael Hanfeld ihn interviewte (jetzt auch frei online). Er wird als "einer der einflussreichsten Blogger" vorgestellt, der "sagt, dass im Prinzip alle alles überwachen können. Was kann der einzelne Nutzer in seiner täglichen Kommunikation dagegen tun?", so lautet der Vorspann.

Was Fefe dann so sagt, klingt angemessen nutzwertig, zumindest für alle, die keine Whistleblower sind ("Die Lösung ist, gewisse Dinge einfach gar nicht erst preiszugeben"). Er weist daraufhin, dass "auch bei uns ... die Polizei Mail-Anbieter zur Herausgabe verpflichten" kann. Und die lange Form des Feuilletoninterviews hilft gewiss beim Zusammenführen der eingangs erwähnten, jeweils relativen Aufregung und Zurückhaltung ("Am Ende hilft natürlich jede Verschlüsselung der Welt nichts, wenn man seine persönlichen Daten auf Facebook, Twitter und anderen veröffentlicht...")

Spannender aber, wenn er seinem im Blog prominent erwähnten Faible für "schöne Verschwörungslinks" folgt und das Feld der nationalen, idealerweise kontinentalen Souveränitäten streift, das durch die Ausspähprogramme und die Kollateralaspekte reanimiert wird:

"Wir wissen, dass nach dem Krieg Deutschland in wesentlichen Aspekten kein souveräner Staat war und dass sich die Alliierten weitgehende Rechte vorbehalten haben. Erst in den letzten Jahren wird langsam bekannt, in welchem Umfang die Westalliierten die Post der Deutschen mitgelesen haben. Im öffentlichen Diskurs hieß es immer nur, dass die böse DDR die Briefe öffnet und mitliest und verschwinden lässt. Die bis heute geltenden Verträge zwischen Deutschland und den Alliierten sind leider geheim. Man kann nur spekulieren, was da für Verpflichtungen Deutschlands gegenüber den Siegermächten kodifiziert wurden",

sagt Fefe ebenfalls der FAZ.

[+++] Mit der bösen DDR sind wir bei einem der oder sogar dem zentralen Thema des amtierenden Bundespräsidenten angelangt. Insbesondere für sein am Sonntag gesendetes "ZDF-Sommerinterview" ist Joachim Gauck gerade heftig kritisiert worden (siehe Altpapier). Zu Unrecht, meint die SZ-Medienseite: "Tatsächlich hat sich Gauck im Interview mit dem ZDF nur differenziert geäußert", schreibt Stefan Braun und gibt den Snowden betreffenden Interview-Inhalt so wieder:

Es gebe für ihn, Gauck, "zwei Überzeugungen: Wer so etwas öffentlich mache, weil ein Staat oder ein Arbeitgeber das Recht beuge, der handele absolut richtig und hätte jederzeit seine Sympathie. Wer dagegen ohne eine solche Begründung den Vertrauensschutz breche, der begehe schlicht Verrat. Letzteres war nicht auf Snowden gemünzt - und ist doch genau so bewertet worden."

Als einen derer, die massenwirksam verbreiteten, Gauck "habe Snowden 'Hochverrat' vorgeworfen", nennt die SZ übrigens den ZDF-Dauertalker Markus Lanz.

Andererseits, um sich über Gauck lustig zu machen, gibt dasselbe Interview auch weitere Gründe her. "Wir wissen zum Beispiel, dass es nicht so ist wie bei der Stasi und dem KGB, dass es dicke Aktenbände gibt, in denen unsere Gesprächsinhalte alle aufgeschrieben und schön abgeheftet sind. Das ist es nicht", entnahm netzpolitik.org in einem elfsekündigen, offensichtlich nicht manipulierten Originalausschnitt daraus, um Olli-Welke-artig mit der Pointe "Stimmt. Dafür gibt es heute Festplatten!" antworten zu können.

Was macht netzpolitik.org sonst so? Den Lobo, d.h. es vollzieht Sascha Lobos Kunststückchen vom Dienstag (siehe Altpapier) nach. Nicht nur wusste man eigentlich schon 1989 über die NSA Bescheid, sondern Hans Leyendecker und Georg Mascolo wussten auch bereits 1996, ebenfalls im Spiegel, von vom Bundesnachrichtendienst angezapften Unterseekabeln. Und die Echelon-Aktivitäten der Amerikaner, von denen insbesondere anno 2001 viele wussten, sind inzwischen ja ein Dauerbrenner aller Diskussionen zum Thema.

Dass einerseits online für mehr oder weniger Menschen so gut wie alles, was die Menschheit jemals gewusst hat und was auf diese oder jede Weise erhalten blieb, abrufbar ist und daher gegenwärtig gewusst werden könnte, dass andererseits auch bei angestrengtestem Überblicksbemühen das tagesaktuelle individuelle Bewusstsein allein aus Kapazitätsgründen jeden neuen Tag noch etwas weiter dahinter zurückbleiben muss - das ist ja auch ein Aspekt dieses Internets, der mitunter untergeht.

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[+++] Oben war von einem Kommentar die Rede, der manche SZ-Leser vielleicht erstaunen könnte. Die Bildunterschriften-Entgleisung auf der Politisches Buch-Seite ebd., die am Montag viele Leser mit Recht verärgert und  gestern Topthema im Altpapier war, zieht weitere Kreise: Das American Jewish Committee "verurteilt eine Karikatur, welche Israel als gehörntes Monster darstellt" bzw. ist sich doch des Umstandes bewusst, dass Ernst Kahls einem ganz anderen Zusammenhang entstammende Karikatur völlig unschuldig ist. Also fordert es "den Deutschen Presserat dazu auf, die Süddeutsche Zeitung für die Kombination von Bild und Bildunterschrift zu rügen."

Wo bereits namentlich gerügt wird, aber auch bedauernd gelobt: bei taz.de. Man müsse "dem Kritiker", der als erster oder am auffälligsten auf das "ansitsemitische Arrangement" aufmerksam machte, Henryk M. Broder also, "leider bis zu einem bestimmten Punkt zustimmen", bedauert dort der Kahl-Kenner Arno Frank. Und rügt:

"Die übliche Frage, ob Satire dies oder jenes denn 'darf', stellt sich hier deshalb nicht, weil die Satire hier dies ebenso wenig wollte wie jenes. Krass bleibt der Kontext und die gedankenlose bis dummdreiste Chuzpe der verantwortlichen Redakteurin."

Damit ist also Franziska Augstein gemeint.


Altpapierkorb

+++ Ein Mann der großen Form wie FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld kann auch mal zwei große Interviews an einem Tag im Blatt haben. Das zweite, noch längere als mit Fefe, führte er für seine Medienseite mit dem ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler. Lesenswert ist es besonders für Fernsehproduzenten, die fürs ZDF arbeiten oder arbeiten wollen ("Fragen Sie doch einmal die Produzenten, wie es aktuell läuft. Die werden sagen: Es gibt eine professionelle, kreative Teamarbeit zwischen uns und dem Sender"), natürlich für Mitglieder der ZDF-Aufsichtsgremien ("...Rosamunde Pilcher gehört trotzdem in unser Programm, dazu stehe ich. Es kommt hier wie auch bei den Vorabendserien darauf an, Traditionen zu wahren und gleichzeitig Neues zu wagen...") und vielleicht noch für Programmzeitschriftenredakteure, die eine Doppelseite mit künftigen ZDF-Attraktionen zusammenstellen müssen ("Bei den Familienserien am Vorabend werden wir jetzt zwei Dinge ausprobieren. Die eine Serie ist eher konventionell - 'Die Herzensbrecher', das Drehbuch stammt von Christian Pfannenschmidt, die andere ausgefallen - 'Die Familiendetektivin', da geht es um Sorgerechtsfragen oder um verschwundene Mütter oder Väter"). Himmlers spektakulärste Aussage hat Hanfeld als Überschrift der Online-Zusammenfassung verwandt. Mehr und Konkreteres als den einen Halbsatz, dass er sich für 2013 u.a. eine "anspruchsvolle Miniserie - 'Breaking Bad' auf Deutsch also" vorgenommen habe, sagt Himmler dazu allerdings nicht. +++

+++ Im Namen der Transparenz hat der WDR erstmals einen Produzentenbericht veröffentlicht (PDF), der bislang nicht publik gemachte Auskünfte über die Ausgaben der Anstalt gibt. Mehr dazu bei dwdl.de. "Die neue Transparenz zeigt indes ein paar Schwachstellen", merkt dwdl.de-Kolumnist Hans Hoff in der Süddeutschen (S. 33) an: "So kann das Auftragsvolumen für 127 unabhängige Firmen in NRW auf durchschnittlich 330.000 Euro heruntergerechnet werden. Allein für die beiden mit dem WDR verbundenen Produktionsfirmen Colonia Media und Tag/Traum stehen neun Millionen Euro im Plan, also theoretisch 4,5 Millionen für jede. 'Das ist eine unakzeptable Wettbewerbsverzerrung, die schleunigst korrigiert werden muss', sagt der Kölner Produzent Gerhard Schmidt. Man kann ihm nur schwer widersprechen." +++

+++ In Zeitungsform ist die TAZ heute eine "homotaz", wie das Editorial erklärt. Das heißt, sie enthält ein großes "Lebensformen"-Ressort, aber keine Medienseite. +++

+++ "Exklusiv-Infos erschöpfen sich bei 'Bild' meist in wenigen Zeilen, deren Kern dann von anderen Nachrichtenagenturen und anderen Medien weitergetragten wird: Kaum Anreiz für Nutzer, dann für das 'Bild'-Original extra ein Abonnent abzuschließen", analysiert Fiete Stegers im NDR-Zapp-Blog und führt die heißen Sylvie-van-der-Vaart-Vertragsinfos, die die nichtzahlende interessierte Öffentlichkeit via dwdl.de erfuhr, als Beispiel an. +++

+++ Außerdem schaute sich die SZ für ihre Medienseite die von Simon Denny kuratierte Ausstellung "The Personal Effects of Kim Dotcom" in Wien an. Fazit: "Der Exil-Deutsche stilisiert sich selbst vor allem auf Twitter geschickt zum zweiten Edward Snowden. Nebenbei tut er alles, um Teil der Popkultur zu werden, die er liebt." +++ Und am Rande schildert Claudia Tieschky, wie der Constantin-Konzern das digitale Radio, für das er die Fußballbundesliga-Rechte ersteigert hat, als "ideale Befeuerungsplattform" für seine Sport 1-Fernsehsendungen à la "Doppelpass" und "Fantalk" sieht. +++

+++ Mehr "Prism"-Stoff: Patrick Breyer, schleswig-holsteinischer Pirat, hat in seinem Blog daten-speicherung.de errechnet und grafisch belegt, dass die "Beteiligungsquote an verfassungswidrigen Gesetzen" bei der SPD mit 78 Prozent höher läge als die der CDU/ CSU (68 Prozent). +++ Eine heiteren Internetauftritt für "Prism" Andrew McCarthy gestaltet, wobei ein Clou darin liegt, dass die aktuellen Presseberichte zum Thema über die Premium-Kollaborateure von Google eingepflegt werden. +++ Und falls jemand für seinen Diskurs frische Stasi-Vergleiche benöigt: Die Zeit bietet sie von Uwe Tellkamp (Vorabmeldung) und Peer Steinbrück (Vorabmeldung). +++

+++ Voll auf Fernsehen, das große Namen oder Namen, die groß genannt zu werden verdienen, gestaltet haben, setzt der Tagesspiegel. Erstens lobt Joachim Huber differenziert ("Erklärung? Verklärung? Die Wahrheit liegt zwischen diesen Polen...") "George" mit George. +++ Zweitens lobt Kurt Sagatz die Jean Reno-Serie auf Sat.1 nicht. +++ Drittens jedoch lobt Thomas Gehringer ein "kleines Meisterwerk" des Regisseurs Johannes Naber. +++

+++ N24 hat Stärken? Jawohl, "im Infotainment" liegen sie, meint Jan Freitag (BLZ), bloß "das Grundübel privater Anbieter" würde die Stärke wiederum schwächen: "Die private Nachrichtenkanalforschung kümmert sich einzig um die Chancen und nie um die Folgen." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

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