Thomas Rabe kennt keine Notlügen und bei Bertelsmann läuft's. Bei Joachim Gauck ist die Freiheit wohl Lebensthema gewesen. Dafür aktualisieren die jüngsten News zur staatlichen Überwachung Bücher aus der letzten Zeit: Schirrmachers Bestseller und Assanges Gesprächsrunde. Außerdem eine hübsche Kritik am Geschwurbel des Feuilletons.
Die letzten Herbst angekündigte Superfusion (AP von dereinst) ist nun Wirklichkeit geworden. Bertelsmanns Random House heißt jetzt mit Pearsons Penguin Random House. Thomas Rabe, der Chef in Gütersloh, strotzt im SZ-Interview mit Caspar Busse (Wirtschaftsteil, S. 19 – hier ein Resümee by Handelsblatt) vor Zielen und Zahlen:
"Wir haben uns im Durchschnitt ein Umsatzwachstum von fünf bis sieben Prozent pro Jahr vorgenommen. Nächstes Jahr wollen wir einen Umsatz von etwa 18 Milliarden Euro erreichen, und dann sind die 20 Milliarden auch nicht mehr weit. Und das bei steigender Profitabilität."
Man fragt sich als Pupsie Müller da schon, ob solche Zahlen (1,3 Milliarden aus RTL-Aktien hier und so weiter) von Großrechnern wie Rabe tatsächlich erfasst werden oder ob da im Prinzip die gleiche Rechnung abgeht wie auf unserem Einkaufszettel, also ohne die ganzen Nullen – da sehen die Zahlen gleich nicht so bedeutend aus.
Toll am Interview neben all den Zielen und Zusagen –
"Genauso klar! Gruner + Jahr ist ein Kerngeschäft von Bertelsmann und spielt eine wichtige Rolle bei unserer Inhalte-Strategie. Das Unternehmen wird derzeit neu ausgerichtet und die Anfangserfolge sprechen eine klare Sprache: Es geht voran."
– sind aber vor allem die persönlicheren Fragen. Die erste, "Lesen Sie selbst noch Bücher?", kontert Rabe mit einem Buchhandlungsbesuch (der hätte im FAS-Feuilletonfragebogen an Politiker zur kulturellen Praxis vom Wochenende dick angeben können) und Jogilöw'scher Felsenfestigkeit:
"Absolut. Zeitungen und Zeitschriften lese ich zunehmend digital, aber Bücher nach wie vor primär in gedruckter Form."
Und schön ist auch, dass man sich bei dem ganzen Gespräch sicher sein kann, dass Rabe keinen vom Pferd erzählt, wie er am Ende bestätigt:
"Sie sind nicht nur Buch-, auch Musikliebhaber. Die Band, in der Sie als Jugendlicher Bassgitarre spielen, hieß 'White Lie', also Notlüge. Wie oft benutzen Sie im Job Notlügen?
(lacht) Aufrichtigkeit und Transparenz sind wichtig, generell und im Geschäft. Ehrlich gesagt kann ich mich an keine Notlüge erinnern – und erst recht nicht in diesem Interview."
Das sollten ab jetzt alle so machen, dann hätte man es nur noch mit der Wahrheit zu tun.
+++ Dass es schon mit der Wahrhaftigkeit schwierig ist, zeigt Michael Spreng in seinem Post (via Carta). Darin geht es um Joachim Gaucks Klatsche im Heimspiel, wenn diese gewagte Metapher einmal aufgerufen werden kann. Spreng beginnt mit dem mantrösesten Mantra der Gauck-Betextung, das eigentlich titelstiftend für dessen Memoiren sein müsste, wenn er die dummerweise nicht schon geschrieben hätte:
"Freiheit ist das Lebensthema von Joachim Gauck."
Im Folgenden wundert sich Spreng nun, dass Gauck mit Prism, Tempora und all dem Abgespeichere aber nichts anfangen kann im Sinne seines Mantras (etwa im ZDF-Sommerinterview), sondern nur gerührt und zufrieden ist, wenn der Prominente wie der US-Präsident ihn besuchen.
"Die gigantischen Möglichkeiten, im Internet Freiheitsrechte auszuhöhlen, sieht Gauck offenbar nicht. Oder er will sie nicht ansprechen, weil er noch zu sehr von 'Glück, Dankbarkeit und Freude' durchdrungen ist."
Könnte damit zu tun haben, dass Freiheit im Gauck'schen Sinne eigentlich nur die Abwesenheit von DDR meint – deshalb muss Gauck an der Freiheit nicht mehr rumdenken, sondern kann sie als auf Dauer gestellten Erfolg immer nur gerührt beklatschen; die DDR ist ja nicht mehr.
Sigmar Gabriel ist dagegen alarmiert. Vorn drauf auf dem FAZ-Feuilleton (hier ein Teaser) steht unter dem Namen des SPD-Vorsitzenden geschrieben:
"Denn bei 'Big Data' geht es nicht einfach nur um mehr Daten und Zugänge, es geht um eine völlig neue Kultur des Lebens und Wirtschaftens. Statt zusätzlicher Sicherheit, die alles entschuldigen soll, schafft die gegenwärtige Entwicklung Argwohn und Misstrauen."
Da hat jemand seinen Schirrmacher gelesen, könnte man meinen, wenn es nicht so naheliegend wäre. Seinen Schirrmacher ebenfalls gelesen hat Hans Hütt (via Wiesaussieht), und zwar noch mal und zwar in günstigerem Licht als im Frühjahr, da der Bestseller unter gewissem Schlachtenlärm erschien.
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Wolfgang Michal ruft auf Carta dagegen ein anderes Buch in Erinnerung: "Cypherpunks", ein Gespräch zwischen Julian Assange, Andy Müller-Maguhn, Jacob Applebaum und Jérémie Zimmermann, und in der Tat ist es lustig, flotte Rezensionen von vor nicht all zu langer Zeit zu lesen. Bei Ole Reißmann auf SpOn hieß es etwa:
"Vieles davon mag stimmen. Trotzdem liest sich 'Cypherpunks' wie eine Sammlung von kommentierten Nachrichten und geraunten Verschwörungstheorien. Es ist das genaue Gegenteil von Journalismus. Da werden Google und Facebook als verlängerte Arme der US-Geheimdienste dargestellt, ebenso die großen Zahlungsdienstleister wie Visa oder PayPal. Und afrikanische Länder bekommen von China Internet-Infrastruktur hingestellt, China greift dann die Daten ab, 'als neue Währung'."
Nun wäre Wolfgang Michal nicht Wolfgang Michal, also der Dieter Rucht des Internetaktivism, wenn's ihm um nachgeholtetes Kluggescheiße ginge. Es geht vielmehr um die Frage, was das alles für eine Netzbewegung heißt.
"Dieses Gespräch kündete von einer Radikalisierung innerhalb der Netz- und Hacker-Szene, die gewisse Ähnlichkeiten aufweist zur Zerfallsphase der Studentenbewegung."
Hacking goes RAF? Michals Schluss:
"Prism und Tempora könnten sich insofern als Geburtshelfer einer militanten Netzguerilla entpuppen – was letztlich die These bestärkt, dass unkontrollierte Geheimdienste immer genau das hervorbringen, was sie zu bekämpfen vorgeben."
+++ Da käme auf die Medienseite der FAZ einiges zu. Dort ist Heike Hupertz nämlich froh, dass Bad Kleinen gerade in der Abstellkammer verstaut ist und die Tür wieder zugeht, ohne dass einem beim nächsten Öffnen irgendwelche Ungereimtheiten entgegenpurzeln. In der – sagt man dem so? – Nachdrehe eines Cicero-Texts unterscheidet Hupertz auf der FAZ-Medienseite (Seite 35) zwischen den beiden ARD-Dokumentationen zu 20 Jahren GSG 9-Einsatz auf dem traditionsreichen Bahnhof:
"Bad Kleinen ist auch ein Medienskandal. Wenige Bemerkungen zur Rolle der Medien bei der Erzeugung dieser Staatskrise gibt es in 'Zugriff im Tunnel', dem Film von Koch, im Film von Kauth hingegen – gar keine."
Eine sehr schön zu lesende Form der Medienkritik unternimmt Fabian Baumann auf Medienwoche.ch. Er widmet sich gewissen Formen des Feuilleton-Geschwurbels, das – so kann man Baumanns Beispiele systematisieren – dann besonders stark schwurbelt, wenn die Botschaft des Textes dünn ist. Über einen Beitrag Martin Meyers, des Feuilletonchefs der NZZ, heißt es da:
"Sein prätentiöser Schreibstil dient wohl dem einzigen Zweck, unaufmerksame Leser mit angeblicher Gelehrtheit zu beeindrucken und vielleicht auch etwas einzuschüchtern."
Baumannn widmet sich aber auch Moritz von Uslar, dessen ironische Distanz im Stile er nicht übersieht. Dennoch:
"Und: 'Was ist so deutsch am deutschen Maler Georg Baselitz? Natürlich der Existenzialismus'. Aha. Und was ist so französisch am französischen Philosophen Sartre? Natürlich der Existenzialismus. Was ist so russisch am russischen Schriftsteller Dostojewski? Natürlich der Existenzialismus. Was ist so deutsch an diesem Satz des deutschen Journalisten Moritz von Uslar? Natürlich die Inhaltslosigkeit. Einmal mehr hat man das Gefühl, es ginge vor allem darum, ein intellektuelles Schlagwort anzubringen: Dialektik, Existenzialismus, Pseudotachylit."
Das letzte Wort ist ein elegant selbstreferentieller Scherz.
+++ Auch ein Form der Medienkritik: Niklas Frank, der einstige Stern-Reporter und schonungslose Buchautor über das Nazierbe in der eigenen Familie, sagt im Gespräch mit TAZ-Interviewerin Cigdem Akyol zur Politlyrik von Günter Grass: "So ein Dreck, diese wehleidgen Gedichte von Günter Grass. Wir sind ein Volk, das auch nichts kapiert hat. Die Säle, in denen Grass seine beleidigten Leberwurstgedichte vorgelesen hat, waren überfüllt, die Menschen jubelten. Da sind wir wieder die alte Herrennation." Anlass des Gesprächs ist Franks Buch über den Bruder. +++ In seiner Kolumne denkt Rainer Stadler in der NZZ interessant über das - Schweizer - Problem nach, dass Exklusivität bedeutet, dass ein hohes Tier nicht jeder Zeitung ein Interview geben kann: "Quantitative Limiten mögen in ihrer Absolutheit absurd sein, aber nur sie sind in der Praxis relativ einfach zu handhaben. Unter diesem Blickwinkel erscheinen irre Vorgaben ('nur fünf Fragen') durchaus rational. Letztlich rennen alle Akteure im selben Hamsterrad. Die PR-Leute, durch welche sich der 'BZ'-Chefredaktor gegängelt fühlt, folgen der Logik der Exklusivität, nach der die Journalisten ja selber streben." Die sich anschließende Frage: Ist Exklusivität nicht eine Masche, die sich überlebt hat? +++ Ebenfalls in der NZZ - neue Turns in Sachen LSR: "Die Interessenvertreter der Presse haben nämlich ihre Meinung nicht wirklich geändert. Sie wollen ihr Ziel nur über einen andern Weg erreichen – nicht mehr direkt über die Einführung eines Leistungsschutzrechts, sondern über die Revision des Urheberrechts. 'Unter dem Strich läuft es auf dasselbe hinaus', sagte Urs F. Meyer, Geschäftsführer des Verbands Schweizer Medien, am Freitag auf Anfrage." +++ Der Journalismus in Myanmar hat andere Sorgen: "Es gebe in Burma bis anhin bloss einen Bachelor-Studiengang für Journalismus, und der habe zudem einen schlechten Ruf." (NZZ) +++
+++ Sascha Pallenberg vs. AdBlock geht weiter, und in Sachen Stil hätte Fabian Baumann hier wenig anzumerken: Pallenbergs lange Replik (die auch Meedia.de nur so halb resümiert) beginnt mit: "Man kann sich ebenfalls ueber meine rotzige Art und Weise aufregen, nur werde ich diese dadurch sicherlicht nicht ablegen. Ich bevorzuge als Kind des Ruhrgebiets eine ehrliche und direkte Art. Wattebausch-Jongleure und “um den heissen Brei”-Redner haben bei mir einen ganz schlechten Stand. Insbesondere dann, wenn es darum geht einen Gatekeeper wie Adblock Plus zu offenbaren!"+++ Silke Burmester in der TAZ dagegen mit Erfolgsmeldungen von der AdFront: "Das Magazin, das laut Fernsehkatholik Matthias Matussek von 300 testosterongesteuerten Bullen gemacht wird, der Spiegel nämlich, schaltet in der aktuellen Ausgabe eine ganzseitige Anzeige von Dr. Wolff. Die zeigt das Buch 'Shades of Grey' und einer Tube Muschiflutsch und ist eigenartigerweise mit 'Das Geheimnis zweier Frauenbestseller' überschrieben. Drunter steht: 'Wer das Tabu bricht, gewinnt.'" +++
+++ Joachim Huber präsentiert im TSP Zuschauerzahlen von Talksendungen in der Manier Frank-Jürgen Weises: "Weder 'Hart aber fair', 'Menschen bei Maischberger', 'Anne Will' noch das ZDF-Format 'Maybrit Illner' können im ersten Halbjahr 2013 halten, was sie im ersten Halbjahr 2012 an Publikum für sich gewinnen konnten." +++ Bei den Fernsehkritiken wird vor allem Havana Markings Dokumentation "Meisterdiebe im Diamantenfieber" (ARD, 22.45 Uhr) gewürdigt, in den auch Interviews mit den Räubern eingeflossen sind: "Marking beherrscht die Kunst des Differenzierens, was gerade bei diesem Thema gar nicht so selbstverständlich ist. Weder dämonisiert sie die Panther, noch liegt ihr daran, die teilweise brutal agierenden Diamantenräuber zu glamourösen Gentlemen-Gangstern zu stilisieren. Sie ordnet die Taten sachlich und überzeugend in einen sozialhistorischen Kontext ein - und so gelingt ihr auf eindrucksvolle Weise eine außergewöhnliche Verknüpfung von Banden- und Zeitgeschichte." Lobt Sven Sakowitz in der TAZ. +++ Swantje Karich in der FAZ (Seite 35): "Der Dokumentarfilm setzt den 'guten Gangstern' ein Denkmal, zeigt in schnellen Schnitten, mit dramatischer Musik und mit Hilfe kluger Animationen und historischer Filme, wie gerissen, intelligent, präzise die Panther vorgehen. Kritik an den Aktionen, die durchaus nichts mit Kavaliersdelikten zu tun haben, wird in diesem Film kaum geübt." +++ Torsten Wahl in der Berliner (Seite 25): "Da fragt sich der nüchterne Zuschauer noch, ob die Begeisterung der Autorin Havana Marking für ihre Helden ebenso groß wäre, wenn sie sich selbst einmal als Betroffene eines Raubüberfalls auf den Boden hätte werfen müssen." +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.