Ziehen die "Tagesthemen" nach New York um? Der Zeit-Geschäftsführer sorgt für eine sehr spezielle Honorartransparenz. Ein deutsch-griechischer Journalist tritt wegen Rolf Kleine aus der SPD aus. Peer Steinbrücks Tränen werden gedeutet. ERT sendet wieder. Tom Buhrow zitierte jahrelang unerkannt Fontane. Auch katholische Priester haben schöne Töchter. Und der Programmgeschäftsführer von RTL kann Hans Hoff beruhigen.
"Die Tränen lassen nichts gewinnen, wer schaffen will, muss fröhlich sein." Theodor Fontane
Tom Buhrow hat uns in den "Tagesthemen" sieben Jahre lang erstklassiges Hochfeuilleton geboten, und kaum einer hat es gemerkt. Bis zur letzten Sendung. Neben Ralf Mielkes Berliner-Zeitungs-Text über WDR-Neuintendant Buhrows Abschiedsshow steht Theodor Fontanes Gedicht "Trost", aus dem Buhrow am Sonntagabend zitiert hat. Es endet:
"Wechsel ist das Los des Lebens / Und – es kommt ein andrer Tag."
Ja, im Ernst: Das ist von Fontane. Da freut man sich jahrelang darüber, dass Nina Ruges Tom Buhrows Rausschmeißersatz "Morgen ist ein neuer Tag" so schön einfach zu merken ist. Und jetzt kommt raus: Tag für Tag hat Buhrow deutsche Lyrik zitiert; auch der Tagesspiegel erwägt, dass ein Zusammenhang besteht. Somit hat einer der prominentesten öffentlich-rechtlichen Informatoren während der nahezu kompletten Regierungszeit der Brandenburgerin Angela Merkel einen Brandenburger zitiert, immer wieder. Nicht schlecht subversiv.
Personalkram – wer folgt bei den "Tagesthemen"? – steht auch in den Buhrow-Texten, und der gehört da auch hin, denn was beim Mittagessen am Nachbartisch Gesprächsthema ist, kann nicht egal sein. Also bitte sehr, die Berliner Zeitung:
"Zuletzt gab es Gerüchte, der ARD-Korrespondent in New York Thomas Roth könnte zusätzlich zu dieser Aufgabe auch die 'Tagesthemen' moderieren und für seine Einsätze in der Nachrichtensendung aus den USA eingeflogen werden. Das hat die ARD dementiert. Derartige Überlegungen habe es nie gegeben, erklärte eine Sprecherin. Was nicht heißt, dass Roth nicht doch Buhrow-Nachfolger wird, nur auf New York müsste er dann verzichten."
Wir erleben so die wahrscheinlich größte Medienspekulation seit der letzten Jahrhundertspekulation im April. Um es noch spannender zu machen: Wenn man es ganz genau nimmt mit den "Tagesthemen"-Personalspekulationen, wurde mit der dpa-Meldung, Roth fliege auf keinen Fall wöchentlich aus New York ein, um im wöchentlichen Wechsel zu moderieren, keineswegs ausgeschlossen, dass die "Tagesthemen" nach New York ziehen.
Über Buhrows Abschied schreibt auch die FAZ auf dem Glossenplatz. Seine Heiserkeit ist dort Thema und dass die "nichts mit Rührung, sondern mit einer Erkältung zu tun" gehabt habe – und da sind wir dann auch bei Peer Steinbrück, weil, der soll ja auch was mit Emotion gehabt haben. Die beste Interpretation der Medieninterpretationen bietet die taz, die in Tränen nichts Aussagekräftiges entdecken will:
"[Schön] wäre es, wenn wir uns einfach mal daran gewöhnen würden: Es sind alles Menschen, da vorne, und manchmal können sie nicht mehr, und manchmal sind sie traurig. Das adelt sie weder, noch wertet es sie ab. Sie weinen mal, und dann machen sie weiter. Wie wir alle."
####LINKS#### Das ist nun kein Hardcore-Medienjournalisten-Stoff, aber Softcore-Medienjournalisten-Stoff ist es vielleicht doch, insofern, als der Wahlkampf begonnen hat und man das auch schon ein wenig an den medialen und Blog-Agenden spürt. Peer Steinbrück tränt – das mag nichts über ihn aussagen, aber über den öffentlichen und medialen Druck, unter dem er steht, womöglich schon. Beinahe so weit wie Steinbrücks Tränen dürfte gestern noch das Interview der Welt am Sonntag mit der bekannten DJane Marusha verbreitet worden sein. Sie feiert darin zu Angela Merkel ab, als wäre die Kanzlerin eine sternenklare Pacific-Beach-Nacht auf Ecstasy. Sascha Lobo hat das Gespräch recht entsetzt analysiert, als Beispiel für die unpolitische Betrachtung von Politik.
Nebenbei enthält das Interview auch einen Knaller für evangelisch.de-Leser, auch für nicht-protestantische:
Die Welt: "Angela Merkel ist Protestantin."
Marusha: "Ich wusste, dass sie als Pfarrerstochter aufgewachsen ist. Dass sie Protestantin ist, wusste ich nicht."
+++ Und apropos Merkel, apropos unpolitische Betrachtung von Politik: Da fällt uns doch glatt nochmal ein Schwank von der Netzwerk-Recherche-Jahrestagung ein, die am Wochenende in Hamburch stattfand. Irgendjemand, es wird auf der Veranstaltung gewesen sein, die von "politikfreier Berichterstattung kein Fragezeichen" (Untertitel: "Personalisieren, dramatisieren, banalisieren...") handelte, sagte da, also nicht wörtlich, aber sonst ziemlich exakt so: Ey Loide, was Steinbrück so gammelig aussehen lässt, ist nur der Wahlkampf oder wie man das nennt, was stattfindet, bevor der Wahlkampf stattfindet – nicht die Politik. Wir – also gemeint waren wir vom Journalismus – müssen mal wieder mehr auf die Politik gucken, nicht darauf, wie sie verkauft wird.
Der These von der "politikfreien Berichterstattung kein Fragezeichen" wurde widersprochen von Vertretern von Stern und Spiegel, was hiermit ganz wertfrei mitgeteilt sei.
Wie eng Personaltableau und Sachpolitik verzahnt sind oder zumindest sein können, und dass beides nicht zu trennen ist, davon handelt im Subtext ein Blogbeitrag des deutsch-griechischen Journalisten Michalis Pantelouris, der die deutsch-griechischen Beziehungen zu seinem Thema gemacht hat. Er war eben noch SPD-Mitglied und Distriktsvorsitzender von Altona-Altstadt, nun ist er aus seiner Partei ausgetreten. Nicht wegen des Wahlprogramms, zum Beispiel, sondern wegen Rolf Kleine, einem der Autoren eines "Instant-Klassikers des modernen Hetzjournalismus mit dem Titel 'Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen... und die Akropolis gleich mit!'" sei.
"(D)ieser Text ist von Kleine als einem von drei unterzeichnenden Autoren. Er enthält auch den Satz 'Ihr kriegt Kohle. Wir kriegen Korfu.' Dieser Rolf Kleine ist jetzt Sprecher von Peer Steinbrück."
+++ ERT wird nicht ganz geschlossen – das ist die Mediennachricht des Tages. Faz.net: "Das höchste griechische Verwaltungsgericht hat die Schließung des Staatssenders ERT für nichtig erklärt. In einer einstweiligen Verfügung ordnete das Gericht am Montag den Weiterbetrieb des Senders an, bis ein umgebauter öffentlich-rechtlicher Sender geschaffen ist. Die Entscheidung fiel aufgrund eines Eilantrags der Gewerkschaft der ERT-Beschäftigten" +++
+++ Silke Burmester hat ihren "Presse"-Helm bei der Netzwerk-Recherche-Tagung aufgesetzt, um über die Lage des Journalismus zu reden. Die Rede ist jetzt online, und sie endet mit dem Fazit: Die Lage sei "beschissen, aber hoffnungsvoll" +++ Burmesters gestern hier zitiertes taz-Interview mit Zeit-Geschäftsführer Rainer Esser nahm seine Fortsetzung in den Kommentaren. Esser beklagt dort, erstaunlicherweise ohne Argument, Verzerrung und Scheinheiligkeit und macht, nachdem er selbst 70 bis 80 Prozent der eigenen Antworten umgeschrieben haben soll (Newsroom), ohne Rücksprache Burmesters Zeit-Honorare öffentlich – natürlich nur die, die ihm in die These passen, die anderen schiebt sie später selbst nach. Selbst streng autorisieren, dann den Kram anderer leaken – interessanter Stil. Stefan Niggemeier bloggt über Essers Foul +++
+++ DWDL bespricht ein SZ-Interview vom Montag mit Thomas Ebeling von ProSiebenSat.1. Thomas Lückerath nimmt die Strategie auseinander, die Öffentlich-Rechtlichen für einfach alles zu kritisieren, egal, was sie tun: "Vor dem Start von ZDFneo war das sehr schön zu beobachten: Der VPRT rannte Sturm gegen den das 'zweite Zweite'. Der Untergang des Privatfernsehens wurde heraufbeschworen. Als ZDFneo dann deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb, hatten die Privatsender plötzlich kaum noch etwas zu beklagen. Doch diese Phase dauerte nur kurze Zeit an. Flexibel fand man einen neuen Kritikpunkt – den genau umgekehrten. Fürchtete man zuvor zu großen Erfolg, kritisierte man nun den ausbleibenden. Die jungen Sender seien angesichts der geringen Reichweite Gebührenverschwendung, hieß es auf einmal." In Kürze: "Aus den Augen des Privatfernsehens gibt es für ARD und ZDF nur einen schmalen Korridor der Existenz abseits von Experimenten und Erfolgen" +++
+++ Nicht alles besser macht RTL – sagt sogar RTL-Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann zur kleinen RTL-Quoten- und Programmkrise im heutigen SZ-Interview mit Hans Hoff, diesmal auf der Medienseite. Zur Großlage befragt, sagt er den Satz, den alle Manager immer in Interviews hineinautorisieren: "Ich kann Sie beruhigen." Vielleicht sollte ihnen mal jemand sagen, dass Journalisten nicht beunruhigt sind, wenn es ihren Gesprächspartnern nicht so gut geht. Gefragt, ob RTL eine neue Sendung mit Thomas Gottschalk besser könne als die ARD es konnte, antwortet Hoffmann: "Nein, hätten wir uns vorgenommen, eine Sendung mit ihm am Vorabend zu bringen, die bei einem vagen Konzept nach wenigen Minuten schon durch Werbung unterbrochen wird, wären wir an diesem Projekt auch gescheitert" +++
+++ Yanis Varoufakis, Professor für Wirtschaftswissenschaften von der Uni Athen, hat in der FAZ einen Text über den kürzlich geschlossenen griechischen Rundfunk ERT abgeworfen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk "bietet keine Garantie für Pluralismus in Nachrichtensendungen und für kulturelle Vielfalt. Was er uns bietet, ist lediglich die Möglichkeit dazu" +++
+++ Das ARD-ZDF-Videoportal "Germany's Gold" kommt laut W&V nicht in die Gänge und scheitert – womöglich – ganz an kartellrechtlichen Bedenken (auch SZ, taz) +++
+++ Zweimal Ausland: Die FAZ schreibt über die (massen)mediale Berichterstattung in der Türkei über die Proteste gegen den Ministerpräsidenten +++ Der Tagesspiegel über Reporter in den Favelas von Rio +++
+++ Die taz schreibt über die Aufmerksamkeitsspanne von Usern und was Onlinemedien damit dann noch anfangen können +++ Und es gibt wohl ein Interview mit Jan Böhmermann in Zeit Campus über seine neue plitische Show bei ZDFneo; was davon online steht, ist eine längere Ankündigung +++
Das Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.