Auf dem Urlaubs-Flug nach Mallorca ist es passiert. Wobei: Eigentlich wollte Herwig Gründel, damals 19 Jahre jung, gar nicht einsteigen. "Flugangst", erinnert sich der heute 54-jährige Bremer. Er traute sich dann aber doch. Und genau dieser Moment sollte sein Leben von Grund auf verändern. "Ich habe die Crew in der Kabine beobachtet und dachte mir von jetzt auf gleich: Steward, das will ich machen. Glasklar."
Es war nicht die einzige Veränderung, die sein Leben auf den Kopf gestellt hat. Genau genommen fing das mit den heftigen Veränderungen schon ein paar Jahre vorher an. Als Teenager war Herwig Gründel ein zurückgezogener Typ. 125 Kilogramm schwer, auf sein Äußeres gab er nicht viel. Doch dann ein erster Wendepunkt, diesmal in einem Tanzkurs, als 15-Jähriger. "Mit dem ersten Schritt zur Walzermusik hat sich bei mir ein Schalter umgelegt, das war wie ein Weckruf ins Leben."
Herwig Gründel blühte auf, hatte "Bock auf Menschen", nahm ab, fast wie von selbst, wie er erzählt. "Jedes Kilo weniger habe ich gefeiert." Und sein Entschluss stand fest: Raus aus der Isolation, rein ins Leben, Tanzlehrer werden. In der bevorstehenden Fastenzeit zwischen Aschermittwoch (5. März) und Ostern (20. April) wollen es viele Menschen zunächst mit deutlich kleineren Veränderungen probieren: den Alkohol weglassen, keine Zigaretten mehr, weniger Fleisch.
Kleine und große Veränderungen in der Fastenzeit
Auch die Fastenaktion der evangelischen Kirche "7 Wochen Ohne" lädt in dieser Zeit seit 1983 dazu ein, innezuhalten und einen anderen, neuen Blick auf den Alltag zu werfen, aus gewohnten Verhaltensweisen auszusteigen und neue Lebensziele zu finden. In diesem Jahr steht die Aktion unter dem Motto "Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik". Allerdings ist das so eine Sache mit den Veränderungen.
"Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und hält gerne an Vorgehensweisen und Ritualen fest", sagt der Göttinger Psychiater, Neurologe und Angstforscher Borwin Bandelow. Eingefahrene Gleise zu verlassen, das sei schwer. "Das kostet Energie, Gehirnschmalz und Zeit, da scheuen viele Menschen zurück." Bei dem zu bleiben, "was man immer schon gemacht hat", das sei zudem in unserem genetischen Code verankert.
Vom Chef-Stewart zum Bestatter
Bei Herwig Gründel waren es immer wieder Wendepunkte, Klick-Momente, die ihn vor eine neue Perspektive gestellt haben. Auf den Tanzsaal folgte bei ihm die Gastronomie und dann die Lufthansa-Kabine. Der erste Flug führte von Bremen nach London. Bald ging es um die ganze Welt: Rom, Bangalore, Chicago, Bangkok, Tokio. "Jeder Flug war anders, ich mochte diese Vielfalt", erzählt Gründel. "Da oben konnte ich mich austoben. Ich war Kellner, Krankenpfleger, Streitschlichter, alles Mögliche."
Er wäre bis zur Rente geflogen, hätte ihm sein Körper nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zwölf Jahre, nachdem er ins Flugzeug eingestiegen war, bekam er Nasennebenhöhlenentzündungen, die schließlich gar nicht mehr weggingen. Selbst eine Operation half nichts. Gründel wurde flugunfähig und erinnert sich: "Das war wie ein Dolchstoß." Er musste seinen Flugausweis abgeben, der dann routinemäßig zerschnitten und damit ungültig gemacht wurde, in seinem Beisein. "Ich habe so geweint. Das war, als ob mein Herz durchschnitten wurde." Doch beruflich musste es weitergehen. Nur wie? "Ich habe mich innerlich verweigert und keinen Gedanken zugelassen, dass es etwas anderes geben könnte. Ich habe getrauert", erzählt Herwig Gründel.
Veränderungen schrittweise umsetzen
Dann wurde ihm in der Beratung unter anderem eine Umschulung zur Bestattungs-Fachkraft vorgeschlagen. Bestatter? Wirklich? Eben noch über den Wolken, künftig mit den Händen in der Erde? Doch dann fiel ihm auf: Da gab es Parallelen, Dinge, an die er anknüpfen konnte: Wieder ging es um den Menschen. Beraten, Trauernde begleiten, Event-Manager, gelegentlich Konflikte schlichten, Verstorbene versorgen - das konnte er sich gut vorstellen. Mit einem Praktikum näherte er sich langsam an.
"An Bestehendem andocken und Veränderungen Schritt für Schritt umsetzen, das kann helfen", bekräftigt der Psychiater und Neurologe Borwin Bandelow. "Veränderungen haben auch etwas mit der inneren Einstellung zu tun", ergänzt der Wissenschaftler. "Die Überzeugung 'ich kann mich verändern' ist eine gute Voraussetzung für den Erfolg." Nach dem Praktikum war Herwig Gründel überzeugt. "Die 15 Jahre Fliegerei waren eine perfekte Vorbereitung auf das, was ich jetzt mache", so sieht er es.
Gründel ist heute Geschäftsführer eines Bestattungsunternehmens in Bremen, das zu den größten in Deutschland zählt. Er hat erfahren, dass Veränderungen zum Leben dazugehören und gelingen, wenn man sie akzeptiert. Und er hat sich eine Strategie zurechtgelegt, wie er damit umgeht: "Der Blick zurück kann wehtun, der Blick nach vorne kann Angst machen. Am besten auf das Jetzt schauen." Bei ihm sei es irgendwie immer gut geworden. "Anders, aber gut."