"Griechische Verhältnisse"

"Griechische Verhältnisse"

Die FAZ will griechische Verhältnisse bei den Öffentlich-Rechtlichen. Der Staatsfunk – die Deutsche Welle – freut sich über einen "Meilenstein der Medienpolitik". Der Regierungssprecher plaudert. Die SZ misst die Nähe zwischen Ermittlern und Journalisten in der Wulff-Affäre. Jan Josef Liefers kann Ironie, Hannes Jaenicke kann Pünktchen. Und die NSA wusste schon zu Zeiten von "Agentin mit Herz", wo der Chef mit Mitarbeiterinnen nach Dienstschluss zugange ist.

Dass sich jetzt einige Kommentatoren in ihren Texten über ARD und ZDF "griechische Verhältnisse" herbeiwünschen, ist der deutsche Medienwitz an der Geschichte mit der Abschaltung des griechischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks (Altpapier). Schon das gestrige SZ-"Streiflicht", nicht das originellste, das in der langen "Streiflicht"-Geschichte geschrieben wurde, baute auf dieser naheliegendsten aller Pointen auf:

"Sendeschluss. Abgeschaltet wegen zu hoher Kosten. Wäre man Grieche, hätte man bis zum Morgen Sirtaki getanzt."

Heute legt die FAZ auf der Medienseite nach:

"Wenn es so kommt, wie der 'Tagesspiegel' spekuliert, zeigt die ARD einmal mehr, wie weit wir von griechischen Verhältnissen entfernt sind. Dort wird – ohne dass die EU dies verlangt hätte – der öffentliche Rundfunk abgeschaltet, 2700 Leute verlieren ihren Job. Im hiesigen öffentlich-rechtlichen System werden währenddessen die Posten doppelt besetzt."

Es geht dabei übrigens nur um die Besetzung der "Tagesthemen"-Moderationsposition (siehe Altpapierkorb von gestern).

Was ich heute morgen nicht mehr gelesen habe, ist die bei ARD- und ZDF-Systemkritikern beliebte, aber halt trotzdem falsche Gleichsetzung von öffentlich-rechtlichem und staatlichem Rundfunk (wie sie für Griechenland sogar stimmen mag); die taz nennt ERT, den geschlossenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den "einzigen nichtkommerziellen Rundfunk Griechenlands". Gestern gab es diese Gleichsetzung noch, etwa in einem umstürzlerisch klingenden, aber sehr gedankenbequemenKommentar im FAZ-Wirtschaftsteil:

"Hier", also in Deutschland, "haben die öffentlich-rechtlichen Sender finanzielle Dimensionen erreicht, die jeder Beschreibung spotten. Einfach abschalten und kleiner neu starten? Man darf ja mal träumen. Wie gesagt, die Informationsvielfalt und Meinungsfreiheit hängen nicht am Staatsfunk."

Wenn Tilo Jung nochmal Stoff braucht für seine "Jung & Naiv"-Videoreihe, in der er Leute aus Politik und Drumherum interviewt und dabei möglichst alle Basics abhakt: Jemand möge den Unterschied zwischen staatlichen und öffentlich-rechtlichen Sendern erklären. Und vielleicht vorher nochmal den Wikipedia-Eintrag zur Deutschen Welle lesen. Die, also die Deutsche Welle, ist heute Gegenstand einer Meldung: Sie soll in Zukunft "stärker von der Programmvielfalt von ARD, ZDF und Deutschlandradio profitieren" (Newsroom) – über die Haushaltsgebühr finanzierte Programme werden also womöglich in den über Steuern finanzierten Auslandssender eingespeist (allerdings nicht umgekehrt). Von natürlich nichts weniger als einem "Meilenstein in der Medienpolitik Deutschlands" spricht DW-Intendant Erik Bettermann.

+++ Wobei, okay, zwei Dinge gibt es heute, die nochmal klarmachen, woher der ewige "Staatsfunk, Staatsfunk"-Klingelton kommt – von den personellen Verstrickungen, Verquickungen, Hinüberwechslungen usw. Konkret tauchen heute der ehemalige "heute journal"-Moderator Steffen Seibert, der mittlerweile Regierungssprecher ist, und der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender auf, der bekanntlich auf politischen Druck hin abgelöst wurde. Tilo Jung hat für Folge 63 seiner guten, aber auch gut gehypten "Jung & Naiv"-Reihe @regsprecher Seibert besucht. Das Ergebnis sind 21 nicht uninteressante Minuten, in denen Jung Seibert duzt und Seibert Jung siezt, und in denen Seibert erklärt, wie er zu seinem Job kam, was er darin so treibt, und dass Regierungen "vollkommen" unterschiedlich twittern.

Und Brender taucht im Cicero auf: Heute in 100 Tagen ist Bundestagswahl, und für ein Cicero-Sonderheft zur Wahl (an dem ich redaktionell mitgearbeitet habe), hat Christoph Schwennicke mit den ehemaligen Chefredakteuren von ARD und ZDF, Hartmann von der Tann, in Fachkreisen als HVDT bekannt, und Nikolaus Brender, noch einmal die Elefantenrunde vom Abend der Bundestagswahl 2005 angesehen: als Gerhard Schröder, noch als Kanzler, Brender und von der Tann einer Kampagne bezichtigte, Brender den Kanzler nur noch als "Herr Schröder" ansprach und nach der letztlich Frau Merkel, die die Wahl wider Erwarten nur kaum spürbar gewonnen hatte, Kanzlerin wurde. Die Redakteure von Meedia haben sich, ausgefuchst, für ihre Überschrift die damalige Reaktion herausgepickt, die Brender heute seinem Intendanten, Markus Schächter, zuschreibt:

"Schächter hatte damals richtig Schiss. Er kam zu mir, direkt nach der Sendung und sagte: 'Sie dürfen das nicht so groß fahren.'" Anschließend habe er, Brender, seine Kollegen angewiesen, "sofort eine Fassung ins Netz zu stellen".

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+++ Aber lassen wir das dann mit dem Staatsfunk: Edward Snowden, der Prism-Whistleblower, dessen Geschichte eigentlich "ein globales Querschnittsthema" ist, taucht heute auch wieder mit Medienbezügen auf, in der FAZ auch auf der entsprechenden Seite. Nachdem Snowden, von dem die Welt weiß, dass die National Security Agency direkt auf die Server großer Internetunternehmen wie Google zugreifen und Nutzer weltweit überwachen kann, im Gespräch mit der Hongkonger Zeitung South China Morning Post die Enthüllung nachgeschoben hat, dass die NSA Computer in Hongkong und China gehackt habe, geht es in der FAZ um Reaktionen in chinesischen Medien und vor allem Blogs:

"Höhnisch erinnern einige an den hohen Ton, mit dem sich Google in China seinerzeit von jeglicher Staatsüberwachung distanziert habe. 'Die sogenannten universellen Werte sind nur ein Stock, mit dem man andere Leute schlagen kann', schreibt ein Blogger: 'Aber man wagt nicht, damit den eigenen Herrn zu schlagen.' Doch diese Stimmen sind nicht die einzigen. Die chinesischen Liberalen geben nicht klein bei und ziehen aus dem Fall den entgegengesetzten Schluss: 'Wenn die Freiheit herausgefordert wird, dann gibt es in Amerika starke Medien und Freiheitskämpfer wie Snowden, die das kritisieren. Aber in China gibt es das nicht.' So hat der Fall Snowden den schon lange tobenden Kampf zwischen Nationalisten und Universalisten in China auf eine neue Stufe gehoben."

Der taz ist in der Debatte über die Internetüberwachung der eigentlich aus den Nullerjahren stammende Hinweis wichtig, dass nicht "das Internet" das Problem sei:

"Als dieses Land noch geteilt war, hatte die National Security Agency in Westberlin rund 600 Spitzel, Spione und sonstige Zuarbeiter abgestellt. Auch heute ist davon auszugehen, dass die NSA über allzu viele Dinge Bescheid weiß, die nie in einem Mailpostfach lagen und nie via Glasfaserkabel übermittelt worden sind."

Siehe hierzu auch den Spiegel:

"Der US-Geheimdienst hört überall und jeden ab, was Gorbatschow im Politbüro zu sagen hat, welche Aktien Schweizer Bankiers in New York verkaufen wollen, wie die Berliner AL über die Berliner SPD denkt und umgekehrt. Die NSA-Lauscher wissen, was die befreundeten und die feindlichen Dienste einander zu sagen haben, welche Serie die 'Washington Post' plant, wie oft der Chef mit Mitarbeiterinnen nach Dienstschluß zugange ist."

Aus einer Spiegel-Titelgeschichte von 1989.


ALTPAPIERKORB

+++ Die Süddeutsche greift auf der Medienseite in einem langen Text von Mona Botros noch einmal die Wulff-Affäre auf; es geht diesmal um die Nähe von Ermittlern und Journalisten. Es fällt darin mehrfach der Name Hans-Martin Tillacks vom Stern, der den Kontakt zwischen Landeskriminalamt Niedersachsen und einem seiner Informanten vermittelt habe (unter Wahrung des Quellenschutzes, wie Tillack zitiert wird): "Hat Tillack seine Quelle an die Staatsanwaltschaft weitergereicht? 'Ich nannte den Behörden selbstverständlich nicht die Namen meiner Quellen', erklärt der Stern-Reporter. Auch habe ihn die Staatsanwaltschaft zunächst angerufen und nicht er die Ermittler. In dem Telefonat habe er nur zugesagt, seine Quellen zu fragen, 'ob sie sich nach eigener, freier Entscheidung' bei den Ermittlern melden wollten". Und es geht um einen Artikel aus der Bild-Zeitung, die über einen "Vertuschungs-Verdacht" schrieb; ein Verdacht, der die Staatsanwälte "hellhörig" gemacht habe, der sich nicht bestätigt habe, aber seinerzeit auch dadurch in die Welt kam, dass über eine einstweilige Verfügung gegen Bild nicht berichtet wurde +++

+++ Nochmal einstweilige Verfügung, in diesem Fall wurde sie aufgehoben: Der Hessische Rundfunk darf seine Doku "Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon" wieder zeigen +++

+++ Hilmar Klutes gestrige SZ-Kritik an Jan Josef Liefers Syrienreise mit Bild-Zeitungsbegleitung mit dem Ziel, "eine weltbewegende Katastrophe mit kindischen Lösungsvorschlägen zu banalisieren", steht nun online. Wer unbedingt mag, kann sich auch Liefers ironische Reaktion auf Twitter durchlesen +++ Schauspieler Hannes Jaenicke, der regelmäßig die Welt rettet, wird in der FAZ durchgenommen, Anlass ist ein Jaenicke-Buch, das "Die große Volks-Verarsche" heißt, Untertitel: "Wie Industrie und Medien uns zum Narren halten". Hannes Hintermeier schreibt: "Alles, was in diesem Buch steht, ist schon zigmal geschrieben und gesendet worden – aber noch nicht von Hannes Jaenicke. (...) Garniert wird die Zusammenschau unserer Konsum-Misere mit schnippischen Kommentaren à la 'Na dann, Prost' und 'Tja' und sehr vielen, sehr andeutungsvollen drei Pünktchen..." +++

+++ Apropos Twitter: Dass deutsche Journalisten Twittermuffel seien, behauptet irgendjemand, und Meedia berichtet. Netzwertig zweifelt die Studie an, bestätigt ihre Ergebnisse aber trotzdem. Na dann, Prost... +++

+++ Anna Terschüren, die NDR-Mitarbeiterin, die über die "Reform der Rundfunkfinanzierung in Deutschland" promoviert hat (Altpapier) und durch die Medienmedien ging, hat beim NDR gekündigt +++

+++ Im Fernsehen: "Schuld sind immer die anderen" (Arte, 22.40 Uhr), ein "Plädoyer gegen die Forderung, junge Gewalttäter wegzusperren" (TSP; auch FAZ) +++ Und vier Stunden Bee Gees auf Vox (taz) +++ Und warum vier Stunden Bee Gees auf Vox? Der Tagesspiegel hat die Media Perspektiven gelesen, in denen Forschungsergebnisse über Fernsehunterhaltung vorgestellt werden +++

+++ Heute beginnt die Netzwerk-Recherche-Jahrestagung. Und zwar hiermit +++

Das Altpapier gibt es wieder am Montag.

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