Nächste Woche: haarlose Haustiere

Nächste Woche: haarlose Haustiere

Es ist Reinhold-Beckmann-Tag: Er ist Sportrevolutionär, Gitarrist, einst junger Wilder, eine Marke, Geschäftsmann, Salomon, Jesus der ARD, Chuck Norris, und vor allem ist er es leid. In einem großen Interview verkündet er seinen freiwilligen Abgang, bevor andere seinen Abgang verkünden, die am Ende die Freiwilligkeit vergessen würden. Weitere Themen: ProQuote und ContraQuote, Deutschlandradio- und WDR-Intendanz, Bela Réthy, Bild-Paywall-Tag

Große Ereignisse werfen ihre Schatten stets voraus, egal ob es sich um einen Teamworx-Mehrteiler oder um eine Änderung im Programm der ARD handelt: Ende 2014 will wird Reinhold Beckmann mit seiner Talkshow "Beckmann" aufhören, die am Donnerstag spätabends bis nachts ab 22.45 Uhr – oder wie man unter Intendanten sagt: quasi zur besten Sendezeit – läuft.

Darüber kann man so wunderbar viel schreiben, dass man dabei fast vergessen könnte, dass Helmut Schmidt bis dahin bei "Beckmann" hoffentlich noch sehr viele Mentholzigaretten rauchen wird. Ende 2014 geht Pep Guardiola beim FC Bayern München in die entscheidende Phase seiner zweiten Saison, brauchen die ersten Kinder, die während dieses verregneten Mais gezeugt wurden, Betreuungsplätze und endet die Zeit des NDR-Intendanten Lutz Marmor als ARD-Vorsitzender. Womöglich gehört RTL dann zu Rewe und M. DuMont Schauberg ist eine Schraubenfabrik, aber die Betriebsnudelproduzenten der ARD planen schon mal ihr Donnerstagabendprogramm.

Da mit Beckmanns Ankündigung allerdings ein Dauerbrenner der Medienseiten womöglich auf die Zielgeraden biegt, sind größere Wallungen logisch und auch zu rechtfertigen – zumal wenn einer mit der Lebendigkeit des echten Menschen, der nicht jede Äußerung von der Pressestelle seines Senders absegnen lässt, ein wenig eigenes Befinden in die Argumentation einbringt. Reinhold Beckmann sagt im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, er gehe, weil er "nicht Gegenstand eines senderpolitischen Ablass- und Kuhhandels werden" wolle (online eine Zusammenfassung). Das habe er "vor drei Wochen" – der Zeitpunkt ist nicht uninteressant, wir kommen darauf zurück – dem NDR-Intendanten und ARD-Vorsitzenden Marmor und dem Programmdirektor, gleichfalls Beckmann, mitgeteilt.

"Ich bin der Debatten über Sinn und Unsinn der politischen Talkshows in der ARD einfach müde. Das endlose Gequatsche über zu viel Gequatsche. Und das meist nur auf dem Niveau reiner Zahlenberichterstattung, ohne eine inhaltliche Bewertung."

Es geht um die sogenannte Talkschiene, die derzeit bei der ARD mit fünf Sendungen bestückt ist, sonntags bis donnerstags, mit Jauch, Plasberg, Maischberger, Will und Beckmann. Mittlerweile stand vielfach in wirklich jeder Zeitung, dass fünf Talkshows zu viele sind, gerade auch in jeder Zeitung, die sich sonst bestenfalls für den "Tatort" interessiert, weil für deren Chefredaktion jegliche Medienkritik in erster Linie die Gefahr des selbstbeschädigenden Rückstoßes bedeutet. Eine oder zwei der fünf Talks sollen, so war der letzte Stand, weichen. Und nach Beckmann wären für die Entscheidung die folgenden Größen in dieser Reihenfolge maßgeblich: Anstaltszugehörigkeit – Geschlecht der moderierenden Person – Marktanteil.

Natürlich gilt für weite Teile des Gesprächs, ausgenommen den nicht übertrieben knapp ausfallenden Selbstlobmittelteil, was Ulrich Wickert – ebenfalls zitiert an anderer Stelle in der FAS – einmal über ein Gespräch mit dem Gaddafi-Sohn sagte: "Das hätte ich mir vorher denken können." Oder wie Matthias Dell 2010 im Altpapier geschrieben hat: "Das 'Ich' von Reinhold Beckmann sagt nur Sachen, die schon verbrieft sind, weil alle anderen sie schon gesagt haben." Das Besondere ist, dass Beckmann seine Kritik an etwa Marktanteilsgläubigkeit, ARD-Talkinflation und gleichzeitiger -entwertung und Verwechselbarkeit der Formate aus dem Bauch des Tankers heraus anbringt. Das eigentlich Schwachmachende ist nur, dass man das als außergewöhnlich wahrnehmen muss. Entsprechend groß ist die Beachtung des FAS-Interviews in anderen Medien.

Hans Hoff erklärt im Medienseitenaufmacher der Süddeutschen Zeitung (der auch auf der Titelseite angekündigt ist) nochmal die Gesamtlage: 2011 Zukauf von Günther Jauch, dem allerdings keine andere Talksendung weichen musste. Dann 2012 Kritik vom WDR-Rundfunkrat, NDR-Rundfunkrat und schließlich BR-Rundfunkrat.

Zwischendurch gab es noch Kritik von einem "Programmausschuss des Rundfunkrats des Norddeutschen Rundfunks" (Altpapier). Zwei Wegmarken der Kritik, die an einem Tag wie diesem nicht fehlen sollten: "Beckmann" stand für die schlechtesten Quoten der fünf Formate in der Kritik ("Den höchsten Marktanteil erzielt Jauch, den geringsten Beckmann"); beim ARD-Programmbeirat, der in seiner Wirkung aber wohl eher nicht zu überschätzen ist, kam er dafür im Juni 2012 von allen fünf am besten weg. Beckmann steigt da gerne ein:

"Es werden nicht nur zu oft dieselben eingeladen, es werden auch Gäste gesucht, die ganz klar auf Rollen festgelegt sind, die dann erwartbar ihre Pro- und Contra-Positionen vertreten."

Und wenn er doch Recht hat: Eine Talkshow über Feminismus zum Beispiel, in der Heiner Lauterbach sitzt, ist von vornherein zum Verunglücken verurteilt. Zu einer Weinprobe wird ja auch kein trockener Alkoholiker eingeladen, der über jeden Wein nur sagen kann: "Ich muss abraten." Beckmann hat über Jahre den Beweis erbracht, dass man ein Gespräch nicht zwangsläufig durch das Stellen von Fragen in Gang bringt, sondern auch dadurch, dass man die Gästeliste nicht nach Konfrontationspotenziel zusammenstellt.

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Es werden heute weitere Freundlichkeiten an ihn verteilt: Hoffs Seite-Vier-Porträt Beckmanns als Gitarrist, einst junger Wilder im Fernsehen, Fernsehgeschäftsmann und Unterstützer Jugendlicher aus sozial schwachen Stadtteilen in Hamburg zeigt ebenso wie Michael Hanfelds heutige FAZ-Zusammenfassung seines eigenen FAS-Interviews vom Sonntag, in der er Beckmann als Selbermacher, Sportrevolutionär und Marke darstellt und für einige ganz tolle Sendungen lobt (nämlich für jene, für die sich Beckmann gestern selbst lobte), was das Narrativ des Tages ist: Ein Mensch mit Ecken, Kanten und einem Flokati auf den Stimmbändern zeigt dem System seinen nackten Hintern, hurrachen! Er reibt sich sogar an der ZDF-Konkurrenz Markus Lanz ("Zugegeben, er macht das aber auch sehr gut") und ärgert sich über wiederkehrende Talkshowthemen:

"Manche Dinge (...) sind für mich auserzählt: Ich weiß jetzt alles über die Pflegesituation, die Rentenlüge, die Schwächen des Gesundheitssystems und über Helmut Schmidt",

was angesichts seiner letzten Sendung ein ziemlich witziger Einfall ist.

Hanfeld kritisiert in dieser für Systemkritik günstigen Situation die "Simulation gesellschaftlicher Debatten" bei der ARD oder den "Affenzirkus" und "die verblödende Antiaufklärung" von Markus Lanz; Hoff bemerkt eine

"innere Spaltung des Systems. Alle predigen sonntags das saure Qualitätsbrot und saufen dann in der Woche den billigen Quotenwein. Sie reden davon, dass sie etwas tun müssen, und dann tun sie das, was Intendanten bei Konflikten vorzugsweise tun: nichts."

Und er deutet:

"Reinhold Beckmann hat den Intendanten nun vordergründig betrachtet ein Problem abgenommen, was aber trotzdem einer gehörigen Blamage der eigentlich zuständigen Entscheider gleichkommt. Nun wird nämlich noch deutlicher, dass es denen nie um das Programm ging, sondern vor allem darum, die eigenen Pfründe zu sichern. Besitzstandswahrung der öffentlich-rechtlichen Art."

DWDL kommentiert,

"das System ARD [werde] als das entlarvt, was es ist: Ein Debattierclub mit vielen Einzelinteressen, die es aufgrund der Struktur zwangsläufig geben muss. Nun zieht Reinhold Beckmann die Konsequenzen und erspart den ARD-Oberen und uns allen ganz nebenbei weitere lästige Fragen bei Pressekonferenz und Interviews zur Zukunft der Talkshow-Schiene. Die wahren Probleme aber bleiben ungelöst. Sie gehen über das Ende einer einzelnen Sendung weit hinaus."

Beckmanns Spin ist damit alles in allem aufgegangen. Er "klopft sich jetzt auf die Schulter, als sei er ein öffentlich-rechtlicher Chuck Norris, der Unmenschliches leistet", schreibt Daniel Bouhs in der taz.

Wer etwas dagegen hat, ist neben der taz ("kein Verlust") Spiegel Online (bzw. eigentlich die Redaktion des gedruckten Spiegels), wo Beckmanns Darstellung der Abläufe als "Witz" und er als "Jesus der ARD" bezeichnet werden:

"Da gibt der Verlierer den Salomon. Da spielt der Ungeliebte den Versöhner. Einen Tag, bevor auf einer Sondersitzung der Intendanten über das Aus für seine Sendung – und vielleicht für eine weitere – geredet werden sollte, sorgt Beckmann schon einmal dafür, dass er nicht als Opfer, sondern als Handelnder dasteht, nicht als der Knecht der ARD, sondern als ihr König."

Man darf vielleicht annehmen, dass Beckmann und Spiegel im Vorfeld Kontakt hatten, der offensichtlich aber nicht zum Beschluss führte, die Geschichte dort zu drucken; denn der Spiegel berichtet, dass am heutigen Montag in Berlin die Intendanten zusammenkämen, wobei "das Ende für 'Beckmann' beschlossen werden könnte. (...) Beckmann hat zwar auch Fürsprecher unter den Intendanten, doch schwindet offenbar der Rückhalt."

Dass Beckmann seinen freiwilligen Verzicht, den er vor drei Wochen mitgeteilt habe, zufällig gestern platziert hat, glaubt vor diesem Hintergrund kein Mensch. "Erstaunlich ist (...) bei diesem Vorgang nicht zuletzt, wie lange die Info unter Verschluss blieb", findet die taz. Der Berliner Zeitung ist aufgefallen, dass Beckmann vor allem "souverän klingt"; der Tagesspiegel zitiert eine Passage aus einem Beckmann-Interview vom Februar, in dem er sagt, er könne sich vorstellen, "auch mit Mitte 60 noch zu talken", was um 2020 wäre.

"Reinhold Beckmann wirft das Handtuch" ist demnach als Meldung nicht alternativlos. Womöglich lautet die eigentlich saubere Meldung: Beckmann fängt per Beckerhecht ein zu Boden fallendes Handtuch, um es dann selbst über Bande zu werfen. Einmal, im FAS-Interview, spricht er davon, er habe dem Intendanten und dem Programmdirektor seine Entscheidung mitgeteilt, einmal sagt er, er habe ihnen – ist das eine Nachtigall, die da trapst? – einen "Vorschlag" gemacht.

"Dass Reinhold Beckmann sich seinen Rückzug durch Zusagen für andere seiner Aktivitäten hat veredeln lassen, liegt natürlich auf der Hand",

weiß auch Hans Hoff. Und hat dann eine hübsche Assoziation, die wir – geh' zum Teufel, Bescheidenheit – vor drei Wochen 12 Tagen auch schon mal hatten:

"Sollte Tom Buhrow am kommenden Mittwoch zum WDR-Intendanten gewählt werden, würde zum Beispiel bei den Tagesthemen eine schöne Stelle frei."

Das allerdings nicht erst Ende 2014.

Das obige Foto zeigt übrigens absolut anlasslos Dr. Peter Venkman aus "Ghostbusters II", der am Ende seines Nischentalks "The World of the psychic", in der er zwei Propheten zum korrekten Datum des Weltuntergangs befragt hat, die nächste Sendung ankündigt: "Nächste Woche: haarlose Haustiere. Weird!"


ALTPAPIERKORB

+++ Diese Champions-League-Sache vom Samstag ist in vielerlei Hinsicht auch ein Medienthema, heute werden vor allem die Kommentatoren einer Begutachtung unterzogen. Der Tagesspiegel stellt eine gute Frage: "Mehr Wissen um Taktik, mehr Expertise, mehr Flexibilität – die Bundesliga hat in den vergangenen Jahren Trainerfüchse wie Rangnick, Klopp oder Tuchel hervorgebracht. Man fragt sich, warum dasselbe nicht bei den Kommentatoren im Fernsehen passiert" +++ Schöne transkribierte Réthy-Poesie: hier +++

+++ Hätte man vor ein paar Tagen wetten müssen, was heute auf den Medienseiten steht, hätte man auf Bild Onlines Bezahlstrategie tippen können: Axel Springer stellt sie heute vor; nach der Freitagsgeschichte der SZ gibt es heute noch eine taz-Meldung und einen ausführlichen Tagesspiegel-Text: "Es wird ein sogenanntes 'Freemium'-Modell sein, das bedeutet, dass einige Teile von Bild.de weiterhin kostenlos zu lesen sein werden – für andere aber bezahlt werden muss. Zwischen 99 Cent und 14,99 Euro könnten sich die Preise für ein Monatsabo bewegen, je nachdem, ob die Zeitung auf dem Smartphone, dem Tablet-PC oder zusätzlich auch als gedruckte Ausgabe gelesen wird, heißt es aus dem Umfeld des Verlags. Springer will diese Zahlen vorab nicht bestätigen. Auch der Starttermin soll erst heute bekannt gegeben werden". Morgen ist ja auch wieder ein Tag +++

+++ Die FAS schreibt über das Interesse der "ultralibertären Industriellen David und Charles Koch" am Kauf eines US-amerikanischen Zeitungsimperiums, etwa der Los Angeles Times, und die Proteste dagegen +++ Die taz berichtet über Einschüchterungsversuche gegen kritische Medien in Spanien +++

+++ Die WDR-Intendantenwahl ist ein Thema des wöchentlichen Küppersbusch-Interviews der taz: "Ein Kandidat ist Tom Buhrow. Das war's dann endgültig für den "Rotfunk", oder?" – "Das war schon 'ne Schimäre, als ich da war, und das ist 20 Jahre her. War doof, von außen und rechts immer als 'Rotfunk' bepöbelt zu werden und drinnen zu sitzen und zu denken 'Schön wär's'" +++ Auch beim Deutschlandradio wird ein Intendant gewählt, da allerdings ohne größeres Spektakel: "Der Intendant des Deutschlandradios, Willi Steul, stellt sich am 6. Juni zur Wiederwahl. (...) [Sie] gilt als sicher" (Funkkorrespondenz) +++

+++ Interessiert weggelesene Insidereien über den Stern: "Zudem gebe die Chefredaktion neuerdings die Haltung vor, die gegenüber bestimmten Themen – ob optimistisch, kritisch oder betroffen – einzunehmen sei. Jeder Text müsse einen bestimmten "Sound" haben" (Abendblatt) +++

+++ Pro Quote: Annette Bruhns vom Spiegel soll als Vorsitzende wiedergewählt werden (ebd.) +++ ContraQuote: Spiegel-Redakteur Thomas Tuma wirft den "Vereinsmeierinnen" vor, als "Gesinnungspolizei" zu agieren, die "Journalismus auf die "Berichterstattung aufs Geschlecht" verengen würden, "positivistisch-affirmativer Kitsch, letztlich Diskriminierung, nur andersrum" +++

+++ Die SZ hat die Redaktion des gemeinnützigen stiftungsfinanzierten Onlineportals InsideClimate News besucht, deren Reporter "für eine Serie über ein katastrophales und von den Medien kaum beachtetes Leck in einer Pipeline in Michigan" mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurden – sofern man eine physisch nicht vorhandene Redaktion besuchen kann: "'Wir sind wirklich virtuell', sagt Gründer und Herausgeber David Sassoon". Reporter und Redakteure arbeiten in Brooklyn, San Diego, Tel Aviv, Boston, Washington und Los Angeles +++

+++ Die Fernsehkritik des Tages steht auf der Programmseite der FAZ und widmet sich dem Kleinen Fernsehspiel "Sohnemänner" (0.15 Uhr, ZDF), Kritik an der späten Ausstrahlung inklusive ++++

Frisches Altpapier gibt es am Dienstag.

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