Ich muss jetzt abbrechen

Ich muss jetzt abbrechen

Uli Hoeneß als Gesprächsstoff nach zwei Talkshows, mehreren Seite-3s und kurz nach der Mario-Götze-Transfermeldung: Stand der Dinge. Außerdem: Jeff Jarvis trascht über seine Stern-Beratung und überrascht mit Kai-Diekmann-Vergleich. Und ARD und ZDF als Outsourcer ihrer Fähigkeiten

Uli Hoeneß ist ein Medienthema (Altpapier von gestern) aus zwei Gründen. Aus dem einen, recht praktischen, weil damit jetzt Programm gemacht wird, weil Kommunikationsbedarf befriedigt werden will – mit dem "Fall Uli Hoeneß", wie Tagesspiegels Fernsehgucker Matthias Kalle am Anfang seines Texts zur Jauch-Sendung vom Sonntagabend ersma klar macht:

"Es ist, man kann es leider nicht anders ausdrücken, ein Geschenk – schon allein, wie man damit titeln kann: 'Der Fall des Uli Hoeneß'."

Leider kommt man aber auch nicht umhin, Pastor Kalles Gang auf die Kanzel seiner tiefempfundenen Bescheidwisserei als ziemlichen Humbug zu empfinden. Der Text geht nämlich so weiter:

"Mehr geht kaum in der deutschen Medienlandschaft. Günther Jauch profitierte als einer der Ersten von diesem Geschenk, von der Geschichte um die Steuerhinterziehung des Bayern-München-Präsidenten Uli Hoeneß. Denn hätte es die Geschichte im 'Focus' nicht gegeben, dann hätte Günther Jauch am Sonntagabend über folgendes Thema diskutieren lassen: 'Patientenfalle Krankenhaus – unnötige OPs für satte Gewinne?'"

Denn erstens kann man der Forumsseite von Jauchs Sendung lesen, dass es durchaus Leute gibt, die sich für das Gesundheitsthema interessiert hätten. Und zweitens: Welches Denken steht hinter der Vorstellung, mit der – in der Logik der ARD-Talkshows stehenden – Änderung des Themas wäre irgendwas gewonnen? Mit solchem gravitätischem Getue, wie Kalle es hier performt, macht sich Medienkritik lächerlich.

Überhaupt hat man, das aktuelle Über-Ich des Journalismus im Ohr, nicht das Gefühl, dass Tagi-Redakteur und Deadline-Blogger Constantin Seibt einen Text wie dem von Kalle im Sinn hatte, als er TAZ Tipp Nr. 1 für die Zukunft der Zeitung gab:

"Sie darf nicht kleckern: schon gar nicht in Sachen Themen, Ambition und Herz. Bravheit hat in der globalisierten Aufmerksamkeitsbranche keine Chance."

Es geht einem eher jene Aufforderung Seibts durch den Kopf:

"Man muss den trockenen, pseudoobjektiven Imponierstil killen."

Und diesen bräsigen Behauptungsgestus. Zumal es sprachlich bei Kalle manchmal so wirkt, als habe jemand vergessen, die ganzen Wörter wegzuräumen vor dem Schlafengehen und am Morgen spielt das Kind dann damit rum:

"Jauch, der befreit wirkte, weil mal offensichtlich Themen zusammenkamen, in denen er mehr als firm ist (Fußball und Geld), tat gut daran, diese beiden eher selten miteinzubeziehen, um dann lieber umso intensiver mit der großen Entdeckung dieser Talkshow zu sprechen: dem nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD)."

Mehr als firm ist die Firma. Sagen wir. Und "diese beiden" bezieht übrigens nicht auf Fußball und Geld, sondern auf Oliver Pocher und Dieter Kürten, von denen in den beiden Absätzen darüber die Rede war – da noch mit "diese" drauf zeigen zu wollen, übersteigt die Möglichkeiten von Grammatik dann vielleicht doch.

Überdies kann man den Eindruck haben kann, dass der Tagesspiegel entweder am Korrektorat spart oder den Lektor vom Schirrmacher-Verlag eingestellt hat. Anders scheinen Sätze wie dieser auf die Schnelle nicht erklärbar:

"Wobei es sich nicht um Schwarzgeld, sondern um versteuertes Geld handelte, vom der er allerdings nicht die Kapitalertragsteuer entrichtet habe."

Es gibt im Genre der – nicht unproblematischen, weil das Leiden am Geplapper nur verlängernden – Talkshow-Zusammenfassung allerdings auch löbliche Beispiele.

Jens Hungermanns Bericht über Plasberg gestern abend auf Welt-Online protokolliert das Geschehen informativ durch:

"Quintessenz: Ein guter Mensch mit löblicher sozialer Ader – aber was ihn getrieben haben mag? Zockerei? Arroganz? Wer weiß. Drum fand es augenscheinlich nicht nur CSU-Mann Huber 'sehr bedenklich, dass wir hier jetzt ein Psychogramm von Uli Hoeneß erstellen'."

Ein Medienthema ist Hoeneß zum zweiten, weil in den Medien an seinem Image gearbeitet wird. Darum ist es nicht uninteressant, nach möglichen Erzählungen Ausschau zu halten, mit denen Hoeneß' Geschichte am Ende der Ermittlungen fortgeschrieben werden könnte.

Der im Seite-3-Text der SZ zitierte Marcel Reif deutet eine mögliche Richtung an:

"Er sagt: ' Viele von uns haben irgendwann mal begriffen, dass Uli Hoeneß nicht nur ein kapitalistischer Gewaltmensch ist. Sondern eben ein Mensch mit einem sehr großen Herz. Viele von uns müssen nun begreifen, dass auch ein solcher Mensch offenbar Fehler macht.'"

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In der TAZ hat Markus Völker am Ende seines wohl ironisch gemeinten Verteidigungstexts aus Sicht eines irgendwie empfundenen Volksempfindens schon einen Vorschlag, wie sich die Fehlerhaftigkeit wiederum ins Vorbildhafte integrieren ließe:

"Ja, wird er sagen, ich habe gefehlt. Aber ich habe daraus gelernt und werde es nie wieder tun. So ist der Uli nämlich. Immer g'rade heraus. Ein Vorbild."

Wird es aufs Büßen hinauslaufen? Uli Hoeneß irgendwann allein im Canossa des Medienzeitalters, also bei Jauch, Will oder Beckmann? Eigentlich müsste die Aussicht auf diesen Horror die größte Motivation sein, als Prominenter skandalfrei zu leben.

Eine hübsche Kleinigkeit im Zuge der Hoeneß-Berichterstattung: das gestrige Morgeninterview mit Sylvia Schenk, der Sportbeauftragten von Transparency International, im Deutschlandfunk, das dort wissenschaftlich sauber dokumentiert ist zum Nachhören und Nachlesen.

Moderatorin Christiane Kaess fragt mitunter ziemlich merkwürdige Fragen ("Wir wissen noch nicht, wie viel Geld Uli Hoeneß in die Schweiz geschleust hat. Welche Summen sind da vorstellbar?"), weil Schenk ja nicht ermittelnde Staatsanwältin ist, sondern Antikorruptionsaktivistin, und womöglich auch deshalb fällt Schenk irgendwann ein, dass sie noch weitere Termine hat:

"Entschuldigen Sie, ich muss das Interview jetzt abbrechen. Wir hatten nicht abgemacht, dass wir so lange ein Interview machen. Ich habe ein anderes Interview."

Worauf Kaess dann reagiert, wie sie nur reagieren kann:

"Gut! Dann müssen wir an dieser Stelle abbrechen. Ich bedanke mich!"

Zum Glück gibt’s im Radio ja Musik.

Ob die Verkündung des Mario-Götze-Transfers zu den Bayern, die schon mal ganz oben auf der Welt-Seite steht, auch die Musik ist, die den Hoeneß-Fall etwas leiser zu stellen hilft oder "nur" die BVB-Pressekonferenzen vor dem CL-Halbfinale mit Fragen abseits der Aufstellung beschäftigt?


ALTPAPIERKORB

+++ Anderer Medienaufreger dieser Tage: Boston, "Manhunt", Breaking News. Über letztere schreibt Meike Laaff in der TAZ: "Das Chaos der Breaking News ist nicht mehr etwas, woraus Berichterstattung entsteht – es ist die Berichterstattung", analysierte bereits am Mittwoch unter dem Eindruck der Eilmeldungswellen nach dem Bombenanschlag ein Autor auf poynter.org, der Seite eines renommierten Journalisteninstituts." +++ Zu diesem Thema siehe auch: Altpapier-Autor Klaus Raab im Freitag letzter Woche, der in zwei Formen des Umgangs unterscheidet. +++ Das tut heute auch die NZZ. Rainer Stadler gibt in seiner Kolumne praktische Tipps: "Rationale Zeitgenossen, die von einer Katastrophe nicht an Leib und Leben bedroht sind, befolgen diese Regel: eine Viertelstunde aktuelle Informationen, dann abwarten und Tee trinken. Wer hingegen dauernd im News-Hamsterrad hechelt, muss ein Journalist sein oder jemand, der ein langweiliges Leben führt. Er hätte mehr davon, wenn er stattdessen ein richtiges Märchen läse." +++ Und Niklaus Nuspliger schreibt aus New York: "Dennoch wird die Woche nach den Anschlägen nicht als mediale Sternstunde in Erinnerung bleiben. Selten zuvor wurden innert weniger Tage so viele Falschmeldungen, Halbwahrheiten und haltlose Gerüchte in die Welt gesetzt." +++

+++ Einen zweiten Komplex der Reflektion über den medialen Umgang mit dem Anschlag in Boston bildet die SZ auf der ersten Seite des Feuilletons ab (Seite 11). Peter Richter, der Kulturkorrespondent des Blattes in New York, zeigt, was Tschetschenien den USA ist: "Umgekehrt erscheint Tschetschenien bei Remnick oder bei Applebaum vor allem als Antwort auf eine gescheiterte Amerikanisierung – und diese als das eigentliche Problem. Auch die New York Times listet auf, wie viele Männer, die Terroranschläge in den USA ausgeführt oder zumindest geplant hatten, zuvor lange schon scheinbar bestens integriert im Land gelebt hatten. Aus den Zeilen spricht vor allem Erstaunen darüber, dass diese schiere Lebenspraxis sie nicht ganz automatisch zu überzeugten Amerikanern gemacht hat." +++ Und Tim Neshitov referiert Sichtweisen von der anderen Seite der Welt: "Die russische Publizistin Julia Latynina vermutet, die jungen US-Tschetschenen seien dem internationalen Islamismus verfallen, einer entwurzelten, weltweiten Bewegung, die nach dem Ableben des Sozialismus die Aufgabe übernommen habe, ein Paradies auf Erden zu errichten." +++

+++ Wenig erfreulich für den Journalismus in den USA erscheint das Bild, das Sebastian Moll in der Berliner (Seite 25) an den Horizont des krisenhaften Zeitungsgeschäfts malt: Die erzkonservativen Lobbyisten und Tea-Party-Pusher Charles und David Koch wollen offenbar darniederliegende Zeitungen wie die Chicago Tribune und die Los Angeles Times kaufen: "Die Tribune-Insolvenz bietet ihnen nun jedoch eine Gelegenheit, die Medienlandschaft in ihrem Sinn zu beeinflussen." +++ Jeff Jarvis, der bekannte Printzeitungstotsager, war einmal Reporter bei der Tribune, wie man dem ausführlichen Text von Johannes Boie in der SZ entnehmen kann, der den "Meinungsreisenden" (Boie) bei einem Auftritt in Holland beobachtet hat: "Jarvis, Freund des Wandels, wird gerne gebucht von denen, die zeigen wollen, dass auch sie wandlungsfähig sind. Bereit für die Zukunft. Alle, die sagen wollen: Seht her, ich fürchte mich nicht vor dem Umbruch im Mediengeschäft, in der Politik, in der Welt. Ich treffe mich mit seinem größten Advokaten." Das Lustigste ist dann aber der Gossip, den Jarvis über deutsche Medienarbeiter rauslässt, die seine Nähe gesucht haben. Er spricht über die Intensität seiner Stern-Relaunch-Beratung und Kai Diekmann: "Sich mit Diekmann zu treffen, macht aber nicht einmal Jeff Jarvis ungestraft: 'Einer meiner deutschen Freunde, ich sage Ihnen nicht, welcher, sagte, mit Diekmann Umgang zu haben, sei wie mit Roger Ailes rumzuhängen.'" Roger Ailes ist der Chef von Fox News. +++

+++ Aus dem Umstand, dass die Rückkehr von JBK zum ZDF droht, leitet Joachim Huber im Tagesspiegel eine interessante These ab, nämlich die, dass die Öffentlich-Rechtlichen beim Outsourcing von Showproduktionen ihre Kreativität gleich mitabgegeben hätten: "Was die schlauen Senderverantwortlichen nicht bedacht hatten: Sie haben mit jedem Risiko auch jede Kompetenz nach draußen verlagert. Kurz: Läuft die Show, freut sich der Redakteur, läuft die Show nicht, ist er hilflos. Das macht die Pilawas, Günther Jauchs und Markus Lanz’ so mächtig. ... Das deutsche Auftragsfernsehen hat den Auftraggeber entmündigt." +++ Der Tagesspiegel hat die Otto-Brenner-Studie von Fritz Wolf zum Selbstverständnis der Rundfunkgremien gelesen und stellt etwa fest: "Ein wichtiger Kritikpunkt der Studie ist auch die mangelnde Effizienz der Rundfunkräte bei ihrer Aufgabe als Kontrollinstanz. So seien weder der Schleichwerbung-Skandal in der ARD-Serie 'Marienhof' noch der Fall des korrupten HR-Reporters Jürgen Emig oder die unerlaubte Präsentation von Waren bei 'Wetten, dass ..?' von den Kontrolleuren aufgedeckt worden." +++ In der Berliner studiert Ulrike Simon desillusioniert die Zahlen über Politikeranteile an den Gremien: "Nicht einmal der Staatssender Deutsche Welle hat einen höheren Anteil an Politikern in seinen Gremien als das ZDF: 44 Prozent." +++

+++ Interessant ist, was Klaus Vieli in der NZZ über den Weg deutscher Fernsehdreiteiler nach Amerika schreibt: "Der Chicagoer Filmverleiher Music Box hat sich auf sogenannte 'Theatrical Releases' von fremdsprachigen Fernsehfilmen spezialisiert. Gestartet wird jeweils in wenigen Studiokinos in den grössten Städten. Dank diesen Premieren wird in den Zeitungsfeuilletons darüber berichtet, und das kurbelt DVD-Verkäufe, Video auf Abruf und manchmal auch die Kinoauswertung in weiteren Städten und die Ausstrahlung im Kabelfernsehen an." +++

+++ Die FAZ (Seite 31) ist über Presse-Subventionierungsideen aus NRW nach wie vor nicht amused: "Und tatsächlich ist ja eben das die ganz besondere ironische Wendung der Geschichte: Die rot-grüne Landesregierung will der LfM, die keine staatliche, sondern eine staatsferne Einrichtung ist, vorschreiben, Geld für eine Journalismus-Stiftung zu geben, die angeblich staatsfern, aber ganz gewiss vor allem das Prestigeprojekt eines SPD-Medienpolitikers ist." Kritisiert Reiner Burger das Finanzierungsmodell. +++

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