Jon Stewart ist in seiner "Daily Show" nicht zimperlich im Umgang mit CNN, aber deutsche Journalisten sind es laut einer Studie: Journalisten kritisieren ungern Journalisten. In der Kritik heute konkret: Auto-, Nato-, Wulff- und my personal Spiegel-Journalismus. Dazu: der Behördenumgang mit dem Informationsfreiheitsgesetz, der gesetzliche Rahmen für die Einbettung von Youtube-Videos und eine Grimme-Preis-Nachbetrachtung.
Auch das noch: "Deutsche Journalisten sind zimperlich." Dumm, käuflich, ungerecht, arrogant, ignorant, quotengeil, sexistisch, intrigant, schlecht angezogen, oder wie Jan Fleischhauer für seine jüngste SpOn-Kolumne recherchiert hat, links, ideologisch, konformistisch – okay. Aber zimperlich ja wohl wirklich nicht! *Heul*! Oder?
Also, wer sagt sowas? Das Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus der TU Dortmund, das 1682 Journalisten (sz.de) bzw. 1762 Medienmitarbeiter (tagesspiegel.de) bzw. 1762 Journalisten (taz) aus zwölf europäischen Ländern sowie Jordanien und Tunesien befragt hat. Gestern wurde die Studie "Zimperlieschen? Wie deutsche Journalisten mit Kritik umgehen" in Berlin vorgestellt; eine Zusammenfassung zu Studie und Veranstaltung mit u.a. dem presseratkritischen Medienjournalisten Stefan Niggemeier, dem bei Bedarf ein Zitat des eher presseratunkritischen Geschäftsführers des Deutschen Presserat, Lutz Tillmanns, gegengeschnitten werden kann, steht bei Interesse hier. Ein Ergebnis der Studie (TSP.de):
"Nur acht Prozent der 279 befragten deutschen Journalisten (...) gaben an, häufig Kollegen zu kritisieren. [Das Handelsblatt schreibt, statt von acht, von knapp sechs Prozent, die "regelmäßig Kritik an der Arbeit von Kollegen üben".] Mehr als die Hälfte bekommt selbst nur selten Kritik. Deutschland ist damit Schlusslicht im internationalen Vergleich. So kritisieren mehr als 70 Prozent der Schweizer Journalisten häufig Kollegen, in den Niederlanden knapp die Hälfte."
Jeder Medienjournalist, der einmal von beleidigten Kollegen angeschmalt wurde, dass man als Journalist nicht Journalisten kritisieren sollte, kann sich jetzt freuen, dass die eigene Privatempirie endlich auf hübschen Prothesen steht. Um Möglichkeiten der medialen Selbstkontrolle geht es auch noch in der Studie – "Der Einfluss von kritischem Medienjournalismus oder Selbstkontrollmechanismen im Web 2.0" wird darin als nur mäßig eingeschätzt –, ebenso um Transparenz: Der Aussage "Menschen vertrauen eher denjenigen Medien, die eigene Fehler berichtigen und im Zweifel auch Entschuldigungen veröffentlichen" stimmten "vor allem in der Bundesrepublik" Journalisten zu. Wie das in der Praxis zusammengedacht wird – Kritik an Fehlern üben: eher nö; Fehler berichtigen: eher ja? Das wird vielleicht die Studie wissen, die mir im Wortlaut nicht vorliegt.
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Kommen wir zur konkreten Journalistenkritik des Tages: Erstens, die taz berichtet über eine andere Studie, in der es um "die gefährliche Nähe zwischen Journalisten und Eliten aus der Politik" gehe: Der Medienwissenschaftler Uwe Krüger überprüfte die Berichterstattung von vier bekannten deutschen Journalisten "zum Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik von 2002 bis 2010":
"Von den Journalisten Joffe, Frankenberger, Kornelius und Stürmer fand Krüger 83 relevante Artikel. Darin habe er eine Korrelation zwischen ihren Nato- und US-nahen Netzwerken und der Argumentation entdeckt: 'Sie verwendeten unkritisch den ,erweiterten Sicherheitsbegriff' und argumentierten für ein stärkeres militärisches Engagement Deutschlands vor allem in Afghanistan, das von der Nato und den USA gewünscht, von der deutschen Bevölkerung jedoch mehrheitlich abgelehnt wird.'"
Nicht uninteressant: "(G)egenüber der taz weisen sie Krügers Arbeit als unseriös zurück." Das wäre dann ein Fall für die Wissensseiten.
Zweitens, die Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau berichtet über den Prozess gegen den Ex-Pressechef des Autokonzerns Mazda – der vor Gericht erzählt, wie er Autojournalisten gefügig gemacht habe: "Um die Autojournalisten 'angenehm einzustimmen', gebe es laut Danner eine relativ einfache Formel: 'Super Destination, super Hotel, super Service, super Geschenke', zählt der PR-Experte auf." Und das allein ist nicht neu, aber so genau wie in diesem Text bekam man die PR-Methodik und eine tendenziell vorhandene Journalistenbereitschaft, darauf einzusteigen, wohl kaum mal aufgedröselt.
Drittens, die Süddeutsche führt ihre lose medienkritische Reihe zur Wulff-Affäre (die im Januar 2012 begann, die aber auch konkreter sein könnte) heute auf Seite 2 mit einem Gastbeitrag des emeritierten Hannoveraner Politikprofessors Bernhard Blanke fort ("Sündenfall der Mediendemokratie"):
"Das Ergebnis der Affäre bedeutet eine Banalisierung politischer Institutionen und Prozesse auf dem Niveau des Boulevards, dem sich erstmals die übergroße Mehrheit der Öffentlichkeit nicht entziehen konnte. Dass jetzt Selbstkritik in seriösen Presseorganen geübt wird, reicht nicht aus, um die Tiefe des Skandals zu begreifen. Die Bedeutung der Kampagne (und es war eine) gegen den Bundespräsidenten Wulff liegt darin, dass die politischen Medien nicht nur als Informationsvermittler und Mitwirkende in der Politik agierten, sondern sich zu Mitregenten in der politischen Willensbildung aufgeschwungen haben. Bis hin zu ihrer subtilen oder offenen Einflussnahme auf die Ermittlungsbehörden."
+++ Weil Selbstkritik am wirksamsten erschreckenderweise dort ist, wo man sie ausgerechnet an sich selbst übt, kommt hier, auch aus halbaktuellem Anlass, der Bock, den ich selbst im Dezember 2007 geschossen habe, zu bewundern damals weit vorn auf Seite 2 der geschätzten kleinen, viereckigen Tageszeitung, für die ich damals arbeitete:
Überschrift: "Kleber ist der Neue"
Autorenzeile: "Von Klaus Raab"
Text: "Claus Kleber wird neuer Spiegel-Chefredakteur. Der Redaktionsleiter und Moderator des 'heute-journals' im ZDF folgt damit Stefan Aust, dessen Ablösung nach 13 Jahren als Chefredakteur des Hamburger Nachrichtenmagazins Mitte November bekannt geworden war."
Ups. Ja, das war großer Schrott, gezeugt vom Wunsch, beim heißestgelaufenen Medienthema der damaligen Zeit vorne mitzuspielen.
+++ Aber apropos heißes Medienthema und vorne dabei sein: Was gibt es a) Neues zur laufenden Mediendebatte über News- und Exklusivnews-Generierung und -Verbreitung aus Boston (siehe Altpapier von Donnerstag)? Heute vor allem den Colbert Report, der das "Wir wissen nichts, aber sagen einiges" der vielen US-Korrespondenten hübsch zu einem Gesamtbild zusammenschneidet, und noch vor allemer Jon Stewarts Daily Show über CNN ("CNN's exclusive report on an arrest in the Boston Marathon bombing was exclusive because it was completely f**king wrong").
Und b) gibt es Neues von der aktuellen Chefredakteursfindung beim Spiegel? Achtung, Achtung, exklusiv an dieser Stelle vermelden wir hiermit zu diesem Thema: gar nichts. Was gibt es aber Neues von Claus Kleber? Ein Video-Interview gibt es, das im Rahmen einer Sendungskritik der BR-Journalist Richard Gutjahr mit ihm geführt hat. Kleber sagt darin auch ein paar Takte über seine damalige Entscheidung – letztlich gegen den Spiegel und für das ZDF.
+++ Und dann wäre da, da Medienjournalismus ja doch nicht nur Journalistenkritik bedeutet, bevor wir im Altpapierkorb zur Grimme-Nachbetrachtung und zur Internet-Enquete kommen, noch ein Beitrag von Zeit Online hervorzuheben, der von den Widerständen von Behörden gegen die Umsetzung des Informationsfreiheitsgesetz (IFG) handelt:
"Wenn ein IFG-Antrag eines Journalisten vorliegt, sind alle einschlägigen Ausnahmegründe (...) zu prüfen", heißt es demnach etwa in einem internen Protokoll eines Bundesbehörde – um hier nur das Beispiel zu erwähnen, das Journalisten betrifft. "Die Beamten sollen also nach Wegen suchen, um diese Anträge abzulehnen, offenbar steht man vor allem Anfragen von Journalisten skeptisch gegenüber."
+++ Das Einbetten von Youtube-Videos in eine eigene Website könnte illegal sein, berichten SZ und Berliner Zeitung aus dem Bundesgerichtshof, der am 16. Mai entscheiden und unter Umständen den Europäischen Gerichtshof einbinden will. Die Argumentation laut SZ: "Tatsächlich hat der BGH im Jahr 2003 entschieden, dass Verlinkungen grundsätzlich urheberrechtlich unbedenklich sind – weil damit lediglich der Weg zu einem anderswo gespeicherten und allgemein zugänglichen Inhalt gewiesen wird. Die ständige Vernetzung und Verlinkung ist gewissermaßen das Grundprinzip des Internet, so hat das der BGH anerkannt. Andererseits verhehlte der Senatsvorsitzende Joachim Bornkamm nicht, dass Embedding – ein Thema, das ihn seit mehr als 15 Jahren beschäftige – doch etwas anderes sei. Denn mit der Einbettung des Films in die eigene Homepage rufe das Unternehmen den Eindruck hervor, der Werbefilm sei ihr eigenes Produkt" +++
+++ Die Grimme-Preise sind verliehen, und die Funkkorrespondenz bereitet die Ehrungen und die Veranstaltung nach; mit Innenansichten aus den Grimme-Jurys "Information und Kultur", "Unterhaltung" (von Altpapier-Autor René Martens) und "Fiktion" von Katrin Schuster [Update: Verlinkung korrigiert]. Die Kürzung der Preisverleihungsübertragung auf 90 Minuten nimmt Dieter Anschlag – auch er ein Grimme-Juror – zum Anlass, sich über 3sat zu wundern: "Überhaupt ist es verblüffend, dass man sich bei 3sat nicht mehr dazu entschließen kann, ein kulturelles Ereignis, das die Qualität des Fernsehens feiert, zumindest als Aufzeichnung (wenn schon nicht live) in voller Länge zu übertragen. Bekanntlich werden in den öffentlich-rechtlichen Hauptprogrammen als Preisverleihungen getarnte Werbeveranstaltungen für Verlagshäuser, sprich: 'Bambi' (Burda) und 'Die Goldene Kamera' (Springer), ohne mit der Wimper zu zucken live und ungekürzt gezeigt. (Wenigstens in der 3sat-Mediathek ist die diesjährige Grimme-Preisverleihung in voller Länge zu sehen.)" +++
+++ Der Abschlussbericht der Enquetekommission "Internet und digitale Gesellschaft" liegt vor und macht schon eher wenig Wirbel: eine Spalte auf der FAZ-Medienseite, die von einem Erfolg der Kommission schreibt, "gekrönt von der fraktionsübergreifenden Entschlossenheit, die Themen künftig in einem ständigen Ausschuss weiterzuverfolgen", und ein Interview mit dem Sachverständigen Markus Beckedahl bei taz.de sind heute die medialen Höhepunkte. Beckedahl beklagt, dass "als ergebnisoffen (das) galt, was auch die Position der Bundesregierung ist". Neue Töne zur Netzpolitik erkennt die FAZ, etwa in Sachen Anonymität im Netz: "Brigitte Zypries (SPD) machte sich die unter Netzaktivisten verbreitete Position zu eigen, dass Transparenz als berechtigte Forderung an die Politik dem Recht auf Anonymität und Pseudonymität der Nutzer im Netz zur Seite steht". Die SZ schreibt über die Kommission und ihr Treiben und Wollen im Digitalblog: Netzpolitik sei damit nun endgültig im Bundestag angekommen +++
+++ Sonstige Themen in Kürze: "Mona Lisa" feiert 1000 Sendungen (TSP) +++ Ebenfalls der Tagesspiegel legt nochmal zu Digitalkanälen von ARD und ZDF kurz nach +++ Die FAZ widmet der russischen Kritik an "UMUV" ein paar schmale Zeilen +++ Und bringt ein sehr großes Interview mit Chefredakteur Horst von Buttlar und Herausgeber Andreas Petzold über die Zeitschrift Capital: "Der Satz 'Hast du das in 'Capital' gelesen?' soll künftig häufiger fallen." Da darf man gespannt sein +++
+++ Im Auslandsfokus des Medientages: Dänemark. Vier Zeitungen im deutsch-dänischen Grenzgebiet arbeiten künftig enger zusammen und tauschen redaktionelle Inhalte aus (etwa FAZ, taz, SZ). Außerdem geht es im Feuilletonaufmacher der SZ um das dänische Fernsehtalkformat "Blachman", einen "bizarren Beitrag zur Geschlechterdebatte": "Das Sendekonzept sieht so aus: In einem dunklen Studio ohne Publikum sitzen zwei bekleidete Männer auf einem kleinen Sofa. Vor die beiden Männer tritt eine Frau, die ihren Bademantel abstreift und im Spotlight vor ihnen stehen bleibt, splitternackt. Die Frau darf nichts sagen, nur herumstehen. Die beiden Männer reden dann über den Körper, den sie gerade betrachten, sie reden über weibliche Schönheit, Männlichkeit und verwandte Themen" +++ Auf der Medienseite der SZ steht ein Porträt der Schauspielerin Caroline Peters ++++
Das Altpapier gibt es wieder am Montag.