Das innovative Projekt "ZDFkultur" wird eingestellt, und was wird bei "Wetten, dass..?" abgebaut? Nur das Set von Bruno Mars. Reaktionen auf eine nicht alternativlose Sparentscheidung. Dazu heute im Altpapier: Nate Silvers Oscar-Vorhersagen, gemessen am tatsächlichen Ergebnis.
Am Tag vor einer Ausgabe von "Wetten, dass..?" – ausgerechnet, wie wir Sportjournalisten sagen – die Einstellung eines ambitionierten Projekts anzukündigen, das "Kultur" im Namen trägt, war vielleicht nicht so geschickt von ZDF-Intendant Thomas Bellut.
Er werde den Digitalableger ZDFkultur "zur Einstellung" vorschlagen, hatte das ZDF am Freitagvormittag – wir hatten das an dieser Stelle in der entsprechenden Kürze schon – mitgeteilt. (Quelle der Grafik: hier.) Das dürfte zwar niemanden wirklich überrascht haben; Bellut hat schon vor Monaten in einem Interview mit der Zeit angedeutet, dass ZDFkultur von den drei ZDF-Digitalkanälen – ZDFinfo, -kultur und -neo – jener mit der schwächsten Lobby ist, zum Beispiel bei ihm.
Die Nachricht gibt dennoch zu Reaktionen und Deutungen allerhand Anlass. Die naheliegendste Reaktion, bei Twitter am Samstag geteilt von einigen Großen des Kulturjournalismus und Medienbloggens, ist nicht verkehrt, sie ist sogar logisch. Sie ist allerdings populistisch. Zusammenfassen lässt sie sich ungefähr so: Der kleine Nischenkultursender ZDFkultur wird, der Sparzwänge wegen, abgeräumt; das einzige, was bei der ritualisiert weggeglotzen, aber anachronistischen Unterhaltungsshow "Wetten, dass..?" abgebaut wird, ist dagegen "das Set von Bruno Mars": Merkste selbst, Herr Bellut, oder?
Populistisch ist diese Reaktion, weil die geplante Einstellung von ZDFkultur neben der programminhaltlichen weitere Dimensionen hat, medienpolitische wie medienpolitisch-ökonomische. Joachim Huber fasste sie im Tagesspiegel zusammen:
"Intendant Bellut sieht den goldenen Zeitpunkt gekommen, seine schon öfters geflüsterte Ankündigung vom Finale bei ZDFkultur wahr zu machen. Sein Argument nimmt er aus der Aktualität: Die von der Politik geforderte Beitragsstabilität zwinge das ZDF zu Sparmaßnahmen. Bellut geht von der Erwartung aus, dass der neue, umstrittene Rundfunkbeitrag dem Sender nicht mehr als die gewohnten 1,8 Milliarden Euro Gebühren pro Jahr einbringen wird. Das mag, muss aber nicht stimmen. Solch prophezeiten Nullrunden plus die Vorgabe der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, wonach das ZDF bis 2016 im Personalbereich 75 Millionen einsparen muss, spielen Bellut in die Karten: Ich kann doch nichts anders!"
Die Frage ist nicht wirklich, ob Bellut nicht anders könnte. Sound of Sachzwang hin oder her, er könnte natürlich sehr wohl anders; alternativlos ist die Entscheidung nicht. Will man unbedingt einen Digitalableger einstellen, zum Beispiel um Platz zu schaffen für einen gemeinsam mit der ARD bespaßten Jugendkanal, könnte man, statt ZDFkultur, auch ZDFneo zumachen, was Peer Schader, ein Kritiker der Sorte, die fernsieht, bevor sie über Fernsehen schreibt, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung – sehr implizit – empfiehlt (derzeit nicht frei online; siehe für Zusammenfassung auch DWDL): Das Experiment sei gescheitert, schreibt er dort in einem mit zunehmender Länge zunehmend wütenden Text über das ZDFneo-Programm. Er schreibt über eine "schnarchlangweilige Quizshow", "eine unfassbar spießige Wohnungssuchdokusoap, die sich nicht einmal Kabel 1 ins Programm zu nehmen getraut hätte" oder "eine Dokuserie über junge Ärzte, die ZDFneo von der BBC einkaufte, um für die deutsche Adaption alles herauszustreichen, was irgendwie kontrovers hätte sein können". Und kommt dann zum Unterschied zu ZDFkultur:
"[ZDFneo] sollte der Versuch sein, dem müden Mainstream der Privatsender eine öffentlich-rechtliche Alternative entgegenzusetzen, die mutig, abwechslungsreich und intelligent ein junges Publikum unterhält, das seine Interessen im Kommerzfernsehen nur noch selten wiederfindet. Das hat ZDFneo seit seiner Gründung eigentlich nie richtig hinbekommen. Aber es war zu verschmerzen, weil in Mainz kurz darauf ZDF.kultur gegründet wurde, das diesem Idealbild mit mutigen Programminnovationen schon ziemlich nahe kam."
Auch taz.de findet: "ZDFkultur funktionierte bereits als Jugendkanal, auch wenn die Quote kaum messbar war."
Warum also nicht lieber ZDFneo einstellen? Vielleicht weil ZDFneo "der Augapfel des damaligen Programmdirektors Thomas Bellut und seines Nachfolgers Norbert Himmler" ist, wie der Tagesspiegel klärt, und wie auch Schader in einem anderen Text, in seinem Fernsehblog bei ulmen.tv, schreibt:
"Letztlich war ZDF.kultur wohl einfach der Digitalkanal mit der kleinsten Lobby. Programmdirektor Norbert Himmler wird zu keiner Zeit in Betracht gezogen haben, den Sender, den er selbst aufgebaut hat, den Sparmaßnahmen zu opfern: ZDFneo darf bleiben. Dass es ZDFinfo gibt, ist wiederum im Interesse der Chefredaktion, also von Himmlers Kollegen Peter Frey".
Dann ist da noch die Quotenfrage. Bizarr, sie überhaupt zu stellen bei Sendern, die allesamt gerade nicht auf die Erzielung hoher Marktanteile ausgerichtet sind, aber in der Tat sind die Quoten von ZDFkultur (genau wie der Etat: jährlich 18 Millionen) unter den Digitalablegern die niedrigsten. Die oben gezeigte Grafik zeigt allerdings das Verhältnis von Quote und Facebook-Likes, entnommen der Facebook-Seite "Rettet ZDFkultur". Facebook-Likes sind bislang keine Einheit, die jenseits der international sendenden Deutschen Welle zur harten Erfolgsmessung herangezogen wird, aber hier scheint ZDFkultur tatsächlich relativ am besten dazustehen.
Hinzu kommen die vom Tagesspiegel zitierten Vorgaben der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF): Das ZDF muss zwar sparen, aber zunächst nur am Personal. Und für Personalsparungen kommen – wer sich tiefer einlesen will, sei auf das Drei-Kreis-Modell verwiesen – nur Mitarbeiter aus dem sogenannten dritten Kreis infrage, die von allen die wackligsten Verträge haben. Darunter sind die Neuen von den neuen Sendern. Es hätte daher ZDFkultur nicht gerettet, wenn Justin Timberlake nicht zu "Wetten, dass..?" gekommen wäre. Oder wenn das ZDF nicht die teuren Übertragungsrechte für die Champions-League besäße, die es dämlicherweise gekauft hat, obwohl man mit dem Geld mehrere Kulturkanäle betreiben könnte und obwohl auch Sat.1 ohne jeden Qualitätsverlust Fußballspiele zeigen kann.
Insofern ist Schaders zornige These, Intendant Belluts Verweis auf die zu erfüllenden Sparmaßnahmen sei "ziemlicher Humbug, weil sich natürlich viel eher am überproportional gebührengepamperten Hauptprogramm hätte sparen lassen", nicht ganz richtig. Am Personal des Hauptprogramms wird erstens ebenfalls gespart. Zweitens gibt es keine KEF-Vorgabe, konkret am Programm zu sparen – es geht um den Personaletat. Was aber nichts daran ändert, dass Schaders Text bei ulmen.tv der beste ist, der zum Thema erschienen ist. Er schließt:
"Vielleicht waren die Quoten schlechter als bei den anderen Sendern. Aber das ließ sich durch die öffentliche Aufmerksamkeit und die Zustimmung, die der Sender dem ZDF bescherte, locker ausgleichen. Mit der Entscheidung, ZDF.kultur einzustellen, hat sich das Zweite für den Mainstream entschieden. In der aktuellen Debatte um die Rechtfertigung des neuen Gebührenmodells wird das ganz bestimmt nicht hilfreich sein."
Vielleicht sollte man die Aktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen, statt in Quoten, in Zukunft einfach in Grad Verfahrenheit messen – da wäre ein hoher Wert derzeit sicher. Es herrschen gefühlt locker 500 Grad Verfahrenheit.
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Womit wir noch zur nicht unerstaunlichen Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung über das angekündigte Ende von ZDFkultur kommen: Leitartikel und die komplette Medienseite des Samstags waren Reformwünschen für die Öffentlich-Rechtlichen gewidmet, aber die Nachricht des Tages wurde nur online übermittelt. Heute erwähnt sie es in einem Nebensatz der gelangweilten "Wetten, dass..?"-Kritik, während den Meldungsplatz das Engagement Sascha Hehns auf dem "Traumschiff" (drei Jahre, "dann werden wir sehen, wie es weitergeht", so Hehn) einnimmt. Auch ne Möglichkeit, Quotenhörigkeit zu kritisieren.
Was dann die elf schönen und von prominenten Namen unterzeichneten SZ-Reformwünsche * betrifft, die mit der Online-Überschrift "Mutiger, schärfer, radikaler" ganz gut zusammengefasst sind – sehr gut ist etwa die Forderung von Nico Hofmann ("Dresden", "Die Flucht"): "Fernsehen muss verstören." Und morgen dann vielleicht im Sportteil: "Fußball muss schön aussehen", von Giovanni Trapattoni.
* Blast weniger Geld ins System / Kippt die Quote / Seid mutiger bei den Serien / Die Demokratie braucht kein Bollwerk / Das Profil muss schärfer werden / Stoppt den Einfluss der Politik / Fernsehen muss verstören / Werbung muss gestrichen werden / Macht die Nische viel radikaler / Nehmt die Unterhaltung ernst / Legt alle Kosten offen.
+++ Die Oscars sind da! Und wer hat gewonnen? Nate Silver, der die Wahlergebnisse der US-Präsidentschaftswahl in allen US-Bundesstaaten richtig prognostiziert hatte, hat sich auch um die Oscars gekümmert: Er prophezeite einen Oscar für Tommy Lee-Jones (männliche Nebenrolle) und einen für Steven Spielberg (Regie). Zweimal daneben bei insgesamt vier Treffern. Nicht so berühmt. Nate Silver also hat nur ein bisschen gewonnen. Die anderen Gewinner stehen etwa hier oder, im Fließtext, hier; und an dieser Stelle darf wohl nicht fehlen, dass der Bayerische Rundfunk mit Michael Haneke mitjubelt +++ Vielleicht kann das n+1-Mag mit seiner Oscar-Filmschau noch bei der Nachbereitung helfen. Oder eine visualisierte Aufbereitung von Oscar-Reden +++
+++ Über die Zukunft der Frankfurter Rundschau (siehe auch Meedia) schreibt die taz: "In dieser Woche entscheidet sich, ob und wie es mit der insolventen Frankfurter Rundschau (FR) weitergeht - das Schicksal vieler Mitarbeiter ist hingegen schon besiegelt. "Noch im Februar werden die meisten FR-Mitarbeiter voraussichtlich eine Kündigung erhalten", so der Sprecher des Insolvenzverwalters Frank Schmitt" +++ Die sich auch für die Probleme und die Sparvorgänge der BBC interessiert +++
+++ Es gibt weitere Reaktionen auf das angekündigte Ende von ZDFkultur: Es gibt einen vorformulierten Brief, bestimmt zum persönlichen Versand an Thomas Bellut, eine Mahnung des Deutschen Kulturrats und mindestens zwei Facebook-Seiten, neben der erwähnten "Rettet ZDFkultur"-Seite noch diese +++
+++ Die Funkkorrespondenz stellt das Buch "Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben" der Journalistin Charlotte Wiedemann vor: "Die Publikation mit dem Untertitel 'Wie Journalismus unser Weltbild prägt' ist einer der ganz wenigen Versuche, unsere westlich-mediale Sicht der Welt einmal auf einen radikalen Prüfstand zu stellen" +++
+++ Die SZ widmet sich der Bilanz und einer kleinen Preisverleihung der Journalistinnen-Initiative "Pro Quote": "Es gab einen goldenen Hahn, einen ängstlich wirkenden grünen Frosch und einen Hasen, der aussieht, als sei er auf der Flucht. Die letzten beiden waren keine Ehrenpreise." Auf der seit kurzem von einer Frau, Claudia Fromme, geführten SZ-Medienseite wird auch die Kritik an der SZ nicht verschwiegen: "(D)er Frosch? Der ging, auch in Abwesenheit, an Frank Schirrmacher, Herausgeber der FAZ – weil er sich nichts traue. Er habe das Thema im eigenen Blatt totgeschwiegen, obwohl die FAZ eine besonders niedrige Quote aufweise. Fast gleichauf mit der FAZ (8,7 Prozent) sieht Annette Bruhns die Süddeutsche Zeitung (neun Prozent). 'Beide Blätter haben genau zwei Ressortleiterinnen.' Pro Quote habe die Chefs von FAZ und SZ mehrmals zum Dialog aufgefordert – ohne Resonanz" (siehe auch Meedia)+++ Der SZ-Medienaufmacher handelt von lokalen Online-Zeitungen wie den Prenzlauerberg Nachrichten +++
+++ Wie war "Wetten, dass..?"? Offensichtlich schlimm, vielleicht aber auch nicht +++ Dass der Tagesspiegel Markus Lanz allen Ernstes 8,57 Millionen Zuschauer ("persönlicher Tiefstand") vorhält, dürfte auch Teil des Problems sein +++
+++ Gerrit Bartels würdigt im Tagesspiegel die Literatursendung "Druckfrisch", Anlass ist ihr zehnter Geburtstag. Sie selbst hat sich mit vielen Zeitungsanzeigen gratuliert +++
+++ Zweimal Netz- und Lobbyismusthemen: einmal in der Samstags-FAZ, in der Michael Hanfeld zum Leistungsschutzrecht, für das es "düster" aussehe, schreibt: "Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Siegfried Kauder von der CDU, hat verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet – es werde in das Informationsrecht der Internetnutzer eingegriffen, und es gehe den Verlagen schlicht ums Geld". Hanfeld hat auch eine eigene Meinung dazu, und die lautet: Googles PR und Mario Sixtus sind schuld am möglichen Scheitern des Leistungsschutzrechts für Verlage. Ob eine Argumentation automatisch falsch ist, nur weil Google sie auch auf unangenehme Art instrumentalisiert, und ob eine Argumentation automatisch richtig ist, wenn der eigene Arbeitgeber davon profitiert, das lesen wir dann sicher ein andermal auf der FAZ-Medienseite +++ Und einmal im Spiegel, in dem es um die Geldnot der hiesigen sog. Netzbewegung geht: "'Diese Gesetzgebung ist eine historische Chance', sagt [Markus] Beckedahl über die geplante Datenschutzverordnung der Brüsseler Kommission. Er fürchtet nur, dass diese Chance verspielt wird – weil die Internetindustrie es so will" +++
+++ Ausführlicher Text von Richard Gutjahr über "die Datenfänger von Gütersloh": "tl;dr Deutsche Verlage bezeichnen Google und Facebook als Datenkrake. Recherchen von LobbyPlag haben ergeben: Zu den größten Datenkraken zählen die Verlage selbst, die in Berlin und Brüssel Druck ausüben, um auch weiterhin an die Daten – insbesondere von Kindern und Kleinkindern – zu gelangen" +++
+++ Die ZDF-"heute Show" wird von der katholischen Kirche kritisiert, schreibt der Spiegel, für einen Beitrag, den sie wie geplant ausstrahlte +++ Nochmal ZDF: Der Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS) dankt dem ZDF für eine Klarstellung. Schauspieler müssen keine Lizenzgebühren zahlen, wenn sie Szenen in ihren Bewerbungen nutzen. "Der BFFS war alarmiert, nachdem sich die Hinweise zu Anfang des Jahres verdichteten, dass von SchauspielerInnen 500,- € pro angefangener Minute, pro ZDF-Produktion gefordert würden. Die Lizenz sollte zeitlich auf ein Jahr und auf den Raum Deutschland beschränkt sein." Ergebnis nun: "In Zukunft wird das ZDF diese Jahrzehnte alte Bewerbungspraxis nicht wie in der Vergangenheit nur stillschweigend dulden, sondern sogar dafür einen rechtlichen Rahmen setzen" +++
+++ Die New York Times wolle den Boston Globe und dessen Regionalzeitungen verkaufen, schreibt die Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung +++
+++ Und im Fernsehen: der 20.15-Uhr-ZDF-Film ("Schneewittchen muss sterben") missfällt der FAZ ("Taunus-Krimi-Quatsch"), die dafür die Kika-Jugendserie "Wolfblood" (20.10 Uhr) "sehr ansehnlich" findet +++ Sowie "Circus Halligalli", die neue Show mit Joko und Klaas, zu ProSieben gekommen von, genau, ZDFneo (TSP, FAS, Trierischer Volksfreund) +++
Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.