Das beste Stück bedrucktes Papier

Das beste Stück bedrucktes Papier

Ein Drogeriediscounter gegen die GEZ, das mögliche "Selbstplagiat" eines "gewieften" Medienpolitikers, verdrossene Journalisten mal wieder, ein Shitstörmchen der Hengstbissigkeit. Außerdem: eine Groß-WG in Düsseldorf.

"Das beste Stück bedrucktes Papier" versprach gestern abend in der S-Bahn ein guter Verkäufer solchen bedruckten Papiers. Er habe auch schon in Dortmund und Hamburg Obdachlosenzeitungen verkauft, sagte er (auf Nachfrage), und der Straßenfeger sei wirklich gut.

Frei online gibt's aktuelle Straßenfeger-Ausgaben nicht (ältere aber schon; mit dem frei zugänglichen Online-Archiv verfolgt der Straßenfeger die Strategie von Spiegel und Zeit). Der Medien-Artikel aus der aktuellen Nummer, "Hurra - wir haben ab 2013 eine neue GEZ-Gebühr" (S. 13; die gestern verkaufte Ausgabe stammt noch aus dem Dezember, aber Aktualität spielt beim Obdachlosenzeitungs-Vertrieb ja keine Hauptrolle...), ist also einstweilen nicht online verfügbar.

"... Ich denke auch an die Unzahl arbeitsloser Moderatoren, Schauspieler und Sprecher, die eventuell nicht mehr unterkommen würden und ohne Arbeit wären. Die könnten dann den Kitt aus den Fenstern fressen. Nee, das geht nun gar nicht... ",

schreibt Detlef Flister dort in einer kräftigen Polemik zum Thema. Damit hinein in die tagesaktuelle Presse, in deren Medienberichterstattung die neuartige Rundfunkgebühr regelmäßig vorkommt. Heute auf der Titelseite der FAZ, weil jetzt "die zweite Popularklage... gegen den Rundfunkbeitrag beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof" vorliegt. Sie könnte daher populärer werden als die erste (die des Passauer Juristen Ermano Geuer; vgl. Altpapier aus dem August), weil eine sog. starke Marke dahintersteht, die aus dem Werberahmen, insbesondere dem für Medien auf bedrucktem Papier, bekannt ist. Die Drogeriemarktkette Rossmann

"sieht sich durch den neuen Rundfunkbeitrag in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit tangiert und macht einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot geltend (festgehalten in den Artikeln 101 und 118 der Bayerischen Verfassung). Das Unternehmen rechnet damit, dass es statt 39.500 Euro künftig Rundfunkabgaben von rund 200.000 Euro leisten muss. Dies bedeute, so heißt es in der Klageschrift, 'einen Anstieg auf zirka 500 Prozent der gegenwärtigen Kosten'",

berichtet Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite und freut sich im selben Artikel weiter unten:

"Die Branchen, die vom Rundfunkbeitrag massiv betroffen sind, scheinen aufzuwachen."

Über die Summen, die Unternehmen jetzt zahlen müssen, zirkulieren ja eine Menge Zahlen, nicht zuletzt im Handelsblatt, dem Stefan Niggemeier deshalb in seinem Blog Bescheid stieß [ein Text, den ich gestern im Altpapier später nachgetragen hatte]. Es wisse eben wirklich niemand, wieviel Geld "durch das neue Verfahren wirklich eingenommen wird", schreibt Niggemeier also, und das sei auch "politisch so gewollt".

Dass die Medien- und Rundfunkpolitik beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk überhaupt nichts mehr gestalten möchte oder zu können glaubt, sondern sämtliche Veränderungen von vornherein so anlegt, dass Jahre später das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird (das auch der Rossmann-Justiziar bereits im Blick hat), ist jedenfalls ein eklatantes Problem.

[+++] Um den relativ bekanntesten Medienpolitiker der SPD geht es außerdem auf der FAZ-Medienseite, um den nordrhein-westfälischen Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann, dessen Doktorarbeit gerade diskutiert wird (siehe Altpapierkorb gestern).

"Eumann steht im Verdacht, getäuscht zu haben: 2011 soll er an der Technischen Universität Dortmund statt einer neu erarbeiteten Dissertationsschrift in wesentlichen Teilen eine Arbeit eingereicht haben, mit der er schon 1991 an der Universität zu Köln sein Magisterexamen erwarb. Aufgebracht hat diesen Vorwurf der Leipziger Medienhistoriker Arnulf Kutsch. In einer Rezension für die Fachzeitschrift 'Publizistik' lässt Kutsch an der Dissertation kein gutes Haar",

informiert FAZ-Redakteur Reiner Burger recht sachlich. Die Rezensionen aus der Publizistik sind übrigens frei online abrufbar (hier die aus der aktuellen Ausgabe, darunter die Kutschs über Eumanns Werk). Eine interessante Diskussion entwickelt sich unter dem gestern hier verlinkten Artikel des WAZ-Portals derwesten-recherche.org. Unter anderem kommentierte dort der nach eigener Auskunft "an der Entstehung der Dissertation... nicht unwesentlich beteiligte" Professor Ulrich Pätzold pro Eumann:

"Wer nun meint, Marc Jan Eumann habe seine frühere Magisterarbeit als Dissertation eingereicht, irrt gewaltig. ... Da man kein Dieb von sich selbst sein kann, läuft der Vorwurf des Plagiats ins Leere."

Im FAZ-Artikel beginnt die Sachlichkeit leider erst mit dem zweiten Satz, der erste lautet aus irgendeinem nicht näher erläuterten Grund: "Der Sozialdemokrat Marc Jan Eumann gilt in Fachkreisen als einer der klügsten und gewieftesten Medienpolitiker seiner Partei". Gewieft sollten Politiker eigentlich ja sein, "gewiefte" Medienpolitik allerdings ist hierzulande höchstens bei Lobbyisten zu beobachten, aber nicht von Politikern.

[+++] Auf der Medienseite der Süddeutschen gibt es erstens eine der raren guten Nachrichten, was das Geschäft mit bedrucktem Papier betrifft: Die Zeitschrift Impulse aus dem im Schlepptau der FTD untergegangenen Gruner+Jahr-Wirtschaftsgemeinschaftsredaktion bleibt doch bestehen. Der Chefredakteur Nikolaus Förster übernimmt sie, wie seit "mehrstündigen Verhandlungen" gestern abend feststeht, per Management-Buy-out:

"Über den Preis wurde Stillschweigen vereinbart. Nur so viel: Förster und alle Kollegen, die er mitnimmt, verzichten auf ihre Abfindungen - und dafür reduziert sich der Preis."

[+++] Der zweite Artikel der SZ-Medienseite beginnt in seiner Onlineversion mit "Verdruss bei echten Journalisten" -  sowie bei "den Angehörigen der Opfer", denn es geht um einen Aspekt der Morde der neonazistischen NSU. Offenbar neu aufgetaucht ist eine Stellenanzeige aus dem Jahre 2006:

"Gesucht würden 'freiberufliche Mitarbeiter ohne spezielle Vorkenntnisse für Hintergrund-Milieu-Recherche zu der bislang einzigartigen Mordserie an türkischen u. griechischen Mitbürgern'. Fett gedruckt stand da außerdem: 'Gute Bezahlung.' Was die Leser und Bewerber allerdings nicht erfuhren: Hinter der Annonce verbarg sich die Polizei. Und sie suchte gar nicht nach Mitarbeitern, sondern nach den Mördern. Verdeckte Ermittler gaben sich als freie Journalisten aus, die angeblich Helfer für ihre Recherchen benötigten",

berichtet Tanjev Schultz. Der in Journalisten-Dingen ja gern und oft empörte DJV habe sich bereits dahingehend geäußert, dass "Das Ansehen und das Vertrauen in den Journalismus ...Schaden nehmen [könnten], wenn Ermittler sich als mediale Rechercheure ausgäben".

Soll künftig vielleicht eine Kommission entscheiden, welche Berufe zu hoch stehen, um von verdeckten staatlichen Ermittlern als Tarnung verwendet zu werden, und welche nicht? Der Verdruss zumindest der Opferangehörigen und der verbreitete Ärger über die Ermittler haben jedenfalls eher damit zu tun, dass diese anno 2006 wie schon seit Jahren zuvor in nur eine, wie heute bekannt ist, völlig falsche Richtung ermittelten. Immerzu das vermeintliche Ansehen des Journalismus zu betonen, hilft dem Ansehen des Journalismus schon länger kaum mehr (jenseits von Henri-Nannen-Bambi-Verleihungen natürlich).

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[+++] Damit zu einer lebhaften Debatte, die den aktuellen Journalismus in seiner schönsten Hengstbissigkeit zeigt. Es geht um die Investigation der kürzlich herausragenden Nachricht von der Scheidung der Wulffs bzw. darum, wer sie als erster investigiert hatte. meedia.de meint investigiert zu haben, dass am Montag sueddeutsche.de von der um 10.52 Uhr bei bild.de, erschienenen "ausführlichen Geschichte dazu ... - geschrieben von Chefredakteur Kai Diekmann persönlich", abgeschrieben habe:

"Der Bild-Chef, der derzeit in den USA weilt, ist auch in der Ferne dicht dran und war über viele Details der Trennungsgeschichte offenbar sehr gut informiert",

verehrt Stefan Winterbauer dem Springer-Mann, um dann zu enthüllen bzw. "enthüllen", "wie aus Bild-Infos plötzlich SZ-Infos wurden".

Unter diesem meedia-de-Bericht wurde später eine Stellungnahme der stellvertretenden sueddeutsche.de-Chefredakteurin Julia Bönisch angefügt, in der von einer eigenen "Quelle" der SZ für die Wulffs-Scheidung und von einer von dieser Quelle über diese News verhängten "Sperrfrist" die Rede ist; diese Sperrfrist sei nach der bild.de-Vermeldung derselben News dann umgangen worden. Zu dieser Stellungnahme erschien dann noch "ein Meedia-Artikel in eigener Sache", der von "redaktionellem Chaos bei einer eiligen Publizierung der Breaking News, die durch die Republik fegte", radebrecht, sich aber auch den Spaß gestattet, diverse Tweets des sueddeutsche.de-Chefredakteurs Stefan Plöchinger zu verlinken. Dazu erschien dann eine angefasst wirkende Verteidigung Plöchingers, die aber auch Attacke ist ("Wie Meedia seine Geschichte nicht totrecherchieren wollte", "versuchtes Shitstörmchen des Branchendienstes..."). Dazu wiederum setzte meedia.de unter seinen zweiten Text zum Thema einen Nachtrag, der sich über Plöchingers "wortreiche" Äußerungen mokierte - wodurch der auch nicht eben wortkarge meedia.de-Beitrag auf 9.300 Zeichen anschwoll.

Muss man das alles lesen? Wenn man nicht Stefan Winterbauer oder Stefan Plöchinger ist, es also geschrieben hat, nicht unbedingt.
 


Altpapierkorb

+++ Noch 'ne Zahl zur neuen Rundfunkgebühr: "Der neue Rundfunkbeitrag kennt auch Gewinner: Eine Groß-WG in Düsseldorf mit 60 Bewohnern könnte künftig nur einen Beitrag zahlen", lautet (vollständig zitiert) eine Meldung der FAZ, auf der Medienseite ganz unten rechts. +++

+++ "Bingo, schreit der Programmdirektor": Expressionistischer als gewohnt analysiert Joachim Huber im Tagesspiegel aktuelle Einschaltquoten und ihre Programmplätze. Und kommt zum Ergebnis, dass das ZDF sein Politmagazin "Frontal 21" loswerden wollen könnte. +++ Außerdem fragte der Tsp. Daniel Hartwich, RTLs neuen Dschungelcamp-Moderator als Nachfolger des verstorbenen Dirk Bach, ob er denn selber auch mal Insasse des Camps werden könnte. "'Ich wäre mies gelaunt, weil es nichts zu essen gäbe', sagt er..." +++

+++ Das durch posthume Dirk-Bach-Verunglimpfung bekannt gewordene, dann abgeschaltete Portal namens kreuz.net hat unter ziemlich ähnlichem Namen ein Nachfolgeportal gefunden, das derzeit aber auch wieder offline ist. Es berichtet die TAZ (wie zuvor SPON und Süddeutsche). +++

+++ Die Meldung macht die Runde, dass das Wiesenthal-Center seinen Antisemitismusvorwurf gegen Jakob Augstein "differenziert" habe, wobei die DPA-Meldung (z.B. TAZ) doch reichlich knapp für Differenzierung gehalten schein. +++ Andererseits hat sich Henryk M. Broder in der Welt geäußert ("Weder hatte ich Augstein beim SWC 'angezeigt', noch hat sich irgendjemand vom SWC an mich gewandt und gefragt, wen ich auf der Top-Ten-Liste sehen möchte. Das SWC bedient sich aus öffentlichen, jedermann und jederfrau zugänglichen Quellen") und das "argumentative Harakiri" seiner Gegner ziemlich haarklein analysiert. Nur Nils Minkmars Behauptung, Broder sei der "Bud Spencer unter den deutschen Kommentatoren" kommt nicht vor. +++

+++ Die Frage, welche Kriege genau in einer tiefen Vergangenheit stattgefunden haben, könnte man für so wichtig halten wie die, welche Medien vorvorgestern als allererste von der Scheidung eines Ex-Bundespräsidenten informiert gewesen waren. Aber man sollte wegen des Bicholim-Konfliktes, der sieben Jahre lang ausgedacht in der englischsprachigen Wikipedia stand, nicht gegen das Prinzip hämen: "Denn die Wikipedia ist als Mitmach-Enzyklopädie immer nur so gut, wie sie aktive und fähige Autoren hat. Deren Zahl dezimierte sich zuletzt stark - von 56.000 im Jahr 2007 auf gerade einmal 35.000 im vergangenen Jahr in der englischsprachigen Wikipedia" (TAZ). +++

+++ Stets rührend ums bedruckte Papier bemüht: der Tagesspiegel. Aktuell mit einem Überblick über die Philosophiezeitschriften-Szene und online mit einem, weniger begeisterten von Julia Prosinger über sextippshaltigen Frauenzeitschriften. +++

+++ Schließlich die Meldung von einem leuchtenden Vorbild für vielleicht manch Fernsehschaffenden: Ohne Angst, den Kitt aus den Fenstern fressen zu müssen, gibt Helge Schneider seine öffentlich-rechtliche Fernsehshow aus freien Stücken auf, mit den Worten "Ich hab's versucht. Es hat mir Spaß gemacht. Aber es ist nicht mein Ding. Ich gehöre auf die Bühne..." (WDR, Tsp., BLZ). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

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