Kontroverse These: Der Wirtschaftsjournalismus beschäftigt sich zu wenig mit Einrichtungsideen. Frank Schirrmacher macht die Zeitungskrise in der FAS zu seinem ureigenen Thema – mit Neoliberalismus- und Silicon-Valley-Anschluss. Larry Hagman ist gestorben. Bei Welt kompakt gibt es einen Plagiatsfall. Und ein FTD-Kolumnist weckt Vorfreude auf die Zukunft: Vielleicht entdecken wir bald "eine neue Tiefe".
Die ARD-Themenwoche zum Thema Sterben war gerade beendet, da stellte im Rahmen des Sonntaz-"Streits der Woche" ein gewisser Harald Schmidt, 55, der wohl als Moderator bei einem Bezahlsender arbeitet, den Bezug zum anderen Thema der vergangenen Woche her:
"Wir müssen doch alle sterben. Warum nicht auch die Zeitungen?"
Was ein denkbares Schlusswort unter die Zeitungsdebatte über das vermeintliche Ende der Zeitung wäre, ist allerdings keines. Erstens, weil das Ende der FTD endgültig erst am Freitag verkündet wurde und die Zeitung damit noch einiger Nachrufe bedurfte und bedarf; und zweitens, weil die Sonntagszeitungen da noch nicht erschienen waren, die das Thema noch einmal anders denken. Dafür gibt es ja Zeitungen, die erst erscheinen, nachdem ihre Autoren noch ein paar Mal alles überschlafen durften. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung etwa liest Herausgeber Frank Schirrmacher die Zeitungskrise im Kontext des, so heißt es in der Überschrift, "heiligen Versprechens", jeder könne im Rahmen der digitalen Revolution sein eigener Verleger werden (und erinnert so nebenbei daran, was seit einiger Zeit sein ureigenes Thema ist). Es handelt sich um eine insgesamt eher düstere Bestandsaufnahme, in der es darum geht, wie uns das Netz den American Dream einbläut. Schirrmacher kritisiert in diesem Rahmen etwa Wolfgang Blau, den "früheren Chef von 'Zeit Online'" (womit wahrscheinlich der aktuelle Chef von Zeit Online gemeint ist), der "als Wiedergeburt des Neoliberalen" durch die Lande reise:
"Der Markt hat entschieden, sagt der hochangesehene Mann, der ein praktisch weltweit funktionsunfähiges Marktmodell vertritt: Wir müssen damit leben, dass ganze Branchen und Berufe untergehen."
Das und die Ansage, Blaus Zeit Online habe "niemals auch nur eine halbschwarze Zahl" geschrieben, kann man sicher als Reaktion auf die FAZ-Passage in der jüngsten Zeit lesen, in der es hieß, bei der FAZ tue sich "dieses Jahr ein Millionenverlust auf". Aber auf eine Antwort Blaus kann man vielleicht trotzdem hoffen – ich zumindest fände es interessant zu lesen, wo genau sich Content-API (Schirrmacher: "gewiss auch wichtig") und Metadiskurs begegnen, wenn der gemeinsame Hashtag #neoliberal heißt.
Schirrmacher identifiziert zudem die Zeitungskrisenberichterstattung, weit hinten im Text, als er bereits den Bogen zurück zur vorangegangenen Debatte schlägt, von der er sich zwischendurch weit – ins Silicon Valley nämlich – entfernt hatte, als für die Publizistik der Gegenwart geradezu charakteristischen Hype:
"Wenn Zeitungen, die nie Geld verdienten, untergehen, sagt das nichts aus über Zeitungen. Wenn Zeitungen, ob auf Papier oder im Netz, nicht mehr vermisst oder gebraucht werden, sind sie selber schuld. Aber wann wäre das je anders gewesen? Streitet das Land im einundzwanzigsten Jahrhundert ernsthaft über die Frage, ob man Dinge, die man liest, anfassen kann? Streiten wir über das Rascheln, wo doch jeder weiß, dass in einer Welt ohne Papier sofort eine Zeitung mit Papier eine Marktlücke ist? Als wäre das die Frage. Als wäre die Frage nicht viel mehr, ob Journalisten den Hypes widerstehen oder weiterhin die Karikatur einer Branche abgeben wollen, die noch ihre eigene Krise zum Hype macht?"
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+++ Ein wenig mehr Milde erfahren wir auf den Onlineseiten der FTD – ja, die gab es eben doch –, auf denen man seit Sonntagabend eine vergleichsweise geradezu fröhliche Kolumne von Horst von Buttlar findet, dem Agenda-Ressortleiter, der die Diskussionen über das Ende nicht nur seiner, sondern der Zeitung als solcher durch eine optimistische Variante aufhellt:
"Wir neigen dazu, alle Entwicklungen, die uns bewegen oder zu schaffen machen, auf Ewigkeit in ihrer Dynamik fortzuschreiben. Recht oft aber nimmt die Dynamik ab, zu jeder Bewegung gibt es eine Gegenbewegung. Vielleicht rufen wir in zehn Jahren die 'Ära der neuen Tiefe' aus, weil unser Gehirn im Infostream kapituliert hat. (...) Neben dem Infostrom, der der uns rund um die Uhr begleitet, der erhellt, begeistert, nervt, quält, unterhält – der aber nie abreißt und dessen Hierarchisierung oft in Minuten zerfällt –, brauchen wird (sic) die periodische Form der Information. Den Cut, die Zäsur, den Schluss mit der Festlegung, was nun wirklich passiert ist und was wichtig war."
Na ja, eben. Wir müssen alle sterben, vielleicht aber auch nicht.
Die FTD selbst erscheint letztmalig übrigens am 7. Dezember. Seit Freitag wissen das sogar die Beschäftigten aus erster Hand.
"Während die Medien seit Tagen mit Details über das bevorstehende Aus der FTD gefüttert wurden, erfuhren die Mitarbeiter offiziell: nichts. Die schlechte Kommunikation war dann auch eines der zentralen Themen, als die Fragerunde eröffnet wurde. Jäkel, heißt es, habe sich dafür entschuldigt. Aus dem Vorstand seien die Informationen nicht gestreut worden",
hieß es am Samstag in der Süddeutschen Zeitung (und wer mag, kann in der Kritik an der "schlechten Kommunikation" auch lesen, dass nicht die SZ auf dem Gebiet der FTD-Eilmeldungen führend war, sondern, wie vergangene Woche im Altpapier notiert, die FAZ, die als erste von Entschlüssen des Vorstands und des Aufsichtsrats berichtet hat. Julia Jäkel aus dem Gruner+Jahr-Vorstand, selbst zu Gründungszeiten vor zwölf Jahren bei der FTD gewesen, entschuldigte sich am Wochenende im Interview mit dem Hamburger Abendblatt für die Verspätung:
"Dass Kollegen, die hier jahrelang unter nicht immer leichten Bedingungen einen sehr guten Job gemacht haben, von der Einstellung der 'FTD' aus der Presse erfahren haben, tut mir leid. Aber wir sind ein Medienhaus. Hier redet jeder mit jedem. Und in die Entscheidungen waren viele Menschen involviert."
Irgendjemand von diesen vielen hat mehrfach also zuerst mit der FAZ geredet. Am Sonntag erschien im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung dann ein langes Bertelsmann- und schon auch Jäkel-kritisches Porträt von Aufsichtsratsmitglied Angelika Jahr-Stilcken, über das sich die Porträtierte kaum beschweren dürfte, garniert mit dem großen und sehr reibungslosen Foto einer offen lächelnden Frau in einem ins Weinrote gehenden Sessel, der keine Rückenbeschwerden verursacht (Fotocredit: Gruner+Jahr). Womit übrigens nicht die Theorie aufgestellt sein soll, dass die FAZ ihre exklusiven Meldungen von Jahr-Stilcken bekommen hat, so simpel funktioniert die Welt ja dann doch nicht. Es ist nur so, dass der Weg zwischen FTD-Berichterstattungsdetails und deutschem Wirtschaftsjournalismus als solchem genau an diesem Porträt vorbei führte.
Um den letzteren geht es nämlich auch, in weiteren Nachklapps zum FTD-Ende. Andrew Gowers, Gründungschefredakteur der FTD, sagt zum Beispiel im Spiegel-Interview, die FTD habe eine neue Respektlosigkeit, Direktheit und Ironie in die deutsche Wirtschaftspresse eingeführt, die vorher "ein verschnarchter, konservativer Haufen" gewesen sei. Interviews à la "Verehrter Herr Konzernchef, können Sie uns mal in eigenen Worten schildern, warum Sie so toll sind?" habe es in der FTD von Anfang an nicht gegeben.
Und eine etwas... kontroverse These zur Einstellung der FTD kommt von Ursula Weidenfeld, selbst einst bei der Zeitung tätig, und steht im Tagesspiegel:
"Die Menschen in diesem Land (...) haben keine Lust, von beeindruckenden Managern und faszinierenden Unternehmerpersönlichkeiten zu lesen, wenn sie das Gefühl haben, denselben Managern zutiefst misstrauen zu müssen."
Sie macht letztlich die Leser für das Ende der FTD verantwortlich; sie seien wider Erwarten nicht Aktionäre genug gewesen, sich für Aktien zu interessieren. Sie würden lieber Zeitungen und Magazine lesen,
"die sich mit Einrichtungsideen oder der neuen Liebe zum Land befassen. Die Financial Times Deutschland hat nicht gegen die neuen Medien verloren. Sie hat gegen das neue Biedermeier verloren."
Während die FAZ, das Handelsblatt und Brand eins also jetzt grübeln müssen, ob sie auch dieses neue Biedermeier sind, weisen wir darauf hin, dass Andrew Gowers im Spiegel abgebildet ist, wie er in einem großen Sessel sitzt; und Angelika Jahr-Stilcken, einst bei Schöner Wohnen, jetzt aber eben nur noch Aufsichtsrätin, residiert in der FAS in einem weinroten Ohrenteil.
Sind protzige Sessel womöglich die Möbel des Todes? Vielleicht schert sich der deutsche Wirtschaftsjournalismus wirklich nicht genug um Einrichtungsideen.
+++ +++ Der Deutschlandfunk soll einem PR-Berater, der von den Insolvenzverwaltern des Nürburgrings bezahlt wird, zugesagt haben, in einem Interview nicht zu insistieren; ein kritischer Gesprächspartner soll zudem auf Betreiben des Beraters nicht eingeladen worden sein – der DLF bestreitet beides. In der SZ wird der PR-Berater, Pietro Nuvolini, zitiert: "Man habe den Journalisten nur deutlich gemacht, dass wegen des nicht öffentlichen Charakters des Insolvenzverfahrens von den Sanierern genau abgewogen werden müsse, was in einer Live-Sendung gesagt werden dürfe. An der Antwort 'kein Kommentar' werde ein Beharren der Moderatoren nichts ändern" +++
+++ Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die Diskussion über die Krise der privatwirtschaftlichen Verlage in eine Diskussion über die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen umschlägt. Ist natürlich Zufall, dass das Buch des Handelsblatt-Journalisten Hans-Peter Siebenhaar über die "Nimmersatten" genau jetzt erscheint, er hat es ja nicht erst in den vergangenen vier Wochen geschrieben, aber es liest sich gleich noch ein wenig griffiger, wenn anderswo gekürzt wird. Der für öffentlich-rechtliche Finanzierungskritik generell offene Tagesspiegel bringt einen Auszug, dessen Stammtischhaftigkeit mich aber doch etwas rastlos zurücklässt: "Die nimmersatten Anstalten schwelgen unterdessen im Luxus. Sie schicken zu den Olympischen Sommerspielen 2012 in London mehr Mitarbeiter, als Deutschland überhaupt Sportler entsendet. Aufwand und Kosten? Das weiß keiner so genau. Beim nimmersatten Gebührenrundfunk gibt es fast alles doppelt, dreifach, sogar vielfach: Intendanten, Gremien, Studios, Technik, Unterhaltungsshows, Schnulzenfilme, Redaktionen, Korrespondentenbüros, Online-Angebote, Orchester". Korrespondentenbüros. Vielfach. Das ist natürlich ein Skandal, den es dringend anzuprangern gilt +++ Der Eindruck mag allerdings dem konkreten Auszug geschuldet sein; bei Vocer gibt es eine über das Buch hinausgehende Betrachtung der "Corporate Governance" der Öffentlich-Rechtlichen von Peter Littger, der "in einer Studie für die London School of Economics im Jahr 2006 die Stakeholder-Politik von ARD und BBC verglichen" hat und schreibt: "Hochrangige Funktionäre der BBC, die bei Weitem auch nicht alles richtig, aber vieles entscheidend besser machen, konstatieren über die Verhältnisse bei ARD und ZDF: 'We would not get away with it'" +++
+++ Bei Weltkompakt gibt es wohl einen Plagiatsfall, der entsprechende Text ist nicht mehr online. Twitter-Reaktion 1 und -Reaktion 2 +++ Die Freischreiber haben ihre Himmel- und Hölle-Preise vergeben +++ In der SZ geht es um "eine Bamberger Tagung des 'Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit'" zur Frage, wie "Verdachtsberichterstattung dem öffentlichen Interesse, den Medien und den Betroffenen gerecht wird". Helmut Kerscher: "Im Verlauf der Tagung ist ausgerechnet ein besonders kritischer Kenner der Verdachtsberichterstattung in Verdacht geraten: Rechtsanwalt Gernot Lehr (Bonn), der die Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff und Johannes Rau vertreten hat, schien die Verdachtsberichterstattung dramatisch zugunsten der Betroffenen und zulasten der Medien einschränken zu wollen – durch eine Verschärfung der Sorgfaltspflichten bis hin zur Forderung, das Journalisten die Sachlage nicht werten dürfen. Nach herber Kritik von Wissenschaftlern und Praktikern sah sich der Anwalt zu einer Klarstellung in eigener Sache veranlasst: Er wolle nur die Position von Betroffenen stärken, ziehe aber die Notwendigkeit einer Verdachtsberichterstattung 'nicht im Ansatz in Zweifel'" +++
+++ Schauspieler Larry Hagman ist gestorben, Nachrufe gibt es auf Seite 3 der SZ, in der taz, in der FAS, der FAZ, bei Spiegel Online, in der New York Times +++ taz-Nachrufer Steffen Grimberg, kürzlich auch in der SZ und bei Spiegel Online zu lesen, schreibt in der Berliner Zeitung über das Baden-Badener Filmfestival und wird vom Hamburger Abendblatt mit "Zapp" in Verbindung gebracht +++
+++ "Mandy will ans Meer" (ZDF, 20.15 Uhr) wird man "nicht subtil" nennen, schreibt die FAZ. "Doch nun kommt das große Aber. Es ist nämlich, als sei ein zweiter Film in diesem ersten verborgen. Und diesem gelingt es, von Robin-Hood- und Märchenmotivik auf einen ungeschönten, schnodderigen Realismus umzuschalten, den es leider viel zu selten gibt im deutschen Fernsehen" +++ Der Tagesspiegel lobt den Film +++ Und er meldet eine neue Fußballsendung mit Alexander Bommes in der ARD +++
+++ Die taz interviewt die letzte FTD-Praktikantin, die sagt: "Für die meisten aus meiner Klasse kommen Tageszeitungen nicht mehr als Arbeitgeber infrage" +++ Bei Meedia beschäftigt sich Christian Meier mit der kursierenden Frage, ob die Zusammenlegung von Redaktionen – FTD, FR – zwangsläufig in den Untergang führt +++
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.