Drachenblut fürs tote Pferd

Drachenblut fürs tote Pferd

Possierlichkeit der Medienjournalisten und Ungleichzeitigkeiten einer Umbruchepoche; Leistungsschutzrecht-Zombies, Linksspießer, Paid-Content-Offensive: Es hagelt geradezu ausführliche Einschätzungen zur Frankfurter Rundschau-Insolvenz und zur Zukunft der vielleicht längst totgerittenen, vielleicht niemals totzukriegenden Tageszeitung an sich.

Mit zu den großartigen Eigenschaften des Internet zählt die, dass guter Rat stets nur wenige Klicks entfernt ist, und das sogar noch - der zweifellos vorherrschenden Mentalität von uns Internetnutzern entsprechend - gratis.

Wie man eine gute Tageszeitung macht oder eine nicht unbedingt mehr richtig gute denn retten kann, dürfte zwar eine zu komplexe Frage sein, um sie bei frag-mutti.de einzutippen. Während aber nun das Team des vorläufigen Insolvenzverwalters Frank Schmitt, wie dieser im In-eigener-Sache-Interview mit u.a. dem Frankfurter Rundschau-Chefredakteur Arnd Festerling erkärt, in einem "großen Brainstorming" herausfinden will,

"ob und wie wir das Produkt Frankfurter Rundschau neu aufstellen können. Wir sammeln Ideen, kein Vorschlag ist tabu",

prasselt geradezu guter Rat von einer Menge Experten ein.

Zum Beispiel von Wolfgang Blau, der auf Facebook (falls Sie, wofür es gute Gründe gibt, Facebook nicht so mögen: meedia.de "dokumentiert ... mit freundlicher Genehmigung") das "journalistische Konstrukt einer Tageszeitung" beinahe für bereits grundsätzlich überholt erklärt. Okay, das ist kein Rat, aber dies:

"Auch viele Tageszeitungen könnten eine Zukunft haben. Aber nur, wenn sie das Netz nicht als ihren Feind empfinden."

Unten drunter, in den lebhaften Kommentaren, rät Blau, bekanntlich künftiger Guardian-Spitzenmanager (siehe Altpapier) zu "mentalen Fingerübungen", bzw. konkret zu dieser:

"...sich einmal auszumalen, welche Anmutung, welche Themenauswahl, Themenumsetzung, Leser-Interaktion und auch welche Anzeigenprodukte eine große deutsche Tageszeitung entwickeln könnte, wenn auch ihr Printprodukt von ihren besten Online-Redakteuren gesteuert und ihren Online-Produktmanagern vermarket würde?"

Falls Sie in den gestern im Altpapier, aber auch sonst oft im Netz vorhandenen Umschauen über all das, was zum möglichen Ende der Rundschau so geschrieben wurde, vermissten, was das zurzeit von Blau verantwortete Portal zeit.de dazu brachte: 'nen Agenturbericht. Holzmedien interessieren die dort versammelten besten Online-Redakteure nicht wirklich.

Noch weiter unten in den Kommentaren hat Blau inzwischen einen deutlich längeren Post als den ursprünglichen angefügt, den man fast als eine Art Zurückrudern ("Ich hoffe aber, vermittelt zu haben, dass mir auch als leidenschaftlicher Onlinejournalist viel an der Zukunft der Redaktionen liegt, die Tageszeitungen produzieren. ...") auffassen könnte, wenn Blau nicht einfach so cool wäre.

Damit zum hier schon gestern erwähnten Thomas Knüwer. Inzwischen steht auf indiskretionehrensache.de ein vorbildlicher Blogpost: Schon der Einstieg schreit in seiner Soghaftigkeit nach Verfilmung ("Selten erlebte ich innerhalb von nicht einmal 18 Stunden zwei so unterschiedliche Welten, wie in diesen Tagen..."), dann setzt es raffinierte Seitenhiebe auf Leute, die nicht zu Knüwers Buddies gehören (Politik-Wissenschaftler Werner Weidenfeld, den "salbadernden" BR-Intendanten Ulrich Wilhelm, den Verleger des "Straubinger Tagblatts", den FAZ-Mitherausgeber Werner D’Inka natürlich wegen seines gestrigen Kommentars, die Belegschaft der Frankfurter Rundschau, weil sie iPads viiiiel zu geringschätzt u.v.a.m.), und gibt es beinahe ähnlich elegant eingestreutes Lob für Knüwer-Buddies ("DPA-Chefredakteur Wolfgang Büchner, den ich sehr schätze, machte hervorragend gemachten und investigativen Lokaljournalismus aus..." - Achtung auf den Kontext: ausmachen hier nicht im Sinne von ausschalten, sondern in dem von identifizieren).

Die schönste Passage des Textes gilt den Medienjournalisten (womit Knüwer aus irgendeinem Grund allein die Print-Medienjournalisten meint):

"Dieses Negieren [des digitalen Wandels, AP] ist eine beliebte Haltung auch unter den Medienjournalisten, die nun die Insolvenz der 'FR' kommentieren. Es ist possierlich, wie sie Gründe suche, warum das Aus für die 'FR' 'unvermeidbar' war -  was im Gegenzug bedeutet, dass diese individuellen Gründe für andere Zeitungen nicht gelten, und diese auf immer in Drachenblut getränkt und unsterblich sind."

Jetzt der über Drachenblut hinausgehende Rat. Da wären :... "Investitionen in digitale Kanäle", investigativen Journalismus betreiben, sich auf den digitalen Wandel halt vorbereiten. Liebe Kollegen von der Print-Presse: gleich gleich mal ausdrucken!

Wenn es nicht vermessen wäre, einem Berater vom Kaliber Knüwers Rat zu erteilen, dann hätte vielleicht Christian Jakubetz in seinem Blog einen:

"Das möglicherweise Schlimmste für die Kollegen der 'Frankfurter Rundschau' ist ja, dass es jetzt so viele schon vorher gewusst haben. Dass sie gesagt bekommen, sie hätten zu lange das versucht, was die Briten 'flogging a dead horse' nennen. Man muss also, wenn man etwas über die Insolvenz dieser Zeitung schreibt, erst einmal furchtbar aufpassen, dass da tunlichst nicht steht, man habe es ja schon länger geahnt. Auch wenn die Verlockung groß ist und dieser Satz auch sachlich nicht so ganz verkehrt wäre."

Leider, aus Sicht der Zeitungen, bleibt dies der einzige Rat. Die Zeitungen seien nämlich wirklich ein totes Pferd, meint Jakubetz. Dass er diese Einschätzung nicht mit Binsen garniert, angesichts von deren Banalität selbst mancher Printpressemanager schlucken würde, erfrischt immerhin:

"Tageszeitungen sind - man muss das in den Endzeittagen der FR und wohl auch der FTD nochmal festhalten - eine sterbende Gattung. Das hat nichts mit dem Datenträger zu tun, auch eine als PDF für Tablets ausgespielte Tageszeitung ist erst einmal nichts anderes als eine Tageszeitung. Sie folgt all ihren Prinzipien, die vor 20 Jahren noch relevant waren, inzwischen aber aus einer Reihe von Gründen schlichtweg überholt sind. Die Idee, die die meisten von ihnen immer noch mit erstaunlicher Konsequenz verfolgen, lautet: Wir fassen den gestrigen Tag zusammen."

Falls Sie dennoch Lust auf eine kräftige Gegenstimme empfinden:

"Die Tageszeitung wird, ob gedruckt oder digital, auch in Zukunft überleben, weil sie für die Menschen, die an ihrer Umwelt teilhaben wollen als Zeitgenossen, unverzichtbar ist. Mag sein, dass die Gesamtauflage der Blätter noch etwas sinken wird, weil der Trend zur Zersplitterung in verschiedene Lebens- und Parallelwelten mit völlig unterschiedlichen Informationshorizonten seine besondere Verführungskraft hat. Aber das Erkenntnisinteresse der Menschen an seiner eigenen Gesellschaft hat letztlich noch immer gewonnen."

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Klingt natürlich leicht nach Sich-Mut-Machen, und es ist in der Tat der als Feuilleton-Chef der Berliner Zeitung (und damit der FR) befangene Harald Jähner, der dies in einem mit Thesen der steileren Art (Die FR "ist in ihren digitalen Aktivitäten besonders weit fortgeschritten. Dass es dennoch zum Konkurs kommen konnte, zeigt die Ungleichzeitigkeiten dieser Umbruchepoche...") auch nicht geizenden In-eigener-Sache-Artikel äußert.

Damit zu FR-Kritik und FR-Kritiker-Kritik von traditionelleren, also digital noch nicht ungeheuer fortschrittlichen Warten aus:

"Das Aus für die FR ist der Beweis dafür, dass der Verlust der verkauften Auflage die entscheidende Ursache für den Niedergang einer Zeitung ist",

schreibt pragmatisch Wolfgang Lieb auf nachdenkseiten.de, ohne dabei auf Kritik an der Redaktion zu verzichten:

"Die FR suchte keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Kampfblatt des chauvinistischen Konservativismus der 'Welt' mehr. Die ökologisch und grün Engagierten landeten bei der flapsigen taz...",

meint er (womit er ein Argument des heut vielfach kritisierten D'Inka aufgreift). Immerhin sucht, umgekehrt, die Welt noch einmal die Auseinandersetzung. Dort schildert Herausgeber Thomas Schmid, "früherer Leser" (der FR vermutlich) und bekanntlich ein Elch der Linken, "wie sich die 'FR' zum Linksspießerblatt schrumpfte". Und wenn wir gerade bei Papierzeitungs-Herausgeber-Äußerungen sind: Im Berliner Tagesspiegel hat Hermann Rudolph ein vergiftetes Lob für die Rundschau: "Sie sprach hessisch - was man von der 'FAZ' beim besten Willen nicht sagen konnte".

Falls indes gerade die Frage, ob denn die Welt noch ein Kampfblatt ist, aufgekommen sein sollte: Sie wird zumindest wieder eines -  eines der "Paid-Content-Offensive".

Ebenfalls quasi aus dem FR-Anlass gewährt Schmid-Buddy und Springer-Chef Mathias Döpfner dem manager magazin-Tausendsassa Klaus Boldt exklusive Einblicke hinter oder auf die Bezahlschranke, die rund um welt.de in Kürze heruntergelassen werden soll. Dazu hat er, der Vorabmeldung zufolge, in einen flammenden Appell in der oft etwas morbiden Döpfner-Rhetorik parat:

"Wie viele andere Verlage ziehen mit? Wenn es viele sind, dann haben alle eine große Chance. Wenn wir aber die einzigen bleiben, und die anderen feixen sich einen - selbst wenn sie sich damit schlichtweg ihr eigenes Grab aushöben -, dann wird es natürlich schwierig."

Was noch mal das manager magazin? Das Heft, das in Gütersloh gedruckt wird und dessen beste Texte immer vorab bei Bertelsmann aus dem Fax quillen - wie kürzlich eine DuMont-Pressen- (und damit auch FR-) Investigation von Thomas Schuler belegte.

Ob die FR-Belegschaft nicht ein Genossenschaftsmodell wie die TAZ  einführen könnte, hat der Tagesspiegel überdies rumgefragt - bei den Zeitungsforschern Michael Haller und Horst Röper sowie TAZ-Chefredakteurin Ines Pohl. Diese äußert sich diplomatisch vage, konkreter indes Steffen Grimberg in der TAZ selbst:

"Kleiner Haken dabei: Die Frankfurter Rundschau ist nicht - wie die taz damals - ein Kollektivbetrieb, der sich selbst gehört. DuMont soll 2006 rund 35 Millionen Euro für seine FR-Anteile bezahlt haben. Seitdem ... wurden weitere 136 Millionen zugeschossen. Ein bisschen Kohle werden sie also wohl sehen wollen, das gilt auch für die DDVG. Außerdem ist die FR schon verdammt tief im Minus. Es bräuchte also jede Menge GenossInnen, die akzeptieren, dass ihre Anteile sofort für den Verlustausgleich aufgebraucht würden."

Es könnte gerade noch ewig weitergehen mit FR-Stoff. Peter Hogenkamp etwa rät aus Sicht der schweizerischen NZZ (mit "wohl dem besten Wert im deutschsprachigen Raum, was [digitale] Abos angeht") ebenfalls zum iPad, Moritz Meyer (Carta) hängt eher der Totes-Pferd-These an, aktualisiert das etwas betagte Bild aber zu " dumpfen Leistungsschutzrecht-Zombies", die "durch die Medienwelt" "trotten".

Mit einem vielleicht (auch) nicht uneingeschränkt realistischen oder hilfreichen, aber schönen Reim von @maiksoehler soll's für heute jedoch reichen:

"Da besinnt sich das Kind / kehrt zurück zum Print / geschwind."


Altpapierkorb

+++ Rundschau-frei heute: die Medienseite der Süddeutschen, die heute eine reine Themenseite für die Pressefreiheit ist. "Schon jetzt sind 2012 mehr Reporter getötet worden als im Jahr zuvor", heißt es da unter Berufung auf den "Weltverband der Zeitungen und Nachrichtenmedien" WAN-Ifra. Dessen "Manager für die Pressefreiheit"  Rodrigo Bonilla Hastings wird interviewt ("An Mexiko sieht man, wie es der organisierten Kriminalität gelingen kann, in bestimmten Gebieten, wo verschiedene Gruppen um die Beherrschung des Drogenhandels kämpfen, die Autorität des Staates komplett auszuschalten. Journalisten sind hier die ersten Opfer. Denn wer das Territorium kontrollieren will, muss zunächst die Kontrolle über den Informationsfluss erlangen. Das läuft dann so ab, dass der Drogenboss einem Journalisten ein Handy gibt und sagt: Du berichtest, was wir dir sagen!.."). Rund herum stehen acht Artikel über Kriesenregionen, von Arabien (wo "dieselben Journalisten, die die ägyptischen Muslimbrüder einst verteidigten, .... nun die Kontrolle der Islamisten" fürchten) bis zur Türkei (wo "die Zahl 'beleidigender' Kommentare in den Medien ... in den letzten Jahren stark zurückgegangen" sei, was aus Regierungssicht einen Erfolg darstellt und mit der Vielzahl inhaftierter Journalisten zusammenhängen mag). +++

+++ Italien gilt keiner der Texte, aber einer auf der FAZ-Medienseite: "Italiens Rechte sieht Journalisten gern in Haft", schreibt dort Jörg Bremer über ein neues Gesetz, demzufolge "Journalisten , die sich einer schweren Verleumdung schuldig machen", "für bis zu zwölf Monate in Haft kommen können".  +++ Über Internetzensur in China informiert der Tsp.. +++

+++ Der andere Insolvenzfall im Mediengeschäft mit derzeit ungewisser Zukunft ist die Nachrichtenagentur DAPD. Die TAZ sowie natürlich Agenturen (EPD beim KSTA) informieren über die aktuelle Lage. +++

+++ Heute auch in der TAZ: die recht finstere Lage der BBC am heutigen 90. Geburtstag. +++ Gestern hier durchgerutscht: die TAZ-Kriegsreportage, in der Stefan Winterbauer (meedia.de) einen Glückwunsch ausgesprochen bekommt. +++

++++ Könnte nicht ein "Starinvestor" wie Warren Buffett in den USA Zeitungen retten? Nicht so (newsroom.de). +++

+++ Rund 40 Jahre, nachdem Angelika Jahr das relativ legendäre Editorial "Was verbindet die deutsche Küche und deutsche Schlafzimmer?" verfasst hatte (Antwort "das geringe Maß an Rafinesse") und nachdem also das Magazin Essen und Trinken das Licht der Welt erblickte, "kämpft der 'Stern' um seine Stellung im Markt, aber bei 'Essen & Trinken' kochen sie immer noch". Aus dem Anlass schweift Daniel Haas für die FAZ-Medienseite durch deutsche Geschichte und globale Gegenwart der Food-Magazine. +++ Was darin nicht vorkommt: die aktuelle Kritik an solch Magazinen, wie sie gestern etwa Ulrike Simon in der BLZ (und damit auch in der FR) äußerte. Etwa auch daran, dass der derzeit bei G+J umtriebige "Mehrfach-Chefredakteur, -Herausgeber und Verlagsgeschäftsführer" Stephan Schäfer "Anzeigenkunden ... gern in der verlagseigenen Versuchsküche von den fest angestellten Köchen der Zeitschrift Essen & Trinken bewirten lässt". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.
 

 

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